Bildungsarbeit von NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten in NRW zum Thema Rechtsextremismus

ERGEBNISSE EINER EMPIRISCHEN STUDIE DES FORSCHUNGSSCHWERPUNKTES RECHTSEXTREMISMUS/NEONAZISMUS DER HOCHSCHULE DÜSSELDORF
03/2024Gedenkstättenrundbrief 213, S. 13-24
Eva-Maria Krane

Zur Studie

Welche Bedeutung hat das Thema Rechtsextremismus für die (pädagogische) Arbeit an NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten? Welche Bildungsangebote, die auch aktuelle rechtsextreme Ideologien und Erscheinungsformen thematisieren, gibt es an den jeweiligen Orten? Was sind Herausforderungen und Schwierigkeiten einer Bildungsarbeit zum Thema Rechtsextremismus, die in Erinnerungsstätten durchgeführt wird, und welche Fachaustausch- und Fortbildungsbedarfe gibt es für diese Arbeit?

In einem von der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus und Rassismus geförderten Projekt[1] hat der Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA) der Hochschule Düsseldorf Informationen darüber erhoben und ausgewertet, die Auskunft geben können über Umfang und Weisen einer Bildungspraxis von NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten in NRW in ihrem Umgang mit dem Thema rechtsextreme Ideologien und Erscheinungsformen. Ziel des Projektes war es, eine bestehende Leerstelle zu bearbeiten: durch eine systematische Datenerfassung fragte die Studie nach den konkreten Dimensionen einer gegenwartsbezogenen Bildungsarbeit zum Thema Rechtsextremismus in Erinnerungsstätten.

Die Erhebung erfolgte zwischen Ende Oktober und Ende November 2022 in Form einer fragebogenbasierten Umfrage sowie zusätzlichen Expert*innen-Interviews. 17 Erinnerungsstätten[2] aus NRW beteiligten sich an der Fragebogen-Umfrage, kontaktiert als Mitgliedseinrichtungen des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V. Leitfadengestützte Expert*innen-Interviews wurden mit Mitarbeitenden von sechs ausgewählten[3] Erinnerungsstätten durchgeführt.

Die in diesem Beitrag dargestellten Ergebnisse der empirischen Studie bieten einen grundlegenden Einblick in das gedenkstättenpädagogische Handlungsfeld der Bildungsarbeit zum Thema Rechtsextremismus und zeigen dabei plurale (Be)Deutungen, Umgangsweisen und Spannungsfelder auf.

 

Ergebnisse der fragebogenbasierten Erhebung

An der Fragebogenerhebung beteiligten sich 17 Erinnerungsstätten aus NRW, darunter Institutionen aus allen fünf Regierungsbezirken, kleinere, ehrenamtlich getragene Einrichtungen als auch solche mit einem großen hauptamtlichen Mitarbeitenden-Team sowie Gedenkstätten, Täterorte und Einrichtungen, die jüdische Geschichte, Religion und Traditionen vermitteln. Die Ergebnisse[4] der fragebogenbasierten Erhebung, welche die Angaben und Einschätzungen der beteiligten Einrichtungen aufzeigen, werden an dieser Stelle visualisiert sowie in zusammenfassenden Themenschwerpunkten dargestellt, der Reihenfolge der (offenen bzw. geschlossenen) Fragestellungen des Fragebogens folgend:

 

Thematisierung

 

 

Abb. 1: »In der Bildungspraxis der Erinnerungsstätte thematisieren wir aktuelle rechtsextreme Ideologien und Erscheinungsformen…«

 

 

Relevanz

 

Abb. 2: »Die Relevanz des Themas Rechtsextremismus als ein Vermittlungsgegenstand in der Bildungsarbeit der Erinnerungsstätte…«

 

Fragen und Bezugnahmen

 

Abb. 3: »Fragen und Bezugnahmen von Besucher*innen/Teilnehmenden zu aktuellen rechtsextremistischen Erscheinungsformen begegnen uns in der Bildungspraxis an der Erinnerungsstätte…«

 

Bedarf

 

Abb. 4: »In der Bildungspraxis der Erinnerungsstätte zeigt sich der Bedarf, Bildungsformate zu aktuellen rechtsextremen Ideologien und Erscheinungsformen anzubieten…«

 

 

Bildungsauftrag

 

Abb. 5: »Die Wissensvermittlung zu gegenwärtigen rechtsextremen Ideologien und Erscheinungsformen ist ein Bildungsauftrag der Erinnerungsstätte.«

 

 

Anfragen

 

Abb. 6: »An der Erinnerungsstätte erhalten wir Anfragen für Bildungsangebote, die das Thema Rechtsextremismus bearbeiten…«

 

 

Bedeutung

Die Bedeutung des Themas Rechtsextremismus für die (pädagogische) Arbeit an der Erinnerungsstätte wird wie folgt thematisiert:

  • Als expliziter Vermittlungsgegenstand in (standardisierten) Bildungsformaten wie Workshops und Führungen
  • Als impliziter inhaltlicher Anknüpfungspunkt bei Gegenwartsbezügen und Transferfragen in der Bildungspraxis sowie bei Bildungsformaten zum Thema Antisemitismus, Rassismus, Demokratiebildung
  • Als Thema in (offenen) Bildungsangeboten wie Sonderausstellungen und Veranstaltungsreihen und in Kooperation mit anderen Institutionen/Akteur*innen
  • Durch Anfragen von Schulen und staatlichen Behörden bei bspw. rechtsextremen Vorfällen/Äußerungen
  • Durch Einrichtungsstruktur bzgl. Arbeitsschwerpunkten und Expertisen
  • Durch Handlungsstrategien zum Umgang mit extrem rechten Besucher*innen
  • Für die Zielperspektive pädagogischer Arbeit

 

 

Dauerausstellung

Abb. 7: »In der Dauerausstellung der Erinnerungsstätte wird Bezug zu aktuellen rechtsextremen Ideologien und Erscheinungsformen genommen.«

 

 

Bildungsformate

 

Abb. 8: »Die Erinnerungsstätte bietet spezifische Bildungsformate (bspw. Workshops, Führungen oder Vorträge) an, die aktuelle rechtsextreme Ideologien und Erscheinungsformen thematisieren.«

 

 

Kooperation

 

Abb. 9: »Die Erinnerungsstätte kooperiert für die (pädagogische) Arbeit mit zivilgesellschaftlichen, institutionellen und/oder staatlichen Akteur*innen, die zu aktuellen rechtsextremistischen Erscheinungsformen arbeiten.«

 

 

Herausforderungen und Schwierigkeiten

Folgende Herausforderungen und Schwierigkeiten charakterisieren eine Bildungsarbeit zum Thema Rechtsextremismus, die in NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten durchgeführt wird:

  • (Un)Vergleichbarkeit, Spezifika und Kontinuitäten der Geschichte und Gegenwart; Umgang mit Gleichsetzungen, Verkürzungen und Relativierungen
  • Abnehmendes Wissen bei Teilnehmenden über historische Ereignisse
  • Es braucht konkrete Expertise, interdisziplinäre Ansätze und themenspezifische Profilierung
  • Inhaltliche Unschärfe und Überfrachtung der (staatlichen) Ansprüche und Aufträge an NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte
  • Mangel an nachhaltiger/kontinuierlicher Finanzierung; fehlende Personalressourcen
  • Narrativ der »Immunisierung/Heilung« durch »Lernen aus der Geschichte«
  • Notwendige beständige Befassung mit (möglichen Bezugnahmen und Fragestellungen von Teilnehmenden zu) sich schnell wandelnden rechtsextremen Erscheinungsformen
  • Problematische Implikationen der (in staatlichen Behörden/politisch verwendeten) Extremismustheorie und des »Hufeisenmodells«
  • Umgang mit rechtsextremen Materialien bzw. Verwendung nicht-reproduzierender Materialien in der Bildungspraxis
  • Verortung von Rassismus und Antisemitismus (nur) in der NS-Geschichte

 

Fortbildungsangebote

 

Abb. 10: »Für in NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten (wissenschaftlich-pädagogisch) Tätige werden Fortbildungsangebote zu aktuellen rechtsextremistischen Erscheinungsformen benötigt.«

 

 

Fachaustausch

 

Abb. 11: »Das Team der Erinnerungsstätte hat Bedarf an einem spezifischen Fachaustausch zu Ansätzen und Dimensionen einer Bildungsarbeit in NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten, welche die Themen Nationalsozialismus und Rechtsextremismus verknüpft.«

 

 

Ergebnisse der interviewbasierten Erhebung

Im Rahmen des Projektes wurden für eine inhaltliche Verdichtung leitfadengestützte Expert*innen-Interviews[5] mit insgesamt sechs Mitarbeitenden von sechs verschiedenen Erinnerungsstätten in NRW durchgeführt. Als Expert*innen beteiligten sich sowohl Leitungen der Erinnerungsstätten, wissenschaftlich-pädagogische Mitarbeitende sowie in Projekten (politisch-bildnerisch) Tätige. Auf Grundlage der Ergebnisse der sechs Expert*innen-Interviews, die im Folgenden anhand von fünf zusammenfassenden Themenschwerpunkten skizziert werden, lassen sich die vielfachen (Be)Deutungen und Implikationen des Themas Rechtsextremismus für die gedenkstättenpädagogische Arbeit konkretisieren.

 

Aufträge und Erwartungen

Es zeigt sich, dass NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte mit pluralen Aufträgen und Erwartungen zum Themenkomplex Rechtsextremismus konfrontiert sind, die u.a. seitens der Politik oder von staatlichen Behörden wie der Polizei und von Schulen an sie herangetragen werden – diese stehen oftmals im Zusammenhang mit dem vielfach rezipierten Narrativ, dass Gedenkstättenbesuche gegen antidemokratische Einstellungen »imprägnieren« (I1: 9), rechtsextremistische Erscheinungsformen »geheilt« (I6: 7) werden könnten und »dass man […] nur die Lehren aus Auschwitz ziehen müsse und dem NS-Staat, um gegen […] heutige Missstände und Ungleichwertigkeitsvorstellungen immun zu machen« (I2: 4). In diesem Zusammenhang wird die Konjunktur – der »eingeübt[e] Reflex« (I2: 4) – verdeutlicht, dass Erinnerungsstätten nach bspw. rechten Anschlägen oder rassistischen Äußerungen in Chatgruppen von Polizist*innen oder in Schulklassen verstärkt Anfragen für Gedenkstättenbesuche und entsprechende programmatische Aufträge erhalten.

Im Unterschied zu diesen Konjunkturen bzgl. der Anfragen und Aufträge zum Thema Rechtsextremismus ist laut den Befragten die inhaltliche Bedeutung für die (pädagogische) Arbeit der Erinnerungsstätten kontinuierlich gegeben, was im Wesentlichen mit Kontinuitäten rechter Gewalt, notwendigen Handlungsstrategien zum Umgang mit extrem rechten Besucher*innen an den Orten sowie der grundsätzlichen Relevanz von Gegenwartsbezügen in der historisch-politischen Bildungsarbeit zum Thema NS verbunden ist. Die Relevanz einer gegenwartsbezogenen Vermittlungsarbeit wird u.a. vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Interesses an und des Bedarfes zur Einordnung von aktuellen Geschehnissen sowie der notwendigen Dekonstruktion von (vergleichenden) Bezugnahmen zum NS im gesellschaftlichen Diskurs gesehen. Mit Blick auf die Bearbeitung aktueller Themen wird entsprechend herausgestellt, dass »es […] im Sinne der Gedenkstätten […] wichtig und zielführend […] [ist], das zu tun, damit wir weiter relevant bleiben« (I5: 5). Verwiesen wird auf die Bedeutung aktueller Bezüge und Fragestellungen in der Bildungspraxis in historisch-bildnerischer Perspektive: »Wenn es ganz viele rechtsextreme Vorfälle in der Zivilgesellschaft, in Behörden, in Vereinen […] gibt, merken wir das auch mittelbar […] anhand der Fragen, die an Vergangenheit […] gestellt werden« (I2: 1). Die inhaltliche Verknüpfung von historischen und gegenwärtigen Phänomenen wird auch insofern als relevant bewertet, da »aus der historischen Annäherung alleine sich nicht automatisch Antworten auf gegenwartsbezogene Fragen ergeben« (I3: 3) und Erinnerungsstätten »aufgefordert [sind], […] neue Fragen zu formulieren und deswegen […] es gut für alle Gedenkstätten [wäre] […], sich ganz speziell mit dem Thema Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auseinanderzusetzen« (I3: 3).

Besonders im Zusammenhang mit gegenwartsbezogenen Vermittlungsansätzen wird die Bildungsarbeit zum Thema rechtsextreme Ideologien und Erscheinungsformen mehrheitlich als ein grundsätzlicher Bildungsauftrag von NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten bewertet. Gleichzeitig wird mit Verweis auf die Diversität der Erinnerungsstätten sowie auf die ortsspezifischen Bezüge zu den NS-Verbrechen davor gewarnt, »politisch […] alle Gedenkstätten […] gleichzusetzen« (I2: 4) – vielmehr geht es um die Auseinandersetzung mit dem konkreten (historischen) Kontext des Ortes, um zu definieren, »welche Gedenkstätte […] aus ihrer Geschichte heraus genau welche Ansprüche an dieses Thema […] Bildungsarbeit gegen Rechtsextremismus […] entwickeln [sollte]« (I2: 5). Auch der Aspekt, dass viele Erinnerungsstätten zivilgesellschaftlich erkämpft wurden und dass dieses erinnerungskulturelle Engagement mit jeweils (seinerzeit) gegenwartsbezogenen Zielsetzungen verbunden war, wird hierbei thematisiert: »Wenn man sich […] anguckt, warum sich Leute wie und aus welchen Motiven hier engagiert haben […] hat das Thema Rechtsextremismus oder damals eben auch oft als Neofaschismus bezeichnet […] immer eine Rolle gespielt; und gerade aus diesem Impact heraus […] haben wir auch eine Verpflichtung uns dieses Themas anzunähern« (I3: 4).

 

Spezifika und (historischer) Kontext des Ortes

Anknüpfend an den ortsspezifischen (historischen) Kontext, welcher die einrichtungsbezogenen Vermittlungsaufgaben und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen – und somit auch die Form der Befassung, Annäherung und bildungspraktischen Ausgestaltung zum Thema Rechtsextremismus – definiert, wird von den Befragten auf die Implikationen der Verschiedenheit von Täterorten und Gedenkstätten und damit verbundenen, unterschiedlichen inhaltlichen Anknüpfungspunkten hingewiesen: Einerseits wird thematisiert, dass sich »Täterorte […] möglicherweise […] besser [anbieten,] bestimmte Thematiken gegen Rechtsextremismus […] anzusprechen […]; nämlich […] dass Täter Werden offensichtlich gar nicht so unvorstellbar ist wie viele Menschen erst mal annehmen« (I2: 5), andererseits, dass gerade an Gedenkstätten die thematische Verknüpfung zum Thema Rechtsextremismus ausgestaltet werden kann, da (historische) Betroffenenperspektiven anders aufgenommen werden können als an Täterorten, an denen sich die Perspektiven von verfolgten und ermordeten Menschen nur indirekt abbilden lassen. Deutlich wird, dass der jeweilige ortsspezifische Bezug zu den NS-Verbrechen eine entscheidende Rolle für die Ausgestaltung sämtlicher Bildungsarbeit spielt, der historische Kontext immer Bezugsrahmen und -raum der Bildungsangebote vor Ort und als solcher stets mitzudenken ist – »aber […] nicht bei jeder Veranstaltung, bei jedem Workshop, bei jeder Bildungseinheit im Mittelpunkt stehen [muss]« (I1: 5). Es zeigt sich, dass es eine durchaus offene Frage ist, für welche Bildungsangebote zum Thema aktueller Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus (welche) Erinnerungsstätten wegen ihres ortsspezifischen Kontextes mehr – oder eben weniger – geeignet sind. Auch gilt es zu diskutieren, ob »bestimmte Formate vielleicht an Gedenkstätten gar nicht durchführbar sind« (I3: 5).

Für die konkrete Ausgestaltung der (bspw. expliziten oder impliziten) Bildungspraxis zum Thema Rechtsextremismus spielt die Einrichtungsstruktur bzgl. der verschiedenen Arbeitsbereiche, fachlichen Mitarbeitenden und Expertisen vor Ort ebenfalls eine entscheidende Rolle. Durch eine Einrichtungsstruktur, welche die historische Vermittlungsarbeit mit der gegenwartsbezogenen Bildungs-, Beratungs- und Forschungsarbeit zu rechtsextremen Ideologien und Erscheinungsformen kombiniert, ergeben sich vielfältige Formen der (praktischen) Zusammenarbeit und Verschränkung. Dabei gilt es beständig zu verhandeln, wie historische und aktuelle Themen und Fragestellungen in Bezug zueinander gesetzt werden können und zusammenhängen.

Gerade mit Blick auf die Vermittlungsarbeit zu angrenzenden Thematiken wie Rassismus(kritik), Antisemitismus(kritik) und (Anti-)Diskriminierung wird von den Befragten auf die Relevanz der Kooperation und Vernetzung mit anderen, inhaltlich schwerpunktmäßig dazu arbeitenden Institutionen und Akteur*innen hingewiesen, die spezifische Perspektiven und Expertisen einbringen sowie entsprechende thematische Anfragen und Bedarfe fundiert und zielgerichtet bedienen und bearbeiten können. Anknüpfend daran wird auf eine notwendige Eingrenzung der Vermittlungsaufgaben und (inhaltlichen) Zuständigkeiten von NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten sowie auf Kompetenzgrenzen verwiesen und darauf, dass es wichtig ist, »eine klare Linie [nach ziehen durch] von was wir leisten können und was nicht« (I5: 6). Auch wenn die Einrichtungen mit pluralen Aufträgen und Erwartungen zum Thema Rechtsextremismus konfrontiert sind, vielfache (bildungspraktische) Anfragen und Bedarfe bedienen sowie »ein möglichst breites Portfolio« (I2: 6) an Bildungsformaten anbieten möchten, gilt es sich über (fehlende) Qualifikationen und Expertisen bewusst zu sein und sich thematisch entsprechend zu fokussieren.

 

Bildungspraxis und didaktisch-methodische Herangehensweisen

Die Bildungsarbeit der Erinnerungsstätten zum Thema rechtsextreme Ideologien und Erscheinungsformen variiert bzgl. der inhaltlichen Annäherung, Schwerpunktsetzung und den didaktisch-methodischen Herangehensweisen und umfasst sowohl Angebote der Jugend- als auch Erwachsenenbildung in Form von Erzählungen in Dauerausstellungen, bearbeiteten Fragestellungen in Workshops und Führungen sowie verhandelten Themen in Veranstaltungsprogrammen. Der Themenkomplex Rechtsextremismus wird insgesamt stärker in Bildungsformaten und Veranstaltungsprogrammen als in Dauerausstellungen behandelt. Die bildungspraktische Auseinandersetzung bezieht sich u.a. auf rechtsextreme Symbole und Musik(szenen), erinnerungspolitisches Handeln der extremen Rechten, rechtspopulistische Sprache und Diskurse. Sie erfolgt in Bezugnahme auf (historischen und gegenwärtigen) Antisemitismus und Rassismus – als Ideologeme des Rechtsextremismus –, über die Thematisierung von (Kontinuitäten) rechter Gewalt, Ein- und Ausschlussmechanismen und Ungleichwertigkeitsvorstellungen. Als weitere Anknüpfungspunkte in der Vermittlungspraxis werden Fragen nach Zivilcourage und Handlungsoptionen im eigenen Alltag zum Umgang mit rechtsextremen Erscheinungsformen beschrieben. Deutlich wird, dass sich die Ausrichtung der Bildungsangebote verändert hat, es aktuell weniger Wissensvermittlung zu bspw. rechtsextremen Symbolen gibt, lokalspezifische Expertisen verstärkt berücksichtigt werden und dass anstatt des Fokus auf »einen kleinen Rand« (I2: 7) und die »Fremdbeschau […] Neonazis« (I2: 7) der »Blick auch nach innen« (I2: 7) gerichtet werden soll, um Anschlussfähigkeiten von u.a. rassistischen und antisemitischen Einstellungen zu beleuchten sowie Selbstreflexionen bei den Teilnehmenden anzuregen. Dabei geht es sowohl um eigene Lebensweltbezüge sowie unterschiedliche Betroffenheiten und Erfahrungen, um Rassismus und Antisemitismus als gesellschaftliche Strukturprinzipien und somit Alltagsphänomene.

Bei der Ausgestaltung der Vermittlungsarbeit wird die den Lerngruppen zur Verfügung stehende Zeit als ein zentraler Faktor bewertet, ob und (in)wie(fern) der historische Gegenstand mit aktuellen Thematiken verknüpft werden kann. Hier geht es u.a. darum, durch Ortserkundungen »das Format […] in den historischen Kontext zu setzen« (I6: 6) und sich »den jeweiligen Phänomenen auch intensiv zu widmen« (I3: 8). Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Strategie, in Bildungsformaten entweder jeweils ein historisches oder ein gegenwartsbezogenes Thema zu bearbeiten: »Wir haben […] keine gute Erfahrung damit, dass wir sagen, ›so, jetzt gehen wir mal eine halbe Stunde in die Gedenkstätte und dann machen wir jetzt noch eine Stunde Rassismus‹. Sondern dann sagen wir, wir setzen uns lieber ausschließlich mit dem einen Thema auseinander« (I3: 8).

Die Befragten thematisieren in diesem Zusammenhang auch vielfache didaktisch-methodische Herausforderungen, die grundsätzlich mit der inhaltlichen Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart in der historisch-politischen Bildungsarbeit an NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten verbunden sind. Dabei wird die Frage nach der Vermittlung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden historischer und gegenwärtiger Ereignisse sowie nach der Ausgestaltung von vergleichenden Annäherungen bei der Verhandlung des Themas NS und aktuellem Rechtsextremismus als ein wichtiges Referenzthema dargestellt. Hier gilt es, jeweilige Spezifika hervorzuheben, um Verkürzungen, Relativierungen und Gleichsetzungen entgegenzuwirken.

 

Voraussetzungen und Anforderungen

Ausreichende u.a. personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen werden als eine strukturelle Grundvoraussetzung für die Bildungsarbeit von Erinnerungsstätten zum Thema Rechtsextremismus bewertet. Angedeutet werden bisher fehlende Finanzierungsmöglichkeiten für Personal, das für eine spezifische Bearbeitung rechtsextremer Ideologien und Erscheinungsformen in den Einrichtungen notwendig ist – konkret wird hier ein Bedarf an spezifischen Landes- und Bundesförderungen benannt, die eine fundierte Befassung durch (qualifiziertes oder weitergebildetes) Fachpersonal ermöglichen. Anknüpfend daran werden fehlende inhaltliche Kompetenzen bzw. Fortbildungsbedarfe thematisiert, die auch durch das klassische Mitarbeitenden-Profil von in Erinnerungsstätten Tätigen bedingt sind. Vor dem Hintergrund des benötigten pluralen Fachwissens und diverser Expertisen, Blickwinkel und inhaltlicher Annäherungen, wird die Heterogenität des Teams bzgl. multipler Zugehörigkeiten und Herkünfte, Bildungs- und Ausbildungskontexte sowie jeweiliger Arbeitsschwerpunkte als wichtiger Faktor charakterisiert.

Eine inhaltliche Grundvoraussetzung, welche die Schwerpunktsetzung und Ausrichtung an den Orten bedingt, liegt laut den Befragten auf dem benötigten Fachwissen und einschlägiger Expertise der Vermittler*innen zum Themenkomplex Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus: »es [braucht] dazu unbedingt eine spezielle Expertise […] und wenn es die nicht gibt, dann fände ich es auch verfehlt zu sagen ›ja dann muss man das einfach noch so en passant […] mitmachen‹. Also, dann […] ist es besser sozusagen damit zu arbeiten was man hat und das kann mitunter einfach nur der historische Zugang dann sein« (I3: 3f.). Das benötigte Fachwissen, das es durch die Auseinandersetzung mit aktuellen Fach- und Forschungsdiskursen beständig zu aktualisieren gilt, umfasst u.a. Kenntnisse zu pluralen Erscheinungsformen der extrem rechten Szenen, ideologischen Bezugnahmen und Brüchen innerhalb der Segmente, rechten Strukturen im lokalen Kontext, dem Rassismus-Verständnis der AfD sowie Wissen zum Thema Rassismus(kritik), Antisemitismus(kritik) und zu Auswirkungen auf die Lebenswelt von marginalisierten, betroffenen Menschen. Neben kontinuierlicher Wissensaneignung und Rezeption erreichbarer Fachliteratur und Informationsmöglichkeiten, wird die Relevanz regelmäßiger Fort- und Weiterbildungsangebote für (freiberufliche) Vermittler*innen betont, sowohl durch internen Teamaustausch, Vorträge von Expert*innen als auch die Teilnahme an externen fachspezifischen Angeboten von anderen, inhaltlich schwerpunktmäßig dazu arbeitenden Institutionen und Akteur*innen. Hingewiesen wird dabei auf Finanzierungs- und Ressourcenfragen, auf die Notwendigkeit, dass Mitarbeitende freigestellt und Teilnahmekosten übernommen sowie dass jeweilige Fortbildungs-, Vernetzungs- und Austauschbedarfe gedeckt werden.

 

Fachaustausch und Vernetzung

Deutlich werden (strategische) Fragen der Ausrichtung, der (inhaltlichen) Zuständigkeiten und Vermittlungsaufgaben der Einrichtungen, die mit der Bewertung bzgl. des Bedarfs, der Bedeutung und Relevanz der Bearbeitung von aktuellen Themen und Fragestellungen zum Thema Rechtsextremismus von Erinnerungsstätten einhergehen – und die es auch einrichtungsübergreifend zu diskutieren gilt: »Was machen wir? Und wo wollen wir denn überhaupt hin? […] Wollen wir das überhaupt oder kann ja auch sein, dass […] Kolleginnen und Kollegen sagen ›das ist gar nicht […] unsere Baustelle‹ »(I1: 7).

Die Befragten heben das Interesse und den Bedarf an einem Fachaustausch (von Vermittler*innen unterschiedlicher Institutionen) zu u.a. der Bewertung der Bedeutung und des Stellenwertes des Themas Rechtsextremismus für die gedenkstättenpädagogische Arbeit, den jeweils definierten Bildungsaufträgen und Vermittlungszielen, genutzten didaktisch-methodischen Ansätzen und inhaltlichen Annäherungen, bildungspraktischen Erfahrungen, ortsspezifischen Besonderheiten sowie gemeinsamen Herausforderungen hervor. Dieser Bedarf bezieht sich auf vielfältige Ebenen, wobei sich zeigt, dass gerade ein regelmäßiger Austausch der (freiberuflichen) Vermittler*innen zu bildungspraktischen Fragestellungen notwendig ist. Die Schaffung einer bisher fehlenden Netzwerkstruktur zur systematischen Befassung und Auseinandersetzung mit Dimensionen einer Bildungsarbeit von Erinnerungsstätten zum Thema Rechtsextremismus ist hierbei von Bedeutung. Aufgeworfen wird die Idee eines spezifischen »Forum[s]« (I5: 8) bzw. einer »Anlaufstelle« (I5: 9), an die sich Mitarbeitende verschiedener Institutionen wenden können. Auch regelmäßige Vernetzungstreffen mit anderen, inhaltlich schwerpunktmäßig zum Thema Rechtsextremismus arbeitenden Institutionen und Akteur*innen wird als Bedarf benannt, wobei der regionale Kontext für die inhaltliche Arbeit hervorgehoben wird.

Als weitere inhaltliche Austausch- und Diskussionsbedarfe, die mit der Vermittlungsarbeit zum Thema Rechtsextremismus zusammenhängen, wird der Stellenwert und die Setzung von Gegenwartsbezügen in der Gedenkstättenpädagogik im Allgemeinen, die Bedeutung des Themenbereiches Postkolonialismus für die historisch-politische Bildungsarbeit sowie das Verhältnis und die Differenzierung von Rassismus und Antisemitismus im Besonderen angeführt.

 

Fazit

Die in diesem Beitrag dargestellten Ergebnisse der empirisch fundierten Bestandsaufnahme geben vielfache Einblicke in die Bildungsarbeit von NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten in NRW zum Thema Rechtsextremismus. Die Vermittlungsarbeit zu aktuellen rechtsextremen Ideologien und Erscheinungsformen wird mehrheitlich als Bildungsauftrag der Erinnerungsstätten bewertet, dabei jedoch heterogen ausgestaltet, bedingt u.a. durch die ortsspezifischen Bezüge zu den NS-Verbrechen sowie die Einrichtungsstruktur. Neben institutionsbezogenen Spezifika verdeutlichen die erhobenen Daten auch übergreifende Fragestellungen bzgl. notwendiger (struktureller und fachlicher) Voraussetzungen und thematischer Fokussierung sowie Austauschbedarfe zu didaktisch-methodischen Herangehensweisen einer gegenwartsbezogenen historisch-politischen Bildungsarbeit, welche die Themen NS und Rechtsextremismus in Bezug setzt. Es kann festgehalten werden, dass das Thema Rechtsextremismus alle NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte tangiert und beschäftigt und diese – unabhängig vom Selbstverständnis und der Bewertung der definierten Bildungsaufträge und Vermittlungsziele sowie der Einrichtungsstruktur – aufgefordert sind, sich zu dem Themenkomplex zu verhalten, sind sie doch u.a. durch Anfragen und Bedarfe, aber auch durch konkrete Fragen und Bezugnahmen von Teilnehmenden in der praktischen Arbeit damit konfrontiert. Gerade vor dem Hintergrund fehlender oder mangelnder finanzieller und personeller Ressourcen bei gleichzeitiger Pluralität der Aufgaben, (inhaltlichen) Zuständigkeiten und Anforderungen bedarf es mindestens eines systematischen, einrichtungsübergreifenden Fachaustausches für Vermittler*innen, welcher als Vernetzungs- und Weiterbildungsforum die multiplen (bildungspraktischen) Dimensionen, Handlungsstrategien und Fragestellungen zur konkreten Ausgestaltung der Bildungsarbeit von Erinnerungsstätten zum Thema Rechtsextremismus in den Blick nimmt und verhandelbar macht.

 

Eva-Maria Krane ist Erziehungswissenschaftlerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Erinnerungsort Alter Schlachthof an der Hochschule Düsseldorf im Bereich Bildung und Vermittlung. Aktuell leitet sie die beiden Projekte »Bildung und Demokratie« sowie »(Zwangs)Migration und Flucht« und hat die hier beschriebene empirische Studie für FORENA durchgeführt.

 

[1]    Das Projekt, das vom 1. 10. 2022 bis 31. 12. 2022 durchgeführt wurde, lief unter dem Titel »Bildungsangebote in NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten in NRW zum Thema rechtsextreme Ideologien und Erscheinungsformen in der postmigrantischen Gesellschaft (konzeptionelle Vorarbeit zu einer geplanten wiss. Konferenz)«.

 

[2]    Es ist anzumerken, dass durch die hohe Diversität der Mitgliedseinrichtungen (bezogen auf u.a. die ortsspezifischen Bezüge zu den NS-Verbrechen, die finanzielle und personelle Ausstattung sowie Trägerschaft der Einrichtungen, ihre Lage und Größe) durchaus deren unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte, Annäherungen und Voraussetzungen eine Abbildung in den Projektergebnissen fanden. Sie sind als charakteristisch für die heterogene Gedenkstättenlandschaft in NRW zu beschreiben.

 

[3]    Die Auswahl erfolgte auf Grundlage der Erkenntnisse einer internetbasierten Recherche zu spezifischen Bildungsangeboten zum Themenkomplex bzw. zur Struktur der Einrichtungen, etwa in deren Anbindung an entsprechende Beratungs- und Forschungseinrichtungen.

 

[4]    Die Ergebnisse zu den offenen Fragestellungen zu den Themenfeldern Bezugsetzung, Vermittlungsansätze, Voraussetzungen und Diskussionen können im vorliegenden Beitrag nicht jeweils einzeln dargestellt werden. Präsentiert wird eine Auswahl, nicht zuletzt, da sich entsprechende thematische Verweise auch in den Ausführungen zu der interviewbasierten Erhebung finden.

 

[5]    Die Interviews wurden mithilfe eines (flexibel angewendeten) Interviewleitfadens geführt, mit einem Audiorekorder aufgezeichnet und anschließend transkribiert.