An den Anfang sei eine Überlegung zum Namen »Reichserntedankfest« gestellt. Mit »Erntedank« assoziieren wir Nähe, Heimat, Geborgenheit, Dorfkirche, Wärme – »Reich« lässt uns hingegen an Ferne, Macht, Zentralität, Größe, Distanz denken. Die innere Widersprüchlichkeit, dessen, was da veranstaltet wurde, deutet sich schon im Namen an. So wundert es nicht, dass am Bückeberg selbst von »Erntedank« nicht die Rede war.
Das von 1933 bis 1937 veranstaltete »Reichserntedankfest« war eine der größten regelmäßigen Kundgebungen der Nationalsozialisten. Nur der 1. Mai als »Tag der nationalen Arbeit« wurde in vergleichbarer Größe auf dem Tempelhofer Feld in Berlin gefeiert. Die mehrtägigen »Reichsparteitage« in Nürnberg bestanden aus mehreren kleineren Veranstaltungen. Auf dem Bückeberg standen bis zu einer Million Menschen auf engstem Raum. Nach stundenlangem Warten auf den »Führer«, nach Einstimmen und Aufheizen durch Marschmusik und marschierende Kolonnen brach bei Hitlers Erscheinen hemmungsloser Jubel aus, ein Kessel von Emotionen, dem sich wenige entziehen konnten. Möglich war dieses »Fest«, seit Sozialdemokraten und Kommunisten eingesperrt waren und sie die Aufmärsche der Nationalsozialisten nicht mehr stören konnten.
Der Ablauf der Veranstaltung ist mit wenigen Worten geschildert. Nach einem etwas hilflosen »Vorprogramm«, das den Massen die lange Zeit des Wartens verkürzen sollte, erschien Hitler, um auf einem leicht erhöhten Weg mitten durch die Massen zur Spitze des Bückebergs hinaufzusteigen, wo sich eine Ehrentribüne befand. Es folgten eine ausgedehnte Militärschau und anschließend Hitlers Weg wieder hinunter zu einer Rednertribüne, die am Fuße des Berges in der Ebene errichtet war. Nach dem Abschluss von Hitlers Rede und dem Singen von Deutschland- und Horst-Wessel-Lied war die gut zwei Stunden dauernde Veranstaltung schon beendet.
Zentrales Ritual und Alleinstellungsmerkmal des Bückebergs war Hitlers »Weg durchs Volk«[1]. Dabei durfte er berührt werden: Er ist »der Mann aus dem Volk«! Bei seiner Rede war er dann wieder »Führer«, Autorität, die dem Volk gegenüberstand. Veranstalter des »Reichserntedankfestes« war Reichspropagandaminister Goebbels und nicht etwa Landwirtschaftsminister und »Reichsbauernführer« Darré. Die Massenkundgebung »besetzte« den Tag des christlichen Erntedanks und wurde zum ersten Mal am 1. Oktober 1933 gefeiert. Zweck der Veranstaltung war es, »Volksgemeinschaft« zu formen und die enge Beziehung von »Volk und Führer« abzubilden, das Regime also zu konsolidieren. Das »Fest« war »Schule der Nation«. Am Bückeberg erfuhren die Teilnehmer ein gewaltiges »Gemeinschaftserlebnis«. Auf den bis zu zehn Kilometer langen Anmarschwegen übten sie das Marschieren. Der NS-Ideologe Alfred Rosenberg formulierte: »Die deutsche Nation ist eben drauf und dran, endlich einmal ihren Lebensstil zu finden. … Es ist der Stil einer marschierenden Kolonne.«[2]
Unter den Teilnehmern des »Festes« waren Frauen und Städter stark vertreten.[3] Das »Reichserntedankfest« war kein Bauernfest; nur die Propaganda erzeugte dieses Bild, indem es die Bilder der am Mittelweg Spalier stehenden Bäuerinnen und Bauern vervielfältigte. Mit Hilfe der Veranstaltung am Bückeberg verbreiterte das Regime seine Basis in die bürgerliche, städtische Mitte. Die Teilnehmerzahlen stiegen von ca. 300 000 im Jahre 1933 auf annähernd eine Million 1937. Der Festplatz musste deswegen 1935 mit hohem Aufwand vergrößert werden.
Nur 1933 und 1934 hatte es einer intensiven Propaganda und eines gelinden Druckes bedurft, um die zum Füllen des Platzes notwendigen Massen zum Bückeberg zu bringen. Der Kreis-Propagandaleiter Hannover-Land forderte 1933: »Zu Hause dürfen nur Lahme, Gebrechliche, Faule, Träge und staatsverneinende Elemente bleiben, alles andere hat am 1. Oktober nach Hameln zu fahren.«[4]
Anders als in Berlin war für die An- und Abreise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Bückeberg eine ausgefeilte Logistik notwendig. Die Reichsbahn setzte zahlreiche Sonderzüge (230 im Jahr 1937) ein und konnte auf sieben verschiedene Bahnhöfe rund um den Bückeberg zurückgreifen. Seit 1935 konnte sich die Veranstaltung vor dem Ansturm der Besucherinnen und Besucher nicht mehr retten und mancher Bewerber um einen Sitzplatz in einem der Sonderzüge wurde aufs nächste Jahr vertröstet. Für die Zukunft war der Bau einer Autobahn wenige Kilometer südlich des Festplatzes in Planung. Auch im Feierkalender der Nationalsozialisten hatten die »Reichserntedankfeste« ihren festen Platz.
Im Ablauf der Veranstaltung spürt man die Hand des Propagandaministers allerorten. Sie wurde vor allem deswegen veranstaltet, damit Fotografen, Filmemacher und Rundfunkreporter beste Gelegenheiten für Aufnahmen von der innigen Verbundenheit von »Volk und Führer« hatten. Bilder und Texte verbreitete das Propagandaministerium sogleich über alle Kanäle: »Seht, so sehr lieben die Deutschen den ›Führer‹.«[5]
Bekannte und – bis heute verwendete – Bildikonen (dem »Führer« zujubelnde unüberschaubare Massen) entstanden am Bückeberg. Ihr Fotograf war Heinrich Hoffmann, dem die Veranstalter einen privilegierten Standort für seine aufwendig inszenierten Aufnahmen eingeräumt hatten.
Von den allermeisten Besuchern des Bückebergs konnten Hitler und seine Entourage auf dem Mittelweg gar nicht gesehen werden; sie jubelten trotzdem, hatten sie doch sein Bild vor ihrem inneren Auge.
Außerhalb eines Kreises von 100 Kilometern um den Bückeberg wurde das »Fest« zur gleichen Zeit überall in Deutschland gefeiert. Die neue Rundfunktechnik erlaubte Live-Übertragungen, so dass die Menschen Hitlers Rede auf dem Bückeberg am Lautsprecher oder am »Volksempfänger« lauschen konnten.
Die »NS-Volksgemeinschaft« konstituierte sich durch die Gruppen, die von ihr ausgeschlossen waren. Das »Fest« hatte eine Rückseite, es spaltete. Hamelns Sozialdemokraten und Kommunisten wurden, soweit sie nicht ohnehin im Zuchthaus oder KZ saßen, vor der Veranstaltung in »Schutzhaft« genommen und anschließend wieder entlassen. Wer entgegen den Anweisungen in Hameln und an den Zufahrtsstraßen, die Hitlers Autokonvoi passierte, sein Haus nicht schmückte[6], outete sich als Regimegegner. Menschen jüdischen Glaubens hatte das Regime das Zeigen nationaler Symbole verboten. Mit ihren ungeschmückten Häusern bestätigten sie damit unfreiwillig ihren vom NS-Regime verhängten Ausschluss aus der »Volksgemeinschaft«.
Soweit der innere Feind der »Volksgemeinschaft«. Dem äußeren Feind trat man am Bückeberg militärisch entgegen. Längster Programmpunkt des »Festes« war – man mag es nicht glauben – eine bis zu einer Stunde dauernde Schauübung der Wehrmacht! Seit 1935, dem Beginn der Wiederaufrüstung, sahen die Teilnehmer jedes Jahr die neuesten Waffen von Wehrmacht und Luftwaffe. Die heimische Zeitung sprach von der »Schlacht der Zukunft«.[7]
Die Botschaft der Militärschau lautete: Die Deutschen sind ein »Volk ohne Raum«, von Feinden umzingelt. Es war die mentale Vorbereitung auf den nächsten Krieg. 1938 verhinderte die sog. Sudetenkrise die Veranstaltung in letzter Minute; die Sonderzüge fuhren statt zum Bückeberg in Richtung Tschechoslowakei und transportierten Soldaten. Zwei Tage, bevor sie hätte stattfinden sollen, wurde die Großkundgebung abgesagt. 1939 war mit dem Überfall auf Polen aus der Militärübung am Bückeberg der Ernstfall geworden.
Im Sommer 1933 beauftragte Goebbels den damals noch weitgehend unbekannten Architekten Albert Speer mit der Aufgabe, einen Platz für »ein bäuerliches Volksfest bisher ungeahnten Ausmaßes in der freien Natur« zu schaffen. Speer wählte als Ort den Nordhang des Bückebergs mit Blick auf die Weser, den »von der Quelle bis zur Mündung deutschesten aller Ströme«, und auf die »Rattenfängerstadt« Hameln. Im Herzen von Niedersachsen, dem »bäuerlichen Kernland« Deutschlands gelegen, war der Bückeberg zugleich angeblicher Schauplatz der Varus-Schlacht und Herkunftsort der Vorfahren des NS-Märtyrers Horst Wessel. Tatsächlich hatten die günstige Hanglage und die damals guten Bahnverbindungen Hamelns den Ausschlag bei der Wahl des Platzes gegeben. Mythisch aufgeladen wurde er erst sekundär.
Gebaut wurde von 1933 bis 1937. Der Bückeberg ist tatsächlich ein »gebauter Berg«. Das Gelände war ursprünglich wellig und erlaubte bei der ersten Veranstaltung 1933 längst nicht von jedem Ort aus einen Blick auf Hitler und die Rednertribüne. Vor allem in der großen Baukampagne 1935, bei der neben Männern des Reichsarbeitsdienstes auch Fachfirmen und modernes technisches Gerät wie riesige Förderbänder eingesetzt wurden, erhielt der Platz seine heutige Gestalt. Mit großem baulichem Aufwand wurde der Platz von den Seiten zur Mitte hin eingetieft. Die dabei gewonnenen Erd- und Felsmassen wurden an den Seiten abgeschüttet, die auf diese Weise erhöht und verbreitert wurden.[8]
Das Modell von 1934, nach dem in den Folgejahren gebaut wurde, zeigt diese Erhöhung zu den Seiten. Die Besucher mussten, um den Platz zu erreichen, über bis zu zehn Meter hohe Treppen aufsteigen. Der acht Meter hohe und ebenso breite umlaufende Damm, der Toiletten und Versorgungseinrichtungen aufnehmen sollte, ist wegen des Krieges nicht gebaut worden. Wegen dieses angedeutet amphitheatralischen Charakters war der Bückeberg Speers bevorzugter Kundgebungsplatz.[9] Die Masse hatte freie Sicht auf Hitler, wenn er von der unteren Tribüne aus redete und sie konnte ihn ahnen, wenn er auf seinem »Weg durchs Volk« zunächst nach oben und später wieder nach unten schritt. Sie hatte wie von einem Feldherrnhügel aus einen Blick auf die Wehrmachtsübung. Vor allem aber schaute sie – beim Blick quer über den Platz – auf sich selbst und nahm die eigene gewaltige Größe wahr. Auf den ebenen Plätzen in Nürnberg und dem Tempelhofer Feld war Speer gezwungen, eine hohe Bühnenwand zur Begrenzung des Platzes zu schaffen sowie eine Tribüne, damit die Menschen Hitler wenigstens bei seiner Rede sehen konnten.
Der fertige Platz, der sich wie ein Theater mit ansteigenden Rängen und unten platzierter Bühne präsentierte, hatte eine Länge von 600 Metern und eine Breite von bis zu 300 Metern. Das Luftbild von 1933 zeigt die wesentlichen Elemente der Platzgestaltung:
Weil der Boden durch die Baumaßnahmen abgetragen oder umgewälzt wurde und unter der Grasnarbe vielfach unmittelbar Fels liegt, ist der Hang nur als Schafweide nutzbar. Abgesehen von seinem unteren – ebenen – Teil, der 1945 sogleich wieder unter Pflug genommen wurde, ist der Festplatz vollständig erhalten. Das gilt auch für den aufgeschütteten Mittelweg und die Fundamentreste der oberen Tribüne. Der Bückeberg ist einer am besten erhaltenen Kundgebungsplätze aus der NS-Zeit, freilich, weil es ein Ort »in der freien Natur« sein sollte, ohne die monumentalen Steinbauten, wie sie sonst für NS-Orte typisch sind.
Das »Reichserntedankfest« steht für die Zeit der Formierung der Diktatur. Es zeigt den »schönen Schein« des Dritten Reiches und die hohe Bereitschaft der Menschen, in Hitler den Heilsbringer zu sehen, die massenhafte Begeisterung für das Regime. Zu sehen ist aber auch, wie die Nationalsozialisten die Gesellschaft spalteten und die Menschen in Friedensjahren auf den kommenden Krieg vorbereiteten. Jens-Christian Wagner, ehemaliger Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, formulierte 2018: »Der Bückeberg war der Anfang und Bergen-Belsen das Ende ein- und derselben Entwicklung. Sie gehören untrennbar zusammen.«[10]
Konnte man Hitler lieben? – Diese ungläubige Frage haben dem Verfasser einmal Jugendliche nach einem Vortrag gestellt. Ja, man konnte ihn lieben. Es gab in der NS-Zeit ein extrem hohes Maß an Bereitschaft, sich selbst zu täuschen. Das Thema Bückeberg spricht vor allem Jugendliche an. Sie können nicht mehr nachvollziehen, dass ihre Großeltern und Urgroßeltern für die Konzentrationslager verantwortlich gewesen sein sollen (»Opa war kein Nazi!«). Aber sie können sich in eine Veranstaltung hineinversetzen, wie sie am Bückeberg stattfand. Ein Dokumentations- und Lernort am Bückeberg ist eine Ergänzung zu den Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern. Der NS-Terror begann nicht mit der Deportation und Ermordung von Millionen Menschen, sondern mit deren Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Der Bückeberg kann zeigen, warum eine Teilnahme an einem »Aufmarsch«, zu dem man mit Familie, im Freundeskreis und in der Dorfgemeinschaft anreiste, sich durch Trachtengruppen und militärische Darbietungen unterhalten ließ und am Ende Hitler zujubelte, alles andere als harmlos war. Wer die Strapaze auf sich nahm, dieses »Fest« zu besuchen, erlebte seine Zugehörigkeit zur »Volksgemeinschaft« und empfand dies als starke persönliche Aufwertung. Der Bückeberg war ein Ort, an dem die Begeisterung grundgelegt wurde, Hitler zu folgen, bedingungslos, bisweilen bis in Verbrechen hinein.
Seit 1998 hat der Verfasser durch Vorträge, zahlreiche Publikationen[11] und eine Ausstellung auf die Bedeutung des Bückebergs hingewiesen. Insbesondere die 1999 erarbeitete Ausstellung »Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln 1933–1937 – Ein Volk dankt seinem (Ver)Führer«, die auch in den Dokumentationszentren Nürnberg und Obersalzberg gezeigt wurde, machte das Thema weithin bekannt.[12]
Eine Tagung der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung im Jahre 2002 in Hameln, die sich drei Tage lang mit dem Bückeberg befasste, forderte u.a. den Denkmalschutz für das Gelände und die Aufstellung von Info-Tafeln, schloss eine Rekonstruktion der Tribünen jedoch ausdrücklich aus. Dem Bericht über die Tagung in der Hamelner Deister- und Weserzeitung folgte umgehend ein massiver Protest des Hameln-Pyrmonter Landrats und zugleich Bürgermeisters von Emmerthal Karl Heißmeyer. Jegliche Aktivität am Bückeberg würde Neonazis anziehen. Er werde »alles ihm Mögliche versuchen, um den Denkmalschutz doch noch abzuwenden.«[13] Damit war das Klima in Emmerthal auf lange Sicht vergiftet.
Seit dem Verdikt des Landrats war dem Verfasser der Zugang zu den Menschen vor Ort vielfach verschlossen. Anfragen und Angebote zu Gesprächen blieben ungenutzt. Der Verfasser wurde verspottet und verlacht (»… eine bloße Kuhwiese …«). Auch die Tatsache, dass seine Erinnerungsarbeit für die Opfer des Nationalsozialismus unter Jüdinnen und Juden, Zuchthaushäftlingen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern öffentliche Anerkennung gefunden hatte, schützte ihn nicht vor Angriffen.
Landräte und Minister raunten von der »höchsten Gefahr«, warnten vor diesem »schwierigen« und »umstrittenen« Ort und vor der Gefahr, die von ihm ausgehe. Der Hinweis darauf, dass der Platz nicht auf der Agenda der Neonazis stehe und dass sich Neonazis niemals auf einer Fläche tummeln würden, die 25 Fußballfelder groß sei und die nicht einmal die Rolling Stones bespielen könnten, blieb ohne Wirkung. Keine der im Kreistag Hameln-Pyrmont und im Gemeinderat Emmerthal vertretenen Parteien wagte sich mit einer differenzierten Stellungnahme aus der Deckung.
Angesichts des hartnäckigen Widerstands der Gemeinde Emmerthal und des Landrats brauchte es zehn Jahre, bis der Denkmalschutz 2011 umgesetzt wurde. Die Gemeinde, die notorisch einwandte, hier würde eine »Kultstätte« für Rechtsextreme entstehen, sah sich angeblich auch in ihren Plänen gehindert, das Gelände als dringend benötigtes Bauerwartungsland auszuweisen.[14] Im Gegenzug zur schließlichen »Verhängung« des Denkmalschutzes sicherte Johanna Wanka, die niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur, der Gemeinde Emmerthal damals zu: »Andere Maßnahmen, die Interessierten Erläuterungen der Anlage bieten, etwa Hinweistafeln, liegen in der Verantwortung der Gemeinde selbst.«[15]
Bis 2010 war der Verfasser weitgehend als »Einzelkämpfer« aufgetreten. In dieser Zeit gelang es ihm, die Unterstützung der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten zu gewinnen. 2014 formulierte diese über den Wert einer Beschäftigung mit dem Bückeberg: »Unter Experten ist die Relevanz des Ortes und seiner Geschichte für die historisch-politische Bildungsarbeit unumstritten. Zum einen ist hier die auch medial extensiv verbreitete Selbstdarstellung des Regimes im Zeichen des Volksgemeinschaftsdiskurses und der Bauernpolitik offenbar, gleichzeitig verweisen die Feste auf die anderen Seiten der NS-Politik: auf Ausgrenzung, Terror und Vernichtung, auf militärische Aggression und Eroberungspolitik. Wie kaum anderswo bieten daher die Ereignisse der Reichserntedankfeste die Möglichkeit, die Entwicklung und Funktionsweise der NS-Herrschaft in den Vorkriegsjahren ab 1933 aufzuzeigen. Beispielhaft können Inklusions- und Exklusionsmechanismen sowie Strategien und Gefahren der subtilen Einflussnahme beleuchtet werden. So lässt sich ein breites Spektrum historischer Information mit aktuellen sozialpsychologischen Themen koppeln.«[16]
Günstig wirkte sich außerdem aus, dass mit Andreas Grossmann seit 2006 ein Bürgermeister in Emmerthal amtierte, der erstmals bereit war, zuzuhören und sich im Verlauf der Jahre allmählich zu einem Befürworter des Projekts entwickelte, allerdings eine irgendwie geartete finanzielle Beteiligung der Gemeinde ausschloss. Am Vorbehalt vieler Bewohner von Emmerthal änderte er allerdings wenig.
Um die noch sehr unkonkreten Planungen auf eine gesicherte organisatorische Basis zu stellen, erwies sich eine Vereinsgründung als unerlässlich. Der »Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln e.V.« nahm im August 2010 seine Arbeit auf. Durch Führungen, Lesungen, Schülerprogramme und intensive Pressearbeit sorgte der Verfasser für einen größeren Bekanntheitsgrad des Ortes und seiner Geschichte. Anlässlich des 80. Jahrestages des ersten »Festes« am 1. Oktober 2013 fanden mehrere Veranstaltungen statt. In der Handelslehranstalt Hameln war erneut die Ausstellung »Ein Volk dankt seinem (Ver)führer« zu sehen. Das begleitende Schülerprojekt wurde 2014 mit dem zweiten Platz des niedersächsischen Schülerfriedenspreises ausgezeichnet.
Das Landesamt für Denkmalpflege richtete am »Tag des offenen Denkmals« am 8. September 2013 die landesweite zentrale Veranstaltung vor Ort aus, bei der auch die Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Gabriele Heinen-Kljajic, anwesend war. Bei dem Festakt wurde der Film »Der Bückeberg – ein unbequemes Denkmal« uraufgeführt, der als studentische Arbeit an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder) entstanden war und in der Folge eine außerordentliche Breitenwirkung entfaltete.
Am 8. September 2013 organisierte die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten einen Workshop mit 30 Experten unterschiedlicher Fachrichtungen in Hameln, um die Diskussion über den weiteren Umgang mit dem Ort in Gang zu bringen. Die Tagung mündete in zehn Handlungsempfehlungen. Danach solle der Bückeberg für Niedersachsen »zu einem zentralen Ort der Aufklärung über den Nationalsozialismus entwickelt werden« und der historische Ort »unter Einbeziehung der überlieferten baulichen Reste und der gestalteten Topographie … durch behutsame … Maßnahmen lesbar« gemacht werden. Und schließlich: »Es ist eine Institutionalisierung des Bückebergs als Dokumentations- und Informationsort mit entsprechender personeller und sachlicher Ausstattung erforderlich.«
Im Nachgang zum Workshop fand im November 2013 ein Gespräch zwischen Vertretern des Landkreises Hameln-Pyrmont, der Gemeinde Emmerthal, des niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten statt, bei dem verschiedene Schritte hin zu einem Dokumentations- und Lernort besprochen wurden. Die Leitung hatte erstmals der im Oktober 2013 neu gewählte Landrat Tjark Bartels. Dieser war in der Folge ausschlaggebend dafür, dass der Sprung in die Realisierung gelang. Nur ihm ist es zu verdanken, dass das Projekt im Kreistag Hameln-Pyrmont bei den lange zögerlichen Parteien schließlich die erforderliche Mehrheit fand.
Im April 2016 kam es zur Gründung eines auf zwei Jahre ausgelegten Konzeptionsprojekts unter dem Titel »Dokumentation Bückeberg«, dessen Träger der Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln e.V. war. Die Finanzierung teilten sich der Landkreis Hameln-Pyrmont und die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Leiter des mit zwei halben Wissenschaftlerstellen[17] ausgestatteten Projekts war der Verfasser, Hauptaufgabe die Erarbeitung eines Konzepts eines »historisch-topographischen Informationssystems« auf dem ehemaligen Festplatz-Gelände.[18]
Als fruchtbar und ermutigend für die weitere Arbeit erwies sich 2016 ein Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern aus Einrichtungen zur NS-Tätergeschichte, den Dokumentationszentren Obersalzberg und Reichsparteitagsgelände Nürnberg, der Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg und der Dokumentation NS-Ordensburg Vogelsang. Diese stehen, was den Umgang mit propagandistischen Bildern und Texten angeht, vor vergleichbaren Problemen wie der Bückeberg.
Zwei Workshops 2015 und 2017 mit Lehrkräften der Hamelner Schulen, die sich mit ersten Entwürfen der für die Ausstellung vorgesehenen Texte und Bilder befassten, brachten wertvolle Hinweise. Die Texte dürfen keine Wertungen, Deutungen, gar Belehrungen enthalten, sondern sollen nur Impulse setzen. Nicht etwa die ganze Tätergeschichte 1933–1945, sondern allein der Bückeberg habe im Mittelpunkt zu stehen. Abbildungen seien nicht zur Illustration, sondern als Quelle zu benutzen und bei der Verwendung von Propagandafotos seien bei der heutigen Schülergeneration zu große Skrupel nicht angezeigt.
Beim Entwurf des »historisch-topographischen Informationssystems« ging der Verfasser von den Erfahrungen aus, die er im Lauf der Jahre bei ungezählten Führungen über das Gelände gesammelt hatte. Mehrere Informationsinseln mit Text-Bild-Angeboten und Einstiegsmodule am unteren und am oberen Zugang sollten den Rundgang strukturieren und die Eigenart der Geländegestaltung erfahrbar machen. Nur wer sich auf dem Gelände bewegt, kann sowohl seine Größe wie seine raffinierte Modellierung erfassen. Die Informationsinseln sollen den Berg nicht dominieren oder überformen. Die Fundamente der ehemaligen »Ehrentribüne« oben sollen ebenso wie die Fläche rings um die nach 1945 spurlos beseitigte Rednertribüne unten einbezogen werden. Rekonstruktionen waren ausdrücklich nicht gewollt. Angesichts der Tatsache, dass die Nationalsozialisten Menschen mit Behinderungen aus der »Volksgemeinschaft« ausgeschlossen hatten, forderte der Entwurf ausdrücklich, ihnen einen Zugang zum Gelände zu ermöglichen.
2017 führte der Verein ein Auswahlverfahren mit vier Arbeitsgemeinschaften aus dem Bereich Grafikdesign und Landschaftsarchitektur durch.[19] Das Auswahlgremium entschied sich einstimmig für das Team Martina Jung/Christoph Ermisch/Volkmar Kerck aus Hannover. Sein Entwurf ging mit dem historischen Gelände und den noch vorhandenen Spuren behutsam um. Die Informationsinseln sollen sich, verbunden durch gemähte Wege, wie ein Netz über den Hang verteilen. Ein eindeutiger Rundweg wurde nicht vorgegeben. Über die Fundamentreste der ehemaligen Ehrentribüne sollte ein schmaler Metallsteg führen und einen weiten Blick über das Gelände bieten. Um die Fundamentreste sichtbar zu machen, sollten das Buschwerk entfernt und die Bäume »aufgeastet« werden. Der Blick in die östliche Ebene, in der während der »Feste« Versorgungseinrichtungen und Zeltlager aufgestellt waren, sollte durch eine Aussichtsplattform und eine Sichtschneise ermöglicht werden. Sowohl der Bereich der oberen Tribüne und der untere Zugang waren behindertengerecht zu gestalten. Der Hang selbst war wegen seines bis zu 13 Prozent starken Gefälles dafür ungeeignet. Für den Standort der Rednertribüne unten in der Ebene schlugen die Verfasser einen großen Schriftzug »Propaganda« vor.
Noch während der Konzeptionsphase stellten niedersächsische Stiftungen Fördermittel für den Ausbau des Ortes zu einem Dokumentations- und Lernort in Aussicht. Nach einer Vorstellung des Entwurfs in den örtlichen Medien begann unter der Zeitungsüberschrift »Viel zu dick aufgetragen und zu teuer«[20] im November 2017 eine regelrechte Kampagne gegen den Entwurf. Mit Hilfe zahlloser Leserbriefe[21] gelang es, große Teile der heimischen Öffentlichkeit glauben zu machen, das Projekt sei »maßlos«, der Berg werde »besudelt« und es sei unglaublich teuer. Der Verfasser wolle sich hier ein Denkmal setzen. Es habe sich in Wirklichkeit um ein »unschuldiges Fest« in den Friedensjahren des Regimes gehandelt. Es werde zu Unrecht schlecht geredet, der Kriegsvorbereitung gedient zu haben. Mehr als sieben Jahrzehnte seien seit Kriegsende vergangen; nun sei Zeit für einen Schlussstrich. Der Bückeberg dürfe nicht zum Wallfahrtsort für Neonazis werden. Maximal zwei Hinweistafeln oben und unten müssten genügen; das Gelände selbst dürfe aber nicht betreten werden. Die Befürworter des Projektes wurden beschimpft und bedroht, auch antisemitische Töne[22] wurden laut.
Auf besonders heftige Kritik stieß bei vielen Einwohnern von Emmerthal der Schriftzug »Propaganda«. Der gesamte Ort werde damit »gebrandmarkt«.[23] Da diese Kritik nachvollziehbar war, wurde der Vorschlag fallen gelassen, zumal auch die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten den Begriff ablehnte, weil er die aktive Beteiligung der Besucher unterschlage. Die Kritik ging jedoch ungebrochen weiter. Eine Unterschriftensammlung war erfolgreich; eine Einwohnerbefragung wurde gefordert, kam aber nicht zustande.
Neben der AfD und den Freien Wählern machten sich in der Gemeinde Emmerthal und auf Landkreisebene auch Teile der örtlichen CDU zum Sprachrohr des Protestes.[24] Trotz mehrerer vom Landrat Bartels und dem Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte initiierter Informations- und Diskussionsveranstaltungen in Emmerthal und Hameln (»Bückeberg-Dialog«) nahm der Widerstand im Lauf des Jahres 2018 an Schärfe zu und kam auch in den Folgejahren nicht zur Ruhe.[25] Um die Gemüter zu besänftigen und die auf Distanz gegangene CDU wieder einzubinden, entschied sich der Landrat zu Gesprächen.[26] Zentraler Punkt des Kompromisses, der schließlich gefunden wurde, war der Schutz der Anwohner des Berges vor dem angeblich zu erwartenden Besucheransturm.
In Folge dieser Entscheidung sollen Besucherinnen und Besucher eine Anfahrt von Süden nutzen und das Areal nun von oben betreten. Für das topographische Informationssystem, das den Zugang von unten vorgesehen und die grundlegenden Themeninseln zu »Propaganda«, »Führerkult« und »Die Teilnehmenden« im unteren Drittel platziert hat, bedeutete die Umkehrung der Begehungsrichtung einen nicht unerheblichen Eingriff. Analog zu den historischen Festteilnehmerinnen und -teilnehmern den Hang von unten zu erklimmen und sich mit zunehmend weiterem Blick ins Wesertal zu belohnen, war ein wesentlicher Teil des Konzepts. Nun vermittelt der Ausblick von oben den Ankommenden den ersten Eindruck. Zu hoffen ist, dass diese es nicht dabei belassen und sich tatsächlich auf dem Gelände bewegen, um es aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen und auch die weiter unten platzierten Informationsinseln aufzusuchen. Der Zugang von unten ist weiterhin für Radfahrer, Fußgänger und für Schulklassen vorgesehen, die hier mit dem Bus abgesetzt und oben wieder abgeholt werden.
War die Zustimmung zu den Bückeberg-Planungen und zur Gründung einer »Bückeberg gGmbH« in der hochemotional verlaufenden Kreistagssitzung vom 13. März 2018 noch gegen die Stimmen von AfD und CDU erfolgt[27], fand der Kompromiss in der Kreistagssitzung vom 17. Dezember 2018 schließlich die Zustimmung der großen Mehrheit der Abgeordneten.
Ende 2018 gründeten der Landkreis Hameln-Pyrmont und der Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln die Dokumentations- und Lernort Bückeberg gGmbH. Sie soll die Realisierung der Ausstellung am Bückeberg organisatorisch betreuen, wissenschaftlich begleiten und die politische Bildungsarbeit zum Thema vertiefen. Zum Geschäftsführer der gGmbH wurde der Historiker und Politologe Alexander Remmel berufen, der sein Amt zum 1. Januar 2019 antrat.[28]
Die Konkretisierung der Planungen, die Akquise von Fördermitteln und die baurechtlichen Genehmigungen dauerten anderthalb Jahre. Im Spätsommer 2020 lagen endlich alle erforderlichen Zuwendungsbescheide und Bewilligungen vor, so dass Ende 2020 mit der baulichen Umsetzung begonnen werden konnte. Trotz des sich daraus ergebenen knappen Zeitplans wurde der Bau fristgerecht im Herbst 2021 abgeschlossen.
Um die Wege von Insel zu Insel auf dem ansteigenden Gelände nicht zu lang bzw. zu anstrengend werden zu lassen und um dem vorgeschlagenen Weg eine größere Verbindlichkeit zu geben, wurde das »Netz« aus Inseln gestrafft. Mit Rücksicht auf die Bedenken der Anwohner wurden die Inseln auf die östliche Geländehälfte konzentriert. Der Ort der Rednertribüne ist statt mit einem Schriftzug nun durch eine Bepflanzung kenntlich gemacht. Die bauliche Umsetzung wurde durch das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege (NLD) begleitet. Dies öffnete interessante Einblicke in den »Bau« des Geländes und seine aufwendige unterirdische Infrastruktur. Nicht wenige Fragen warten allerdings noch auf eine archäologische Aufarbeitung.
Parallel lief, koordiniert vom Verfasser, die Arbeit an der Text- und Bildredaktion weiter. Über zwei Jahre hin waren daran mehrere Lehrerinnen und Lehrer, die Arbeitsgemeinschaft Prof. Stefanie Endlich/Monica Geyler-von Bernus, beide Berlin, sowie eine freie Texterin beteiligt. Zwei Schulklassen testeten die Entwürfe auf Verständlichkeit. Die Endredaktion lag bei einem Team aus Dr. Rolf Keller (Stiftung niedersächsische Gedenkstätten), Dr. Mario Keller-Holte, Alexander Remmel und dem Verfasser, das noch einmal jede Formulierung und jedes Bild »umgedreht« hat.
Die Gestaltung der Informationstafeln wurde nach einer Ausschreibung dem Weidner Händle Atelier aus Stuttgart übertragen, das viel Erfahrung mit der grafischen Gestaltung von Open-Air-Ausstellungen und im Umgang mit schwierigen Orten hat.[29]
Wie schon oben ausgeführt, wurde die Veranstaltung am Bückeberg bewusst darauf hin inszeniert, dass hier Bilder entstehen konnten, welche den unerhörten Jubel der Massen und ihre Verehrung für den »Führer« zeigen. Viele der Fotos vom Bückeberg, die damals in den Medien verbreitet wurden, stammen vom Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann. Seine Fotos haben keinen dokumentarischen Charakter; sie zeigen vielmehr eine inszenierte Wirklichkeit, das Ergebnis und den Erfolg der Propaganda. Das Regime war mittels der Massenfeste in der Lage, Zustimmung und Enthusiasmus nach Bedarf zu erzeugen. So ist das Bild der um Hitler versammelten »Volksgemeinschaft« ein Trugbild. Die Propaganda war damals nur durch die gleichzeitige Repression – die Ausschaltung alternativer Informationsquellen – erfolgreich. Wenn es darum geht, den Rückhalt Hitlers in der Bevölkerung zu illustrieren, werden Hoffmanns Propaganda-Bilder vom Bückeberg bis heute – zumeist unkommentiert – verwendet. Dadurch wirkt die Inszenierung fatalerweise fort. Um den propagandistischen Charakter der Bilder anschaulich zu machen, werden auf fünf über die Ausstellung verteilten Tafeln einzelne Bilder exemplarisch analysiert. Die Tafeln sind auch grafisch bewusst auffällig gestaltet. Hitlerbilder werden nicht vermieden, aber vergleichsweise klein und im unteren Bereich der Tafeln abgebildet. Die Rückseite bzw. das Gewaltförmige des »Festes« wird innerhalb der Ausstellung mehrfach thematisiert.
Neben den Fotos von professionellen Fotografen werden auch einzelne Beispiele der zahlreich überlieferten Amateuraufnahmen gezeigt, die zwangsläufig daran scheitern, die Dimensionen des »Festes« und seinen Propagandacharakter zu erfassen.
Die Ausstellung wurde am 24. November 2021 der Presse vorgestellt. Die offizielle Einweihung des Dokumentations- und Lernortes soll im Sommer 2022 folgen. Das frei zugängliche Gelände wird aber bereits jetzt gut von Besuchern angenommen. Der Berg ist auch unter touristischen Gesichtspunkten ein Anziehungspunkt und ein Zugewinn für das Weserbergland.
Am Bückeberg wird nicht der Opfer des Regimes gedacht wie in den Gedenkstätten. In der Erinnerung der Menschen vor Ort hat er als Stätte eines großen »Festes« fortgelebt, das im Zentrum der Aufmerksamkeit ganz Deutschlands stand. Die wissenschaftliche Forschung hatte ihn lange Zeit fast ausnahmslos ignoriert.
Ist es nicht gefährlich, die Bilder vom Jubel der Massen und Fotos des angebeteten Hitler zu zeigen? Der Bückeberg ist nicht etwa wie die Wewelsburg von KZ-Insassen für Himmlers SS-Elite gebaut worden, sondern von mehr oder minder froh singenden Reichsarbeitsdienst-Männern. Er hat keine größenwahnsinnigen steinernen Überreste hinterlassen wie Nürnberg, sondern eine anmutige Landschaft. Er hat nicht zu fanatischen Nazis ausgebildet wie die Ordensburg Vogelsang, sondern fröhliche Mitglieder der »Volksgemeinschaft« zu einem Gemeinschaftserlebnis versammelt, von dem diese noch lange zehrten. Der Bückeberg ist ein reiner Propagandaort.
Ähnlich wie die Berliner Waldbühne oder die Thingstätte Heidelberg gibt sich der Bückeberg gar nicht als NS-Ort zu erkennen. Das »Gewaltförmige« des »Festes« ist angesichts des grünen Hanges nicht leicht zu vermitteln. Aber dafür gibt es am Bückeberg die Chance, zu zeigen, auf welch leisen Füßen der Nationalsozialismus sich in die Köpfe der Menschen zu schleichen versuchte, um am Ende alle Lebensbereiche ideologisch zu durchdringen.
Lange fand sich im Bundesland Niedersachsen keine Institution, die sich für einen derartigen Ort zuständig fühlte. Politik und Denkmalpflege haben sich angesichts des Widerstands aus der Gemeinde Emmerthal zehn Jahre lang gescheut, den überfälligen Denkmalschutz zu »verhängen« und einen angemessenen Umgang mit dem historischen Geschehen einzufordern.
Sowohl Intensität wie Motivation des Widerstands zahlreicher Emmerthaler Bürgerinnen und Bürger sind auch für den Verfasser schwer nachvollziehbar.
Damalige Besucher des »Reichserntedankfestes« haben an der großen Militärschau am Bückeberg zu allermeist keinen Anstoß genommen. Das mag aus der Zeit heraus verständlich sein. Ist es aber zu viel verlangt, aus heutiger Sicht darin die Absicht der Machthaber zu erkennen, die Gesellschaft zu militarisieren und von der Vorstellung Abstand zu nehmen, es habe sich um ein »unschuldiges Fest« gehandelt? Eine Erklärung für die »Wagenburg-Mentalität« bzw. das Beharren der Kritiker versucht Jens-Christian Wagner, der als Leiter der niedersächsischen Gedenkstättenstiftung an der Einrichtung des Bückebergs beteiligt war und bekennt, »in der ganzen Zeit meiner Arbeit für Gedenkstätten noch nie so eine aggressive Anti-Stimmung erlebt« zu haben: »Ich glaube, wenn es am Bückeberg ein KZ gegeben hätte und man hätte dort eine Gedenkstätte für das KZ eingerichtet, hätte es weniger Protest gegeben. Und zwar genau aus dem Grund, dass da die Täterschaft externalisiert werden kann auf die böse SS, die angeblich mit den normalen Menschen nichts zu tun hatte.«
Wagner verlangt, die Frage zu stellen, warum es überhaupt zu diesen Verbrechen kam. »Denn wenn man sich diese Frage stellt, muss man sich mit der deutschen Gesellschaft auseinandersetzen. Und genau das wird am Bückeberg getan, wo die Massen ihrem Führer freudetaumelnd zugejubelt haben.«[30]
»Nur der integrale Blick auf die Gesamtheit der NS-Verbrechen und auf die Mitmachbereitschaft in der Bevölkerung lassen eine wirklich tiefgreifende, kritische Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen zu. … Das ist zukunftsfeste, handlungsorientierte Gedenkstättenarbeit, die alles in den Blick nimmt: die Täter, ihre Opfer und die Gesellschaft, die die Verbrechen möglich machte.[31]
Es ist in keiner Weise die Intention des Dokumentations- und Lernortes, die Menschen vor Ort an den Pranger zu stellen, zumal die damaligen Besucherinnen und Besucher nur zu einem kleinen Teil aus der Umgebung kamen und die Entscheidung für die Wahl des Bückebergs in Berlin fiel.
Offenbar ist es mit größerem räumlichen Abstand zum Weserbergland leichter, die Bedeutung des Ortes und des geplanten Dokumentations- und Lernortes zu würdigen. Zeitgleich mit dem Beginn der Bauphase am Bückeberg erfolgte am 14. Januar 2021 die Bekanntgabe des Ergebnisses des bundesweiten Wettbewerbs zum Thema »Gebaute Orte für Demokratie und Teilhabe« der Wüstenrot Stiftung.[32] Aus 455 Projekten aus ganz Deutschland prämierte eine unabhängige Jury »herausragende Beispiele, die demokratische Werte stärken und die Teilhabe unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen durch gebaute Orte unterstützen«.
Zu den drei ersten ausgezeichneten Projekten gehörte der Dokumentations- und Lernort Bückeberg. In der Begründung der Jury heißt es u.a.: »Sie (= die »Reichserntedankfeste«) dienten vor allem dazu, medial verwertbare Bilder einer Volksgemeinschaft zu erzeugen und die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft zu zelebrieren. Am historischen Ort werden nun Fiktion, Inszenierung und mediale Verbreitung als populistische, manipulierende Stilmittel entlarvt und ihre suggestive Verführungskraft nachvollziehbar. Die punktuellen Interventionen der Dokumentationsstätte erhalten die Sichtbarkeit der damaligen Eingriffe in das Gelände und sensibilisieren dafür, wie mit solchen Inszenierungen die Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft für eine Spaltung der Gesellschaft missbraucht werden konnte.«
Bernhard Gelderblom, bis 2006 als Lehrer für evangelische Religion, Geschichte und Politik am Albert-Einstein-Gymnasium in Hameln tätig, hat sich intensiv mit der jüdischen und der NS-Geschichte der Region beschäftigt. Seine Bemühungen für die Errichtung des Dokumentations- und Lernorts Bückeberg haben über zwei Jahrzehnte in Anspruch genommen.
Anette Blaschke, Die Reichserntedankfeste vor Ort. Auf der »Hinterbühne« einer nationalsozialistischen Massenbühne, in: Dietmar von Reeken/Malte Thießen (Hrsg.), »Volksgemeinschaft« als soziale Praxis, Paderborn/München/Wien/Zürich 2013, S. 125–141
Bernhard Gelderblom, Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg 1933–1937, Hameln 1998
Ders., Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg 1933–1937. Ein Volk dankt seinem Verführer, in: Veröffentlichungen des Braunschweigischen Landesmuseums Nr. 102, Braunschweig 2002, S. 19-61
Ders., Das Reichserntedankfest als emotional hoch aufgeladenes Event, in: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln. Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.), Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 36, Hameln 2010, S. 20-29
Ders., Das »Reichserntedankfest« auf dem Bückeberg bei Hameln 1933–1937, in: Gedenkstättenrundbrief (Hrsg.: Stiftung Topographie des Terrors, Berlin) Nr. 172, 2013, S. 42–51
Ders., Die NS-Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg 1933–1937. Aufmarsch der Volksgemeinschaft und Massenpropaganda, unter Mitarbeit von Mario Keller-Holte, Holzminden 2018
Juliane Hummel und Rolf Keller, Der Bückeberg bei Hameln – Ein langer Weg zum Kulturdenkmal und Informations- und Lernort, in: Gedenkstättenrundbrief (Hrsg.: Stiftung Topographie des Terrors, Berlin) Nr. 174, 2014, S. 26–31
Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.), Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln. Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung, Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 36, Hameln 2010
Dietmar von Reeken, Der Bückeberg und das Reichserntedankfest, in: Henning Steinführer, Gerd Steinwascher (Hrsg.), Geschichte und Erinnerung in Niedersachsen und Bremen. 75 Erinnerungsorte, Göttingen 2021, S. 401–406
Bernd Sösemann, Appell unter der Erntekrone. Das Reichserntedankfest in der nationalsozialistischen Diktatur, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 2000, S. 12–17
Stefan Winghart, Das Gelände des Reichserntedankfestes, in: NS-Großanlagen. Dokumentation des Expertentreffens zur künftigen Entwicklung und Vernetzung, Initiativkreis Nachdenken über NS-Großanlagen, Potsdam o.J. (2013), S. 46–53
[1] In einer Presseanweisung von 1937 wurde jede andere Bezeichnung des Weges untersagt. NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit. Edition und Dokumentation, hrsg. von Hans Bohrmann, bearb. von Gabriele Toepser-Ziegert, Bd. 5,3, München 1998, PA V/III, S. 786
[2] Alfred Rosenberg, Gestaltung einer Idee, München 1936, S. 303
[3] Bernhard Gelderblom, Die NS-Reichserntedankfeste, S. 64–66
[4] Niedersächsisches Landesarchiv Hannover, Hann 310, Nr. 196/2
[5] 1934 erschien u.a. der großformatige Bildband »Nürnberg und Bückeberg 1933«. Der erste Reichsparteitag des geeinten deutschen Volkes. Der große Erntedanktag auf dem Bückeberg bei Hameln, Dresden 1934.
[6] So Hamelner Ernste Bibelforscher (= Zeugen Jehovas)
[7] Deister- und Weserzeitung, Hameln (= Dewezet), vom 7. Oktober 1935
[8] Die Bauarbeiten zeigt ein Film des Bauleiters Brüning aus dem Jahre 1935, der im Archiv der Gemeinde Emmerthal
[9] Albert Speer, Die bauliche Ausgestaltung von Großkundgebungen, in: Unser Wille und Weg. Monatsblätter der Reichspropagandaleitung der NSDAP 11, 1933, S. 299–302
[10] Jens Christian Wagner, Lernort zur Funktionsweise der NS-Diktatur: Der geplante Dokumentationsort zu den »Reichserntedankfesten« am Bückeberg bei Hameln, in: Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Jahresbericht 2018, S. 122f
[11] Bernhard Gelderblom, Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg 1933–1937, Hameln 1998; ders., Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg 1933–1937. Ein Volk dankt seinem Verführer, in: Veröffentlichungen des Braunschweigischen Landesmuseums Nr. 102, Braunschweig 2002, S. 19–61; ders., Das Reichserntedankfest als emotional hoch aufgeladenes Event, in: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln. Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.), Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 36, Hameln 2010, S. 20–29; ders., Das »Reichserntedankfest« auf dem Bückeberg bei Hameln 1933 – 1937, in: Gedenkstättenrundbrief 172, 2013, S. 42–51; ders., Die NS-Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg 1933–1937. Aufmarsch der Volksgemeinschaft und Massenpropaganda, unter Mitarbeit von Mario Keller-Holte, Holzminden 2018
[12] Insgesamt wurde die Ausstellung im Zeitraum 1999 bis 2018 an dreizehn Orten gezeigt.
[13] Dewezet vom 12. 6. 2002
[14] Nach Stefan Winghart, damaliger Leiter des niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, geschah dies »doch eher in der Absicht einer bewussten Auslöschung der historischen Stätte«. Stefan Winghart, Das Gelände des Reichserntedankfestes, in: NS-Großanlagen. Dokumentation des Expertentreffens zur künftigen Entwicklung und Vernetzung, Initiativkreis Nachdenken über NS-Großanlagen, Potsdam o.J. (2013), S. 46–53, hier S. 48
[15] Schreiben an den Emmerthaler Bürgermeister Grossmann vom 17. 11. 2010; vgl. Dewezet vom 10. 3. 2011
[16] Rolf Keller und Juliane Humme, Der Bückeberg bei Hameln – Ein langer Weg zum Kulturdenkmal und Informations- und Lernort, in: Gedenkstättenrundbrief 174, 2014, S. 26–31, hier S. 26f
[17] Dr. Mario Keller-Holte (Hameln) und Anett Schweitzer (Hannover)
[18] Die Website »Dokumentation Bückeberg« ging 2018 online: www.dokumentation-bueckeberg.de/index.php
[19] www.dokumentation-bueckeberg.de/de/projekt/auswahlverfahren.html
[20] Dewezet vom 27. 11. 2017
[21] Die Bachelorarbeit von Liam Harrold, Historisches Erzählen am Beispiel der Debatte um die Schaffung des Lern- und Dokumentationsortes am Ort der Reichserntedankfeste am Bückeberg, Leibniz Universität Hannover 2021, befasst sich exemplarisch mit den Leserbriefen. Vgl. ders., Der Umgang mit der NS-Vergangenheit zwischen Kritik und Tradition. Historische Sinnbildung in Leser*innenbriefen zum Dokumentationsort der Reichserntedankfeste am Bückeberg, in: Demokratie-Dialog 9, 2021, S. 13–17
[22] Der Verfasser sei Jude; durch den Bau des Dokumentationszentrums wolle er sich an den Emmerthalern für die Verfolgung seines Volkes rächen.
[23] Der Hamelner Hörfunksender RadioAktiv am 11. 12. 2017 und Dewezet vom 30. 11. 2017
[24] Andreas Speit, Der Blick zurück ist unerwünscht, in: taz vom 26. 2. 2018; zum Zusammengehen von AfD und CDU vgl. Dewezet vom 16. 3. 2020. Ein AfD-Kreistagsabgeordneter argumentierte, »dass da einer kam und als Hoffnungsträger gefeiert wurde. Und die Folgen seien damals eben nicht abzusehen gewesen.« Dewezet vom 14. 3. 2018.
[25] Unter dem Titel »Ein unbequemes Denkmal« hat die Dewezet ein Dossier mit eigenen Berichten zu den Auseinandersetzungen seit 2009 zusammengestellt: www.dewezet.de/region/themendossiers/gedenkstaette-bueckeberg.html
Vgl. zum Konflikt auch Jens Christian Wagner, Lernort zur Funktionsweise der NS-Diktatur: Der geplante Dokumentationsort zu den »Reichserntedankfesten« am Bückeberg bei Hameln, in: Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Jahresbericht 2018, S. 122f, und Rolf Keller, Auseinandersetzungen um den Bückeberg, ebenda, S. 113
[26] Dewezet vom 21. 12. 2018
[27] Die Zustimmung erfolgte unter der Bedingung, dass sich auch der Bund an den Mitteln für die Realisierung des Informationssystems beteilige. Auf Antrag des Landkreises bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestages im Juni 2018 725 000 € aus Bundesmitteln für zusätzliche Infrastrukturmaßnahmen als Ergänzung des Informationssystems am Berg.
[28] Der Verfasser ist als Vorsitzender des Beirats der Bückeberg-gGmbH in die weitere Arbeit eingebunden.
[29] U.a. Außenraum des Lern- und Gedenkortes Kaßberg-Gefängnis Chemnitz, Ausstellung der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße, Außengelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen und Historische Kommentierung des Olympiageländes Berlin
[30] Interview mit dem evangelischen Pressedienst www.migazin.de/2022/01/21/interview-historiker-wagner-art-aufarbeitung
[31] Jens Christian Wagner, Lernort zur Funktionsweise der NS-Diktatur: Der geplante Dokumentationsort zu den »Reichserntedankfesten« am Bückeberg bei Hameln, in: Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Jahresbericht 2018, S. 122f
[32] https://wuestenrot-stiftung.de/gebaute-orte-fuer-demokratie-und-teilhabe