Der Grundstein für die Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstättenbibliotheken wurde im Rahmen des Gedenkstättenseminars in Mittelbau-Dora, im Oktober 1998, gelegt. Interesse seitens der Gedenkstätten für diesen neuen Arbeitskreis war vorhanden, arbeiten doch die meisten BibliothekarInnen – sofern es in den Institutionen überhaupt eine Stelle für diesen Arbeitsbereich gibt – als Ein-Personen-BibliothekarIn und haben ein starkes Bedürfnis nach sowohl fachlichem als auch persönlichem Austausch. Aus diesem Bedürfnis heraus wurde beschlossen, sich im Frühjahr 1999 in Berlin bei der Stiftung Topographie des Terrors, die (zusammen mit dem Haus der Wannsee-Konferenz) die Organisation und einen Teil der Kosten übernahm, erneut zu treffen.
Am 25./26. März kamen 18 BibliothekarInnen/MitarbeiterInnen aus 14 Gedenkstätten zusammen, um sich zwei Tage ausschließlich über bibliothekarische Fragen auszutauschen und gemeinsame Projekte, von denen die beteiligten Gedenkstätten/-bibliotheken profitieren, auf den Weg zu bringen.
Der TeilnehmerInnenkreis war gemischt und spiegelte die Rolle und Wertigkeit der Bibliotheken in den jeweiligen Gedenkstätten wider: Vertreten waren festangestellte BibliothekarInnen, die Bibliotheken von bis zu 25000 Bänden verwalten, über einen eigenen Etat verfügen und mit ihrer Bibliothek fest in der pädagogischen Arbeit der Institution verankert sind. (Die im Aufbau befindliche Bibliothek der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin, besitzt sogar 80000 Bände, von denen 36000 bereits katalogisiert sind). Daneben waren aber auch GedenkstättenmitarbeiterInnen anwesend, die neben ihrer sonstigen Arbeit in der Gedenkstätte einige hundert Bücher betreuen, keinen festen Buchetat besitzen und von einer Bibliothek im eigentlichen Sinne nicht sprechen. Ihr Interesse an dieser Arbeitsgemeinschaft besteht darin, eine Bibliothek in ihrer Institution aufzubauen und sie zu einem festen Bestandteil der Gedenkstätten zu machen – um so das Angebot der Institution erheblich zu erweitern.
Einen Eindruck vom Stellenwert der Bibliotheken in ihren Gedenkstätten gibt die Resonanz auf die Einladung zu diesem Treffen: Einige Gedenkstätten sagten für die Zusammenkunft ab, da sie zwar Bücher besitzen, aber kein Personal, das ausschließlich in der Bibliothek arbeitet und an der Arbeitsgemeinschaft teilnehmen könnte.
Wir hoffen, daß die Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstättenbibliotheken dazu beitragen kann, den Bibliotheken zu ihrem angemessenen Stellenwert zu verhelfen und deutlich zu machen, daß Bibliotheken unerläßlich für die Arbeit der Gedenkstätten sind und das Angebot ihrer Institution erheblich verbessern.
Das Treffen war sehr intensiv, arbeitsreich und diskussionsgefüllt. Deutlich war das Interesse der TeilnehmerInnen an dieser Arbeitsgemeinschaft, auch die Pausen wurden dazu genutzt, einige (größere und kleinere) Schwierigkeiten und Fragen aus der eigenen Praxis zu besprechen.
Der erste Tag begann mit einer sehr ausführlichen Vorstellungsrunde, um möglichst viel über die jeweilige Gedenkstätte und ihre Bibliothek sowie über die Erwartungen an die Arbeitsgemeinschaft zu erfahren. Das unterschiedliche Bibliotheksspektrum wurde deutlich und aufgrund der Wünsche und Bedürfnisse an die Arbeitsgemeinschaft konkretisierten sich mögliche Formen der Zusammenarbeit.
Donnerstagnachmittag stand ein konkretes Projekt im Mittelpunkt, das sowohl die Arbeit in den jeweiligen Gedenkstättenbibliotheken erleichtern kann, aber auch ihre Präsentation nach außen erheblich verbessert. Anne Sieberns aus der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin, stellte ihre Vorarbeiten für eine gemeinsame Datenbank der Kataloge der Gedenkstättenbibliotheken im Internet vor. Die Gedenkstättenbibliotheken können ihre Katalogisate an Frau Sieberns schicken, die diese dann in eine Allegro-Datenbank überführen und in das Internet stellen wird. Diese Allegro-Datenbank wird nach zahlreichen verschiedenen Kriterien abfragbar sein (Verfasser, Titel, Stichwort, Reihe…), und die NutzerInnen können bei den Titelanzeigen sofort sehen, in welcher Gedenkstätte das von ihnen gesuchte Buch vorhanden ist. Anschrift und weitere Informationen zu den Gedenkstätten werden das Angebot ergänzen. Auch die GedenkstättenbibliothekarInnen selbst können diese Datenbank sehr gut nutzen, um sich z.B. bei teuren Anschaffungen zu informieren, welche andere Gedenkstätte diesen Titel bereits besitzt und ob eine Anschaffung im eigenen Haus sinnvoll und notwendig ist. Alle anwesenden TeilnehmerInnen unterstützen dieses Projekt und werden – nach Rücksprache in ihren Institutionen – die Daten an Frau Sieberns schicken, so daß in absehbarer Zeit die Datenbank realisiert werden kann und im Internet zur Verfügung stehen wird.
Am zweiten Tag berichteten Ulrich Tempel, Stiftung Topographie des Terrors Berlin, und Jutta Lindenthal, Fritz Bauer Institut Frankfurt/Main, über ihre Arbeit bei der Vereinheitlichung der Verschlagwortung in ihren Institutionen. Einen Thesaurus zum Themenbereich NS gibt es bisher (aufgrund des großen Arbeitsaufwandes für seine Erstellung) noch nicht, er würde jedoch die Arbeit in den Bibliotheken sowohl für die NutzerInnen als auch die BibliothekarInnen erheblich erleichtern und verbessern. Frau Lindenthal und Herr Tempel arbeiten kontinuierlich in Fragen der Verschlagwortung zusammen und sind sehr interessiert an Informationen (insbesondere Schlagwortlisten) über Projekte in den Gedenkstätten. Gegenwärtig ist in den Gedenkstättenbibliotheken die systematische Aufstellung des Bestandes weit verbreitet. Für die pädagogische Arbeit in den Gedenkstätten bietet diese Erschließungsart große Vorteile: Die BesucherInnen können direkt an den Regalen zu den sie interessierenden Themen recherchieren und stöbern und für eine erste, grobe Recherche auf den »Umweg« über den Katalog verzichten. Frau Müller-Oelrichs vom Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin, stellte die fein gegliederte Systematik ihrer Bibliothek vor, erläuterte deren Erarbeitung und betonte Vorteile und Praktikabilität einer Systematik. Systematik und Verschlagwortung schließen sich jedoch keineswegs aus, vielmehr stellt die sachliche Erschließung einen ergänzenden, differenzierteren Zugang zu den Beständen über den Katalog und somit einen besseren Service für die NutzerInnen dar.
Das Programm der Tagung endete mit einem Vortrag von Irmela Roschmann-Steltenkamp über Sponsoring und Fundraising: Die meisten Gedenkstätten und ihre Bibliotheken haben mit geringen Etats zu kämpfen und können eine Zusatzfinanzierung über Drittmittel sehr gut gebrauchen. Sponsoring und Fundraising wird in Zukunft einen immer wichtigeren Stellenwert einnehmen und für die Aufrechterhaltung einer pädagogisch guten und intensiven Arbeit unerläßlich sein.
Abschließend wurde über das weitere Vorgehen der Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstättenbibliotheken diskutiert. Festzuhalten sind folgende Ergebnisse:
• Die Arbeitsgemeinschaft bleibt als feste Arbeitsgruppe bestehen. Sie wird sich zweimal im Jahr treffen: Im Frühjahr jeweils für zwei Tage im Rahmen eines eigenen Treffens wie am 25./26. März, im Herbst jeweils in Anbindung an das regelmäßig stattfindende Gedenkstättenseminar, auf dem ihr eigene Arbeitsgruppentermine zur Verfügung gestellt werden.
• Die Organisation der Arbeitsgemeinschaft wird bei der Stiftung Topographie des Terrors, bei Irmela Roschmann-Steltenkamp angesiedelt. Hierdurch ist eine Anbindung an das Gedenkstättenreferat der Stiftung gewährleistet und somit eine finanzielle Unterstützung der Treffen durch die Stiftung Topographie des Terrors.
• Das Projekt der Internet-Datenbank wird im Haus der Wannsee-Konferenz von Anne Sieberns betreut.
• Jutta Lindenthal und Ulrich Tempel sind Ansprechpartner in Fragen der Verschlagwortung, sie arbeiten auf Grundstrukturen für einen Thesaurus zum Themenbereich NS hin.
Das nächste Treffen der Arbeitsgemeinschaft findet vom 18. bis 21. November 1999 auf dem Gedenkstättenseminar in Dachau statt. Am 19. und 20. November stehen jeweils zwei Stunden Arbeitsgruppentermine zur Verfügung, behandelt werden die Arbeiten bezüglich des Thesaurus sowie rechtliche Aspekte der Arbeit in Gedenkstättenbibliotheken. Alle interessierten BibliothekarInnen/MitarbeiterInnen aus den Gedenkstätten, die sich bisher an der Arbeitsgemeinschaft noch nicht beteiligt haben, sind natürlich herzlich eingeladen und willkommen.
Für eventuelle Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Irmela Roschmann-Steltenkamp
Topographie des Terrors
Tel. 030-25450923
e-mail topografie@stiftung.b.shuttle.de.