Herbert Obenaus:

48. bundesweites Gedenkstättenseminar: Vortrag

Darstellung der Gründungsphase in den Ausstellungen von KZ-Gedenkstätten:.Bergen-Belsen..von Herbert Obenaus.....Zur Erinnerung an das Konzentrationslager Bergen-Belsen hat es bisher drei Ausstellungen gegeben: die erste wurde im Jahre 1966 eröffnet. Sie ging, so die Worte des Niedersächsischen Innenministers Otto Bennemann bei der Eröffnung der Ausstellung, in der Weise vor, dass sie „den Betrachter … nicht unmittelbar mit dem Grauen von Bergen-Belsen konfrontieren, sondern ihn Schritt für Schritt dahin führen“ wollte. Sie begann deshalb mit Dokumenten „der nationalsozialistischen Rassen- und Expansionspolitik und mit ersten Zeugnissen der Judendiskriminierung“, sie stellte „den Weg des Regimes von der Machtergreifung bis zur so genannten Endlösung“ dar. Sie ging dann auf das System der Konzentrationslager ein und brachte erst danach eine Dokumentation über das Lager Bergen-Belsen und seine Befreiung. Die zweite Ausstellung, die 1990 eröffnet wurde, reduzierte die Dokumentation der NS-Politik in den zwanziger und dreißiger Jahren stark – es blieb davon am Anfang der Ausstellung eine Bildcollage vom Reichstagsbrand 1933 und von einer Verhaftungsaktion der SA im gleichen Jahr. Anschließend wurden der Aufbau des Systems der Konzentrationslager und seine Funktion in der nationalsozialistischen Innenpolitik dargestellt. Es folgte die intensive Dokumentation des Austausch- und Konzentrationslagers Bergen-Belsen sowie des neu in die Gedenkstätte integrierten Kriegsgefangenenlagers. ..Die dritte Ausstellung über die Lager von Bergen-Belsen, die am 28. Oktober 2007 eröffnet worden ist, geht auf die Etablierung der NS-Herrschaft in Deutschland mit Exponaten nicht mehr ausdrücklich ein – die Geschichte der Lager von Bergen-Belsen, die mit dem Kriegsgefangenenlager begann und mit den nach der Befreiung gebildeten DP-Camps der polnischen und jüdischen Häftlinge endete, wird als ein Teil der NS-Herrschaft und -Politik während des Zweiten Weltkriegs dargestellt. In den Beratungen über die neue Ausstellung ist allerdings auch die verstärkte Notwendigkeit der pädagogischen Arbeit durch die Gedenkstätte betont worden, einer Arbeit, in der es allgemein um die NS-Herrschaft und ihre Folgen geht. In der Niedersächsischen Gedenkstättenstiftung wurde die Pädagogische Abteilung gebildet, die an die in der Gedenkstätte Bergen-Belsen 1988 begonnene pädagogische Arbeit anknüpft und für die Organisation von Führungen und Studientagen sowie von mehrtägigen Seminaren und die internationale Jugendbegegnung zuständig ist. In der Gedenkstätte Bergen-Belsen stehen dafür drei Seminarräume, zwei Kleingruppenräume und ein Vortragsraum zur Verfügung. Übernachtungsmöglichkeiten bietet das Anne-Frank-Haus im nahe gelegenen Oldau, wo es auch weitere Seminarräume und eine Bibliothek gibt. ..Die Frage, ob die Verwaltung der Konzentrationslager bei der Einrichtung ihres ersten Lagers in Bergen-Belsen so etwas wie einen „Masterplan“ benutzt hat, an dem sich die Organisation der deutschen Konzentrationslager seit 1933 orientierte, ist zu verneinen. In dem Lager sollten sich inhaftierte Juden aufhalten, die gegen im feindlichen Ausland inhaftierte deutsche Staatsbürger ausgetauscht werden konnten. Dafür gab es bisher kein Vorbild, allenfalls erste tastende Schritte, so durch den Austausch von palästinensischen gegen deutsche Staatsangehörige im November 1942, in den auch Juden mit palästinensischer Staatsangehörigkeit einbezogen waren. Die Ausstellung dokumentiert, wie der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, am 10. Dezember 1942 in einer Besprechung mit Hitler anregte, ein „Sonderlager“ für Juden einzurichten, „die einflussreiche Verwandte in Amerika haben.“ Er dachte dabei an die „jetzt in Frankreich noch vorhandenen Juden, ebenso an ungarische und rumänische Juden.“ Sie sollten in dem Sonderlager „zwar arbeiten, jedoch unter Bedingungen, daß sie gesund sind und am Leben bleiben. Diese Art von Juden sind für uns wertvolle Geiseln. Ich stelle mir hierunter eine Zahl von 10 000 vor.“ Nachdem Hitler keine Einwände erhoben hatte, erging noch im Dezember ein Befehl Himmlers an SS-Gruppenführer Heinrich Müller, 10 000 Juden „mit einflussreichen Verwandten in den USA“ aus Frankreich, Ungarn und Rumänien in einem Sonderlager gefangen zu setzen, die als Geiseln für einen Austausch zur Verfügung stehen sollten. Dieses „Sonderlager“ wurde in Bergen-Belsen eingerichtet, wo ein Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht bestand, von der die Verwaltung der Konzentrationslager einen Teil des Lagers mit den Baracken übernahm.. .Die Ausstellung zeigt, dass das Austauschlager fest „in das Verwaltungssystem der Konzentrationslager“ eingegliedert war. Schon der erwähnte Befehl an SS-Gruppenführer Heinrich Müller erging an den Chef des Amtes IV der Geheimen Staatspolizei, den Inspekteur der Konzentrationslager. Die Eingliederung in das System der Konzentrationslager geschah auch durch die Verwaltung des Austauschlagers durch Personal der SS, das bereits vor der Tätigkeit in Bergen-Belsen in Konzentrationslagern Funktionen ausgeübt hatte, so der erste Lagerkommandant SS-Sturmbannführer Adolf Haas. Er hatte ein solches Amt bereits im KZ Niederhagen ausgeübt, dessen Häftlinge bei Bauarbeiten an der Wewelsburg eingesetzt waren, aus der eine Kultstätte der SS werden sollte. Als man die Bauarbeiten einstellte und das KZ am 30. April 1943 aufgelöst wurde, kam er zusammen mit dem größten Teil der dortigen Wachmannschaft nach Bergen-Belsen. Im Juli 1943 wurde SS-Hauptsturmführer Dr. Siegfried Seidl, Kommandant des Ghettos Theresienstadt, nach Bergen-Belsen versetzt und dort als Leiter der Politischen Abteilung für die Austauschhäftlinge zuständig. In den Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes „zur technischen Durchführung der Verlegung von Juden“ in das Austauschlager von Bergen-Belsen vom 31. August 1943 ist dann der Kreis der Juden, der für eine Verlegung in Frage kam, sehr umfassend beschrieben worden: sie sollten „verwandtschaftliche oder sonstige Beziehungen zu einflußreichen Personen im feindlichen Ausland haben,“ sie sollten „für einen Austausch gegen im feindlichen Ausland internierte oder gefangene Reichsangehörige in Frage kommen,“ ja, sie sollten überhaupt „als Geiseln und als politische oder wirtschaftliche Druckmittel brauchbar sein.“ ..Eine weitere Verbindung mit dem System der Konzentrationslager bestand von Anfang an dadurch, dass das Austauschlager aus mehreren Teillagern bestand, von denen eins das so genannte „Häftlingslager“ war, in dem etwa 500 Häftlinge aus Konzentrationslagern wie Buchenwald oder Natzweiler die Aufgaben eines Baukommandos wahrnahmen. Im Häftlingslager herrschten die Ordnungsprinzipien der Konzentrationslager. Auch der für das Lager der Austauschhäftlinge vorgesehene Name musste erst einmal mit dem System der Konzentrationslager in Einklang gebracht werden. Man hatte zunächst an die Bezeichnung „Zivilinterniertenlager Bergen-Belsen“ gedacht, dabei aber nicht berücksichtigt, dass ein so genanntes Lager „gemäß der Genfer Konvention internationalen Kommissionen zur Besichtigung“ hätte zugänglich sein müssen. Um das zu verhindern, kam das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt auf den Namen „Aufenthaltslager Bergen-Belsen“, der mit Schreiben vom 29. Juni 1943 den Kommandanten der Konzentrationslager als verbindlich mitgeteilt wurde. ..Es ist sehr interessant, dass parallel zu den Aktivitäten des Reichsführers SS für die Einrichtung eines „Sonderlagers“ für Juden, die für den Austausch gegen deutsche Staatsbürger zur Verfügung stehen sollten, auch das Auswärtige Amt derartige Pläne verfolgte. Es informierte am 20. Februar 1943 seine bei den Militärbefehlshabern in den besetzten Gebieten tätigen Vertreter über einen in Kürze zu erwartenden Erlass des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD. Hier wurde die Überlegung, „30.000 Juden holländischer, belgischer, französischer, norwegischer und sowjetrussischer Staatsangehörigkeit“ von der Deportation auszuschließen, um „diese Personen für Austauschzwecke zur Verfügung zu halten“, als eine Anregung des Auswärtigen Amtes bezeichnet. Man habe auch vorgeschlagen, bei Juden, „die über verwandtschaftliche, freundschaftliche, kaufmännische oder politische Beziehungen zu Angehörigen der Feindstaaten … verfügen, die sich z[ur] Z[eit] in den Feindstaaten aufhalten und dort politisch tätig sind,“ die Möglichkeit des Austauschs zu prüfen. ..Die Ausstellung weist darauf hin, dass Auswärtiges Amt und Reichssicherheitshauptamt beabsichtigten, verhaftete Juden gegen „internierte Deutsche oder gegen dringend benötigte Waren auszutauschen.“ So wird ein Schnellbrief des Amtes vom 19. August 1944 an das Reichssicherheitshauptamt mit einer Liste von Juden aus dem Lager Westerborg gezeigt, die „für einen etwaigen deutsch-palästinensischen Austausch“ nach Bergen-Belsen überstellt worden sind. Das Auswärtige Amt bat darum, „dafür Sorge zu tragen, dass die aufgeführten Personen nicht ohne Zustimmung des Auswärtigen Amtes aus dem Lager Bergen-Belsen entfernt werden“, womit so etwas wie ein Mitspracherecht über die Austauschhäftlinge erklärt wird. Von dem streng vertraulichen Lösegeld, das Rudolf Kastner als Vertreter des jüdischen Hilfskomitees in Budapest für die Ausreise ungarischer Juden an die SS zahlte, erfuhr das Auswärtige Amt, doch war es offenbar nicht direkt beteiligt. Nur eine Vortragsnotiz ist überliefert, in der auf der Grundlage einer mündlichen Mitteilung die Ausreise einer ersten Gruppe von 318 Juden aus Budapest in die Schweiz dokumentiert wird. Die Gegenleistung habe aus „kriegswichtigen Waren für die SS“ bestanden. ..In einem Schreiben an SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann vom 12. August 1943 hat sich das Auswärtige Amt nach einer Besichtigung des Aufenthaltslagers Bergen-Belsen sehr kritisch über dessen geringe Aufnahmekapazität geäußert. Auch wurden die „sanitären Verhältnisse“ als „bisher völlig unzureichend“ bezeichnet. Zudem wurde gefordert, dass die für den Austausch vorgesehenen Häftlinge „keinen Einblick“ in den von ihrem Lager „lediglich durch Stacheldraht abgeteilten mit russischen Kriegsgefangenen oder mit Konzentrationslager-Häftlingen belegten Lagerteil nehmen können.“ Durch die Beobachtung der Lebensverhältnisse der Kriegsgefangenen sei davon auszugehen, dass die Austauschhäftlinge davon erfahren, dass „in dem russischen Kriegsgefangenenlager … von 18.000 Insassen bisher 17.000 verstorben sind.“ Den Juden werde damit nach vollzogenem Austausch „geeignetes Material zur Förderung der Greuel-Propaganda … geradezu in die Hand gegeben.“ Das Auswärtige Amt erklärte abschließend, „daß das Lager in seiner heutigen Form nicht nur für den … gewünschten Zweck völlig ungeeignet ist, sondern diesen geradezu gefährdet.“ Um jeden Kontakt mit den Lagern der Kriegsgefangenen und der KZ-Häftlinge unmöglich zu machen, sei „die tunlichst unverzügliche Räumung des Russen- und Konzentrationslagers dringend geboten.“ ..Über die im Aufenthaltslager eintreffenden Transporte, die für den Austausch vorgesehen waren, informiert eine lange Liste, die an erster Stelle einen Transport mit 175 Juden aus Lemberg nennt, der am 7. Juli 1943 eintraf. Es folgten weitere Transporte, die aber oft nur wenige Personen umfassen. An letzter Stelle wird zum 14. Dezember 1944 die Ankunft eines Transports mit 2001 Juden aus Budapest genannt. Insgesamt trafen nach diesen Listen 14 600 jüdische Häftlinge im Austauschlager ein. ..Das Aufenthaltslager setzte sich neben dem bereits erwähnten „Häftlingslager“ aus vier Teillagern zusammen, die für die einzelnen Gruppen von Austauschhäftlingen eingerichtet wurden: das Sonderlager für polnische Juden, das Sternlager, das überwiegend mit holländischen Juden besetzt war, das Neutralenlager für Juden aus Spanien, Portugal und der Türkei, schließlich das Ungarnlager. Die Ausstellung zeigt, dass den Austauschhäftlingen gegenüber den KZ-Häftlingen bessere Lebensbedingungen eingeräumt wurden – z.B. dadurch, dass sie ihr „persönliches Gepäck behalten“ durften und die Familien nicht getrennt wurden – das Lager wurde dann auch als „Familienlager“ bezeichnet. Die Austauschhäftlinge trugen nach den Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes ihre „Zivilkleidung mit Judenstern.“ Schon der Begriff „Häftlinge“ sollte für sie nicht gelten; vielmehr wurden sie in den Richtlinien als „Lagerinsassen“ bezeichnet. Ihr Briefverkehr „mit Angehörigen und Bekannten im feindlichen Ausland“ wurde zensiert, jedoch „bis zu einem bestimmten Ausmaß gestattet.“ Jüdische Gottesdienste im Lager waren zwar „nicht erlaubt, sondern allenfalls geduldet.“ Einzelne der Austauschhäftlinge hatten mit ihrem Gepäck auch Thorarollen, Tefillin (Gebetsriemen) oder Tallitt (Gebetsmantel) mit ins Lager gebracht und damit Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung jüdisch-religiösen Lebens im Lager geschaffen. An den hohen jüdischen Feiertagen wurden „Gottesdienste in einigen Baracken abgehalten.“ Aber auch eine Theateraufführung fand am 26. August 1944 in einer Baracke anlässlich des Geburtstages eines „Lagerinsassen“ statt. ..Die Häftlinge wurden „in normalen Bahnen“ zur Arbeit herangezogen, so waren etwa die des Sternlagers im Schuhkommando beschäftigt, das gebrauchte Schuhe zerlegen und noch brauchbare Lederteile für eine weitere Verwendung vorzubereiten hatte. Nicht übernommen wurde im Aufenthaltslager das für die Konzentrationslager übliche Kaposystem, durch das die SS eine intensive Kontrolle über die Häftlinge sicherstellte. Eingesetzt wurde stattdessen ein jüdischer Ältestenrat, der seine Funktionen, so die Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes, „nach den Weisungen der Lagerleitung“ auszuüben und eine „Lagerordnung“ zu erlassen hatte. Die „Lagerältesten“ hatten die Anweisungen der SS weiterzugeben, doch ist bei ihnen nicht die Abhängigkeit erkennbar, die bei den sonst in den Konzentrationslagern eingesetzten Kapos ja verbreitet war. Zu den begrenzten Handlungsspielräumen der Lagerältesten gehörte die Möglichkeit, Lagergerichte einzusetzen, die z.B. bei Fällen von Brotdiebstahl tätig werden konnten. Zu den Formalien der inneren Organisation eines Konzentrationslagers, die im Aufenthaltslager übernommen wurden, gehörten die täglich zweimaligen Appelle. Außerdem war das Lager mit Stacheldraht und Wachttürmen umgeben...Der Austausch von Internierten zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien hatte bereits 1941 und 1942 stattgefunden. Dabei waren Juden „mit Palästina-Papieren“ in Deutschland und in Palästina internierte Deutsche freigekommen. Diesen Austausch wollten SS und Auswärtiges Amt mit jüdischen Häftlingen aus Bergen-Belsen erweitern. Allerdings akzeptierte die Britische Regierung in ihrer Funktion als Mandatsmacht für Palästina für den Austausch nur Juden mit Einreisepapieren für Palästina. Jüdische Organisationen haben bei den Verhandlungen, die über die Schweizerische Gesandtschaft in Berlin liefen, darauf gedrängt, den Kreis jüdischer Austauschpersonen zu erweitern, sie blieben aber erfolglos. Am 10. Juli 1944 kam es zur Abreise von 222 Juden aus Bergen-Belsen, die am 30. Juni in Haifa ankamen. Ein weiterer Austausch mit Palästina kam nicht zustande, obwohl durchaus weitere Häftlinge in Bergen-Belsen über die erforderlichen Papiere verfügten. ..Eine andere Austauschaktion kam während der Massendeportationen von ungarischen Juden nach Auschwitz zustande. Die Verhandlungen führte Reszö Kastner als Vertreter des Jüdischen Hilfskomitees in Budapest. Am 30. Juni 1944 konnte gegen eine Lösegeldzahlung ein Zug mit 1.684 ungarischen Juden die Stadt verlassen, der dann allerdings entgegen den Vereinbarungen zunächst in das Aufenthaltslager nach Bergen-Belsen geleitet wurde. Erst nach weiteren Verhandlungen erlaubte die SS 318 Juden im August 1944 die Ausreise in die Schweiz. Die größere Gruppe folgte im Dezember dieses Jahres, während 17 Personen in Bergen-Belsen zurückgehalten wurden. „66 jüdische Häftlinge kamen durch einen deutsch-britischen Austausch im Juli 1944 und 136 durch einen deutsch-amerikanischen Austausch im Januar 1945 in Bergen-Belsen frei. Von den mindestens 14.600 Häftlingen, die zwischen 1943 und 1945 im Aufenthaltslager inhaftiert waren, ließ die SS 2.560 frei. Mindestens 510 weitere Häftlinge wurden von Bergen-Belsen in Zivilinterniertenlager überstellt, wo sie bis zur Befreiung durch alliierte Truppen blieben.“ Weitere Freilassungen von Juden erfolgten in neutrale Staaten, so nach Spanien im Februar 1944 und in die Türkei im März 1945. Wie sehr auch die Existenz der im Aufenthaltslager befindlichen Juden bedroht war, lässt sich anhand eines Transports von 2500 Warschauer Juden ermessen, der zwischen Juli und September 1943 in Bergen-Belsen ankam. Von ihnen besaßen die meisten Papiere lateinamerikanischer Staaten, die von diesen dann allerdings zumeist nicht anerkannt wurden. Daraufhin wählte die SS im Oktober 1943 zunächst 1800 Häftlinge aus, die nach Auschwitz transportiert und dort ermordet wurden. Das gleiche geschah mit 350 weiteren Häftlingen, die im Februar und Mai 1944 nach Auschwitz transportiert wurden. ..Im Laufe des Jahres 1944 nahm der Anteil der KZ-Häftlinge in Bergen-Belsen gegenüber den Austauschhäftlingen zu. Der Grund lag in der am 27. März beginnenden Einlieferung von kranken und erschöpften KZ-Häftlingen, die der rücksichtslosen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft durch die Rüstungsindustrie bei gleichzeitig unzureichender Ernährung nicht gewachsen waren. Sie wurden in Bergen-Belsen im sogenannten „Häftlingslager“ untergebracht, in dem ja schon die für Bauarbeiten im Austauschlager tätigen KZ-Häftlinge einquartiert waren. Die SS gebrauchte für diesen Teil des Lagers nun intern, aber doch auch gegenüber den Häftlingen, den Begriff des „Erholungslagers“, eine Bezeichnung, die angesichts der auch in Bergen-Belsen in jeder Hinsicht unzulänglichen Ernährung und medizinischen Versorgung von den Häftlingen nur als Zynismus verstanden werden konnte. Ab Mitte August 1944 wurden auch weibliche KZ-Häftlinge nach Bergen-Belsen transportiert, die zunächst in einem provisorischen Zeltlager, später in Baracken untergebracht wurden, die einen Teil des Aufenthaltslagers gebildet hatten. Im Januar 1945 überließ die Wehrmacht der SS das gesamte für das Kriegsgefangenenlager genutzte Gelände, wodurch sich das Frauenlager erweitern ließ. ..Das Frauenlager übernahm „die Funktion eines Verteilerlagers für weibliche Arbeitskräfte“, die in die Außenlager anderer Konzentrationslager „weitertransportiert wurden“ ; die Nutzung der Häftlingsarbeitskraft für die Rüstungsindustrie wurde auf diese Weise sichergestellt. Drei Außenlager für weibliche Häftlinge aus Bergen-Belsen wurden auf diese Weise im regionalen Umfeld des Lagers im August und September 1944 versorgt: eins in Bomlitz bei einer Schießpulverfabrik, eins in Hambühren, wo in einem stillgelegten Kalibergwerk eine Produktionsstätte für die Flugzeugfabrik Focke-Wulf entstehen sollte, schließlich ein drittes bei Unterlüss, wo Bauarbeiten für eine Munitionsfabrik auszuführen waren. Ende 1944 wurde ein Weberei- und Flechtereibetrieb, der den SS-eigenen Deutschen Ausrüstungswerken gehörte, aus dem Lager Auschwitz abgezogen und in den Baracken von Bergen-Belsen wieder eingerichtet, in denen ursprünglich das Schuhkommando untergebracht war. 1.550 weibliche Häftlinge arbeiteten dort im März 1945. ..Die Ernennung von Josef Kramer, des Kommandanten des Lagers Auschwitz-Birkenau, zum Lagerkommandanten von Bergen-Belsen im Dezember 1944 war dann das Signal, den Charakter des Lagers Bergen-Belsen neu zu akzentuieren. Gleichzeitig mit ihm kam auch erstmals weibliches SS-Personal nach Bergen-Belsen. Die Bezeichnung des Lagers Bergen-Belsen wurde geändert: Namengebend war nun nicht mehr das „Aufenthaltslager“, sondern das „Konzentrationslager“. Der genaue Zeitpunkt der Umbenennung ließ sich bisher nicht ermitteln. Das Aufenthaltslager verlor damit seine Namen gebende Rolle, es bildete aber weiter einen Teil des Lagers. Die einzelnen Lagerteile wurden beibehalten, doch wurde den knapp 6.000 Austauschjuden die Selbstverwaltung genommen: Die SS erklärte am 22. Dezember 1944 den „Judenältestenrat“ für abgesetzt und errichtete aus Mitgliedern des Häftlingslagers ein Kaporegime für das Sternlager. Der Lagerälteste des Häftlingslagers wurde zum Ersten Lagerältesten des Aufenthaltslagers ernannt. Die außerhalb des Aufenthaltslagers im so genannten „Erholungslager“ befindlichen Häftlinge waren bereits nach den in Konzentrationslagern üblichen Formen wie dem gesonderten Lager für Männer und Frauen und dem Kaposystem organisiert. ..Fragt man danach, ob das Aufenthaltslager auch nach der Umbenennung des Gesamtlagers in ein Konzentrationslager weiterhin Bestand hatte, so ist das zu bejahen. Noch am 15. März 1945 unterscheidet eine handschriftliche Notiz zwischen den „Häftlingen“ im Konzentrationslager und den „Lagerinsassen“ im Aufenthaltslager. Anfang April 1945 ist dann das Aufenthaltslager Bergen-Belsen geräumt worden. „Etwa 6700 Häftlinge sollten zwischen dem 6. und 10. April 1945 mit drei Bahntransporten vermutlich in das Ghetto Theresienstadt verlegt werden.“ Allerdings erreichte nur ein Transport dieses Ziel. „Die beiden anderen Züge wurden am 13. April bei Farsleben von amerikanischen Truppen und am 23. April bei Tröbitz von sowjetischen Truppen befreit.“ Allein im Tröbitzer Zug starben „mindestens 133 Häftlinge.“ ..Das Konzentrationslager Bergen-Belsen übernahm gegen Ende des Krieges zunehmend die Aufgabe eines Evakuierungslagers für die frontnahen Konzentrationslager: „Mit mehr als 100 Transporten und Todesmärschen wurden zwischen Dezember 1944 und Mitte April 1945 mindestens 85.000 Männer, Frauen und Kinder nach Bergen-Belsen gebracht.“ Das Lager war danach „völlig überfüllt“, Lebensbedingungen und Versorgungssituation der Häftlinge „verschlechterten sich … dramatisch“, „Hunger, Durst, Seuchen und Krankheiten führten zwischen Januar und Mitte April 1945 zum Tod von mindestens 35.000 Menschen.“ Angesichts des ständigen Zustroms von Häftlingen reichten die räumlichen Möglichkeiten des Lagers überhaupt nicht mehr aus. Ganz zuletzt, kurz vor der Befreiung der Häftlinge durch die britischen Truppen, bildete die Lagerleitung nach Absprache mit der Wehrmacht in einem Teil der nördlich gelegenen Kasernen das Lager II, in dem dann die zuletzt eintreffenden Gruppen von evakuierten Häftlingen untergebracht wurden. ..Auch nach der Räumung des Aufenthaltslagers zu Beginn des Monats April blieb die Zahl der jüdischen Häftlinge in Bergen-Belsen sehr hoch. Auf der Vertiefungsebene der Ausstellung findet sich die Formulierung, dass „etwa die Hälfte“ der am 15. April 1945 befreiten „rund 53.000 Häftlinge“ Juden waren. „In keinem anderen Lager auf dem Gebiet des Deutschen Reiches wurde eine ähnlich große Zahl von Juden befreit. Dies hatte zur Folge, dass zahlreiche Juden, die andernorts befreit worden waren, auf der Suche nach Überlebenden aus ihrer Familie nach Bergen-Belsen kamen. In Bergen-Belsen entstand das größte jüdische DP-Camp in Deutschland.“ Auf das zahlenmäßige Gewicht der in Bergen-Belsen befreiten jüdischen Häftlinge konnte sich dann das „Komitee der befreiten Juden“ stützen, das bereits am 18. April 1945, zunächst provisorisch, gegründet wurde. Im September wurde dieses Komitee durch das auf der Basis von Neuwahlen gebildete „Zentralkomitee der befreiten Juden in der Britischen Zone“ abgelöst. Das Zentralkomitee erlangte eine große Bedeutung sowohl für die Auswanderung der befreiten Juden, als auch für die Neubildung jüdischer Gemeinden in der Britischen Besatzungszone Deutschlands. Die beiden großen Gruppen von Displaced Persons von Bergen-Belsen, die Juden und die Polen, wurden schließlich in den erwähnten Kasernen nördlich des Lagers untergebracht. ..Was die Entwicklung der Konzentrationslager von 1933 bis 1945 angeht, so dokumentiert die Ausstellung, wie sich das Lagersystem entsprechend den politischen Zielsetzungen der Nationalsozialisten und der Expansion ihrer Herrschaft entwickelte: Anhand einer Karte Mittel- und Osteuropas wird gezeigt, wie die Konzentrationslager während des Krieges bis 1942/43 je nach ihrer Aufgabenstellung als Konzentrations- oder Vernichtungslager organisiert wurden. Zusätzlich bildete sich eine dritte Gruppe von Lagern, die – wie Auschwitz oder Lublin-Majdanek – sowohl Konzentrations- als auch Vernichtungslager waren. Im übrigen ist die Ausstellung bemüht, die Spezifik der durch die Verwaltung der Konzentrationslager in Bergen-Belsen eingerichteten Lager herauszuarbeiten: von den Zielsetzungen her gesehen, die jeweils eng mit der politischen Situation verbunden waren, gab es zunächst das Aufenthaltslager, das dem Lagerkomplex auch den Namen gab. Neben diesem Lager bildete sich ab März 1944 das so genannte „Erholungslager“ und das Frauenlager. Seit Ende 1944 wurde dann der gesamte Lagerkomplex von Bergen-Belsen offiziell als Konzentrationslager bezeichnet. Alle Teile des Konzentrationslagers Bergen-Belsen gerieten unter den Druck der Evakuierungstransporte und -märsche – Bergen-Belsen war ein Todeslager, als es von den britischen Truppen am 15. April 1945 befreit wurde. ..Konzentriert man sich auf die Frage, ob „den nationalsozialistischen Konzentrationslagern von Anfang an eine klare Konzeption zugrunde lag“ oder ob „ein dynamischer Entwicklungsprozess“ vorlag, „der bei zunehmender Radikalisierung einen allmählichen Funktionswandel beinhaltete“, so liegt in Bergen-Belsen die Antwort beim Aufenthaltslager. Das Lager stellte in seiner Aufgabenstellung und Organisation einen Sonderfall dar – die Ausstellung in der Gedenkstätte geht darauf detailliert ein. Die Häftlinge sollten im Aufenthaltslager nicht unter den menschenverachtenden Formen des Konzentrationslagers leben, damit sie darüber nach dem Austausch im Ausland nicht berichten konnten. Mehr noch: die Insassen des Aufenthaltslagers sollten nach den Worten von Himmler „zwar arbeiten, jedoch unter Bedingungen, daß sie gesund sind und am Leben bleiben“ – sie sollten so ihre Funktion als Tauschobjekte behalten. Dieses „am Leben bleiben“ war für die jüdischen Insassen der Konzentrationslager eine Ausnahmesituation! Die Ausnahmesituation war für die Insassen des Aufenthaltslagers beendet, wenn die für den Austausch entscheidenden Papiere keine Anerkennung fanden und darauf – wie bei den aus Warschau nach Bergen-Belsen transportierten Juden im Oktober 1943 – ein Weitertransport nach Auschwitz stattfand. Die Radikalisierung, die mit der Wendung zur Vernichtung der Juden stattgefunden hatte, war den Partnern beim Austausch der verfolgten Juden gegen im feindlichen Ausland inhaftierte deutsche Staatsbürger bewusst – ganz davon abgesehen, dass, wie der Fall Kastner verdeutlicht, außer dem Tausch gegen deutsche Staatsbürger im Ausland auch andere Vorteile wie etwa ein Lösegeld zu erzielen waren. ..Die Judenvernichtung war Ausdruck der Radikalisierung der nationalsozialistischen Politik, sie ließ im Bereich der Konzentrationslager mit dem Aufenthaltslager Bergen-Belsen einen neuen Lagertyp entstehen. Die Judenvernichtung war zugleich ein Druckmittel für die Annahme der von deutscher Seite gemachten Tauschangebote: die Radikalisierung der NS-Politik gab dem Austausch von Juden gegen Nichtjuden, wenn er erfolgreich war, eine lebensrettende Qualität. Wenn die Angebote nicht zum Erfolg führten, drohte die Vernichtung.....