April 2025: Nach überraschend kurzen Verhandlungen steht die neue Koalition. Frisch vereidigt sind sich die Vizekanzlerin und der Kulturstaatsminister einig, dass ein erstes erinnerungspolitisches Signal für den 8. Mai gesetzt werden soll. Für alle vom Bund finanzierten und geförderten Institutionen wird, analog zum Verbot einer geschlechtergerechten Sprache, für den 8. Mai ein Verbot des Wortes „Befreiung“ festgeschrieben.
Außerdem wird eine Kommission auf den Weg gebracht, die datenschutzrechtlich prüfen soll, wie der Zugang zu NS-bezogenen Archivstücken begrenzt werden kann. „Mein Großvater hat dieses Land aufgebaut. Er verdient es, im Tod in Würde zu ruhen“, sagt die Vizekanzlerin, „die Akten müssen endlich geschlossen werden.“
Eine Dystopie? Nein, denn Geschichtsrevisionismus ist längst Bestandteil politischer Debatten. Wo die „positiven Seiten“ der deutschen Geschichte gestärkt werden sollen, wird die Erinnerung an den Holocaust zum Vogelschiss. Warnen und Mahnen scheinen nicht zu verfangen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist heute, wie vor 80 Jahren, ein Streitthema.
Unmittelbar nach der Befreiung und in den darauffolgenden Jahrzehnten kam es immer wieder zu massiven Auseinandersetzungen, die auch heute wieder aktuell sind: Die Shoah dokumentieren? Akten schließen! – Täter*innen verfolgen? Amnestieren! – Über NS-Verbrechen aufklären? Schlussstrich drunter! – Der Opfer gedenken? Alle sind Opfer von Krieg und Gewalt! – Kritische Selbstreflexion? Davon haben wir nichts gewusst!
Unter diesen Prämissen schien eine Entwicklung zu einem pluralistischen, demokratischen Gemeinwesen nicht selbstverständlich. Ist seine Fragilität heute, sind die aktuellen antisemitischen und rassistischen, die demokratiefeindlichen und geschichtsrevisionistischen Angriffe auf die Demokratie auch auf diesen brüchigen Start zurückzuführen?
Vor 80 Jahren trafen Shoah-Überlebende auf Menschen in einer deutschen Mehrheitsgesellschaft, die von Selbstrechtfertigung, Leugnung, von Misstrauen und Verachtung geprägt war. Man begegnete einander in Entnazifizierungsspruchkammern oder in Entschädigungsämtern. Gemeinsam konstituierte man kommunale Vertretungen und Landesparlamente und brachte sich in die Diskurse der wieder entstehenden Zivilgesellschaft ein.
Wie haben sich Betroffene der NS-Verfolgung überhaupt Gehör verschaffen können? Wie konnten sie ihre Forderungen und Vorstellungen geltend machen? Dazu spricht Prof. Dr. Gideon Reuveni in seiner Keynote. Im anschließenden Panel schauen wir darauf, wie sich Gesellschaft und Staat in Ost- und Westdeutschland nach einer so widersprüchlich erlebten „Befreiung“ entwickelten. Können wir aus der Zeit vor 80 Jahren etwas mitnehmen, um den heutigen Angriffen entgegenzutreten?
12.30 Uhr - Ankunft
13.00 Uhr - Einführung: Die „Wannsee-Konferenz“ 1942 und die Befreiung 1945
Niels Pohl-Schneeberger(Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München) & Dr. Ruth Preusse(Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz)
13.15 Uhr - Keynote: The Jewish Search for Reckoning and ‘Wiedergutmachung’ after the Holocaust
Prof. Dr. Gideon Reuveni (University of Sussex, School of Media, Arts and Humanities)
14.00 Uhr - Kaffeepause
14.45 Uhr - Panel: Was bleibt von der Befreiung 1945? – Perspektiven auf die Geschichte und Gegenwart der Demokratie
Mit:
Moderation: Dr. Andrea Despot(Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft)
16.30 Uhr - Ende der Veranstaltung
Kostenfrei, herzlich willkommen, aber vorher anmelden.
Die Veranstaltung wird simultan deutsch-englisch übersetzt.
Während der Veranstaltung werden Foto- und/oder Filmaufnahmen gemacht.