Leerstellen als Chance

Tagung / Seminar / Workshop
29. Oktober 2022
09:33 Uhr
Ort: Campus Department Fachdidaktiken FAU, 90478 Nürnberg
Veranstalter: Lehrstuhl Didaktik der Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) in Kooperation mit: KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck, Staatstheater Nürnberg, Josef-Jungmann Gymnasium Litoměřice

Im weitverzweigten System an Außenlagern, die unter der Verwaltung Flossenbürgs standen, waren die beiden größten das nach der Besetzung der Tschechoslowakei im „Reichsgau Sudetenland“ errichtete Außenlager in Leitmeritz (Litoměřice) und das in Hersbruck in Mittelfranken. Die Aufarbeitung der Geschehnisse nach 1945 zeigt im deutsch-tschechischen Vergleich einen divergierenden Umgang mit der NS-Vergangenheit und widerstreitende Vergangenheitsdeutungen. Die sich daraus ergebenden geschichtskulturellen Manifestationen sollen untersucht und das hierin liegende Potential für richtungsweisende Vermittlungsformen ausgelotet werden. An den großen Gedenkstätten wie in Theresienstadt und Flossenbürg sind pädagogische und geschichtsdidaktisch reflektierte Konzepte für die Vermittlung vorhanden. Diese werden kontinuierlich diskutiert und weiterentwickelt. Doch wie können Lehrkräfte die NS-Geschichte an ihren eigenen Schulorten „vor der Haustür“ vermitteln, wenn dort ein KZ-Außenlager existierte und Verbrechen stattgefunden haben? Das häufige Fehlen materieller Überreste an ehemaligen Außenlagern kann als Chance verstanden werden: Maßen Zivilgesellschaft und städtische Institutionen diesem Ort (k)eine Bedeutung bei? Wann erfolgten Abriss, Überbauungen und Nachnutzungen? (Subversive) Denkzeichen oder Mahnmale unterschiedlichen zeitlichen Ursprungs, initiiert durch unterschiedliche Akteur:innen haben eine Institutionalisierung der Erinnerung in Form von großen Gedenkstätten und politischen Reden vielfach erst angestoßen. Den Jugendlichen kann an diesen lokalen „Leerstellen“ bewusst werden, dass Erinnerungskultur auf spannungsreichen öffentlichen Diskussionen fußt und der Umgang mit den Lagern durch generationenbedingte Umbrüche und politische Transformationsprozesse nach 1945 und 1989 bedingt war. Lokale Geschichte kann die Blickrichtung weg von großen Narrativen hin zur Betrachtung konkreter Beispiele lenken und eine transnational verstandene Erinnerungskultur durch eineSeite 2 translokale Perspektive ergänzen und fokussieren. Denn während die Transformationsprozesse im Gedenken und Erinnern für Deutschland und Tschechien erforscht sind, steht die Historisierung der Genese einzelner ehemaliger KZ-Außenlager und der Beteiligten an den Prozessen des Gedenkens seit 1945 noch weitgehend aus.

Mögliche Themenfelder

-Welches waren nach 1945 die Voraussetzungen für die Entstehung von Erinnerungspraktiken am Ort des ehemaligen Außenlagers? Welche Sinnstiftungsprozesse lassen sich identifizieren? Wie haben sich nach 1989/90 die politischen Umbrüche auf die lokale Erinnerungslandschaft ausgewirkt? Folgten den Transformationsprozessen eine (erneute) historische Aufarbeitung, ein Wandel im Gedenken und in der Perspektivierung, kam es zu parallel existierenden Erinnerungsgemeinschaften?
-Welches waren die Träger:innen und Initiator:innen der Erinnerung vor Ort? Was waren die jeweiligen Motivationen, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen? Wie ist das Wechselverhätnis zwischen den örtlichen Medien, den Akteur:innen und der übergeordneten Gedenkstätte des Stammlagers?
-Gibt es Ansätze, die Erinnerungslandschaft und die geschichtskulturellen Manifestationen vor Ort in geschlechtergeschichtlicher Perspektive zu analysieren? Existieren didaktische Konzepte, um die Kategorie Gender, sowohl auf der Subjektebene als auch vom historischen Sachverhalt her gedacht, in die historischen Lernprozesse mit einzubeziehen?
-Das Fehlen authentischer Bausubstanz führt zu Erkundung der „zweiten Geschichte“ des Nationalsozialismus: Wie kann der Mangel an Authentischem ausgeglichen werden durch didaktische Konzepte und Lernarrangements?
-Welche Konzepte für binationale Jugendbegegnungen sind für das historische Lernen vorhanden? Wie kann neben einer vergleichenden Perspektive eine transnationale Erinnerungskultur von und zwischen Jugendlichen in Tschechien und Deutschland aussehen?
-Welche geschichtskulturell ausgerichteten Projekte gibt es zum historischen Lernen an Orten ehemaliger KZ-Außenlagern? (Interaktive Formen, Biografiearbeit, Untersuchung des Bildgedächtnisses, digitale Lernprodukte, Archivrecherchen, künstlerische und performative Möglichkeiten etc.) Wissenschaftler:innen aller einschlägigen Wissenschaftsdisziplinen und Qualifikationsstufen, die zu einer Exploration dieses Themengebiets beitragen können, insbesondere jedoch aus dem Fachbereich Didaktik der Geschichte, werden gebeten, bis 30.05.2022 einen Abstract ihres 20
– 30 minütigen Vortrags in deutscher, englischer oder tschechischer Sprache (1.500 Zeichen) an leonard.stoecklein@fau.de zu schicken. Reise- und Übernachtungskosten werden voraussichtlich übernommen. Ein Tagungsband ist geplant.Seite 3

Mitwirkende:
Nadja Bennewitz M.A., Lehrstuhl Didaktik der Geschichte FAU
Barbara Raub, OStr., Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck
Dr. Matthias Rittner, Gedenkstätte Flossenbürg
Anja Sparberg, Staatstheater Nürnberg
Leo Stöcklein, Lehrstuhl Didaktik der Geschichte FAU

English Version

Conference 29.10.2022
Blank spaces as an opportunity
Historical forms of mediation at sites of former concentration camps in a Czech-German perspective. The examples of Hersbruck and Litoměřice. Chair of Didactics of History of the Friedrich-Alexander-University in cooperation with the Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck, the Flossenbürg Memorial, the Staatstheater Nuremberg, the Josef-Jungmann Gymnasium Litoměřice.
Content of the conference
The conference takes the border location of the former concentration camp Flossenbürg between Bavaria and the Czech Republic as a starting point to reflect on forms of mediation on the topic of Nazi satellite camps and their aftermath from a comparative and transnational Czech-German perspective. In the extensive system of satellite camps under Flossenbürg's administration, the two largest were the satellite camp in Leitmeritz (Litoměřice), established after the occupation of Czechoslovakia in the "Reichsgau Sudetenland", and the one in Hersbruck in Middle Franconia. The reappraisal of events after 1945 shows a divergent approach to the Nazi past and conflicting interpretations of the past in a German-Czech comparison. The resulting manifestations of historical culture are to be examined and the potential for trend-setting forms of mediation explored. At the large memorial sites such as Theresienstadt and Flossenbürg, there are pedagogical and didactic concepts for mediation that have been reflected upon. These are continuously discussed and developed. But how can teachers teach Nazi history at their own school sites "on their doorstep" if a concentration camp subcamp existed there and crimes took place? The frequent lack of material remains at former satellite camps can be understood as an opportunity: Do civil society and municipal institutions attach (no) importance to this place? When did demolition, building over and subsequent use take place? (Subversive) memorials or monuments of different temporal origins, initiated by different actors, have often triggered the institutionalisation of remembrance in the form of large memorials and political speeches. These local "voids" can make young people aware that the culture of remembrance is based on tenseSeite 4 public discussions and that the way the camps were dealt with was conditioned by generational upheavals and political transformation processes after 1945 and 1989. Local history can shift the focus away from grand narratives to the consideration of concrete examples and complement and focus a transnationally understood culture of remembrance with a translocal perspective. For while the transformation processes in commemoration and remembrance have been researched for Germany and the Czech Republic, the historisation of the genesis of individual former concentration camp satellite camps and those involved in the processes of commemoration since 1945 is still largely lacking.
Possible topics
-What were the preconditions for the emergence of remembrance practices at the site of the former satellite camp after 1945? What processes of meaning-making can be identified? How did the political upheavals after 1989/90 affect the local remembrance landscape? Were the transformation processes followed by a (renewed) historical reappraisal, a change in commemoration and in perspective, did parallel communities of remembrance emerge?
-Who were the bearers and initiators of local remembrance? What were the respective motivations for dealing with the past? What is the interrelationship between the local media, the actors and the parent memorial of the main camp? Are there approaches to analyse the remembrance landscape and the historical cultural manifestations on site from a gender-historical perspective? Do didactic concepts exist to include the category of gender in historical learning processes, both on the subject level and from the historical facts?
-The lack of authentic building fabric leads to exploration of the "second history" of National Socialism: How can the lack of authenticity be compensated by didactic concepts and learning arrangements?
-What concepts for binational youth encounters are available for historical learning? How can a transnational culture of remembrance by and between young people in the Czech Republic and Germany look like in addition to a comparative perspective? What history-culture-oriented projects are there for historical learning at the sites of former concentration camps? (Interactive forms, biographical work, investigation of pictorial memory, digital learning products, archive research, artistic and performative possibilities etc.). Academics from all relevant academic disciplines and levels of qualification who can contribute to an exploration of this topic, but especially from the field of history didactics, are requested to send an abstract of their 20-30 minute presentation in German, English or Czech (1,500 characters) to leonard.stoecklein@fau.de by 30 May 2022. Travel and accommodation costs are expected to be covered. A conference proceedings are planned.

Contributors:
Nadja Bennewitz M.A., Chair of Didactics of History FAU
Barbara Raub, OStr., Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck
Dr. Matthias Rittner, Flossenbürg Memorial Site
Anja Sparberg, Nuremberg State Theatre
Leo Stöcklein, Chair of Didactics of History FA