Das »Gedenkstättenreferat« der Stiftung Topographie des Terrors

Neu-Abdruck aus: GedenkstättenRundbrief 100 (4/2001), S. 13–18
07/2023Gedenkstättenrundbrief 210, S. 88-94
Reinhard Rürup

Die »Topographie des Terrors« in Berlin ist keine Gedenkstätte. Sie bezieht sich jedoch in ihrer Arbeit auf einen konkreten historischen Ort, das »Regierungsviertel des nationalsozialistischen SS- und Polizeistaates«, an dem sich unter anderem die Zentralen der SS, der Gestapo und des Reichssicherheitshauptamtes befanden. Seit 1987 hat sie das historische Gelände der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und historisch erschlossen. Zugleich hat sie in einer dokumentarischen Ausstellung, die bis heute über zwei Millionen Besucher angezogen hat, nicht nur über die zentralen Agenturen des nationalsozialistischen Terrors, sondern auch über die großen politischen und rassistischen Verbrechen des NS-Systems informiert.

Obwohl in der Ausstellung wie in der Arbeit der Stiftung allgemein natürlich auch der Opfer gedacht wird, handelt es sich doch in erster Linie um einen Ort der Täter, an dem danach gefragt wird, unter welchen politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen die Verbrechen möglich waren und von wem sie verübt wurden. Während der Opfer des NS-Terrors gedacht werden muss, gilt das nicht für die Täter, über die stattdessen kritisch aufzuklären ist.

Wie kommt es nun, dass eine Einrichtung, die selber keine Gedenkstätte ist, ein »Gedenkstättenreferat« hat? Gegründet wurde das »Gedenkstättenreferat« 1983 von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., die damit auf das neue gesellschaftliche Interesse an den Orten des NS-Terrors reagierte, das sich seit den späten Siebzigerjahren immer deutlicher äußerte und seinen Niederschlag in zahlreichen lokalen und regionalen Initiativen zur »Spurensicherung« fand. Das neue Referat bemühte sich mit rasch wachsendem Erfolg um die Unterstützung der einzelnen Initiativen, um den Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen den Beteiligten, um Weiterbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter und bald auch um den internationalen Austausch der in der Gedenkstättenarbeit Tätigen. Schon im ersten Jahr dieser neuen Aktivitäten begann der »GedenkstättenRundbrief« zu erscheinen. Im Übergang zu den Neunzigerjahren war das »Gedenkstättenreferat« nicht nur fest etabliert, sondern auch die erste Adresse in der Bundesrepublik für alle Fragen, die mit den Gedenkstätten und der Gedenkstättenarbeit zusammenhingen. Allerdings hing über dem Referat von Anfang an das Damoklesschwert der anhaltenden Finanzschwierigkeiten der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, und Anfang der Neunzigerjahre entstand eine Situation, in der man einige Arbeitsfelder aufgeben musste, wenn die übrigen Aktivitäten finanziell gesichert sein sollten. In dieser Situation wandten sich der Sprecher des Kuratoriums, Dr. Franz Freiherr von Hammerstein, und der Vorsitzende der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, Pfarrer Dr. Manfred Karnetzki, an die »Topographie des Terrors«, die im Januar 1992 als zunächst unselbstständige Stiftung des öffentlichen Rechts gegründet worden war. Da die ASF das »Gedenkstättenreferat« nicht mehr finanzieren konnte, wurde die »Topographie des Terrors« gefragt, ob sie bereit sei, dieses zu übernehmen und so die Kontinuität der Arbeit zu sichern. Obwohl die Stiftung in ihrem Etat über keine entsprechende Stelle verfügte, entschloss sie sich ohne langes Zögern, diesem Wunsch zu entsprechen. Benutzt wurde dafür die neu geschaffene, noch nicht besetzte Stelle eines Wissenschaftlichen Mitarbeiters für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. So konnte Thomas Lutz, der das »Gedenkstättenreferat« seit Anfang 1984 geleitet und in seiner Arbeit geprägt hatte, am 1. Februar 1993 seine Tätigkeit in der Stiftung Topographie des Terrors aufnehmen. Im März 1993 erschien der erste »GedenkstättenRundbrief« unter der Verantwortung der Stiftung – damals wie heute mit dem Hinweis: »Gegründet 1983 von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.«.

Für die Stiftung Topographie des Terrors bedeutete die Entscheidung, das »Gedenkstättenreferat« zu übernehmen, eine beträchtliche Erweiterung ihres Aufgabenbereichs. Aus dem Projekt von 1987 entstanden, hatte sie bis dahin vor allem Ausstellungsaufgaben wahrgenommen. Von Februar bis September 1989 reiste eine Zweitfassung der »Topographie des Terrors« durch die DDR, im Juni 1991 wurde zum 50. Jahrestag des Angriffs auf die Sowjetunion die Ausstellung »Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945« eröffnet, die anschließend auch in Sachsenhausen, später in Hamburg und Dortmund, in einer russischen Fassung erstmals 1992 in Moskau, bald darauf in St. Petersburg, Wolgograd und anderen Großstädten gezeigt wurde, während die »Topographie des Terrors« in einer englischen Fassung nach Chicago, in einer italienischen nach Mailand und Genua ging.

In Berlin wurden Besucher und Besuchergruppen intensiv betreut. Zugleich wurden die Sammlungen von schriftlichen und bildlichen Dokumenten zu den Themen der »Topographie des Terrors« im Hinblick auf spätere Überarbeitungen der Ausstellung und ergänzende Informationsangebote weitergeführt. Es bestanden, nicht zuletzt durch die Ausstellungsaktivitäten, zahlreiche Kontakte zu anderen Institutionen, es fanden auch öffentliche Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen statt, aber es existierte kein systematisch entwickeltes Netzwerk zu NS-Gedenkstätten im In- und Ausland, keine Seminar- und Konferenzprogramme, auch keine regelmäßig erscheinende Publikation der Stiftung. All das kam nun durch das »Gedenkstättenreferat« dazu, und die Stiftung hat mit ihrer Infrastruktur und ihren Haushaltsmitteln von Anfang an entscheidend dazu beigetragen, dass diese Aktivitäten nicht nur fortgeführt, sondern auch ausgebaut werden konnten.

Von großer Bedeutung für die Vernetzung der Gedenkstättenarbeit und für die Durchsetzung gemeinsamer Standards für die pädagogische und inhaltliche Arbeit in den Gedenkstätten sind die zwei Mal jährlich an jeweils wechselnden Orten durchgeführten bundesweiten Gedenkstättenseminare, an denen durchschnittlich ca. 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen, von denen viele ehrenamtlich tätig sind, teilnehmen. Die Spannweite der Themen reicht hier von »Kriegsgefangene und Opfer der Wehrmachtsjustiz – Geschichte und Rezeption in der Gedenkstättenarbeit« (Torgau, Juni 1993) bis »Ostwestfälische Provinz im Spannungsfeld von SS-Ideologie, SS-Mythen und Lageralltag« (Wewelsburg, Mai 2001). Im Jahr 2000 fand beispielsweise das erste Gedenkstättenseminar unter dem Titel »Gedenkstätten – Gesellschaft – Gedächtnis«, das mit einem Grundsatzreferat von Ministerialdirektor Dr. Knut Nevermann, dem Stellvertreter des »Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien«, eröffnet wurde, in Schwerin statt, während das zweite Seminar in Köln dem Thema »Polizei und NS-Verbrechen – Aufarbeitung und Dokumentation im NS-Dokumentationszentrum Köln« gewidmet war. Da es inzwischen bis zu 125 Anmeldungen für einzelne Seminare gibt, sind hier längst die Kapazitätsgrenzen erreicht.

Ergänzt werden diese Mitarbeiterseminare durch Fachseminare mit durchschnittlich 25 bis 30 Teilnehmern, von denen inzwischen jährlich zwei bis drei angeboten werden. Hier geht es in der Diskussion mit führenden Fachwissenschaftlern und in Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungsergebnissen u.a. um die frühen NS-Lager, »Arbeitserziehungslager«, Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager, um die Darstellung der Täter in den Gedenkstätten, die Verbrechen von Nationalsozialismus und Stalinismus an einem Ort, den Umgang mit Orten jüdischer Geschichte, Gedenkstätten und neuen Medien, Gedenkenstätten und Homepages im Internet und den Umgang mit den baulichen Überresten der Konzentrationslager. Von denjenigen, die im Gedenkstättenbereich praktische Arbeit zu leisten und strategische Entscheidungen zu treffen haben, werden diese Seminare offensichtlich als außerordentlich hilfreich für die eigene Arbeit empfunden.

Seit 1997 ist mit der Veranstaltung internationaler Studienreisen darüber hinaus eine neue Form des internationalen Erfahrungsaustauschs im Gedenkstättenbereich entwickelt worden. Am Anfang stand die Einladung von Mitarbeitern polnischer und tschechischer Gedenkstätten, einige der wichtigsten Gedenkstätten in der Bundesrepublik zu besuchen. Dem entsprach im folgenden Jahr eine Reise zu den polnischen Gedenkstätten in Chełmno (Kulmhof), Treblinka, Majdanek und Sobibór. Ein ähnliches Programm konnte 1999/2000 für Mitarbeiter italienischer Gedenkstätten, die nach Deutschland eingeladen wurden, und deutscher Gedenkstätten, die nach Italien reisten, durchgeführt werden. Beide Programme haben zu einer deutlichen Intensivierung des Erfahrungs- und Meinungsaustauschs zwischen den beteiligten Ländern geführt. Im Herbst 1997 besuchte eine hochkarätig zusammengesetzte Studiengruppe aus Leitern und führenden Mitarbeitern von Gedenkstätten in zwölf Ländern (Europa, Israel, Nord- und Südamerika) zahlreiche Gedenkstätten in Deutschland. Für die meisten der Teilnehmer, die u.a. aus Auschwitz, Kiew, Vancouver, Washington und Buenos Aires kamen, war es die erste Begegnung mit Stätten der NS-Verfolgung in Deutschland. So wurden nicht nur bestehende Arbeitsbeziehungen ausgebaut, sondern auch neue begründet.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die internationalen Konferenzen hinzuweisen, die vom »Gedenkstättenreferat« organisiert wurden: 1994 in Washington gemeinsam mit dem United States Holocaust Memorial Museum über den Umgang mit Nationalsozialismus und Holocaust in Deutschland und den USA; 1998 in Berlin gemeinsam mit der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz und der Paulo Freire-Gesellschaft über den Umgang mit der Vergangenheit nach Diktaturen (Argentinien, Chile, Deutschland, Polen, Südafrika); 1998 in Oświęcim (Auschwitz) gemeinsam mit der Internationalen Jugendbewegungsstätte Auschwitz über Chancen und Probleme internationaler Jugendbegegnung an Orten der NS-Verbrechen; 2000 in Oświęcim (Auschwitz) gemeinsam u.a. mit der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und dem Goethe-Institut Krakau über »Die Kunst der Erinnerung – Deutschland, Israel und Polen im Vergleich«. Es ist offensichtlich, dass diese internationale Arbeit immer wichtiger wird und damit auch die Arbeit des »Gedenkstättenreferats« künftig noch stärker prägen wird.

Das zeigt sich auch in den vom »Gedenkstättenreferat« wahrgenommenen Beratungsaufgaben. Thomas Lutz ist beispielsweise Vorsitzender des Internationalen Beirats der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Gedenkstättenarbeit des Landes Niedersachsen. Seine Sachkenntnis wird von parlamentarischen Gremien, Ministerien und Behörden in Anspruch genommen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf internationale Aufgaben. Er ist beratend bei der Neukonzeption oder Überarbeitung von Gedenkstätten und ihren Ausstellungsprogrammen tätig. Im Januar 2000 nahm Thomas Lutz als Gast der schwedischen Regierung an dem »International Forum on the Holocaust« in Stockholm teil, wo er über die Gedenkstätten für NS-Opfer in Deutschland referierte. Auf Wunsch des Auswärtigen Amtes ist er Mitglied der deutschen Delegation der »Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research« und war als solches wesentlich an der Vorbereitung der »Task Force«-Sitzungen unter deutscher Präsidentschaft beteiligt. Er ist außerdem Vorsitzender der »Memorials Working Group« der »Task Force«.

Der »GedenkstättenRundbrief«, dessen Auflage sich seit 1993 fast verdoppelt hat (im Jahre 2000 waren es ca. 1100 Exemplare, von denen rund 10 % ins Ausland geliefert werden), erscheint seit April 1997 in einem veränderten Layout und Format. Als Ergebnis einer zunehmenden Professionalisierung der inhaltlichen Arbeit und der äußeren Aufmachung hat sich der Rundbrief von einem Mitteilungsblatt für einen kleinen Kreis von Interessenten deutlich in Richtung einer Zeitschrift entwickelt, die sich auch an eine breitere Öffentlichkeit wendet. Die bewährte Mischung von grundsätzlichen Reflexionen, Berichten über einzelne Gedenkstätten und thematisch weit gestreuten Fachbeiträgen ist inzwischen durch regelmäßige Hinweise auf neue Literatur, laufende Forschungsvorhaben und einschlägige Veranstaltungen ergänzt worden. In Beiträgen über die Entwicklung von Gedenkstätten in anderen Ländern wird auch hier seit einigen Jahren die Tendenz zur stärkeren internationalen Kooperation deutlich sichtbar.

Im Januar 2000 hat das »Gedenkstättenreferat« der Stiftung Topographie des Terrors mit dem »GedenkstättenForum« schließlich eine zentrale Informations- und Kommunikationsplattform im Internet geschaffen. In der Sparte »Aktuelles« wird ein werktäglich aktualisierter Pressespiegel zu Themen der Erinnerungskultur und der Gedenkstättenarbeit angeboten. Unter den Rubriken »Veranstaltungen«, »Publikationen«, »GedenkstättenRundbrief« und »Forschung und Projekte« sind aktuelle Informationen abrufbar. Die »Gedenkstättenübersicht« bietet einen Überblick und Kurzinformationen zu den wichtigsten Gedenkstätten, die ein regelmäßiges Besucherprogramm anbieten. Die »Link«-Sammlung enthält zur Zeit etwa 300 Verweise zu anderen Internetprojekten, die für die Gedenkstättenarbeit von Interesse sein können. Die »PublicNewsgroup« bietet ein für alle Internetnutzer offenes Diskussionsforum, das »NetzwerkForum« steht dagegen nur Institutionen und Personen zur Verfügung, die sich angemeldet und ein Passwort erhalten haben (zur Zeit etwa 250 Teilnehmer). Im »GedenkstättenForum« werden derzeit 60–70 Nutzungen pro Tag registriert. Der Betreuungsaufwand für das »GedenkstättenForum« ist beträchtlich, stellt aber eine sinnvolle Investition in die Zukunft dar.

Der Rückblick auf die in nunmehr acht Jahren in der Stiftung Topographie des Terrors geleistete Gedenkstättenarbeit bestätigt eindrucksvoll die Richtigkeit der damaligen Entscheidung, die Weiterführung des »Gedenkstättenreferats« im Rahmen der Stiftung zu sichern. Die Gedenkstättenarbeit ist zu einem zentralen und unverzichtbaren Bestandteil der Stiftung geworden. Sie hat die Sichtbarkeit der Stiftung im nationalen und internationalen Rahmen erhöht, die Kontakte zu anderen Einrichtungen verstärkt und damit die Wirkungsmöglichkeiten der Stiftung insgesamt wesentlich vergrößert. Auf der anderen Seite hat die Gedenkstättenarbeit im Rahmen der Stiftung die Möglichkeit erhalten, sich auf einer gesicherten Grundlage breit zu entfalten, neue Tätigkeitsfelder zu erschließen und nicht zuletzt auch die Möglichkeiten der neuen Medien intensiv zu nutzen. Da die Zukunft durch die immer stärkere Vernetzung der Arbeit in den Gedenkstätten und die fortschreitende Internationalisierung der theoretischen Reflexion und der Gedenkstättenpraxis bestimmt sein wird, werden die Aufgaben des »Gedenkstättenreferats« nicht kleiner, sondern größer werden. Die Stiftung Topographie des Terrors wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um den damit verbundenen Herausforderungen auch künftig gerecht zu werden.

Prof. Dr. Reinhard Rürup (1934–2018), emeritierter Professor für neuere Geschichte an der Technischen Universität Berlin, hat das Ausstellungsprojekt »Topographie des Terrors« von Beginn an geleitet und war bis 2004 wissenschaftlicher Direktor der gleichnamigen Stiftung.