Einleitung zur Sonderausgabe des GedenkstättenRundbriefs

Anlässlich "30 Jahre Gedenkstättenreferat der Stiftung Topographie des Terrors" zur Verabschiedung von Thomas Lutz
07/2023Gedenkstättenrundbrief 210, S. 7-9
Andrea Riedle

Seit 30 Jahren gehört das Gedenkstättenreferat zur Stiftung Topographie des Terrors! Aufs Engste war es in all dieser Zeit mit dem Gedenkstättenreferenten Dr. Thomas Lutz verknüpft. Dieser hatte seine Tätigkeit bereits 1984 bei der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste aufgenommen und war 1993 mit dem Gedenkstättenreferat zur Stiftung Topographie des Terrors gewechselt. Bald vier Jahrzehnte hat er das Gedenkstättenreferat geprägt. Die Bandbreite an Themen, die diese Sonderausgabe des GedenkstättenRundbriefs anlässlich seines Ruhestands behandelt, ist beeindruckend. Sie zeugt von seinen vielfältigen Aktivitäten vom Zeitpunkt der Übernahme der Stelle bis zum Ruhestand Ende Juni 2023.

Als Mitarbeiter*in an einer Gedenkstätte in Deutschland ist es nur eine Frage der Zeit, bis man auf den Namen Thomas Lutz stößt. Man läuft ihm entweder beim Gedenkstättenseminar über den Weg, trifft ihn in einem Beratungsgremium, wird auf ihn als Ansprechpartner für »Gedenkstättenfragen« verwiesen oder kontaktiert ihn wegen der Veröffentlichung eines Artikels im GedenkstättenRundbrief.

Ich habe Thomas Lutz im Kontext meines wissenschaftlichen Volontariats bei der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen von 2000 bis 2003 kennengelernt. Er war damals und ist bis heute Vorsitzender des Internationalen Beirats der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Als ich später im Archiv der Gedenkstätte für eine Veranstaltung recherchierte, stieß ich auf eine Einladung an die Mitarbeiter*innen der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen zum bundesweiten Gedenkstättenseminar im Jahr 1984. Ich war damals überrascht, dass er offenbar noch vor dem Fall der Mauer den Austausch mit den Gedenkstättenmitarbeiter*innen der DDR suchte. Die deutsche Teilung war für ihn offensichtlich kein Hinderungsgrund.

Das Gedenkstättenreferat war erst im Jahr zuvor, im Januar 1983 auf Wunsch der Gedenkstätten für die NS-Opfer in der BRD bei der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. eingerichtet worden. Eine zunehmende Zahl von Gedenkstätten machte es erforderlich, ein Netzwerk zu etablieren und dieses zu koordinieren. Im Februar 1993 wechselte das Gedenkstättenreferat aus inhaltlichen und finanziellen Gründen zur Stiftung Topographie des Terrors, die sich gerade im Aufbau befand.

Die Anbindung des Gedenkstättenreferats an die Stiftung Topographie des Terrors bot sich aufgrund der historischen Zusammenhänge besonders an. Die Behörden von SS und Polizei, die auf dem heutigen »Topographie«-Gelände ihren Hauptsitz hatten, sind mit jedem Verbrechenskomplex des Nationalsozialismus verbunden. Hinzu kommt, dass es für eine kompetente übergreifende Beratungstätigkeit des Referats wichtig ist, dass auch die Mitarbeiter*innen in einer Gedenkstätte oder in einem NS-Dokumentationszentrum tätig sind. Von dieser Wechselwirkung profitieren alle Seiten.

Nach der deutschen Einheit 1990 hat sich die Gedenkstättenlandschaft stark verändert. Die Zahl der Gedenkstätten und der Mitarbeiter*innen nahm zu, die Einrichtungen professionalisierten sich und übernahmen immer mehr Aufgaben. Mit dieser Entwicklung wuchs auch die Bedeutung der Koordination des Netzwerkes der Gedenkstätten. Wichtige Instrumente sind hier das Gedenkstättenseminar, die Gedenkstättenkonferenz und der GedenkstättenRundbrief. Das Gedenkstättenreferat koordiniert zudem zahlreiche professionelle Zusammenschlüsse, unter anderem die AG KZ-Gedenkstätten, das FORUM der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, -initiativen und Dokumentationszentren zur NS-Geschichte, den Arbeitskreis Gedenkstättenpädagogik und die Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager.

Die Vernetzungs- und Beratungstätigkeiten des Gedenkstättenreferats ermöglichen es, fast alle 300 Gedenkstätten, Dokumentationszentren und Initiativen in Deutschland in einen übergreifenden Diskurs einzubinden. Dies umfasst sowohl Institutionen, die aufgrund der Bundes- und/oder Landesförderung kontinuierlich gefördert werden als auch kleinere Gedenkstätten, die nur über wenige Mitarbeiter*innen verfügen oder ehrenamtlich betrieben werden. Der beständige Austausch der unterschiedlichsten Einrichtungen hat zu der hohen Qualität der Gedenkstättenarbeit in Deutschland ganz wesentlich beigetragen. Dieser Austausch ist in Umfang und Intensität weltweit einmalig.

Das Gedenkstättenreferat übernimmt darüber hinaus auch Beratungsaufgaben auf internationaler Ebene. Seit 20 Jahren arbeitet Thomas Lutz als Delegierter der Bundesrepublik Deutschland in der International Holocaust Remembrance Alliance mit. 2001 hat er das International Committee of Memorial Museums in Remembrance of the Victims of Public Crimes im Weltmuseumsrat (ICOM) mitgegründet. Die Stiftung Topographie des Terrors berät über das Referat internationale Organisationen wie etwa die UNESCO sowie zahlreiche Mitarbeiter*innen von Gedenkstättenprojekten in anderen Ländern. Bei internationalen Debatten über die historische Aufklärung – zu NS-Verbrechen, aber auch zu anderen Staatsverbrechen – wird die Stiftung als wichtige Stimme wahrgenommen.

Angesichts der vielfältigen Aufgaben überrascht die bescheidene Stellenausstattung des Gedenkstättenreferats. Sie bestand bis vor kurzem aus einer Vollzeitstelle für die Leitung und seit 2001 einer ½-Stelle für die Bürokommunikation und redaktionelle Mitarbeit (Michaela Illner). Hinzu kommt jährlich ein*e Teilnehmer*in am Freiwilligen Sozialen Jahr (Kultur). Im Laufe des Jahres 2020 erhielt das Gedenkstättenreferat für die Dauer von jeweils zwei Jahren zwei Projektstellen, die mit Mitteln der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien (»Kultur in ländlichen Räumen« und »Jugend erinnert«) finanziert wurden. Davon profitierten vor allem die Arbeitsbereiche »Gedenkstättenpräsentation digital« und »Gedenkstättenpädagogik«. Dem Erfolg von »Jugend erinnert« und dem Einsatz engagierter Politiker*innen ist es zu verdanken, dass eine weitere Planstelle für das Gedenkstättenreferat gewährt wurde. Die Programmlinie »Jugend erinnert« wird fortgeführt und soll verstetigt werden.

Die Zukunft des Gedenkstättenreferats ist ein Thema, das Thomas Lutz bereits seit meinem Amtsantritt bei der Stiftung Topographie des Terrors im Januar 2020 intensiv beschäftigt. Umso erfreulicher ist es, dass das Ansinnen auf eine Stärkung des Gedenkstättenreferats bei der Politik auf ein positives Echo stößt. Thomas Lutz kann mit großer Zufriedenheit über das Geleistete in der Vergangenheit und mit positiven Ausblicken für die Zukunft in den Ruhestand gehen. Für diesen wünsche ich ihm, auch im Namen der Kolleg*innen der Stiftung Topographie des Terrors, alles erdenklich Gute!

Abschließend möchte ich den vielen Autor*innen für ihre Bereitschaft danken, trotz zum Teil hoher Arbeitsbelastung einen Artikel oder auch einen Kurzbeitrag zur Sonderausgabe des GedenkstättenRundbriefs beizusteuern. Besonders freue ich mich, dass es gelungen ist, mit den Beiträgen die große Bandbreite von Thomas Lutz’ Aktivitäten aufzuzeigen, die zeitlich sowohl seine Anfangszeit als auch aktuelle Entwicklungen umfasst. Außerdem haben wir uns entschieden, im Kapitel zur »Topographie des Terrors« drei Beiträge in diese Sonderausgabe aufzunehmen, die bereits früher, anlässlich der 100. Ausgabe des GedenkstättenRundbriefs sowie von »25 Jahre Gedenkstättenreferat« entstanden sind.

Eine Sonderausgabe des GedenkstättenRundbriefs ohne das Wissen des zuständigen Redakteurs Thomas Lutz herauszugeben, war eine große Herausforderung. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Florian Kemmelmeier, der das Projekt »Geheimausgabe GedenkstättenRundbrief« engagiert koordinierte, sich um maximale Geheimhaltung bemühte und vor allem auch die wichtigen redaktionellen Tätigkeiten übernahm. Herzlich danken möchte ich außerdem den weiteren Mitarbeiterinnen des Redaktionsteams, Dr. Stephanie Bohra und Dr. Erika Bucholtz, sowie Ulrich Tempel für seine Unterstützung bei der Fotoauswahl. Ein besonderer Dank gilt auch dem Team des Gedenkstättenreferats Arno Helwig, Julana Bredtmann und Michaela Illner für ihre Unterstützung in der Schlussphase sowie Kurt Blank-Markard, der – wie immer seit 1997 und doch unter deutlich herausfordernderen Umständen – auch dieses Mal die Gestaltung des GedenkstättenRundbriefs übernommen hat.

Dr. Andrea Riedle
Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors