Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes

Rückblick, Bilanz und Erwartungen an eine Aktualisierung
12/2022Gedenkstättenrundbrief 208, S. 3-12
Detlef Garbe

Meinen Impulsvortrag[1] gliedere ich in drei Abschnitte, von denen die ersten beiden nur kurz ausfallen können. Diese beschäftigen sich mit einem kurzen Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte des Bundesgedenkstättenkonzepts und dem Versuch einer Bilanz der Erfahrungen mit diesem Förderungsinstrument. Der dritte Punkt gilt den Erwartungen an eine Novellierung des Konzepts, die sich aus den über 20-jährigen Erfahrungen und angesichts der aktuellen Problemlagen ergeben.

Die Anfänge sind allgemein bekannt. Die zunächst weitgehend von Überlebenden des NS-Regimes unter der Ägide der Besatzungsmächte initiierten Gedenkstätten hatten in den Nachkriegsjahrzehnten keine Lobby, viele in der frühen Nachkriegszeit errichteten Denkmale verfielen oder wurden sogar beseitigt. Auch in den 1980er-Jahren, als im Zuge des Generationenwechsels durch bürgerschaftliches Engagement vielerorts die Suche nach den vergessenen Lagern aufgenommen wurde und in immer mehr Orten mit Ausstellungen versehene Gedenkstätten entstanden, traf dies zum Teil noch auf starke gesellschaftliche und politische Widerstände. Den Durchbruch und politische Akzeptanz bis in die Mitte der Gesellschaft hinein fanden die Gedenkstätten aber erst in den 1990er-Jahren.

Bereits im Einigungsprozess stellte sich die Frage nach der weiteren Unterhaltung der in der DDR errichteten Mahn- und Gedenkstätten. 1993 erklärte sich die Bundesregierung zu einer übergangsweisen hälftigen Mitfinanzierung der Gedenkstätten Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen bereit. In diesen Jahren sprach sich die vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur« für die Schaffung von Gedenkstätten aus, die an Verfolgung und Widerstand in der DDR erinnerten, erklärte es aber zugleich für ausgeschlossen, dass eine Konzeption sich allein auf Gedenkstätten für die Zeit nach 1945 beschränken dürfe. War zuvor vom Bund stets die Auffassung vertreten worden, dass die Förderung von Gedenkstätten ausschließlich in die Kulturhoheit der Länder fiele, setzte sich nun die Erkenntnis einer Verantwortung für Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung durch, wobei der Wert einer dezentralen Erinnerungskultur an Bedeutung gewann.

Auch wenn die Verantwortung des Bundes für die Hinterlassenschaften der einstigen nationalsozialistischen Terrorstätten erst durch den Umweg der Auseinandersetzung mit den Folgen des SED-Regimes erkannt und anerkannt wurde, schuf die Gedenkstättenkonzeption des Bundes für die an die Verbrechen des NS-Regimes erinnernden Gedenkstätten eine wesentliche Voraussetzung für deren Weiterentwicklung. Die 1999 vom Bundestag beschlossene Gedenkstättenkonzeption befand sich schon in ihrer Entstehungsgeschichte, über die Claudia Rudnick, Cornelia Siebeck und andere geforscht haben, aber nicht weniger in den letzten zwei Jahrzehnten in einem umkämpften geschichtspolitischen Spannungsfeld. Die Konzeption bekannte sich zur Singularität des Holocaust und berief sich hinsichtlich der deutschen Diktaturerfahrungen ausdrücklich auf die »Faulenbach-Formel«, wonach gelte, »dass weder die nationalsozialistischen Verbrechen relativiert werden dürfen noch das von der SED-Diktatur verübte Unrecht bagatellisiert werden darf«. Keine vier Jahre nach ihrer Verabschiedung forderte die Unionsfraktion 2003 ihre grundlegende Revision, um die Gewichte zugunsten einer stärkeren Berücksichtigung der doppelten Diktaturgeschichte in Deutschland und des Gedenkens an die Opfer des SED-Regimes neu zu justieren. Die Fortschreibung der Konzeption 2008 zu Zeiten der großen Koalition unter der Regierung Merkel bekräftigte zunächst nachdrücklich die grundlegenden konzeptuellen Eckpunkte mit der Betonung der authentischen Orte, der Forderung nach Wissenschaftlichkeit und Bildungsorientierung, der Einbeziehung der Opferverbände und der Unabhängigkeit der Gedenkstätten. Auch wenn die Fortschreibung die Aufnahme der vier großen KZ-Gedenkstätten in den alten Ländern (Bergen-Belsen, Dachau, Flossenbürg und Neuengamme) in die institutionelle Förderung vorsah und die Möglichkeiten zur Projektförderung von Gedenkstätten stärkte, die sich in kommunaler oder privater Trägerschaft befanden, so ging sie gleichwohl von einer »Parallelisierung« der Förderung von Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus und von Gedenkstätten für Opfer des DDR-Unrechts aus. Dass die verstärkte Förderung von Gedenkstätten, die an das DDR-Unrecht erinnern, nicht zulasten der Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus gehen durfte, trug mit dazu bei, dass die entsprechenden Fördermittel ab dem Haushaltsjahr 2009 um 50 Prozent angehoben wurden. Erneut kamen der geschichtspolitische Streit und die Konfliktvermeidungsstrategie des Bundes de facto allen Gedenkstätten zugute.

Als dann aber der nach den Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag Ende 2013 abgeschlossene Koalitionsvertrag abermals die Gewichte verschob, fasste die »Jüdische Allgemeine« am 23. Januar 2014 ihren vom damaligen Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Habbo Knoch verfassten Leitartikel zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus unter die plakative Überschrift »Falsche Priorität. Das Holocaust-Gedenken läuft Gefahr, in die zweite Reihe der deutschen Geschichtspolitik zu geraten«. Die im Koalitionsvertrag genannten Schwerpunkte, nämlich die Stärkung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die nahezu ausschließliche Nennung von Entwicklungsvorhaben bei den Gedenkstätten zur Erinnerung an Stalinismus und SED-Diktatur und die Aufnahme des Jugendwerkhofs Torgau in die institutionelle Förderung des Bundes, seien Zeichen eines »geschichtspolitischen Paradigmenwechsels«.

Zumindest die Praxis bei den Projektförderungen, bei der sich die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) durch ein Expertengremium beraten lässt, bestätigten die Befürchtungen allerdings nicht.

Damit komme ich zum nächsten Punkt.

Die sich inzwischen über 22 Jahre erstreckenden Erfahrungen mit der Gedenkstättenkonzeption, so vielschichtig sie im Einzelnen auch sein mögen, bestätigen in toto deren große geschichtspolitische Bedeutung. Auch wenn der hohe Stellenwert, den die Erinnerungskultur für das Selbstverständnis der Bundesrepublik heute einnimmt, verschiedene Wurzeln und Gründe hat, so hat die durch die Gedenkstättenkonzeption stark belebte Entwicklung der Gedenkstätten einen großen Anteil daran. Sie trug wesentlich zur Professionalisierung und Institutionalisierung der Gedenkstätten bei. Sie sind heute nicht nur Orte der Trauer und des Gedenkens, sondern auch moderne Bildungseinrichtungen und – zumindest die größeren von ihnen –zeithistorische Museen, für die entsprechende wissenschaftliche Standards gelten.

Die über 400 Gedenk- und Dokumentationsstätten existieren heute in nahezu jeder deutschen Großstadt und fast in allen Regionen, wenngleich in unterschiedlicher Dichte und von recht unterschiedlicher Größe. Sie erreichen jährlich über fünf Millionen Besucherinnen und Besucher. Von ihnen gehen wesentliche Impulse für die historisch-politische Bildung und für das außerschulische Lernen aus, sie sind Veranstaltungs- und zuweilen auch Orte kulturellen Lebens. Viele von ihnen haben internationale Bedeutung, sie werden in der Presse des In- und Auslandes wahrgenommen.

Zur Förderpraxis des Bundes habe ich 2016 im GedenkstättenRundbrief Nr. 182 einen Aufsatz veröffentlicht, der eigentlich einer Fortschreibung bedarf. Schon damals ließ sich ein signifikanter Mittelzuwachs nachweisen, der allerdings in erster Linie bei den institutionellen Förderungen und bei den ein- und mehrjährigen Maßnahmen, aber gerade nicht bei den Projektförderungen nach der Gedenkstättenkonzeption des Bundes festzustellen war, für die der Mittelansatz in den letzten 10 Jahren schrittweise abgesenkt wurde.

Der aktuelle Bundeshaushalt weist für die institutionellen Förderungen bei den Gedenkstätten insgesamt 29 Millionen Euro aus, bei den Maßnahmen rund 10 Millionen Euro und für Projektförderungen nach dem Gedenkstättenkonzept etwas über 5 Millionen. Zum Vergleich: Bei der Stiftung Deutsches Historisches Museum (einschließlich Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung) lautet der Titelansatz 52 Millionen zzgl. 12 Millionen für Baumaßnahmen, für den »Internationalen Suchdienst Bad Arolsen« 16 Millionen und für die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 8 Millionen.

Meines Erachtens hat sich die Gedenkstättenkonzeption des Bundes in folgenden Punkten grundsätzlich bewährt:

Die haushaltsrechtlich gebotene Forderung nach einer Komplementärfinanzierung führte auf Seiten der Länder zu einer Mobilisierung der für die Gedenkstättenarbeit bereitzustellenden Mittel.

Die Einreichung von Anträgen ausschließlich über die in den Bundesländern für Kultur zuständigen Ministerien forderte von den Ländern über die Zusicherung der Gegenfinanzierung hinaus eine fachliche Vorprüfung und nahm sie bei Projekten, die für eine Förderung des Bundes nicht in Frage kamen, selbst stärker in die Pflicht.

Der Katalog der Kriterien, die für Förderungen nach der Gedenkstättenkonzeption zu erbringen waren, setzte qualitative Standards, die der Professionalisierung der Gedenkstättenarbeit zugutekamen. Dies gilt beispielsweise für das Kriterium, dass bei Projekten die Beteiligung von wiss. Beiräten und Opferverbänden erwartet wurde.

Auch die Prüfung der Projektanträge durch ein Expertengremium, dessen Zusammensetzung in der Fortschreibung von 2008 erläutert wurde, hat sich trotz mancher gremienspezifischen Stolperschwellen bewährt. Vorteilhaft war auch, dass die Betrachtung bzw. Bewertung von Förderanträgen zu den Bereichen Nationalsozialismus und SED-Diktatur durch ein gemeinsames Expertengremium in einem von beiden BKM-Referaten vorbereiteten Verfahren erfolgt, denn dadurch wurden für beide Bereiche gleiche Standards zugrunde gelegt.

Natürlich gibt es auch Punkte, an denen sich konzeptionelle Defizite offenbarten:

Bei der auch kleinen bzw. mittelgroßen Gedenkstätten in kommunaler oder privater Trägerschaft prinzipiell offenstehenden Projektförderung zeigte sich eine Tendenz zur Stärkung der großen Gedenkstätten, die aufgrund ihrer inhaltlichen wie institutionellen Professionalisierung besser den Erfordernissen der Antragstellung, der technischen Realisierung und der finanziellen Abwicklung entsprechen konnten. Dies wurde durch die zunehmenden administrativen Anforderungen befördert, zum Beispiel durch Unterwerfung aller Projekte mit Baubestandteilen unter das Regelwerk der »Richtlinien für die Durchführung von Zuwendungsbaumaßnahmen« (RZBau).

Das Erfordernis der für einen Unrechtskomplex exemplarischen Bedeutung eines historischen Ortes führte in der Antragstellung zu einer Überstrapazierung von »Alleinstellungsmerkmalen«.

Auch im Verfahren selbst gab es intransparente Abläufe, etwa unterschiedliche Betrachtungen hinsichtlich der Erfordernisse der Komplementärfinanzierung. Dies betraf den Umgang mit Drittmitteln und die Frage, ob es sich bei der Gegenfinanzierung um eine durch das Sitzland oder aus dem Sitzland handeln muss.

Nur in sehr wenigen Fällen kam es zur Förderung von Projekten, die länderübergreifend durchgeführt wurden. Sie ließen sich nur schwer realisieren, da die Abwicklung nur durch ein Bundesland federführend übernommen werden konnte.

Ein zunehmend schwieriges Problem entstand durch die Bugwelle bereits bewilligter Projekte, bei denen verschobene Zeitpläne Mittel in der Finanzplanung von BKM binden.

Da eine Evaluierung realisierter Projekte nicht im Verfahren implementiert ist, konnten für weitere Entscheidungen entsprechende Erkenntnisse nicht oder nur unzureichend zugrunde gelegt werden.

Diskussionswürdig sind auch Förderentscheidungen für Gedenkstättenprojekte außerhalb des regulären Verfahrens im Rahmen des Bundesgedenkstättenkonzepts. Dies betraf nicht nur Großprojekte, bei denen Förderentscheidungen durch den Bundestag bzw. in den sogenannten Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses getroffen wurden, sondern auch Projekte, gegen deren Förderung sich das BKM-Expertengremium aus fachlicher Sicht ausgesprochen hatte.

Ich komme nun im dritten Teil meines Impulsreferats zur anstehenden Novellierung der Gedenkstättenkonzeption. In der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten, dem Expertengremium und bei BKM war lange Zeit fraglich, ob eine Neufassung der Konzeption anzustreben sei, da es Befürchtungen gab, dass eine Überarbeitung auch zu einem nachteiligeren Ergebnis führen konnte – das Forum der Landesarbeitsgemeinschaften sah dies anders. Nun ist mit dem Koalitionsvertrag der neuen Regierungspartner vom Dezember 2021 eine politische Entscheidung getroffen. Der Koalitionsvertrag sieht eine Aktualisierung der Gedenkstättenkonzeption ebenso vor wie die auskömmliche Finanzierung der Gedenkstättenarbeit, die Verstetigung des Förderprogramms »Jugend erinnert« und eine Stärkung lokaler Initiativen.

Inzwischen sind hierzu von vielen Seiten zahlreiche Überlegungen erfolgt. So hat es bereits im Januar ein Gespräch des Gedenkstättenverbandes mit BKM gegeben und im Mai ein weiteres Gespräch der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten mit BKM. Im März befasste sich das Expertengremium im Rahmen einer Klausurtagung mit der Aktualisierung der Gedenkstättenkonzeption. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, haben auch Gespräche der BKM mit der SED-Opferbeauftragten und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden stattgefunden. Und sicherlich noch viele Gespräche mit weiteren Stakeholdern. Inzwischen, so scheint mir, prägen andere Themen die Agenda. Fragen, die sich infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stellten, wobei die Bildung der BKM-Taskforce Ukraine auch den Gedenkstättenbereich betreffen.

Auch von vielen der hier Anwesenden sind Positionspapiere erarbeitet worden, oft gleich mehrere. Das letzte mir vorliegende Papier ist die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland »Sicherung, Professionalisierung und Vernetzung der Gedenkstättenarbeit« vom Juli 2022. Etliche der folgenden Gedanken sind diesem Papier entnommen.

Der Krieg in der Ukraine, der die in den letzten Jahrzehnten gewachsene europäische Friedensordnung fundamental infrage stellt, vom Bundeskanzler unter dem Begriff »Zeitenwende« gefasst, zeigt auch seine Auswirkungen auf die Gedenkstättenarbeit. Die Frage einer »auskömmlichen Finanzierung« der Gedenkstättenarbeit hat eine bei Abfassung des Koalitionsvertrags noch ungeahnte Bedeutung angenommen. Aufgrund der derzeitigen Kostensteigerungen (Personal-, Energie und Unterhaltungskosten) können die Gedenkstätten ihren bildungspolitischen Auftrag nur noch unzureichend erfüllen. Kaum, dass die Gruppenzahlen und die Nachfrage nach Bildungsprogrammen fast wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen sind, müssen jetzt in vielen Gedenkstätten aufgrund fehlender Ressourcen Absagen erfolgen. Dabei stehen auch hier wie in anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen die großen Belastungen noch bevor.

Die Abmilderung dieser sich aus der aktuellen Krise ergebenen finanziellen Belastungen gehört eigentlich nicht in eine Konzeption, die mittel- und langfristige Perspektiven skizzieren und entsprechende Verfahrensschritte fixieren möchte. Diese aktuelle Gefährdung darf aber auch nicht unausgesprochen bleiben, zeigt sie doch wie begrenzt die Möglichkeiten für gravierende Veränderungen zumindest in der nahen Zukunft tatsächlich sein werden.

Die aktuelle politische Situation, in der sich die bundesdeutsche Gesellschaft und Wirtschaft in einer bislang unbekannten Krisenlage befindet – mit starken sozialen Verwerfungen, vielleicht sogar globalen Gefährdungen der Demokratien – stellt auch die Gedenkstätten vor große Herausforderungen. Im Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten heißt es dazu: »Nicht nur der russische Angriff auf die Ukraine bedeutet eine geschichtspolitische ›Zeitenwende‹. Autokratische und antiliberale Tendenzen zeigen sich überall auf der Welt, extrem rechte Parteien sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch; die Verbreitung von Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus und systematischer Desinformation vor allem im Internet hat sich während der Corona-Pandemie noch einmal verstärkt.«

Die Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten, in der sich große, in mittelbarer Landesträgerschaft befindliche und institutionell vom Bund mitgetragene Einrichtungen organisieren, führten die sich inzwischen immer deutlicher zeigenden finanziellen Schwierigkeiten aber auch auf eine sich schon zuvor stärker abzeichnende strukturelle Unterfinanzierung der Haushalte zurück. Projektförderungen aus verschiedenen öffentlich finanzierten Programmen wie Drittmittelprojekte mit der Folge vieler befristeter Beschäftigungsverhältnisse täuschen über die tatsächlichen Schwierigkeiten hinweg. Konstatiert wird zudem ein erheblicher Sanierungsstau im baulichen und digitalen Bereich, ferner stehen Erneuerungen der teilweise mehr als 20 Jahre alten Dauerausstellungen in einer Reihe der großen KZ-Gedenkstätten an, für die momentan die finanziellen Voraussetzungen fehlen. Dies verweist auch auf ein haushaltstechnisches Problem der institutionellen Förderungen. Da die Zuwendungen durch den Bund auf dem Wege der Fehlbedarfsfinanzierung ausgesprochen werden, ist es den Zuwendungsempfängern nicht erlaubt, Rücklagen zum Beispiel für größere Projekte oder Bauunterhaltungsbedarf zu bilden. Dadurch waren und sind kostenintensive Vorhaben wie die Erneuerung von Dauerausstellungen auf das Mittel der Projektförderungen auf Grundlage der Gedenkstättenkonzeption des Bundes verwiesen, so dass der Mittelbedarf für die großen »Tanker« das Fördervolumen für die kleineren »Schiffe« begrenzte.

Beklagt wird eine zunehmende Unwucht in der Bundes- und Länderfinanzierung im Bereich der Erinnerungskultur: »Während in den institutionell von der BKM geförderten Gedenkstätten selbst um Kleinstbeträge gestritten werden muss und viele Vorhaben gestreckt oder sogar gestrichen werden müssen, wurden etliche Großprojekte mit Volumina von teils über 100 Mio. Euro auf den Weg gebracht.« Die vom Deutschen Historischen Museum jüngst vorgelegten Vorschläge für die im Oktober 2020 vom Bundestag beschlossene Dokumentations-, Bildungs- und Erinnerungsstätte zur Geschichte der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft beziffern die geschätzten Investitionen für einem Bau mit 15 000 Quadratmeter Fläche auf 134 Millionen Euro. Und auch die Kosten allein für in das Förderprogramm des Bundes aufgenommenen Sanierungsmaßnahmen im Bereich des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg dürften die 100 Millionen Euro überschreiten.

Die Fokussierung auf Zentralinstitutionen steht zweifellos in einem Spannungsverhältnis zu den geschaffenen Strukturen der bisherigen bundesdeutschen Gedenkstättenlandschaft, deren Dezentralität stets als vorbildlich herausgestellt wird.

 

Vor diesem Hintergrund werden an die Neufassung der Gedenkstättenkonzeption zahlreiche Erwartungen gestellt, die ich hier nur in Kurzform auflisten kann.

Förderung von Projekten, die das zivilgesellschaftliche, kommunale und regionale Engagement stärken. Als zusätzliche Gesichtspunkte bei der Förderung sollten die regionale Verteilung und innovative Modelle berücksichtigt werden.

Um der in der Projektförderung eingebetteten Gefahr zu begegnen, dass nach einer vom Bund geförderten Anschubfinanzierung nach Projektabschluss der Schub auf Seiten des Landes oder der kommunalen Träger schwindet, sollten zur Sicherung der Nachhaltigkeit über die Forderung nach Übernahme der Betriebskosten und hauptamtlich abgesicherter Betreuung hinaus noch weitere Anforderungen implementiert werden, zum Beispiel in mehrjährigen Abständen die Abgabe von Berichten über die weitere Entwicklung der geförderten Projekte. Zugleich sollte es auch Möglichkeiten für eine weitere punktuelle Beteiligung durch den Bund geben, etwa in Form von Optionen für Nachfolgeprojekte oder die Ermöglichung mehrstufiger Realisierungen, sofern die Komplementärfinanzierung aus dem jeweiligen Sitzland gewährleistet ist.

Auch wenn in der Gedenkstättenkonzeption der Bezug auf historische Orte, die in besonderer Weise von den Verbrechen und dem Herrschaftsvollzug im Nationalsozialismus zeugen, unbedingt beizubehalten ist, sollten Förderwege auch für nicht ortsbezogene und Bundesländer übergreifende Projekte geschaffen werden.

Kernpunkt muss der Umgang mit dem Erbe der NS-Verbrechen und des DDR-Unrechts bleiben, auch um historischer Entkonkretisierungen und beinahe beliebigen Universalisierungen keinen Vorschub zu leisten. Dem widerspricht nicht die erwünschte Diversifizierung des Gedenkens, der Verweis auf andere Menschenrechtsverletzungen und Genozidverbrechen in Geschichte und Gegenwart und das Verständnis von Gedenkstätten als Lernorte für die Demokratie. Diese Orientierungen sind seit vielen Jahren fester Bestandteil der Gedenkstättenarbeit ebenso wie Formate internationaler und intergenerationaler Begegnungen sowie diversitätsorientierte, inklusive und möglichst barrierefreie Angebote.

Die Vielzahl der in den letzten Jahren verstärkt diskutierten weiteren erinnerungskulturellen Themen wie die im Koalitionsvertrag hervorgehobene Notwendigkeit zur Aufarbeitung kolonialer Kontexte oder das Gedenken an die Opfer des Rechtsterrorismus weisen zweifellos Verbindungen und Bezüge zur Gedenkstättenarbeit aus. Auch diesen Verflechtungen widmen sich viele Gedenkstätten in ihren Bildungsprogrammen. Denn der Holocaust verliert nichts »von seinem Schrecken, wenn er in den Kontext einer europäischen und globalen Geschichte der Gewalt gestellt wird«, so Michael Wildt in seiner Abschiedsvorlesung vom 17. Februar 2022 über die Singularität des Holocaust.

Auch wenn deshalb denkbar ist, andere erinnerungskulturelle Themen im Rahmen der Gedenkstättenkonzeption mit darzustellen, bedürfen sie, wie beim »Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung der Orte deutscher Demokratiegeschichte« geschehen, einer getrennten Umsetzung auf Grundlage eigener Förderlinien.

Auch wenn die Gedenkstätten durch Ausstellungen, Publikationen, Seminare usw. vielfach bestätigt haben, dass sie zur Erforschung der Herrschaftssysteme des NS-Regime und der DDR wichtige Beiträge leisten, gilt es ihre diesbezüglichen Kompetenzen weiter zu stärken. Zumal durch die – auch der Antragslogik bei Drittmittelprojekten entsprechende – anwendungsbezogenen Forschungsformate die Grundlagenforschung ins Hintertreffen geraten ist und zu bestimmten Aspekten auch nur selten durch die Universitäten geleistet werden kann. Gemeinsame Forschungsprojekte wären sehr hilfreich, die einrichtungsübergreifend sind, sich auf mehrere Bundesländer beziehen sowie auch ausländische Gedenkstätten einbeziehen können. Hier sei beispielsweise darauf verwiesen, dass sowohl eine gemeinsame Erfassung und Auswertung aller Transportbewegungen innerhalb der Lagersysteme fehlt wie auch ein lagerübergreifendes Kalendarium. Auch die Datenbanken zu Häftlingen, zu Verfolgern und Nutznießern weisen bis heute erhebliche Lücken auf. Hier könnte auch den »Arolsen Archives« eine koordinierende Rolle zukommen. Der Tunnelblick auf den jeweils einzelnen Ort verhindert Synergien.

Im Unterschied zu den Gedenkstätten zum DDR-Unrecht, die Mittel zu Forschungsprojekten bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur beantragen können, gibt es eine solche Förderlinie für die NS-Gedenkstätten nicht. Da auch im Koalitionsvertrag festgehalten ist, dass Forschung in Gedenkstätten gefördert werden soll, gilt es hier, neue Wege zu ermöglichen. Hierzu bieten sich verstärkt Tandemprojekte mit Universitäten und Forschungseinrichtungen an, auch um dadurch bislang den Gedenkstätten verschlossene wissenschaftsübliche Antragswege – Stichwort DFG – zu erschließen. Für solche Kooperationen bedürfen die Gedenkstätten Ressourcen, die seitens der Universitäten als auch als Beitrag erwünscht bzw. gefordert sind. Auch Forschungsstipendien für den Aufenthalt von Forschenden können eine sinnvolle Ergänzung sein. Für größere Gedenkstätten bieten sich auch unmittelbare personelle Verzahnungen mit Universitäten an, wie dies beispielsweise bei den Gedenkstättenleitungen von Buchenwald, Flossenbürg und Sachsenhausen schon der Fall ist.

Stärker als es bisher vereinzelt über den Weg von Pilotprojekten etwa im Bereich von Digitalisierungsstrategien oder bei inklusiven Formaten schon angestrebt wurde, sollten Vorhaben gefördert werden, die über den ortsbezogenen Nutzen hinaus auch einen Mehrwert für andere Gedenkstätten erzeugen. Nicht zuletzt, weil viele Fragen von allgemeiner Bedeutung sind, etwa die Sicherung von Erfahrungswissen und private Sammlungen von ehrenamtlichen Akteurinnen und Akteuren, welche oftmals die Entstehung von Gedenkstätten geprägt haben.

Das in der letzten Legislaturperiode in Ergänzung zu den beiden in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes bewährten Wegen der anteiligen institutionellen Förderung der Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung sowie den ebenfalls von Bund und Ländern zu gleichen Anteilen getragenen Projektförderungen eingerichtete Programm »Jugend erinnert« soll – so die Formulierung im Koalitionsvertrag – »verstetigt und modernisiert« werden. Die Eckpunkte dieses Modells, das auf das Erfordernis einer komplementären Kofinanzierung verzichtet und die Zusammenarbeit von Gedenkstätten mit anderen Trägern in der Entwicklung neuer Formate der Bildungsarbeit fördert, haben sich bewährt. Über die Begleitung und Vernetzung im Förderprogramm »Jugend erinnert« ist im GedenkstättenRundbrief Nr. 207 ein Bericht von Florian Kemmelmeier erschienen. Im Nucleus der Projekte stehe demnach die Frage, wie in der dezentral verfassten Gedenkstättenlandschaft über kurze Impulse hinaus die intendierte zukunftsorientierte Wirkung auch tatsächlich zu erzielen sei. Die Praxisberichte klingen vielversprechend ebenso wie Kemmelmeiers Fazit: »Es geht um’s Licht, nicht um die Leuchttürme.«

Auch wenn die Verstetigung dieses als Projekt aufgesetzten Programms die BKM vor haushaltsrechtliche Probleme stellen dürfte, insbesondere wenn die vorgeschlagene Verlängerung der Förderungszeiträume umgesetzt werden sollte, ist die Fortführung von »Jugend erinnert« ausgesprochen wünschenswert. Denn die positiven Erfahrungen kommen in hohem Maße kleineren und mittelgroßen Gedenkstätten zugute, die bislang keine Förderung aus Mitteln der BKM erhalten haben. Bei der Neufassung des Programms ist auch zu prüfen, ob eine direkte Angliederung bei BKM zweckmäßig ist oder die Abwickelung nicht besser ausgegliedert werden sollte. Dafür bietet sich ein entsprechend ertüchtigtes Gedenkstättenreferat an, das zugleich Hilfestellungen bei Antragstellungen, eine inhaltliche Begleitung gewährleisten und die Gedenkstätten als Projektträger ertüchtigen könnte, auf kommunaler und regionaler Ebene Mittel einzuwerben.

Die zentrale Bedeutung des Gedenkstättenreferats für die Vernetzung der Gedenk- und Lernorte ist unstrittig. Sie dokumentiert sich in der Organisation des Informationsaustausches durch Seminare, durch den inzwischen in über 200 Ausgaben als Fachorgan erschienenen GedenkstättenRundbrief, durch das GedenkstättenForum und durch die Beratung einer großen Zahl von Arbeitsgemeinschaften (Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten, Verband der Gedenkstätten in Deutschland, AG Gedenkstättenpädagogik, Arbeitsgruppen der Gedenkstätten an Orten früher Lager, im Bereich der Justizhaftanstalten, der Euthanasieverbrechen und der Fach-Arbeitskreise Archive und Bibliotheken, Datenbanken und Forschung, Pädagogik, ferner der Landesarbeitsgemeinschaften). Diese umfassenden Koordinationsfunktionen legitimieren das Gedenkstättenreferat auch als Vertretung der bundesdeutschen Gedenkstättenarbeit in internationalen Zusammenhängen wie der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und dem International Committee of Memorial Museums in Remembrance of the Victims of Public Crimes (IC Memo)/International Council of Museums (ICOM).

 

Schon seit längerem wird auf unterschiedlichen Ebenen im Zusammenhang mit dem bevorstehen altersbedingten Ausscheiden von Thomas Lutz überlegt, wie sein immenses Erfahrungswissen gesichert und die Arbeit des Gedenkstättenreferats fortgeführt werden kann. Hierzu gibt es erste Verabredungen, die in den nächsten Monaten der weiteren Ausgestaltung bedürfen.

Ein personell aufgestocktes Gedenkstättenreferat könnte noch stärker als bisher auch Maßnahmen im Bereich der Fortbildung und Qualifizierung von Mitarbeiter:innen der Gedenkstätten initiieren. Hierbei ist auch an die Entwicklung von Nachwuchsprogrammen, zum Beispielen im Rahmen der Volontariatsausbildung und internationalen Austauschprogrammen zu denken. In einigen der vorliegenden Konzeptpapiere ist dieser Aufgabenbereich unter dem etwas missverständlichen Begriff einer Gedenkstättenakademie gefasst worden. Hierbei ist aber nicht an eine zusätzliche ortsgebundene Akademie gedacht, wie es etwa bei der Akademie für kulturelle Weiterbildung in Wolfenbüttel der Fall ist. Die Idee zielt vielmehr auf unterschiedliche Kooperationsformate und den Aufbau eines kontinuierlichen digitalen Netzwerks.

Zu überlegen ist, ob neben Berichten der Projektträger zur Nachhaltigkeit von Projekten auch externe Evaluationen und Elemente der seit langem geforderten Besucherforschung in der Gedenkstättenkonzeption implementiert werden sollten. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob die regelmäßige, zum Beispiel zweijährliche Vorlage eines Berichts zum Stand der Gedenkstättenförderung durch BKM einer stärkeren Wahrnehmung im politischen Raum, insbesondere im Bundestag, dienlich ist oder ob eine solche Maßnahme letztlich nur Ressourcen bindet, die anderweitig besser eingesetzt werden können.

Mit Bedacht habe ich die Frage nach organisatorischen Neustrukturierungen ans Ende meiner Ausführungen gerückt. Von verschiedenen Akteuren, so dem Gedenkstättenverband und der Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten ist die Schaffung einer auf einer breiten Trägerschaft gegründeten »Bundesstiftung Erinnern an die NS-Verbrechen, an ihre Opfer und Folgen« vorgeschlagen worden. Zum einen sollte durch die Äquivalenz zur Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur und damit die Möglichkeit zur Ausreichung von Fördermittel das bestehende Ungleichgewicht ausgeglichen werden. Zum zweiten sollten die Stiftungsgremien eine maßgebliche Mitwirkung von Vertretungen der Gedenkstätten an den inhaltlichen Entscheidungen gewährleisten. Und zum dritten sollten dadurch Möglichkeiten für Zustiftungen und für Mitwirkungen weiterer Förderinstitutionen bzw. privater Stiftungen eröffnet werden, sich an einer Bundesstiftung zu beteiligen und innerhalb des Stiftungsprofils auch eigene Programmlinien beisteuern zu können. Es dürfte bekannt sein, dass sich zumindest eine Stiftung an der Förderung des Gedenkstättenreferats zunächst interessiert zeigte.

Unabhängig davon, dass es einer juristischen Prüfung bedarf, ob und wie eine »institutionelle« Einbindung privater Dritter in eine Bundesstiftung möglich ist, liegt das Primat für die in den letzten Jahrzehnten als staatliche Aufgabe erkannte Gedenkstättenförderung bei der Legislative, beim Bundestag. Da im politischen Raum aber derzeit keine Neigung erkennbar ist, sich dem administrativen Kraftakt der Etablierung einer weiteren Bundesstiftung zu unterziehen, und weitergehende Vorstellungen wie eine von Bund und Ländern gleichermaßen getragene Gedenkstättenstiftung gänzlich aussichtslos erscheinen, sollte man sich auf das Denk- und Machbare konzentrieren. Und auch hier wird es schwer genug werden und eines langen Atems bedürfen, ehe eine aktualisierte Gedenkstättenkonzeption unter den genannten derzeitigen politischen Rahmenbedingungen wird Früchte tragen können.

 

Prof. Dr. Detlef Garbe war bis 30. Juni 2022 Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. Er ist Mitglied im Expertengremium Gedenkstättenförderung bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

 

[1]    Der Artikel ist die etwas längere Version des Impulsvortrags während der 10. Bundesweite Gedenkstättenkonferenz im Kreismuseum Wewelsburg, gehalten am 22. 9. 2022.

 

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