»Es darf kein Gras darüber wachsen«

Die Aktion ›Grundsteinlegung‹ auf dem Gestapo-Gelände 1989
07/2023Gedenkstättenrundbrief 210, S. 81-85
Christine Fischer-Defoy

Groß, schwer und unverrückbar sollte er sein: der symbolische Grundstein für ein »Aktives Museum Faschismus und Widerstand« auf dem damals so genannten »Gestapo-Gelände«, der am 1. September 1989 an Stahlseilen auf das Gelände der heutigen Stiftung Topographie des Terrors schwebte. Zur Zeit liegt er wieder dort, wo er 1989 schon einmal lag: ein schwarzer, grob bearbeiteter Granitblock in den Maßen 160 × 70 × 80 cm. Auf seiner Oberseite ist eine Texttafel aus Messing zu lesen.

Wie kam es zu dieser symbolischen »Grundsteinlegung«? Um sich in die Auseinandersetzungen um das »Gestapo-Gelände« wirkungsvoller einmischen zu können, hatte sich 1983 in West-Berlin das »Aktive Museum Faschismus und Widerstand in Berlin« gegründet. Der Verein zeigte eine erste Ausstellung »Was geschah hier, was geschieht hier?« sowie anlässlich der Präsentation der Beiträge zum ersten Bauwettbewerb für das »Gestapo-Gelände« im Schatten der Berliner Mauer im Martin-Gropius-Bau eine zweite Ausstellung: »Es darf kein Gras darüber wachsen«. Der Wettbewerb scheiterte an der Aufgabenstellung, sowohl einen Ort des Gedenkens als auch einen Erholungspark für den Bezirk Kreuzberg zu entwerfen. Auf dem Gelände blieb zunächst alles so, wie es war.

Deshalb veranstaltete der Verein Aktives Museum zusammen mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und dem Deutschen Gewerkschaftsbund am 1. September 1989 eine symbolische »Grundsteinlegung« auf dem Gelände. Auf der in den Stein eingelassenen Tafel heißt es: »50 Jahre nach Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch die deutschen Faschisten wurde dieser symbolische Grundstein für einAktives Museum‹ niedergelegt. Da die Aufarbeitung der NS-Zeit, ihrer Ursachen, Folgen und Auswirkungen bis heute nicht im Ansatz erfolgt ist, müssen die notwendigen Voraussetzungen für eine aktive Auseinandersetzung geschaffen werden. Aus dem damaligen Ort der Täter muss heute ein Denkort werden, damit in Zukunft gilt: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Für den Deutschen Gewerkschaftsbund, Landesverband Berlin, Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, Berlin (West), Aktives Museum Faschismus und Widerstand Berlin und für alle angeschlossenen Organisationen, 1. September 1989.«

Unterschrieben ist dieser Text von Michael Pagels, Thomas Lutz und Leonie Baumann. Michael Pagels unterzeichnete als DGB-Vorsitzender des Landesbezirks Berlin, Thomas Lutz war seit 1984 Leiter des »Gedenkstättenreferates« im Büro der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Berlin, Leonie Baumann war Vorsitzende des Vereins »Aktives Museum«.

In seiner Rede appellierte Michael Pagels: »Wir fordern den Senat von Berlin auf, dem Aktiven Museum endlich eine räumliche Hülle zu geben. Aus diesem Grund wird heute, am 1. September 1989, ein symbolischer Grundstein für das noch zu gründendeAktive Museum‹ niedergelegt. Dieser Stein ist mit der Hoffnung verbunden, dass über die Stätte, in der das Grauen geplant wurde, kein Gras wächst und die demokratischen Kräfte in der Stadt sich mit allen Menschen verbünden, die dem aufkommenden Rechtsradikalismus und Neofaschismus aufrecht entgegentreten.«

Doch es dauerte weitere Jahre, in denen der Grundstein auf dem Gelände hin und her bewegt wurde. So wanderte er im Kontext der 24-stündigen symbolischen »Mahnwache« des Aktiven Museums gegen das dann gescheiterte Bauvorhaben nach dem zweiten Bauwettbewerb aus der südwestlichen Ecke des Geländes in die Nähe des provisorischen Containerbaus der Stiftung Topographie des Terrors und verharrte dort, bis er nach Vollendung des geglückten Ergebnisses des dritten Bauwettbewerbs der Stiftung Topographie des Terrors auf seinen ursprünglichen Platz in der Nähe der historischen Versorgungseinfahrt zurückkehrte. Wohin ihn sein Weg noch führen wird – er wird an das langjährige Wirken von Thomas Lutz auf dem Gelände erinnern.

Dr. Christine Fischer-Defoy war bis 2017 Vereinsvorsitzende des Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. Sie ist Mitglied im Arbeitsausschuss der Stiftung Topographie des Terrors.