195 Zwangssterilisierte aus dem Berliner Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg

06/2016Gedenkstättenrundbrief 182, S. 36-41
Bernhard Bremberger und Lothar Eberhardt

Das am 1. Januar 1934 in Kraft getretene »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« hatte in den Augen der Rassehygieniker einen Schönheitsfehler: Es argumentierte lediglich medizinisch und erlaubte zwar, gegen Menschen mit körperlichen und psychischen Leiden vorzugehen – doch gegen »sozial Unerwünschte« und »Asoziale« bot es keine unmittelbare Handhabe. In der Praxis stellte sich dies so dar, dass man diese erst als »Schwachsinnige« oder »Trinker« definieren musste, um sie sterilisieren zu können. Daher basieren auch die Anträge auf Zwangssterilisation bei den Insassen des Berliner Arbeits- und Bewahrungshauses fast ausschließlich auf diesen »Diagnosen«.

»Der Erbkranke und der Asoziale im nationalsozialistischen Staat«, das waren zwei Pole, welche die Wissenschaft nun miteinander in Deckung zu suchen brachte. Der Münchner Jurist Prof. Edmund Mezger fragte 1937 bei einer Tagung der kriminalbiologischen Gesellschaft, inwieweit durch Sterilisierungsmaßnahmen Asoziale erfasst werden und vollbrachte eine bemerkenswerte Volte: Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sei »eben ›Gesetz‹, das will sagen: eine auf das Gemeinschaftsleben des Volkes bezogene Maßnahme. Und in diesem Sinne soll nicht nur kranker, sondern auch gesellschaftswidriger, asozialer und krimineller Nachwuchs verhindert werden.« Nach der Interpretation des Juristen Mezger sind auch solche Maßnahmen im Sinne des Gesetzes, die vom Gesetz ausdrücklich nicht vorgesehen sind!

Als es nach fünf Jahren Erfahrung mit der Zwangssterilisierung immer noch nicht gelungen war, eine geeignete Handhabe zur Unfruchtbarmachung von »Asozialen« zu finden, wurden Rufe nach einer eigenen gesetzlichen Regelung lauter. 1939 forderte Walter Kopp in der Zeitschrift »Der Erbarzt«: »Auf jeden Fall sprechen wichtige Gründe dafür, die Unfruchtbarmachung der Asozialen in einem Sondergesetz zu behandeln, wobei zu erwägen wäre, ob dabei das Verfahren nicht wesentlich vereinfacht und abgekürzt werden könnte.« Die neue Gesetzgebung soll differenzieren »zwischen Erbkranken und Erbminderwertigen […] um auch diese letzte Gruppe von der Fortpflanzung auszuschalten«. Das spätestens ab Anfang 1939 als Entwurf zur Diskussion stehende »Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder« (»Gemeinschaftsfremdengesetz«), das die Zwangssterilisierung »Asozialer« ausdrücklich vorsah, wurde nicht mehr verabschiedet, denn bald war die Praxis tödlicher, als es dieses Gesetz vorsehen konnte.

Während des Krieges wurden die Forderungen rigoroser. So schlug der stellvertretende Amtsarzt des Gesundheitsamtes Pankow, Oberarzt Gerhard Franke – ehemaliger Psychiater der Heil- und Pflegeanstalt Buch in Berlin-Buch und »langjähriges Mitglied eines Erbgesundheitsgerichts« – vor: »Alles ›Gesindel‹ müsste sterilisiert werden, das arbeitsscheu ist, das ohne Not stiehlt und betrügt, das schwer rauschgiftsüchtig ist. Man braucht sich da, glaube ich, nicht mit schwierigen Definitionen des Begriffes ›asozial‹ herumzuquälen. Jeder weiß schließlich, was unter ›Gesindel‹ und ›Lumpenpack‹ zu verstehen ist […] Ein solches Sterilisationsgesetz für Asoziale würde sich bei allen rechtschaffenen Deutschen sicherlich größter Beliebtheit erfreuen […] Wer sich als Volksschädling aus niedriger Gesinnung erwiesen hat, möge der Ausmerze verfallen.«

Um »Asoziale« nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sterilisieren zu können, hatte man also zunächst die per Gesetz vorgegebenen »Diagnosen« angewandt: »Angeborener Schwachsinn« und »Alkoholismus«. Man hatte versucht, den »moralischen Schwachsinn« oder »rassebiologischen Schwachsinn« als Hilfskonstruktion zu verwenden. Man versuchte auch, das Gesetz selbst so umzuinterpretieren, dass es Maßnahmen erlaubte, die dem Gesetzestext eigentlich widersprachen. Schließlich zeigte die Praxis, dass sogar dann Zwangssterilisierung »Asozialer« beantragt wurde, wenn man ihnen keine medizinische Diagnose im Sinne des Gesetzes anhängen konnte. Bald gab es Rufe nach einem »Sondergesetz« zur »Unfruchtbarmachung Asozialer«. Schließlich wurde während des Krieges die Forderung laut, »Asoziale« nach dem »gesunden Volksempfinden« zu definieren und ohne langen Prozess zu sterilisieren und damit auszumerzen.[1]

Zwangssterilisationen in Rummelsburg

Unbekannt ist, wie viele Arbeitshausinsassen aufgrund des Erbgesundheitsgesetzes im Dritten Reich zwangssterilisiert wurden. Auch zu den Opfern aus dem Berliner Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg lagen bislang keine konkreten Angaben vor. 1986 wurde zwar bereits publiziert, dass »eine erhebliche Anzahl der Insassen« aus Rummelsburg zwangssterilisiert worden waren – doch nahm die Forschung diesen Hinweis offenbar nicht auf. Eine historische Aufarbeitung des Arbeitshauses Rummelsburg begann erst nach 2007, und damals war die Frage noch offen, ob dort überhaupt Zwangssterilisierungen stattgefunden hatten. In ihrer 2010 erschienenen Dissertation berichtete Susanne Doetz über eine Teilauswertung des Registers des Berliner Erbgesundheitsgerichts für 1935: Demnach wurden knapp 2 Prozent der Berliner Anträge auf Unfruchtbarmachung vom Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg gestellt.

Dies gab Anlass zu einer ersten Recherche im Landesarchiv zu Zwangssterilisation von Insassen des Arbeitshauses – einer Auswertung der Register des Erbgesundheitsgerichts Berlin. In der Folge kursierten diverse Zahlenangaben über Rummelsburger Opfer des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«. Noch 2013 stellte Thomas Irmer fest: »Die tatsächliche Anzahl der zwangssterilisierten Insassen des Arbeitshauses Rummelsburg ist bisher noch nicht ermittelt worden.«[2] Nach einer 2014/15 erfolgten gründlichen Auswertung sowohl der Kartei und als auch des Registers des Berliner Erbgesundheitsgerichts liegt nun endlich eine solide Zahlenbasis vor:

Bei 270 Insassen des Arbeits- und Bewahrungshauses wurde eine Unfruchtbarmachung beantragt. Das Arbeitshaus hatte selbst mindestens 236 Anträge gestellt, konkret: Direktor August Rake, vor allem unterstützt von den Anstaltsärzten, die jeweils auch ein ausführliches Gutachten (mit Intelligenzprüfungsbogen) beisteuerten. Einige Dutzend Personen kamen erst nach Rummelsburg, nachdem anderswo ein Antrag gestellt worden war, etwa von Amtsärzten aus Berlin und Umgebung oder Landsberg/Warthe, von Heilanstalten aus Berlin und Umgebung (Buch, Herzberge, Wittenau, Potsdam) oder von Angehörigen bzw. dem Vormund.

Die Anträge richteten sich gegen 158 Frauen (58,5%) und 112 Männer (41,5%). Meist wurde »angeborener Schwachsinn« oder »Alkoholismus« als Begründung genannt. Manchmal wurden mehrere »Erbleiden« angeführt, so dass hier die Gesamtzahl über 270 liegt:

240 »angeborener Schwachsinn«

23   Alkoholismus

8    »Schizophrenie«

je 3 »erbliche Fallsucht«, »zirkuläres Irresein«, »schwere körperliche Mißbildung«.

Die meisten Anträge wurden in den ersten Jahren nach Erlass des Gesetzes gestellt, bis 1939 flachte die Zahl der Anträge ab. Seit Beginn des Krieges lässt sich eine leichte Steigerung beobachten, besonders in den Kriegsjahren 1942 und 1943:

Jahr                     1934   1935   1936   1937   1938   1939   1940   1941   1942   1943   1944   1945

Zahl der Anträge  33     105      71       22       10        6         2         3         6        10       1        1

Zu den 270 Anträgen konnten 265 Beschlüsse des Erbgesundheitsgerichtes gefunden werden. Einige Verfahren wurden ausgesetzt bzw. eingestellt, etwa wegen des Todes eines Sterilisanden. Gelegentlich fand eine Beschwerde vor dem Erbgesundheitsobergericht statt, wurde jedoch zumeist zurückgewiesen, selbst in einem Fall, in dem ein Vater seine Tochter sterilisieren lassen wollte, das Gericht dies aber ablehnte. Der Vater ging zur höheren Instanz. Als auch dies nicht in seinem Sinne beschied, betrieb er später nochmals erfolglos ein Verfahren.

Bei den 265 Beschlüssen wurde 200 mal eine Unfruchtbarmachung angeordnet (75 %) und 65 mal abgelehnt. Die Ablehnungen wurden teilweise dadurch begründet, dass die betreffende Person nicht mehr zeugungsfähig war (etwa durch bereits erfolgte Unfruchtbarkeit aufgrund einer Krankheit oder aufgrund fortgeschrittenen Alters), teilweise hielt das Gericht die angeführten »Krankheiten« auch nicht für angeborene Erbleiden. Die Sterilisation hatte in der Regel zwei bis drei Wochen nach dem Beschluss stattzufinden, und zwar in einer der dafür berechtigten Berliner Kliniken, de facto dauerte es ein bis zwei Monate.

195 Personen aus dem Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg wurden tatsächlich zwangssterilisiert. Darunter waren 103 Frauen (52,8 %), oft 19 oder 20 Jahre alt, die älteste 43 Jahre. Die 92 Männer befanden sich im Alter von 18 bis 56 Jahren. Der relativ hohe Anteil der zwangssterilisierten Frauen ist besonders auffällig, da in Rummelsburg durchgehend mindestens doppelt so viele Männer wie Frauen untergebracht waren.

Diese Zahl von 195 Personen umfasst allerdings nur diejenigen Personen, gegen die im Verlauf ihres unfreiwilligen Aufenthaltes im Arbeits- und Bewahrungshaus ein Verfahren lief und die Unfruchtbarmachung erfolgte. Selbstverständlich bleibt unklar, wie viele Personen bereits zwangssterilisiert waren, bevor sie nach Rummelsburg kamen. Auch die Zahl derjenigen ist ungewiss, die erst nach ihrem unfreiwilligen Aufenthalt in der Anstalt in die Mühlen der »Erbgesundheit« gerieten. So berichtet etwa der Mediziner Werner Horlboge über einen 1905 geborenen ungelernten Arbeiter, der aufgrund seiner Arbeitslosigkeit betteln musste und deswegen mehrfach bestraft wurde, bevor er »in ein Arbeits- und Bewahrungshaus eingewiesen wurde« – das kann nur die Rummelsburger Anstalt sein. Dort bekam er »Verwirrtheitszustände«, sodass er in eine Heil- und Pflegeanstalt überwiesen wurde. Erst dann wurde ein Antrag auf Unfruchtbarmachung wegen angeblichen »Schwachsinns« gestellt.

Wer war der Berufsboxer Heinrich Trollmann?

In den Unterlagen des Berliner Erbgesundheitsgerichts findet sich ein Hinweis auf einen Heinrich Trollmann aus dem Arbeits- und Bewahrungshaus, Berlin-Lichtenberg, Hauptstraße 8. In der Kartei des Erbgesundheitsgerichts ist als Geburtsdatum der 27. Dezember 1907 genannt. Im Register des Gerichts wurde er als »Berufsboxer« geführt, und im Gerichtsbeschluss vom 10. September 1935 ist darüber hinaus -»Wilsche, Kreis Gifhorn« als Geburtsort angegeben.[3] Die ausführliche Gerichtsakte sowie weitere Unterlagen zum Erbgesundheitsverfahren gegen Trollmann, aus dem weitere Informationen über ihn zu ersehen sind, müssen als verloren gelten.

Hier muss offenbar ein Fehler vorliegen. Einen Berufsboxer Heinrich Trollmann, der am 27. Dezember 1907 in Wilsche geboren ist, gibt es nicht. Wohl aber treffen diese Geburtsdaten auf den Boxer Johann Wilhelm Trollmann zu, genannt »Rukeli«, dessen Leben als Sinto und Boxer in den 1930er-Jahren erst in der letzten Zeit erforscht wurde.[4] Tatsächlich wurde dieser als Boxer auch mit dem Vornamen »Heinrich« genannt. Wieweit Trollmann »seine Boxerlizenz nicht auf seinen bürgerlichen Vornamen Johann, sondern auf den Vornamen Heinrich beantragt und auch erhalten hatte«[5] oder ob ihm der Vorname von der Presse zugeschrieben wurde (wogegen er sich gewehrt haben soll, was dann ebenfalls in den Pressetexten Niederschlag fand)[6], – das ist eine offene Frage in der biografischen Forschung.

Bei jenem Heinrich Trollmann, gegen den ein Erbgesundheitsverfahren geführt wurde, dürfte es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um den Boxer Johann Wilhelm Trollmann gehandelt haben. Weitere im Beschluss des Gerichts genannte und der Forschung bekannte biografische Details (Bürgerschule in Hannover, seit Schulentlassung als Boxer tätig, zwei uneheliche Kinder) stützen diese Vermutung. Dass die in solchen Dingen normalerweise präzise arbeitende NS-Bürokratie hier nicht seinen bürgerlichen, sondern einen falschen Vornamen verwendete, ist bislang unerklärlich. (Rukeli hatte übrigens einen neun Jahre jüngerer Bruder, der Musiker Heinrich Trollmann, genannt »Stabeli« – aber die Daten aus den Unterlagen des Erbgesundheitsgerichts treffen nicht auf ihn zu.)

Am 9. Juni 1933 wurde Rukeli in der Bockbrauerei in Berlin-Kreuzberg deutscher Meister im Halbschwergewicht. Der Titel wurde ihm einige Tage später durch die NS-Boxsportfunktionäre aberkannt. Ein »Zigeuner« als Deutscher Meister – das ging gar nicht! Rukeli führte noch einige Boxkämpfe durch, aber sein Manager löste im Januar 1934 seinen Vertrag. Trollmann verdingte sich als Rummel-Boxer. Dies verstieß gegen die Profi-Statuten, und er verlor daraufhin im Mai 1934 seine Profilizenz.

Am 1. Juni 1935 heiratete Rukeli im Standesamt Berlin-Charlottenburg seine Freundin Olga Frieda Bilda, mit der er seit März 1935 die gemeinsam Tochter Rita hatte. Trauzeugen waren der Tischler Ehlers und der Erziehungsgehilfe Hugo Teske, wohnhaft in der Hauptstraße 8, Berlin-Lichtenberg.[7] Dies ist die Adresse des Arbeits- und Bewahrungshauses, und Teske war offenbar ein Bediensteter dieser Anstalt. Seine Anwesenheit als Trauzeuge mag als Indiz gewertet werden, dass Rukeli schon zu diesem Zeitpunkt Insasse des Berliner Arbeits- und Bewahrungshauses war. Allerdings konnten bislang weder die Begründung für die Einweisung in das Arbeitshaus noch die Zeitdauer gefunden werden.

Wenige Wochen nach der Trauung stellte der Direktor des Arbeitshauses den Antrag, Heinrich Trollmann zu sterilisieren, sie ging am 3. Juli 1935 beim Amtsgericht ein. Am 10. September 1935 fand die Verhandlung vor der Zweiten Kammer des Berliner Erbgesundheitsgerichts statt. Ein blaues handschriftliches »P« auf der Karteikarte unterstützt die Vermutung, dass (wie in vergleichbaren Fällen) ein amtlicher Pfleger einberufen worden war, der dafür zu sorgen hatte, dass das Verfahren reibungslos lief. Trollmanns Einlassungen vor Gericht wurden gegen ihn und zur Verfestigung der »Diagnose« »angeborener Schwachsinn« verwandt. Er soll »für die Bedeutung des vorliegende Verfahren überhaupt kein Verständnis« gehabt haben und wollte wohl auch nicht einsehen, »dass seine ziemlich erheblichen Intelligenzmängel vererbt werden könnten«. Er sperrte sich also offenbar gegen das ihm aufoktroyierte Verfahren, und daher beschloss das Gericht (Amtsgerichtsrat Dr. Schabronath, Medizinalrat Dr. Schackwitz und Oberarzt Dr. med. Hagedorn), dass Heinrich Trollmann unfruchtbar zu machen sei. Offenbar gab es am 2. Dezember 1935 noch ein zweitinstanzliches Verfahren vor dem Erbgesundheitsobergericht. (Dies geht aus einem Registereintrag hervor, allerdings konnte der entsprechende Beschluss nicht gefunden werden.) Für den 23. Dezember 1935 ist die Durchführung der Zwangssterilisierung vermerkt.

1944 wurde Rukeli Trollmann, der zwischenzeitlich als Wehrmachtssoldat gedient hatte und an der Ostfront verwundet worden war, im Außenlager Wittenberge des KZ Neuengamme von einem Kapo erschlagen, der in zum Boxkampf herausgefordert und gegen ihn verloren hatte.

Die Unterlagen des Berliner Erbgesundheitsgerichts legen also folgenden Schluss nahe, der hier mit aller Vorsicht in den Raum gestellt sei: Offenbar befand sich der Sinto Johann »Rukeli« Trollmann, geboren am 27. Dezember 1907 in Wilsche, unter dem Namen Heinrich Trollmann zumindest in der Zeit vom 3. Juli 1935 (Datum der Antragstellung) bis mindestens zum 10. September 1935 (Gerichtstermin) im Berliner Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg. In dieser Zeit wurde eine Zwangssterilisierung durch den Direktor des Hauses beantragt und durch das Erbgesundheitsgericht angeordnet – ebenfalls unter Nutzung des Vornamens »Heinrich«. Die Tatsache, dass die Unfruchtbarmachung am 23. Dezember 1935 durchgeführt wurde und er sich ihr nicht entziehen konnte, spricht dafür, dass er auch noch zu dieser Zeit in der Anstalt festgehalten wurde.

Zusammenfassung

195 Insassen des Arbeits- und Bewahrungshauses Rummelsburg fielen der nationalsozialistischen Zwangssterilisation zum Opfer, unverhältnismäßig mehr Frauen als Männer. Dies ist nur die Spitze eines Eisbergs, offen bleibt, wie viele Personen schon vor der Einweisung nach Rummelsburg zwangssterilisiert worden waren oder etwa danach in Anstalten, in welche sie von dort aus hinkamen. Leider lassen sich aus den Unterlagen des Erbgesundheitsgerichts kaum mehr als Namen, Geburtsdaten und Wohnadressen und ganz vereinzelte zusätzliche biografische Informationen zu den Opfern finden. Nur wenige aufschlussreichere Akten des Gerichts von den Verfahren gegen Arbeitshausinsassen erhalten. In der Regel blieben ihre Namen und Schicksale unbekannt, sie waren »Marginalisierte«. In der Regel blieben ihre Namen und Schicksale unbekannt, sie waren »Marginalisierte«. So gut wie keiner von ihnen stand im Licht der Öffentlichkeit.

Eine große Ausnahme ist der Boxer Trollmann, der möglicherweise deshalb zwangssterilisiert wurde, weil er Sinto war. Obwohl er in den 1930er-Jahren eine gewisse Prominenz hatte, wurde seine Lebensgeschichte erst seit etwa eineinhalb Jahrzehnten wieder entdeckt und öffentlich wahrgenommen.

 

Bernhard Bremberger ist Kulturwissenschaftler. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Berliner Lokalgeschichte, Medizin und Zwangsarbeit sowie Strafvollzug im Nationalsozialismus; www.zwangsarbeit-forschung.de.

Lothar Eberhardt hat seit 1993 verschiedene Kampagnen und Initiativen zu vergessenen NS-Opfern mitinitiierte. Sein momentaner Arbeitsschwerpunkt umfasst die Geschichte der sozialen Ausgrenzung.

 

[1] Auf Quellenangaben wurde hier weitestgehend verzichtet, weil die Autoren leicht im Internet zu verifizieren sind.

[2] Siehe dazu: Detlev Peukert: Grenzen der Sozialdisziplinierung: Aufstieg und Krise der deutschen Jugendfürsorge von 1878 bis 1932. Köln 1986, S. 278, Thomas Irmer / Barbara Reischl / Kaspar Nürnberg: Das Städtische Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg in Berlin-Lichtenberg. S. 22–31 in: Gedenkstättenrundbrief 144 (2008), Susanne Doetz: Alltag und Praxis der Zwangssterilisation. Die Berliner Universitätsfrauenklinik unter Walter Stoeckel 1942–1944. Berlin 2010, S. 34, Thomas Irmer: Zur Geschichte des Arbeitshauses Rummelsburg in der NS-Zeit. Vortrag, Deutsches Historisches Museum, 12. Juni 2013.

[3] Landesarchiv Berlin, A Rep 356, Kasten 15, Karteikarte Trollmann, ferner Nr. 45607 (Register), Eintrag. 688 und Nr. 41747, Blatt 204 f (Beschluss).

[4] Roger Repplinger: Leg dich, Zigeuner: Die Geschichte von Johann Trollmann und Tull Harder. München 2012. Stephanie Bart: Deutscher Meister. Frankfurt/Main, Zürich, Wien 2014.

[5] Stephanie Bart (2014) S. 75.

[6] Mitteilung Dr. Roger Repplinger in einer Mail an die Autoren vom 28. April 2016.

[7] Eheregister Berlin-Charlottenburg (nach Mitteilung Dr. Roger Repplinger in einer Mail vom 28. April 2016).