(Hrsg.): Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück. Begleitband zur Ausstellung (Buchrezension)

Erpel, Simone

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:.Christina Herkommer, Freie Universität Berlin.E-Mail: herkom@zedat.fu-berlin.de..URL zur Zitation dieses Beitrages.http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-200.______________________________________________________________..KZ-Aufseherinnen stellen sowohl in der öffentlichen als auch in der.wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus noch.immer ein Faszinosum dar. Sie evozieren pathologisierende und.sexualisierte Assoziationen, die nicht zuletzt geprägt sind durch die.alliierten Militärgerichtsprozesse und die Prozessberichterstattung in.der Nachkriegszeit gegen einige der ehemaligen Aufseherinnen: "Beautiful.Beast"[1], "Sadistic Slut"[2] und "Hexe"[3] sind dabei nur einige der.Charakterisierungen, die scheinbar eine Erklärung für die begangenen.Verbrechen liefern. Durch das Deutungsmuster angeblich devianter.Weiblichkeit erscheinen aber nicht nur die Taten selbst erklärbar,.sondern es wird zugleich eine Abgrenzung vom Normalfall konstruiert, die.eine Distanzierung ermöglicht und kollektive Unschuld impliziert.[4].Daneben existiert aber auch das exkulpierende Bild der zwangsweise.rekrutierten KZ-Aufseherin, die ihren Dienst antreten musste, um nicht.selbst als Häftling in einem Konzentrationslager zu enden...Die am 17. Oktober 2004 eröffnete Ausstellung "Im Gefolge der SS:.Aufseherinnen im Frauen-KZ Ravensbrück" und der vorliegende.wissenschaftliche Begleitband begegnen diesen Mythen kritisch. Dies wird.gleich zu Beginn des in fünf Kapitel gegliederten Bandes deutlich, wenn.die Herausgeberin des Buches und Kuratorin der Ausstellung, Simone.Erpel, auf eben dieses Phänomen verweist und die entsprechende Funktion.des Sammelbandes vorstellt "[...] auf Grundlage neuer Forschungen das.gängige Täterinnenbild kritisch zu hinterfragen und zum Nachdenken über.Motive, Handlungsmöglichkeiten und Taten von Aufseherinnen.anzuregen"(S.19). Erpel konstatiert weiter, dass trotz der Faszination,.die von den KZ-Aufseherinnen noch immer ausgeht, erst zu Beginn der.1990er-Jahre diese Personengruppe eingehender wissenschaftlich.betrachtet wurde. [5] Es wird deutlich, dass Fragestellung und.Zielsetzung des Sammelbandes breit gefasst sind: Gefragt wird nach der.Geschichte der Aufseherinnen, nach ihrer Identität, ihren Motiven für.die Tätigkeit als KZ-Aufseherinnen, nach den von ihnen begangenen.Verbrechen, aber auch danach, wie diese Verbrechen nach 1945 geahndet.wurden, wie die Opfer mit den Erinnerungen an die Aufseherinnen umgingen.und wie die ehemaligen Aufseherinnen eigene Erinnerungen innerhalb ihrer.Familien tradierten...Entsprechend wird im ersten Kapitel eine Annäherung an die Aufseherinnen.vorgenommen. Es wird ihnen ein Gesicht gegeben, jenseits der Rede von.der "weiblichen Bestie". Dazu hält Lavern Wolfram in ihrer Untersuchung.fest, dass KZ-Aufseherinnen nicht zwingend, tatsächlich sogar nur zu.einem geringen Prozentsatz, Parteigängerinnen der NSDAP waren, eine.Mitgliedschaft jedoch förderlich war für den Aufstieg innerhalb der.Hierarchie des KZ-Wachpersonals. Die darauffolgenden Beiträge von Monika.Müller, Johannes Schwartz, Eva Wolfnagel und Stefanie Oppel widmen sich.einzelnen Aufseherinnen und reflektieren kritisch anhand der Biografien.dieser Frauen die Rolle der Dienstverpflichtung, die Frage der.Handlungsräume der Aufseherinnen und ihre Selbstdarstellung nach 1945..Eindrücklich schließt Jeanette Toussaint dieses Kapitel durch einen.Beitrag ab, der sich mit dem Alltag der KZ-Aufseherinnen nach.Dienstschluss befasst und darauf verweist, dass unter Ausblendung der.Lagerrealität viele Aufseherinnen das Lager und seine Umgebung als.normalen Arbeits- und Lebensort betrachteten, an dem "[.] Freundschaften.geschlossen, Beziehungen geknüpft, Hochzeiten gefeiert und Kinder.geboren [wurden]"(S. 94)...Im zweiten Kapitel, steht die juristische Ahndung der von.KZ-Aufseherinnen begangenen Verbrechen in den Besatzungszonen im.Vordergrund. Neben den Beiträgen von John Cramer, Simone Erpel und.Johannes Schwartz zu den Militärgerichtsprozessen in den westlichen.Besatzungszonen, erweist sich dabei der Beitrag von Marlies Coburger zu.ehemaligen KZ-Aufseherinnen, die im sowjetischen Speziallager.Sachsenhausen interniert waren, als besonders interessant. Aufgrund der.zum Teil noch immer unzugänglichen Quellen existiert bisher keine.umfassende Untersuchung zu diesen Frauen und die gegen sie geführten.Prozesse. Die Beiträge von Aleksander Lasik und Jeanette Toussaint,.thematisieren die juristische Ahndung nationalsozialistischer in Polen.und Österreich. Vor allem Toussaint zeigt anhand der Verfahren gegen.ehemalige Aufseherinnen in Österreich, dass diese Prozesse weniger durch.das Ziel bestimmt waren die nationalsozialistischen Verbrechen.aufzuarbeiten, als die eigene nationale Souveränität zurückzuerlangen...Im Mittelpunkt des dritten Kapitels stehen Prozesse gegen.KZ-Aufseherinnen, die vor ost- und westdeutschen Gerichten geführt.wurden. Lavern Wolfram und Angelika Meyer befassen sich in ihren.Beiträgen mit dem in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) geführten."Arado-Prozess" und dem später in der DDR geführten "Rostocker Prozess"..Sie verweisen zum einen auf das eher geringe Interesse an der Aufklärung.der Verbrechen, zum anderen aber auch darauf, dass Anklage und.Verurteilung ehemaliger KZ-Aufseherinnen stark durch das politische.Verhältnis der beiden deutschen Staaten geprägt waren. Besonders.interessant ist der Beitrag von Elissa Mailänder-Koslov: Sie analysiert.die Täterinnenbildern im Düsseldorfer Majdanek-Prozess (1975-1981) und.kann dabei zeigen, dass die angeklagten Frauen durch ihr.fortgeschrittenes Alter nicht mehr dem Bild des "Beautiful Beast".entsprachen. Dennoch konstatiert sie, dass eine deviante Weiblichkeit.Haupterklärung für die Verbrechen der Frauen bleibt, allerdings nicht.mehr in Form abweichender weiblicher Sexualität, sondern in Form.sozialer Marginalität und in Form von Sadismus. ..Im vierten Kapitel des Sammelbandes steht die visuelle Inszenierung des.ehemaligen Frauen-KZ Ravensbrück im Vordergrund. Es stellt damit einen.essentiellen Bestandteil der Gedenkstättenarbeit ins Zentrum. Die.Schwierigkeiten, die sich aus dem wissenschaftlichen Umgang mit.historischen Fotos ergeben sind unter anderem Thema dieses Kapitels und.werden vor allem in den Beiträgen von Insa Eschebach und Jeanette.Toussaint aufgegriffen. Eschebach analysiert in diesem Zusammenhang das.private Fotoalbum einer ehemaligen KZ-Aufseherin und kontextualisiert.die dort gezeigten Fotografien. Dabei bezieht sie sich unter anderem auf.Pierre Bourdieu, indem sie fragt, aus welchen Gründen die ausgewählten.Fotos in das Album aufgenommen wurden, welche Aussagen mit ihnen.verbunden werden sollen und spricht sich für die Präsentation.ursprünglich privat entstandener Fotos im Rahmen der Ausstellungs- und.Gedenkstättenarbeit aus. [6] Toussaint zeigt hingegen anhand einer.Fotosammlung, die ehemalige KZ-Aufseherinnen auf Passbild-ähnlichen.Aufnahmen zeigt, wie schwierig es sein kann die Geschichte von.verschiedenen Fotografien nachzuvollziehen und damit eine.Kontextualisierung zu ermöglichen...Im abschließenden fünften Kapitel beschäftigen sich die Beiträge mit der.Erinnerung an den Nationalsozialismus - ein Thema, dass nicht nur.wissenschaftlich von wachsendem Interesse ist, sondern auch.tagespolitisch eine große Rolle spielt. Deutlich wird hier, welche.Probleme und Irritationen mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus.verbunden sind. So reflektiert zum Beispiel Constanze Jaiser in ihrem.Beitrag die Rezeptionsgeschichte zur ehemaligen KZ-Aufseherin Irma Grese.und verweist dabei auf geschlechtsspezifische Mythologisierungen..Besonders eindrücklich wird die Bedeutung der Erinnerung an den.Nationalsozialismus in den Schilderungen von Jeanette Toussaint, die.sich mit Entlastungsstrategien ehemaliger KZ-Aufseherinnen sowie ihrer.intergenerationellen Tradierung befasst und die Schwierigkeiten.reflektiert, die sich aus der Auseinandersetzung mit ehemaligen.KZ-Aufseherinnen ergeben. Der Beitrag von Annette Leo zeigt, dass auch.60 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus die Erinnerung an das.Frauen-KZ Ravensbrück in der Umgebung des ehemaligen Lagers noch immer.auf Widerstand stößt. ..Die vielfältigen Beiträge des vorliegenden Sammelbandes zu Aufseherinnen.des Frauen-KZ Ravensbrück eröffnen ein breites Forschungsfeld und.zeigen, dass es noch immer viele Leerstellen in der Erforschung von.Aufbau und Funktionsweise der Konzentrationslager und des Umgangs mit.dem (weiblichen) Lagerpersonal nach 1945 gibt. Obwohl kritisch.anzumerken bleibt, dass die in der Einleitung etablierte zentrale.Fragestellung des Bandes, die vor allem eine Geschlechterperspektive.nahe legt, nicht in allen Beiträgen durchgehalten wird, bleibt das.Verdienst des Bandes, die überfällige intensive wissenschaftliche.Auseinandersetzung mit KZ-Aufseherinnen einen Schritt vorangebracht zu.haben. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass in den Beiträgen immer.deutlich bleibt, dass es sich bei den SS-Aufseherinnen um Frauen.handelt, die das mörderische System des Nationalsozialismus ebenso wie.ihre männlichen Kollegen an zentraler Stelle gestützt haben. Der Blick.auf die Aufseherinnen dient hier nicht dazu, die von den Frauen.begangenen Verbrechen mit dem Hinweis auf ihre untergeordnete Position.innerhalb der NS-Gesellschaft zu verharmlosen oder gar zu entschuldigen..Vielmehr machen viele der Beiträge deutlich, dass eine explizite.Auseinandersetzung mit Geschlecht und Geschlechterbildern eine neue.Sicht sowohl auf die Funktionsweisen der nationalsozialistischen.Herrschaft als auch auf den Erinnerungsdiskurs nach 1945 eröffnet und.einer Mythenbildung entgegenwirkt...Anmerkungen:.[1] Vgl. z.B. Brown, Daniel P., The Beautiful Beast: The Life & Crimes.of SS-Aufseherin Irma Grese, Ventura 1996..[2] Duesterberg, Julia, Von der "Umkehr aller Weiblichkeit"..Charakterbilder einer KZ-Aufseherin, in: Wenk, Silke; Jacobeit, Sigrid;.Eschebach, Insa (Hrsg.), Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in.Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids, Frankfurt/New York.2002, S. 227..[3] Vgl. Smith Jr., Arthur Lee, Der Fall Ilse Koch - Die Hexe von.Buchenwald, Köln 1983..[4] Vgl. Kretzer, Annette, "His or her social job". Die Repräsentation.von NS-Verbrecherinnen im ersten Hamburger Ravensbrück-Prozess und im.westdeutschen Täterschafts-Diskurs, in: Beiträge zur Geschichte der.nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland 7, Bremen 2005, S..146f..[5] Vgl. z.B. Schwarz, Gudrun, SS-Aufseherinnen in.nationalsozialistischen Konzentrationslagern 1933-1945, in: Dachauer.Hefte 10 (1994), S. 32-49..[6] Bourdieu, Pierre, Eine illegitime Kunst. Die sozialen.Gebrauchsweisen der Fotografie, Frankfurt am Main 1981.

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