#GeradeJetzt
Eine bundesweite Kampagne von Gedenkstätten, Dokumentationszentren und Lernorten
Fotos von handgeschriebenen, wieder aufgefalteten Zetteln, auf denen steht: »Das Gedenken, Erinnern, aber auch das Verhindern, ist wichtiger denn je«, »You were important, all of you« oder »In Gedenken an den Uropa« sind auf dem Instagram-Account der Gedenkstätte Grafeneck zu sehen. In Grafeneck befand sich eine der Tötungsanstalten der »Aktion T4«, die dortige Gedenkstätte erinnert an über 10.000 Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Verbrechen. Die Fotos zeigen Botschaften und Reaktionen, die Besucher*innen in die dortige Gedenkstättenmauer gesteckt haben. Auf dem Instagram-Account der Gedenkstätte sind die geposteten Fotos dieser Zettel mit einer pastellfarbenen Grafik unterlegt, darauf steht #GeradeJetzt.
Auf dem Instagram-Account des Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide finden sich im selben Design Aussagen von Mitarbeiter*innen auf die Frage »Was bedeutet der 27. Januar für dich?« Daniel etwa antwortet: »Ich wünsche mir, dass der 27. Januar 2025 nicht nur für ein ritualisiertes Gedenken steht, sondern eine lebhafte Erinnerung daran ist, welche gefährlichen Konsequenzen diese Ignoranz hat.«
Die Gedenkstätte KZ Lichtenburg erzählt – ebenfalls mit der gleichen Gestaltung und unter der Verwendung des Hashtags #GeradeJetzt die Geschichten Inhaftierter. Etwa die von Albertine Hedwig Key, die sich erst 1961 – lange nach überstandener Haft – endlich ihren Berufswunsch Lehrerin erfüllte, oder von Ernst Kubbe, einen Transmann, der im KZ Lichtenburg inhaftiert war und dessen Geschichte wir fast nur aus Täterdokumenten erzählen können.
Dies sind nur wenige Beispiele, die die thematische Vielfalt zeigen, mit der Gedenkstätten und Lernorte sich an der Anfang 2025 gestarteten Kampagne #GeradeJetzt beteiligt und diverse Perspektiven sichtbar gemacht haben: Eindrücke von Besucher*innen der Gedenk- und Erinnerungsorte, Überlegungen von Gedenkort-Mitarbeiter*innen darüber, was ihre Arbeit heute ausmacht, aber vor allem auch die – teils nach wie vor wenig bekannten – Lebensgeschichten und Biografien der Opfer nationalsozialistischer Herrschaft und die Geschichten ihrer Angehörigen und Nachkomm*innen.
Warum gerade jetzt?
Die bundesweite Kampagne #GeradeJetzt ist eine Social-Media-Kampagne, die auch in den analogen Raum reicht. Bei der mehrteiligen Kampagne wollen Gedenkstätten und Lernorte zum 80. Jahrestag der Befreiung im Jahr 2025 explizit vor dem Hintergrund aktueller nationalistischer oder auch revisionistischer Tendenzen in der Gesellschaft Bezüge zur Gegenwart sichtbarer nach außen darstellen und damit die Relevanz ihrer historischen Orte für die heutige Gesellschaft betonen – unter anderem indem Kontinuitäten aufgezeigt werden und Geschichten von Menschen erzählt werden, die sich in ihrem gesellschaftlichen Engagement auf die Folgen aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beziehen. Auch die Zusammenarbeit – und damit Zusammenhalt und Solidarität unter den Einrichtungen – soll mit der gemeinsamen Aktion gestärkt werden, und die Sichtbarkeit der historischen Orte und der vielfältigen Gedenkstättenarbeit erhöht werden. Die Kampagne will Aufmerksamkeit für die aktuelle Situation von Gedenkorten schaffen, Kritik an aktuellen Formen von Extremismus üben und deutlich auf Angriffe, denen Gedenkstätten in der aktuellen Lage ausgesetzt sind, hinweisen – und das alles unter einem gemeinsamen wiedererkennbaren Design und dem Hashtag #GeradeJetzt.
Oliver von Wrochem, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland und Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme beschrieb dies in der dazugehörigen Pressemitteilung zur Kampagne folgendermaßen: »Mit #GeradeJetzt wollen wir gemeinsam eine große Sichtbarkeit der historischen Orte und der vielfältigen Gedenkstättenarbeit erzeugen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf unsere Themen lenken. Ich wünsche mir, dass viele Gedenkstätten gewonnen werden können, sich an der Kampagne beteiligen, die auch Zusammenhalt und Zusammenarbeit signalisiert – denn unserer Botschaften sind wichtig – gerade jetzt.«
Die Idee zur Kampagne #GeradeJetzt entstand im Jahr zuvor auf dem RememBarcamp – dem jährlichen Treffen von Menschen, die sich in Gedenkstätten mit digitalen Themen auseinandersetzen. Hier wurde der Wunsch, aktuelle Geschichten zu erzählen, die sich aus der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus ergeben, deutlich, und auch die Hoffnung kleinerer Gedenkstätten, durch eine gemeinsame Aktion sowohl mehr Sichtbarkeit als auch mehr Aufmerksamkeit für ihre Probleme zu erhalten. Nach einem ersten gemeinsamen Posting im September 2024 aus Anlass der Gedenkstättenkonferenz in Weimar hatte #GeradeJetzt seinen offiziellen Auftakt am 22. Januar 2025 mit einer ersten Sharepic-Aktion. Weitere Aktionen wurden und werden bis zu den Gedenktagen im April und Mai 2025 stattfinden.
# WeRemember, # 75Befreiung, # LichterGegenDunkelheit und # WissenWasWar
Die Sozialen Medien haben viele Gedenkorte nur zögerlich für sich, für das Bewerben der eigenen Arbeit und für das Storytelling entdeckt. Dies lag und liegt sowohl an einer allgemeinen Skepsis gegenüber den mediumseigenen Dynamiken als auch an fehlenden Ressourcen in der Öffentlichkeitsarbeit. Aber insbesondere durch die Covid-19-Pandemie hat auch in den Gedenkorten ein deutlich wahrzunehmender Digitalisierungsschub stattgefunden, der sich einerseits in vielfältigen digitalen Konzepten in der Vermittlungsarbeit zeigte und andererseits in einer deutlich ausgebauten Präsenz der deutschen Gedenkstättenlandschaft auf Social-Media-Plattformen. Dies ging auch mit der Erkenntnis einher, dass die Sozialen Medien durchaus ein Ort sind, an dem (jüngere) Interessierte erreicht werden können – und zwar auf direktem Wege –, und dass diese Medien mittlerweile auch generell relevante Orte sind, auf denen zentrale gesellschaftliche Diskurse – auch über Geschichtspolitik und Erinnerungskultur – verhandelt werden.
Bereits zum 75. Jahrestag – der Jahrestag, als alle Gedenkfeiern aufgrund der Pandemie kurzfristig abgesagt und nur in sehr kleinem Rahmen stattfinden konnten – gab es eine zeitlich begrenzte gemeinsame Social-Media-Kampagne unter dem Titel #75Befreiung, die unter täglich wechselnden Stichworten vor allem Geschichten ehemaliger Häftlinge erzählte, aber auch schon aus der aktuellen Arbeit der Gedenkstätten berichtete. Für die Kampagne wurde vor allem der Kurznachrichtendienst Twitter als primäre Plattform genutzt. Der Hashtag #75Befreiung war das verbindende Element. Zwischen 2019 und 2023 gab es die gemeinsame Kampagne #LichterGegenDunkelheit, die vorwiegend analog stattfand und Bilder, die in Gedenkstätten um den 27. Januar und den weiteren Gedenktagen entstanden, im Digitalen teilte. 2024 schloss sich die Kampagne #WissenWasWar an, die die historischen Orte und die mit ihnen verbundenen Biografien in den Vordergrund stellte. Aufgrund einer sich verändernden Social-Media-Landschaft spielte sich #WissenWasWar inzwischen primär auf Instagram ab, der gemeinsame Hashtag hatte fast mehr die Funktion einer Überschrift. Die Zugehörigkeit zur Kampagne wurde durch ein gemeinsames Design – darunter gemeinsame Sharepics und ein gemeinsames Template – ausgewiesen.
Allen diesen Kampagnen aus dem Gedenkstättenbereich gelang es, partiell eine erhöhte Sichtbarkeit für die Arbeit von Gedenkorten und für ihre Inhalte in den im Alltag immer präsenteren Sozialen Medien zu erzeugen. Die Aufmerksamkeit generierte sich zeitlich vor allem um den 27. Januar und den anschließenden Befreiungs-Jahrestagen. Vielleicht auch deshalb stellte sich für den anstehenden 80. Jahrestag nicht die Frage, ob es eine erneute gemeinsame Kampagne geben würde, sondern eher, wie diese aussehen könne.
RemembarCamp und LunchTalk
Mittlerweile gibt es auch entsprechende Strukturen, um sich im Vorfeld und dialogisch mit Menschen, die in Gedenkstätten arbeiten, auszutauschen und gemeinsam zu planen: das seit 2022 jährlich stattfindende RememBarcamp. In dem nach dem Barcamp-Prinzip veranstalteten Treffen können Teilnehmende im Vorfeld oder auch spontan vor Ort Vorschläge für 45-minütige Sessions einreichen. In der 2024 gastgebenden Gedenkstätte Hadamar boten Iris Groschek, Juliane Grossmann und Clara Mansfeld eine Session »Gemeinsame SoMe Aktion 2025« an und schnell wurde deutlich, dass es vielen Teilnehmer*innen ein Bedürfnis war, nicht nur an die Geschehnisse vor 80 Jahren zu erinnern, sondern insbesondere Bezüge zur Gegenwart herzustellen und deutlich zu machen, warum die Arbeit von Gedenkorten derzeit besonders wichtig, aber auch bedroht ist – vor allem unter dem Eindruck von vermehrt festzustellenden Übergriffen auf Gedenkstätten und angesichts der damals anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Die Umfragen im Juli 2024 ließen ein Szenario realistisch erscheinen, in dem die AfD die stärkste Kraft werden würde (was sich mit der Ausnahme von Brandenburg als richtig erweisen sollte). Mitarbeitende von Gedenkstätten stellt diese Entwicklung vor neue Herausforderungen. Daraus resultierte der Wunsch nach einer Kampagne, die nicht die Zahl »80« in den Vordergrund stellen sollte, sondern Kontinuitäten zum Heute klar herausarbeiten, mutig und kämpferisch auftreten und explizit auf Problemlagen hinweisen sollte. Auf dem Protokoll-Plakat der Session findet sich bereits der namensgebende Hashtag #GeradeJetzt als einer der Vorschläge.
Vertieft und konkretisiert wurden die Ideen während zwei Online-Lunch-Talks. Die weitere Kommunikation bis heute verläuft primär über einen eigens erstellten großen E-Mail-Verteiler sowie einen digsmem-Slack-Kanal und einen eigenen Space auf der digitalen Plattform Digital Collective Memory. Zudem wurden Online-Termine zur praktischen Unterstützung von Gedenkstätten als auch zur Besprechung von Zwischenständen zur Kampagne angeboten, sodass der Verlauf und die immer wieder anstehenden Entscheidungen durch das organisierende Komitee aus dem Gedenkstättenreferat, dem Dokumentationszentrum Zwangsarbeit und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in größerem kollegialen Rahmen überprüft werden konnte.
Gedenkstättenkonferenz in Weimar
Zeitgleich zu diesen inhaltlichen Entwicklungen und Wünschen aus den Gedenkstätten heraus hatte sich auch die im September 2024 in Weimar stattfindende 12. Gedenkstättenkonferenz der Gedenkstättenleitungen mit dem Thema »Kulturkampf von Rechts: Gefahren und Gegenstrategien« auseinandergesetzt und auf Initiative des Gedenkstättenreferats der Topographie des Terrors eine gemeinsame Pressemitteilung sowie einen Social-Media-Post vorbereitet. Darin stellte sie fest: »Zahlreiche Gedenkstätten und Lernorte zu den NS-Verbrechen sind seit Jahren politischen Anfeindungen ausgesetzt. Die jüngsten Ereignisse im Rahmen der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben gezeigt, dass diese massiven Angriffe auf die Erinnerungskultur keine Einzelfälle sind: NS-Verbrechen werden verharmlost oder geleugnet, Mitarbeitende bedroht, Bildungsprogramme gezielt gestört und Denkmäler beschädigt.« Ausgehend davon beschäftigte sich die Konferenz mit »Strategien und Bildungsformate[n], die die Widerstandsfähigkeit der Demokratie stärken können«. Der Tenor der Konferenz war, dass man »weiterhin für eine kritische Erinnerungskultur kämpfen« müsse. Die Verbindungen zur bereits geplanten Social-Media-Kampagne #GeradeJetzt sorgte dafür, dass in der Folge erstmals der Hashtag #GeradeJetzt verwendet wurde. Mit dem Slogan »Aus der Geschichte lernen. Demokratie verteidigen. #GeradeJetzt« wiesen am 26. September 2024 die meisten der an der Konferenz teilnehmenden Gedenkorte auf ihren Accounts auf die Inhalte der Gedenkstättenkonferenz und die Bedrohung von rechts hin und führten so den gemeinsamen Hashtag ein.
Demokratie braucht Erinnerung
Nach diesem Softlaunch erfolgte der Kampagnenauftakt am 22. Januar 2025. In der Zwischenzeit war es aufgrund einer zweckgebundenen Spende möglich geworden, gemeinsam mit der Grafikagentur BarPacifico ein Kommunikationskit zu entwickeln, auf das Interessierte über eine Canva-Website zugreifen können. Mit der Hilfe einer zusammenfassenden und erklärenden eigenen Seite auf der Website des Gedenkstättenforums und eines breiten Streuens der Aktion auch per E-Mail wurden Gedenkstätten und Lernorte auf die Aktion aufmerksam und fanden die Möglichkeit, sich auch niedrigschwellig zu beteiligen. Gestartet wurde mit einer Sharepic-Kampagne, die ein gemeinsames Design etablierte. Im Zentrum standen vorbereitete Slogans wie: »Demokratie braucht Erinnerung! #GeradeJetzt« oder »Was hättest du getan? heißt jetzt Was tust du? #GeradeJetzt«. Zunächst ging es darum, die Kampagne allgemein sichtbar zu machen und zu etablieren. Besonders zielte dies – ebenso wie die begleitende Pressemitteilung – auf Multiplikator*innen, Journalist*innen, Medienschaffende und Politiker*innen ab. Die Reaktionen waren positiv und zahlreich: Über #GeradeJetzt wurde in den Medien berichtet, es wurden Radiointerviews gegeben und weitere Akteur*innen schlossen sichder ursprünglichen gedenkstättenbezogenen Kampagne an, darunter Museen, Kulturinitiativen, Jugendprojekte, Stiftungen und Angehörige.
These stories still need to be told
Bereits rund um den 27. Januar 2025, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, startete der nächste Teil der #GeradeJetzt-Kampagne: »These stories still need to be told. Diese Geschichten müssen weiterhin erzählt werden.« Diese Posts legten einen Fokus auf die vielfältigen Geschichten der historischen Orte und der mit ihnen verbundenen Menschen. Das meinte zunächst die Opfer und Überlebenden, aber explizit auch die zweite, dritte und vierte Generation von Angehörigen, um die Bedeutung der nationalsozialistischen Zeit und ihren Folgen bis heute deutlich zu machen, und um Kontinuitäten aufzuzeigen, indem beispielhaft und individuell Antworten auf die Frage gegeben wurden, was NS-Geschichte 80 Jahre später heute noch mit unserer Gesellschaft zu tun hat. Hauptsächliche Zielgruppe war jetzt die allgemeine Öffentlichkeit. Es folgte in den Postings der Gedenkstätten ein breites Panorama an Biografien von Opfern und Überlebenden, dabei wurden viele verschiedene Opfergruppen in den Fokus gerückt, genauso aber auch Videos und Statements von Angehörigen über die Bedeutung der Verfolgungserfahrungen bis heute oder Aussagen von Mitarbeiter*innen geteilt, was sie persönlich mit dem besonderen Datum des 27. Januar verbinden. Dieser Teil der #GeradeJetzt-Kampagne ist nicht zu Ende, Geschichten werden nach wie vor auf Social-Media-Plattformen gepostet. Im Ohr bleibt vielleicht die Stimme von Katrin Duerinckxs, deren Großvater aus Meensel-Kiezegem in Belgien in das KZ Neuengamme deportiert wurde, und die über die Weitergabe von Erinnerung sagt: »When I don’t do it, it stops after me.«
Ich bin hier
Ab Mitte März wird die digitale Kampagne um einen analogen Teil ergänzt, der Inhalte direkt an die historischen Orte bringt und Besuchende dazu ermuntern soll, sich unter der Überschrift »Ich bin hier« mit ihrem Besuch einer Gedenkstätte oder eines Lernortes und der Bedeutung dieses Ortes für sie persönlich – 80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus – auseinanderzusetzen. Dazu gibt es verschiedene Kommunikationsaufforderungen in den Gedenkstätten, neben ganz klassischen wie Postkarten, Stickern, Postern und Bannern wird mit Schablonen für Sprühkreide und Fußbodenaufklebern gearbeitet. Diese zeigen den Textzug »Ich bin hier. #GeradeJetzt«, um Besucher*innen aufzufordern, ein Foto in der Gedenkstätte zu machen und dieses gemeinsam mit ihren Gedanken zum Besuch zu teilen. So sollen Gedenkorte als Räume, die eine individuelle Erfahrung ermöglichen, wahrgenommen werden. Gedenkstätten sind Orte, die Wissenserwerb und Bildung eines kritischen Geschichtsbewusstseins fördern. Der Slogan »Ich bin hier« kann von Gedenkstätten auch genutzt werden, um darauf hinzuweisen, dass die Existenz der Gedenkstätten nicht selbstverständlich ist und einige in der aktuellen politischen Situation bedroht sind. #GeradeJetzt wird bis zum Ende der individuellen Gedenktage im April und Mai 2025 fortgeführt werden.
Was hättest du getan? heißt jetzt Was tust du? — ein Zwischenfazit
Der Erfolg der Kampagne #GeradeJetzt zeigt, dass es sich für Gedenkorte in Deutschland lohnt, in den Sozialen Medien gemeinsam Position zu beziehen. Das führt auch zu einer potenzierten Aufmerksamkeit in den klassischen Medien, aber auch bei sogenannten Stakeholdern, wie politischen Entscheider*innen, und der allgemeinen Öffentlichkeit. Ein sichtbares gemeinsames Auftreten, in diesem Fall mit eigenem Hashtag und eigenem Design, bündelt die individuellen Reichweiten der Gedenkorte und verbessert die Ausgangslage innerhalb der hochkompetitiven Aufmerksamkeitsökonomie in den Sozialen Medien deutlich. Diese digitale Wahrnehmbarkeit wiederum kann offline genutzt werden.
Bereits Ende Januar gab es allein auf Instagram zum Hashtag #GeradeJetzt die ersten 1.000 Postings, die zusammen mehr als 600.000 Menschen erreicht haben. Da die meisten Gedenkstätten den Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) verlassen haben, wird nun etwa Bluesky genutzt, wo allein am 27. Januar 2025 in über 200 Postings der Hashtag genutzt wurde. Kampagnen wie #GeradeJetzt fördern insbesondere auch die Sichtbarkeit von kleineren Gedenkorten, für deren Social-Media-Präsenzen die Multiplikation durch das digitale Netzwerk von Gedenkorten besonders wertvoll ist. Durch gemeinsame und sichtbare Aktionen werden Social-Media-Plattformen nicht zuletzt auch innerhalb der Gedenkorte als wichtige Diskursräume ernster genommen.
Der deutliche Gegenwartsbezug der Kampagne ist im Kontext eines größeren Trends zur öffentlichen Intervention durch Gedenkorte zu sehen. Viele Gedenkorte stellen direktere Bezüge zwischen ihrer Arbeit und dem politischen Tagesgeschehen her. Diese Entwicklung ist natürlich mindestens in dem Maße Reaktion auf die zunehmende Gefährdung gedenkpolitischer Übereinkünfte wie sie Ausdruck eines geschichtsdidaktischen Sendungsbewusstseins ist. Ein Beispiel für die Wirkung der aktuellen Kampagne auf den politischen Diskurs ist, dass nach dem Unionsantrag am 29. Januar 2025 zur Verschärfung der Migrationsbegrenzung, dem die AfD zugestimmt hatte, viele Social-Media-Accounts das Was hättest du getan? heißt jetzt Was tust du?-Sharepic erneut nutzten. Die von der Kampagne gewünschte Betonung der Relevanz von historischer Bildung für aktuelle Diskurse wurde dezidiert auch in anderen Kontexten aufgegriffen. Postkarten mit Aussagen zur Relevanz von Erinnerungsorten wie »Demokratie braucht Erinnerung« oder »Aus der Geschichte lernen. Demokratie verteidigen« wurden beispielsweise in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von Besucher*innen mitgenommen und auf vor der Bundestagswahl stattfindenden Demonstrationen gegen Rechtsextremismus verteilt.
Iris Groschek ist Historikerin und leitet
die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Social Media in der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte und ist Mitinitiatorin des Format #rememBarcamp.
Clara Mansfeld ist Historikerin und arbeitet
in der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Social Media. Hier ist sie zuständig für digitale Kommunikation.