Das #rememBarcamp 2023

03/2024Gedenkstättenrundbrief 213, S. 40-46
Nicole Steng

Am 7. und 8. Juli 2023 trafen sich in Dachau mehr als 30 Menschen, die in Gedenkstätten in den Niederlanden und Deutschland mit und an digitalen Anwendungen arbeiten. Das Max Mannheimer Studienzentrum und die Bildungsabteilung der KZ-Gedenkstätte Dachau luden mit Unterstützung der Alfred Landecker Foundation zum zweiten zweitägigen #rememBarcamp ein und freuten sich, dass so viele Menschen bei sommerlichen Temperaturen den Weg in den Süden fanden.

 

Keine neue Idee, sondern ein arbeitendes Netzwerk

Die Idee dieses Treffens entstand innerhalb des #DigsMem-Netzwerks schon vor der Corona-Pandemie und wurde durch sie verzögert. Trotzdem blieben die Personen, die in ganz Deutschland und anderen europäischen Ländern an und mit digitalen Tools, Apps und Datenbanken in Gedenkstätten arbeiten, im digitalen Kontakt. Das Netzwerk wuchs sogar noch weiter. Die Idee eines Vernetzungstreffens wurde Anfang des Jahres 2022 wieder aufgegriffen und umgesetzt. So trafen sich im vergangenen Sommer mehr als 30 Personen in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück zum ersten #rememBarcamp. Während des Treffens kristallisierte sich schnell heraus, dass es viel zu besprechen gab und es an vielen Stellen noch enormes Potenzial zur Zusammenarbeit gibt.

 

Damit alle mitreden können

Das Format eines Barcamps, das man auch als »Un-konferenz« bezeichnet, bietet sich durch seine Freiheit und Spontanität an. Während zwar der zeitliche Ablauf und die Räumlichkeiten festgelegt sind und den Rahmen der Tagung bilden, gibt es in der Regel keine Keynote und auch keine vorher eingeladenen Speaker. Ganz im Gegenteil bringen im Idealfall alle teilnehmenden Personen eigene Beiträge, wobei es keine formellen Vorschriften gibt, außer der limitierten Zeit. So ist sehr viel möglich, von Präsentationen über Diskussionen bis hin zu einem praktischen Workshop. Nach der Begrüßung und Vorstellungsrunde wurden auch dieses Mal die Themenvorschläge gesammelt und gemeinsam in den Zeitplan einsortiert. So konnte pünktlich gestartet werden.

 

Die Themen 2023

In insgesamt 16 Sessions wurden gemeinsam Visionen gefunden, Technik und Software ausprobiert, Apps vorgestellt und immer wieder intensiv diskutiert. Das Fazit kann vorweggenommen werden: Eine engere und abteilungsübergreifende Vernetzung der einzelnen Personen, die mit Social Media, Datenbanken, Apps und Co. arbeiten, ist nicht nur erwünscht, sondern notwendig und bereichernd. Daher wird es weitere – digitale – Runden geben, bis im nächsten Sommer das nächste Treffen stattfindet, bei dem vielleicht schon gemeinsame Ideen oder sogar Umsetzungen vorgestellt werden können.

 

Session: Nicht ohne meine Zielgruppe

Bei dieser Session ging es um die Zielgruppen digitaler Anwendungen und wie wichtig sie bei der Entwicklung neuer Anwendungen sind. In diesem offenen Austausch wurde deutlich, dass sich viele schon Gedanken über Zielgruppentests gemacht hatten. Es war aber trotzdem ermutigend, dass auch mit wenigen Teilnehmenden getestet werden kann, und dass nicht Perfektion wichtig ist, sondern mit den Zielgruppen ins Gespräch zu kommen. Dabei wurde in Erinnerung gerufen, dass man häufig vergisst, dass nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Lehrkräfte zur Zielgruppe gehören, aber sehr selten als solche genannt werden. Offen blieben Fragen, nach der Diskrepanz zwischen Wünschen der Zielgruppe und pädagogischen Ansprüchen oder wie man damit umgeht, dass vielfach schon fortgeschrittene Prototypen stehen, wenn man die Tests startet.

 

Session: Memorial Archives/Klarnamen

Das Projekt Memorial Archives[1], das in dieser Session vorgestellt wurde, ist eine Datenbank für Personen und Quellen mit großem Potenzial für die Kooperation verschiedener Orte. Doch gerade diese Zusammenarbeit ist nicht einfach zu etablieren, denn die Überlegungen, zum Beispiel wie Daten genutzt oder weitergegeben werden können, treibt alle Institutionen um. Trotzdem ist die Entwicklung wichtig, denn eine Art von Datenbank-Baukasten, das individuell befüllt und genutzt werden könnte, wäre eine Hilfe für viele – vor allem kleine – Institutionen, bei denen die Sammlung von Daten über Personen oder Quellen noch kaum verwirklicht werden konnte. Zukünftig beschäftigen sich die entwickelnden Personen zum Beispiel auch mit der Überlegung, wie ein (digitales) Storytelling aussehen könnte, das abgerufene Daten benutzt oder in welcher Form die Daten ausgegeben werden können.

 

Session: Technische Nachhaltigkeit

Die Frage, wie man Technik und Hardware nachhaltig einsetzen kann, ist bei sämtlichen Gedenkstätten ein Thema. Natürlich stehen vor der Entwicklung Überlegungen, wie notwendig eine Anwendung für ein bestimmtes Angebot ist, auf welchem Weg es an die Nutzenden kommen soll, und welche Form es haben muss. Aber gerade die Entscheidung, ob digitale Anwendungen für Leihgeräte entwickelt werden sollen, die die Institution in ausreichender Menge vorhalten müsste oder ob man auf BYOD (bring your own device – jede teilnehmende Person muss ein Gerät selbst mitbringen) setzt, ist nicht einfach. Vielleicht ist sie auch gar nicht endgültig und für alle gleich zu entscheiden, sondern hängt von den Rahmenbedingungen ab. Wichtig ist aber, dass man die Listen mit Pro und Kontra nicht nur einmalig anlegt, sondern immer wieder aktualisiert und an die Gegebenheiten angepasst.

 

Session: Trick AI – die KI überlisten

In diesem Workshop wurde ausprobiert, wofür KI heute schon genutzt werden kann, und alle konnten mitmachen. Und das war wohl auch eines der wichtigsten Ergebnisse der Session: statt sich nur über KI zu informieren, sollte man sie unbedingt testen und ausprobieren, egal ob es sich dabei um text- oder bildgenerierende Programme handelt. Spannend waren die Ergebnisse durchaus, und so nahmen alle Teilnehmenden die Frage in ihren Alltag mit, wie sie KI zum Beispiel für die Konzeption neuer pädagogischer Angebote und Methoden als Inspirationsquelle nutzen können. Aber klar wurde auch, wie wichtig es ist, dass man die Antworten der KI immer sehr kritisch hinterfragen und überprüfen muss.

 

Session: Was macht ihr gerade in Social Media?

Grundlegend war in diesem Workshop die Ansicht, dass die Arbeit mit und für Soziale Medien mittlerweile etabliert ist und auch weiterhin wichtig bleiben wird. Doch die Überlegung, welche Plattformen in welcher Intensität bespielt wird, ist für viele von großer Bedeutung. Wie wichtig ein Youtube-Kanal ist, und ob man die Themen einer KZ-Gedenkstätte nur im sogenannten Long-Form-Content (alles zwischen 1000 und 10 000 Zeichen Länge) behandeln kann, waren nur zwei Themen. Als es um die Reaktion auf Hate Speech etc ging, waren alle einig, dass es müßig ist, auf rechtsextremistische Kommentare zu reagieren, da sie nicht dazu dienen sollen, einen offenen und fairen Austausch zu starten.

 

Session: Nach dem Projekt

Viele der Teilnehmenden waren mit der Problematik sehr vertraut: Die Projektlaufzeit ist erfolgreich beendet worden, die Abrechnung ist fertig und der Bericht geschrieben, oftmals sind auch die Projekt-Teams wieder zu anderen Arbeitsstellen weitergezogen. Aber was geschieht nun mit der (digitalen) Anwendung? Wer fühlt sich zuständig und wie können Laufzeiten, Lizenzen etc. weitergegeben werden? In der Diskussion wurde klar, dass hierzu ein Umdenken an vielen Stellen (auch auf der Seite der Förderprogramme) notwendig wäre, um Folgekosten einrechnen zu können, Produkte nachhaltig im Sinne der Weiternutzung zu gestalten oder eine Integration von Wissen und Pflege in die Institution zu vereinfachen.

 

Session: Hybridität?

Überraschend ist die Tatsache, dass die Nutzung digitaler Tools und Anwendungen für viele Menschen noch immer eine Frage der persönlichen Haltung ist. Alle stellen sich aber ähnliche Fragen, und ganz zentral ist die nach der sinnvollen Gestaltung der Schnittstelle von realem Ort und digitaler Welt. Denn klar wurde in der Session, dass die (pädagogischen) Idealvorstellungen immersiver und individueller digitaler Erweiterungen der Orte bisher noch nicht immer zufriedenstellend umgesetzt werden.

 

Session: »Digitale Teilhabe«

Die Situation ist kompliziert, denn die Plattformen und die Zielgruppen bestimmen darüber, wie und auf welche Art Angebote gestaltet werden. Aber leider sind auch basale Probleme, wie die Internetabdeckung, noch nicht völlig vom Tisch. Ein wichtiges Ergebnis des Workshops war, dass mit den Zielgruppen kommuniziert werden muss, um überhaupt zu erfahren, welche Art der Teilhabe Nutzerinnen und Nutzer möchten. Hier stellte sich vielen die Frage, wie der Kontakt zustande kommen kann.

 

Session: fabulApp

Vorgestellt wurde das Förderprogramm »fabulApp«, in dessen Mittelpunkt der AppCreator der Firma Kuldig steht.[2] Gefördert werden Museen und Gedenkstätten in Bayern durch die Landesstelle für nicht staatliche Museen, die dafür unterstützt wird durch die Bayerische Sparkassenstiftung. Herausragend an dem Projekt ist die enge Begleitung der nutzenden Institutionen durch Workshops, in denen Storytelling und Testing im Mittelpunkt stehen und der Fokus auf Usability für Userinnen und User, aber auch für die Personen, die die Inhalte entwickeln. Dadurch, dass darauf geachtet wird, dass Know-how innerhalb der Institution etabliert wird, versucht man der Problematik entgegenzuwirken, dass nach Abschluss eines Projektes kein Wissen mehr über die dynamische Integration neuer Inhalte existiert und moderne Anwendungen nicht mehr weiter gepflegt werden können.

 

Session: ARt – das KZ Dachau in Zeichnungen

In der Session wurde die Web-Version der Augmented Reality App »ARt – Das KZ Dachau in Zeichnungen«[3] vorgestellt und ausprobiert. An vielen Stellen drehte sich der kleine Workshop um Planung und Umsetzung. Dabei betonten alle in der Runde, dass es besonders wichtig ist, dass man vorab sehr konkrete Ziele und Umsetzungen vertraglich festlegen sollte. Letztendlich wurde die Frage aufgeworfen, welche Funktionen und Gestaltung eine App haben sollte, um am Ort und ortsunabhängig userfreundlich und sinnvoll zu funktionieren.

 

Session: Praxis-Einblick – Gerätenutzung in Hadamar

Gezeigt und vor allem ausprobiert wurden Geräte, die hybride Bildungsangebote in der Gedenkstätte Hadamar neuerdings bereichern. Hier wurde die Überlegung, ob man sich auf selbst mitgebrachte Geräte verlässt oder doch besser Leihgeräte ausgibt, gegen BYOD entschieden. Ergänzt werden die Geräte für die Teilnehmenden durch Geräte für die pädagogische Leitung sowie Screens für die Arbeit im Plenum und Ladekoffer. Bei vielen Kollegen und Kolleginnen wird am Ende die Frage geblieben sein, inwieweit diese Geräte auch etwas für ihren Ort sein könnten oder ob es noch andere Wege geben könnte.

 

Session: Wirkungsforschung für digitale Anwendungen

In diesem Workshop wurde über ein intensives Brainstorming eine große Bandbreite von Überlegungen zusammengetragen. Deutlich wurde, dass es neben der gezielten Befragung zur Produktentwicklung auch eine allgemeiner gefasste Untersuchung der Besucher*innen geben kann. Es ging zusätzlich auch um Methoden solcher Forschung, und wer sie durchführen sollte oder könnte. An vielen Stellen wurde klar, dass die User*innen im Mittelpunkt stehen sollten, welche Erlebnisse haben sie, wenn sie Anwendungen nutzen, welche Emotionen, aber auch welche Ziele verfolgen sie?

 

Session: Dingen auf der Spur

Die WebApp »Dingen auf der Spur«[4] wurde durch die Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen entwickelt. Die App stellt Geschichten um 3D-digitalisierte Objekte aus den Sammlungen beider Gedenkstätten interaktiv vor und dient v.a. der niedrigschwelligen Vorbereitung von Gedenkstättenbesuchen in der Schule. Der Prototyp wurde von Absolvierenden der School of Design Thinking (Hasso-Plattner-Institut) entworfen und in verschiedenen Entwicklungsstufen von Schüler:innen getestet. Durch die Nutzung des CMS Kirby ist ein veränderbares System entstanden, das relativ einfach weiterentwickelt werden kann. In der Session wurde der Wunsch geäußert, die App auch für andere Orte nutzbar zu machen. Zudem wurde diskutiert, wie viel Kontextwissen es benötigt, um mit den Inhalten arbeiten zu können und auf welche Weise sich die digitalen Objekte mit dem Besuch vor Ort konkret verbinden lassen.

 

Session: Antifaschistische Gedenkstättenarbeit

Hintergrund sind Fragen, die durch die aktuelle politische Situation angefeuert werden. Was bedeutet es für Gedenkstättenmitarbeitende, wenn die Möglichkeit besteht, dass eine rechtsextremistische Partei in Stiftungsbeiräte einzieht? Was können sie tun, wenn die Stimmung in Bildungsangeboten kippt? Welches Selbstverständnis haben die Gedenkstätten als Institutionen und wo und wie sollte die Position der einzelnen Personen sichtbar werden? In einem angeregten Austausch konnten sowohl Beispiele thematisiert werden als auch ein Call to Action formuliert werden: Unter anderem wurde überlegt, wie Gedenkorte durch enge, gemeinsame Arbeit ihre grundlegenden Themen auch im digitalen Raum stärker besetzen können.

 

Session: Quo vadis Twitter?

Die Social Media Plattform X Twitter wurde von Gedenkstätten teilweise seit vielen Jahren gern genutzt. Seit der Übernahme durch Elon Musk erlebt die Plattform einen Wandel, der auch von Gedenkstättenseite sehr kritisch beobachtet wird. Dieser Wandel macht sich nicht nur durch das Rebranding des Kurznachrichtendienstes bemerkbar – Twitter heißt inzwischen X – sondern auch durch veränderte Algorithmen, dem Entsperren von Accounts, die wegen Hatespeech gesperrt wurden, der Aberkennung der blauen Haken und Einführung von »Twitter Blue«, und einigem mehr. In der Session wurde darüber gesprochen, wie diese Veränderungen Gedenkstätten-Accounts und Timelines beeinflusst, ob man in diesem Falle die Plattform meiden, verlassen oder nun erst Recht weiter bespielen sollte, und ob Plattformen wie Mastodon oder Threads Alternativen sein können.

 

Abschluss: Bildet Netzwerke!

In den Sessions wurden unterschiedlichste Themen diskutiert und vorgestellt, aber immer wieder streiften sie auch die Frage nach der gemeinsamen Arbeit und den Schnittstellen und Möglichkeiten. Der Austausch über ein sehr begrenztes Thema in einem fachlich diversen Kreis war erneut bereichernd und brachte zwei konkrete Ergebnisse.

Ab Oktober wird es viermal im Jahr einen digitalen Coffee-Talk geben, der an die spontanen und produktiven Runden des Barcamps anschließen soll. So werden vielleicht neue Chancen der Zusammenarbeit angeregt, die es bisher aufgrund fehlender Kontakte noch nicht geben konnte. Und wenn in den Sessions des Barcamps etwas deutlich wurde, dann dass es bereichernd ist, wenn man mit interessierten und offenen Kollegen Fragen diskutiert und neue Blickwinkel entdeckt, positive, kreative und konstruktive Rückmeldungen bekommt, und auf diese Weise gestärkt durchstartet.

Und im nächsten Sommer ein neues Barcamp. Aber das hatten sich die meisten wohl schon vorher gewünscht.

 

Nicole Steng ist in der Bildungsabteilung der KZ-Gedenkstätte Dachau für die digitalen Bildungsangebote zuständig. Sie übernahm die Organisationsleitung des #rememBarcamp 2023 und auch die Zusammenstellung aller Berichte, die während der Sessions entstanden.

 

[1]    memorial-archives.international/de

 

[2]    Mehr Informationen unter www.kuldig.de/appcreator.html

 

[3]    Informationen zum Projekt und Links zu App und Webtour unter www.kz-gedenkstaette-dachau.de/geschichte-online/art-das-kz-dachau-in-zeichnungen

 

[4]    Ausprobieren unter dingenaufderspur.de