Im Juni 2016 öffnete sich überraschend – wie es so schön heißt – ein kleines Zeitfenster für die Neuausrichtung und Erweiterung des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln (NS-DOK). Mir wurde als Direktor des NS-DOK der Ehrenpreis des Kölner Kulturrats verliehen. Die Verleihung dieses renommierten Preises nahmen die Medien mit großem Interesse auf. In Interviews platzierte ich spontan und ohne zuvor mit irgendjemandem Rücksprache halten zu können, zwei zentrale Botschaften: »Es ist, glaube ich, an der Zeit, dieses Gebäude (das EL-DE-Haus, W.J.) vollständig dem NS-Dokumentationszentrum für seine Zwecke zur Verfügung zu stellen. Mir geht es darum, hier ein Haus für Erinnern und Demokratie zu etablieren.«[1] Auch die einzelnen Teile, die später verwirklicht wurden, waren bereits in den Grundzügen in Interviews und bei der Preisverleihung genannt worden.
Angesichts der mühseligen Geschichte des NS-DOK lassen sich beide Forderungen als kühn und weitgehend bezeichnen.[2] Es war ein langer und schwieriger Weg für das NS-DOK, das komplette Haus für sich zu erobern. Das nach dem Gründer Leopold Dahmen benannte EL-DE-Haus war von 1935 bis 1945 Sitz der Kölner Gestapo. Danach zogen in das Haus, das sich nach wie vor im Besitz der Familie befindet, die es an die Gestapo vermietet hat beziehungsweise vermieten musste, städtische Dienststellen ein: unter anderem das Standesamt und die Rentenstelle sowie bis zuletzt das Rechts- und Versicherungsamt. 1981 wurde in den Kellerräumen die Gedenkstätte Gestapogefängnis mit den beeindruckenden Inschriften der Gefangenen eingeweiht.[3] 1988 bezog das NS-DOK einige wenige Räume im EL-DE-Haus. Erst 1997 erfolgte mit dem ersten großen Umbau die Einrichtung der Dauerausstellung »Köln im Nationalsozialismus«, weil der Hausbesitzer lange Jahre die dafür notwendigen Umbauten verweigert hatte. 2012 gelang die erste große Erweiterung durch die Übernahme der bis dahin von einer Galerie genutzten Räume.
Die Ankündigung, nunmehr das ganze Haus nutzen zu wollen, um damit die pädagogische Arbeit zur Geschichtsvermittlung und Demokratieförderung zu stärken, stieß auf eine breite Unterstützung in der Kölner Stadtgesellschaft.[4] Es kann als sportlich betrachtet werden – zumindest für Kölner Verhältnisse -, dass der Kölner Rat auf seiner Sitzung am 11. Juli 2017, nur ein Jahr nach der Preisverleihung, mit überwältigender Mehrheit (lediglich eine Gegenstimme) beschloss, das Haus für Erinnern und Demokratie im kompletten Umfang des mittlerweile entwickelten Konzepts zu verwirklichen – einschließlich der Finanzierung und des Auszugs des Rechts- und Versicherungsamts und des örtlichen Personalrats aus den beiden oberen Etagen. Am 1. Juli 2019 hat das NS-DOK diese Räume übernehmen können und war nunmehr alleiniger Nutzer des EL-DE-Hauses. Die bauliche Umgestaltung konnte beginnen.
Um das Konzept für die neuen Angebote zu entwickeln, wurde nicht – wie dies mittlerweile üblich ist – eine der großen Agenturen beauftragt, sondern das NS-DOK erarbeitete es im Wesentlichen eigenständig. Unmittelbar nach der Preisverleihung Mitte 2016 bildete ich eine kleine Arbeitsgruppe, die das Konzept entwickelte. Unter meiner Leitung wirkten folgende Mitarbeiterin und Mitarbeiter des NS-DOK daran mit: Barbara Kirschbaum (Museumspädagogin), Hans-Peter Killguss und Ilja Gold (Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus) und Dr. Jürgen Müller (Ausstellungs- und Veranstaltungsmanager, 2019 verstorben) sowie als wissenschaftlicher Berater Bastian Schlang (Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Professur für Museologie der Universität Würzburg, seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter im NS-DOK). Seit Dezember 2017 ergänzte Annika Triller (Katholische Jugendbildung) das Team des NS-DOK und seit 2018 beteiligte sich die frisch an der Universität Würzburg examinierte Designerin und Grafikerin Franziska Jacob, die außerdem später Teil des Teams der Firma »atelier zudem« wurde.
Ab September 2017 wurde externer Sachverstand zu den Konzeptrunden hinzugezogen: Frank Stähler (Trainer für Gruppendynamik, Erlebnispädagoge, International Mountain Leader) sowie Thomas Garvie und Friedhelm E. Schöler als Gestalter und Bühnenbildner. An der Ausführung des Konzepts zum Inselspiel wirkte eine Gruppe Künstlerinnen und Künstler um Thomas Garvie und Selma Gültoprak mit. Architekt war der seit Anfang der 1990er-Jahre mit Umbauten um EL-DE-Haus befasste Konstantin Pichler. Trotz der Coronajahre und der ursprünglich nicht vorgesehenen, aber angesichts der Klimakrise wichtigen Klimatisierung der Gruppenräume konnte das Projekt Ende 2021 bis auf Kleinigkeiten abgeschlossen werden. Es folgte eine abschließende Prüf- und Genehmigungsphase. Mitte Juni 2023 wurde der neue Teil des NS-DOK der Öffentlichkeit übergeben.
Wer die NS-Zeit erforscht und vermittelt, sollte sich zum Ziel setzen, dazu beizutragen, dass sich ein derartiges Verbrechen nicht wiederholt. Schon allein die Tatsache, ob und wieweit eine Gesellschaft sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus befasst und versucht, daraus Lehren für die heutige Gesellschaft zu ziehen, verweist in einer Art Lackmustest auf den Zustand der Demokratie in einem Land. So gesehen ist ein kritisches Erinnern bereits eine Förderung unserer Demokratie und entscheidend für ein demokratisches Bewusstsein. Zudem lassen sich Bildungsangebote zur Förderung eines Bewusstseins für Demokratie und Menschenrechte in die Arbeit von Gedenkstätten sinnvoll integrieren.
Gedenkstätten dienen ex negativo der Demokratiebegründung.[5] Schon allein durch ihre Existenz belegen sie die schrecklichsten Folgen der Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte und fordern damit die Gegenwartsrelevanz der NS-Verbrechen ein. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Aufklärung über das Vergangene und einem kritischen Gegenwartsbewusstsein. Die Geschichte des Nationalsozialismus zu erinnern, zu erforschen, zu vermitteln und das Ziel der Demokratieförderung sind die Kernaufgaben von Gedenkstätten. Damit kommt Gedenkstätten eine wichtige Bildungsaufgabe für die Gegenwart zu.[6] Das Lernen aus der Geschichte des Nationalsozialismus bedeutet eben auch wachsam gegenüber aktuellen Bedrohungen unserer Demokratie zu sein. Dies gilt generell, jedoch insbesondere in den Zeiten, in denen Demokratie gefährdeter ist, Menschenrechte stärker bedroht sind, Rassismus und Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sich ausbreiten bis hin zu gewaltsamen Terroranschlägen. Mit ihrem Wissen über die NS-Verbrechen müssen Gedenkstätten eine Art gesellschaftskritische Seismografen sein, die auf entstehende Angriffe auf unsere gelebte Demokratie frühzeitig aufmerksam machen. Noch schwieriger ist die Frage, was können Gedenkstätten (wie andere Bildungsträger) konkret gegen antidemokratische Tendenzen, die unsere Demokratie bedrohen, tun. Und wie können wir Jugendliche mit jugendgerechten und fortschrittlichen pädagogischen Angeboten erreichen – mit Angeboten, die vielleicht auch Erwachsene interessieren dürften. Das Konzept des Hauses für Erinnern und Demokratie will eine Antwort darauf geben.
Diese Grundidee, Erinnern und Demokratieförderung miteinander zu verbinden, hat das NS-Dokumentationszentrum schon seit seinen Anfängen geprägt. Bereits als die finanziellen und personellen Möglichkeiten nicht ausreichend vorhanden waren, wurden 2004 und 2009 zwei Sonderausstellungen zum heutigen Rechtsextremismus gezeigt. In den Arbeiten der Jugendlichen zum Jugend- und Schülergedenktag, der in Köln seit 1997 durchgeführt wird, werden häufig aktuelle Themen angesprochen. Die Museumspädagogik führte von 2008 bis 2011 ein von der Bundesregierung finanziertes Projekt »Vielfalt tut gut« durch, mit dem zielgerichtete Präventionsstrategien zur wirksamen Begegnung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entwickelt werden sollten.
Schon seit seinen Anfängen hat das NS-DOK Material zum aktuellen Rechtsextremismus gesammelt. Allerdings gab es lange Jahre keine Ressourcen für die Vermittlungsarbeit; dies änderte sich erst Schritt für Schritt. Das NS-DOK war als reine Forschungseinrichtung gestartet. Selbst nach der Eröffnung der Dauerausstellung im Jahr 1997 dauerte es noch bis 2006, bis zunächst eine halbe, ab 2008 eine volle pädagogische Stelle eingerichtet wurde.[7] Mit der 2008 gegründeten Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus (ibs) wurden professionelle und dauerhaft angelegte Strukturen für Bildung, Beratung und Dokumentation extrem rechter und antisemitischer Vorfälle und Gruppierungen geschaffen. Die erfolgreiche Arbeit der ibs konnte bald ergänzt werden durch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus und seit 2019 durch die neue Fachstelle »[m²]: miteinander mittendrin. Für Demokratie – Gegen Antisemitismus und Rassismus«.[8]
2012 wurde die erste große Erweiterung nach der Fertigstellung der Dauerausstellung abgeschlossen. Als Ergebnis wurde unter anderem ein Pädagogisches Zentrum geschaffen.[9] Teil des Pädagogischen Zentrums ist das »Geschichtslabor«, das man als einen Prototyp für die neu entwickelten Angebote ansehen kann. Bei dem Geschichtslabor handelt es sich ähnlich wie beim Inselspiel um eine Form des selbstforschenden und interaktiven Lernens. Ausgangspunkt ist die »geheimnisvolle Frage«, die »mystery question«. Sie muss durch das Ergründen von zahlreichen von der Decke herunterhängenden Objekten und Gegenständen, die sich in an der gegenüberliegenden Wand angebrachten Schränken und Kommoden befinden, nach der Lösung von verschiedenen Aufgaben gelöst werden. Die spielerischen, motivierenden Elemente regen zum selbsttätigen Lernen in Kleingruppen an. Die Spieldauer ist auch hier auf ein zweieinhalbstündiges Programm angelegt. Fünf Themen zur »Jugend im Nationalsozialismus« aber auch mehrere Themen zu aktuellen Formen des Neonazismus und Rassismus werden behandelt. Das Geschichtslabor stellt daher ein frühes und auch gelungenes Beispiel für die Zusammenarbeit der Museums- und Gedenkstättenpädagogik und der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus dar.
Der Erlebnisort unterscheidet sich von dem emotional berührenden Gedenkort Gestapogefängnis und der dokumentarisch-informativen Dauerausstellung, er knüpft an das Geschichtslabor im Pädagogischen Zentrum I des Hauses an. Unter weitgehender Beibehaltung der bisherigen Raumstruktur wird auf der dritten Etage eine handlungsorientierte Rauminstallation geschaffen. Auch die »Escape-Room-Idee« wird angewandt. Eine Gruppe – wie etwa eine Schulklasse – verbringt zweieinhalb bis drei Stunden in dem Spiel. Für diesen Zeitraum ist sie die einzige Gruppe in dem Spiel. Dies ist für das NS-DOK pädagogisch eine geradezu luxuriöse Situation, da bislang die zahlreichen Gruppen im Haus recht wenig Platz und vergleichsweise wenig Zeit hatten.
Vor allem für Jugendliche, aber auch für Erwachsene entstehen attraktive und aktivierende Angebote. Insbesondere bietet der Erlebnisort einen modernen Zugang zum Themenfeld Demokratie, der auf Erlebnis und Erfahrung, nicht primär auf Kognition ausgerichtet ist. Eine Spielsituation ermöglicht selbstforschendes und entdeckendes Lernen. Die Jugendlichen werden dank aufwendiger Medientechnik und dynamischer Licht- und Mediensteuerung eigenständig durch das Inselspiel geleitet. Das begleitende Lehrpersonal soll sich in einem »Lehrergarten« genannten Raum zurückziehen und nur zum abschließenden Inselrat hinzukommen. Das Spiel vertraut auf das Interesse und auf die Selbstständigkeit der Jugendlichen.
Auf einer weit abgelegenen Insel werden die Teilnehmenden als letzte Überlebende einer globalen Katastrophe vor die Aufgabe gestellt, eine neue Gesellschaft zu begründen. Es geht darum, auf dieser Insel ihre eigenen Gesellschaftsverträge auszuhandeln und schließlich über diese in einem demokratischen Abstimmungsprozess – im »Inselrat« – zu entscheiden. Damit setzen sie sich mit grundsätzlichen Fragen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft auseinander. Eine solche Insel existiert auch real. Sie heißt Tristan da Cunha und ist die entlegenste bewohnte Insel mitten im Atlantischen Ozean.
Grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft werden bei folgenden fünf Themen diskutiert: Arbeit, Ernährung, Kultur, Sicherheit und Wohnen. Die fünf Themenräume werden nacheinander von Kleingruppen von vier bis fünf Jugendlichen durchlaufen. Zumeist wird zunächst in einem »Storyraum« das Problem dargestellt und die zu lösende Aufgabe diskutiert und anschließend in dem angrenzenden »Aktionsraum« konkret eine Lösung umgesetzt.
Beim Thema Arbeit geht es um die Frage, ob Arbeiten gerecht verteilt sind. Erfahrbar gemacht wird dies dadurch, dass unterschiedlich schwere und sperrige Gegenstände durch einen Parcours getragen werden müssen. Ist es gerechtfertigt, dass die einen immer einen Latrineneimer tragen müssen und andere mit Sonnenbrille einfach durch die Hindernisse kommen und ohne Arbeit von ihrem Vermögen leben können? Beim Thema Ernäherung geht es darum, wie Nahrung verteilt wird: Erhalten alle die gleiche Anzahl der gefangenen Fische oder erhalten die Starken, die angeln, mehr, oder entscheidet ein gewähltes Gremium. Für das Thema Kultur wurde der Theatersaal auf dem Schiffswrack nachgebaut. Hier bereiten die Kleingruppen einen kulturellen Beitrag zu einem Fest des »Gedenkens und Überlebens« vor.
Ein Diebstahl eines Überlebensrucksacks gibt Anlass das Thema Sicherheit zu diskutieren und sich zwischen den Optionen »Selbstjustiz«, »Anführer«, »gewählter Anführer« oder »Gremium auf der Basis von Regeln« zu entscheiden. Beim Thema Wohnen muss die Kleingruppe darüber diskutieren, welcher Ersatz für die im Unwetter zerstörten Zelte geschaffen werden soll, wie die neue Organisation des Wohnens aussehen soll und wie man zukünftig zusammenwohnen möchte.
Sind die Themen von allen durchlaufen, kommen alle Teilnehmende im Inselrat zusammen. Die unterschiedlichen Ergebnisse der Kleingruppen werden miteinander verhandelt, diskutiert und zur Abstimmung durch die Gesamtgruppe gestellt (bis auf »Kultur«). Ziel ist es, alle bei der Aushandlung demokratischer Prozesse und der Konstruktion demokratischer Strukturen einzubeziehen. Die Entscheidungsergebnisse werden als Inselvertrag den Teilnehmenden mitgegeben. Im Anschluss an das Spiel setzt sich die Gesamtgruppe kritisch mit der eigenen Gegenwart auseinander, wobei die Erfahrungen der fernen Insel auch für das eigene reale Zusammenleben reflektiert wird. Die NS-Geschichte des EL-DE-Hauses wird mit einbezogen.
Drei Erzählcafés bieten nach Führungen durch die Gedenkstätte und die Dauerausstellung ein vertiefendes Angebot. Mit rund 100 000 Besucherinnen sowie Besuchern und über 2 200 geführten Gruppen im Jahr (Stand 2019 vor Corona)[10] war das NS-DOK schon längst an seine Kapazitätsgrenze gestoßen. Dringend notwendig und auch von Lehrkräften sehr erwünscht waren daher seit langem Räume, in denen sich Gruppen nach der zumeist gebuchten 90-minütigen sogenannten Basisführung durch Gedenkstätte und Dauerausstellung zurückziehen und das Gesehene reflektieren und vertiefen können. Diese Gruppenräume wurden einladend zu »Erzählcafés« gestaltet. Sie regen dazu an, sich mit der NS-Thematik weiter zu beschäftigen. Die Räume sind mit einer Theke und einer Bühne für die Aufführung von Spielszenen ausgestattet und mit in Trödelläden zusammengekauften Tischen, Stühlen, Barhockern bestückt, die in lockerer Aufstellung so angeordnet sind, dass sich kleine Gruppen zusammenfinden können. Diese Cafés bieten an den Wänden, auf den Böden, in den Schränken, auf den Tischen, an den Kleiderständern vertiefendes und ergänzendes Informations- und Quellenmaterial. Es werden Erfahrungen aus jugendlichen Lebenswelten aufgegriffen, da die Cafés nicht allein ein Arbeitsraum sind, sondern auch ein Raum für künstlerisches Schaffen, mit Methoden wie sie etwa aus dem Bereich der Street-Art her bekannt sind. Die Erzählcafés sind Orte der Reflexion. Die begleitenden Lehrpersonen organisieren dies in Eigenregie und regen das selbstforschende Lernen der Jugendlichen an. Sie bedienen sich dabei der vorbereiteten und zusammengestellten Materialien, über die sie sich vor dem Besuch auf der Internetseite informieren können. In kleinen Tischgruppen werden beispielsweise einzelne weiterführende Themen besprochen und später auf einer kleinen Bühne präsentiert. Zu den pädagogischen Formaten für die selbstorganisierten Gruppenarbeiten zählen Inszenierungen mit Hilfe von Zeitzeugen-Aussagen, »Denk-Anstöße«, wobei Zitate von Zeitzeugen auf den Tischen stehenden »Speisekarten« auf der beschreibbaren Tischdecke kommentiert werden sowie das Arbeiten mit der Bildkartei. Zu den weiteren Angeboten gehören auch theaterpädagogische Methoden.
Im Jungen Museum geht es vor allem um die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und auch Familien. Das Lernen im Dialog steht im Vordergrund. Anhand zweier Biografien erfahren die jungen Besucherinnen und Besucher etwas über konkrete Kindheitserfahrungen in der NS-Zeit und setzen sich altersgerecht auch mit übergreifenden Fragestellungen auseinander. Es wird die Geschichte eines jüdischen Mädchens aus Köln erzählt (Faye Cukier), das zusammen mit seinen Eltern auf abenteuerliche Weise die Flucht nach Belgien überlebte. Im Kontrast dazu steht die Geschichte eines Jugendlichen aus Köln, der früh in der Hitler-Jugend Karriere gemacht hat (Edgar Gielsdorf). Es geht also um zwei Themen: »Kindheit und Jugend im angepassten Deutschland während der NS-Zeit« sowie »Diskriminierung und Verfolgung in der NS-Zeit«. Die Geschichten der beiden Protagonisten werden jeweils in einer Raumeinheit dargestellt. Der kompletten Besuchsgruppe wird zunächst ein Film mit dem Thema »Zeitreise« gezeigt. Danach wird die Gruppe geteilt; jeweils eine Hälfte beschäftigt sich mit einer der beiden Personen, nach einer gewissen Zeit werden die Räume getauscht.
Die beiden unterschiedlichen Biografien werden über eine handlungsorientierte Ausstellungsdidaktik erschlossen. Das Junge Museum stellt dabei didaktische Exponate aus, die mithilfe der damit verknüpften Lebensgeschichten kontextualisiert werden. Im hohen Maße wird kooperativ im gemeinsamen Gespräch mit zwei Teamenden gelernt. Hier steht das Lernen im Dialog im Vordergrund. Die Ausstellung ist exponatbasiert und soll als »offene Ausstellung« den »Gang in die Vitrinen« ermöglichen. Mit den Exponaten wird als Sachquellen gearbeitet, an denen die Arbeit mit historischen Quellen gelernt wird. In der Darstellung von beiden Personen spielen zahlreiche Exponate eine Rolle, teilweise sind sie raumbestimmend Teil einer Großvitrine. Dazu zählen beispielsweise eine Wohnküche, eine Essecke, ein Küchentisch, eine Schultafel (bei Edgar Gielsdorf), ein Koffer, Schulbänke und Tische, ein Fahrrad, die Nachbildung eines Tresens einer Polizeistation (bei Faye Cukier) sowie viele kleinere Exponate. Mit den Exponaten wird näher gearbeitet. Sie stehen für einen Teil der jeweiligen Biografie. Die Kinder und Jugendlichen können sie berühren und sich diese aneignen und setzen sich damit immer stärker mit der jeweiligen Biografie auseinander. Audio- und Videostationen und weiteres haptisches Material können genutzt werden, um Lernsituationen entstehen zu lassen. Auch die Themen Flucht und Vertreibung und Erfahrungen von selbst erlebter Diskriminierung und Ausgrenzung der Teilnehmenden werden behandelt.
Zudem sind im neuen Pädagogischen Zentrum II drei Workshopräume für die Arbeit der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus und für die Museumspädagogik geschaffen worden. Die deutlich gewachsene ibs konnte auf der vierten Etage einen eigenen Bereich beziehen. Zudem entstanden weitere Büroräume und einige Magazinräume für die Bibliothek und Dokumentation.
Die Erweiterung des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln zu einem Haus für Erinnern und Demokratie stellt eine Bildungsoffensive dar. Die beiden oberen Etagen umfassen 1380 Quadratmeter, womit sich das Haus insgesamt auf rund 4300 Quadratmeter erstreckt. Die beiden hinzugewonnenen Etagen sind vollgefüllt mit neuen pädagogischen Ansätzen und Angeboten. Zu dem Pädagogischen Zentrum I mit dem Geschichtslabor und dem Vortragssaal auf der zweiten Etage gesellt sich nun das Pädagogische Zentrum II auf der dritten und vierten Etage als ein Forum unterschiedlicher Angebote zur Demokratieförderung und zur vertiefenden Vermittlung der NS-Geschichte hinzu. Hier spielen Handlungsorientierung, Dialog und Reflexion als didaktische Kernprinzipien eine wesentliche Rolle.
Zu den bisherigen pädagogischen Angeboten wie Führungen durch die Gedenkstätte Gestapogefängnis und die Dauerausstellung, Geschichtslabor und Exkursionen sowie zahlreiche Workshops wird es jetzt nun möglich, über eine Standardführung von 90 Minuten hinaus mehrstündige, halb- und ganztätige Programme bis hin zu Projektwochen anzubieten. Zu den beiden oberen Etagen haben nur vorangemeldete Gruppen Zutritt. Besonders erfreulich ist es, dass der Rat der Stadt Köln am 10. September 2020 einstimmig beschlossen hat, für Kölner Schülerinnen und Schüler sämtliche pädagogische Angebote des NS-DOK gebührenfrei zu stellen. Dies folgte einem Beschluss zwei Jahre zuvor, der die Angebote von [m²] zum Themenfeld Antisemitismus kostenfrei machte. Darüber hinaus konnten zwei unbefristete wissenschaftlich-pädagogische Stellen für die Betreuung der neuen Bereiche eingerichtet werden.
Es ist zu erwarten, dass sich die Frage aufdrängt: »Darf man das?« – Darf eine Spielsituation in einer Gedenkstätte stattfinden? Als wir 2008 die ibs als dauerhaftes Angebot geschaffen haben, hieß es mitunter auch, dies zähle nicht zu den Aufgaben einer Gedenkstätte. Es war eine Pionierleistung des NS-DOK. Kurze Zeit später wurden in vielen anderen Gedenkstätten vergleichbare Angebote geschaffen, wenn auch zumeist nur befristet.
Um die Frage zu beantworten, ob es passend ist, ein Spiel in einer Gedenkstätte zu inszenieren, muss man zunächst fragen, was denn eine Gedenkstätte ist. Das EL-DE-Haus ist wie viele andere heutige Gedenkstätten im Lauf der Zeit überformt und nicht mehr im »authentischen« Zustand. Lediglich die Gedenkstätte Gestapogefängnis ist in einem weitgehend originalen Zustand erhalten geblieben. Das Haus hatte den Krieg im Wesentlichen unbeschadet überstanden, während die meisten Gebäude umher zerstört wurden.[11] Jedoch zwischen 1947 und 1949 erhielt es ein grundlegend anderes Aussehen. Die Nutzfläche des historischen EL-DE-Haus, das die Gestapo nutzte, wurde durch Anbauten auf dem Appellhofplatz und in der Elisenstraße verdoppelt. Die Anbauten wurden dem Gestapohaus vollständig angeglichen. Der Tuffstein stammte aus dem gleichen Steinbruch, die Stockwerkaufteilung, Fenstermaße und Gesimse wurden genau angepasst. Das Walmdach über dem früheren Gestapohaus wurde abgetragen und das von drei Häusern zusammengefügte neue Haus oberhalb der Attika um ein Geschoss – das vierte – aufgestockt. Es hat sich jedoch eingebürgert, für das neu entstandene Gebäude weiterhin von »EL-DE-Haus« zu sprechen, obwohl historisch nur der mittlere Teil zählt, der auch von der Gestapo genutzt wurde.
Mithin werden von den 1380 Quadratmetern im dritten und vierten Geschoss lediglich 198 des zeitgenössischen Gebäudes für das Inselspiel genutzt. In diesem Bereich (und weit darüber hinaus) befindet sich seit 1997 auf der ersten und zweiten Etage die Dauerausstellung. Das Besondere an dem historischen EL-DE-Haus ist, dass es ein Ort der Opfer und ein Ort der Täter ist. Das ehemalige Hausgefängnis mit den Inschriften der Gefangenen bildet die »Gedenkstätte Gestapogefängnis«. Es kam natürlich nicht in Frage, neue pädagogische Angebote dort einzubauen. Der Ort der Täter auf den Büroetagen lässt sich nicht als Gedenkstätte bezeichnen. Hier erscheint ein solch minimaler Eingriff zugunsten des Demokratiespiels statthaft, zumal die Raumstruktur der Büros weitgehend erhalten geblieben ist. Es handelt sich um einen bemerkenswerten Zufall, dass das Inselspiel quasi passgenau in dieser Raumstruktur aufgeht. Deswegen ist es zu kurz gedacht, wenn behauptet wird, eine Spielkonstellation passe nicht in eine Gedenkstätte – schon allein deswegen, weil sie nicht im Bereich der Gedenkstätte steht.
Das Erinnern an die NS-Zeit verstärkt mit der Förderung unserer Demokratie zu verzahnen, stellt eine wesentliche Weiterentwicklung der erfolgreichen Arbeit des NS-DOK dar.
Wenn von einem Haus für Erinnern und Demokratie die Rede ist, dann hat »Haus« zunächst eine allgemeine, übertragene Bedeutung, ist jedoch vor allem konkret bezogen auf das EL-DE-Haus als ehemaligem Sitz der Gestapo in Köln, wo sich heute das NS-DOK befindet. Mit der Fertigstellung der Erweiterung und des Ausbaus schließt sich der Kreis.[12] Das NS-DOK verfügt nun auch in seiner pädagogischen Arbeit über sehr gute Arbeitsmöglichkeiten. Die Voraussetzungen für eine verstärkte Bildungsarbeit sind geschaffen. Bildung gegen Vorurteile. Dies rechtfertigt es, seitdem vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln als einem Haus für Erinnern und Demokratie zu sprechen.
Dr. Werner Jung arbeitete von 1986 bis 2021 im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, zunächst als stellvertretender Direktor und seit 2002 bis Ende Oktober 2021 als Direktor.
[1] »Meine Vision ist ein Haus für Erinnern und Demokratie«. Interview mit Werner Jung, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 19. 5. 2016. Auch abgedruckt in: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln: Jahresbericht 2016, Redaktion: Werner Jung, Köln 2017, S. 181. Siehe auch Werner Jung: Haus für Erinnern und Demokratie, in: Hajo Leib (Hg.): Empathie & Engagement. Drei Jahrzehnte Kölner Zeitgeschichte: Verein EL-DE-Haus. Förderverein des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Köln 2017, S. 155–157.
[2] Siehe Werner Jung: Der Teil und das Ganze. Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln als multifunktionaler Allrounder, in: Christian Groh, Ulrich Nieß, Andreas Mix (Hg.): Stadt und Erinnerungskultur. Tagungsband der 58. Jahrestagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, Göttingen 2023, S. 141–174.
[3] Siehe Werner Jung (Hg.): Wände, die sprechen. Die Wandinschriften im Kölner Gestapogefängnis im EL-DE-Haus, Köln 2014; sowie ders.: Zeugnisse der Opfer. Häftlingsgraffiti im Kölner Gestapogefängnis. In: Polly Lohmann (Hg.): Historische Graffiti als Quellen. Methoden und Perspektiven eines jungen Forschungsbereichs. Beiträge der Konferenz am Institut für Klassische Archäologie der LMU München, 20.–22. April 2017, Stuttgart 2018, S. 267–310.
[4] Die vom Kölner Rat bewilligten finanziellen Mittel waren vergleichsweise gering: 450 000 € für den Umbau. Später kamen 150 000 € als Zuschuss zur Klimaanlage hinzu. Doch bürgerschaftliches Engagement hat die Gründung und Entwicklung des NS-DOK maßgeblich geprägt. Dies sollte auch in diesem Fall so sein. Ein gutes Beispiel ist die Spendenverdopplungsaktion der Bethe-Stiftung. Insgesamt kamen 145 000 € zusammen. Die Vielzahl der Künstlerinnen und Künstler, die das NS-DOK unterstützten, verdeutlicht seine Verankerung in der Kölner Stadtgesellschaft. Unter ihnen waren nicht weniger als sieben der beliebten kölschen Bands wie Bläck Fööss, Brings, Cat Ballou, Höhner, Kasalla, Miljö, Paveier, zudem Kabarettisten wie Carolin Kebekus, Wilfried Schmickler, Fatih Çevikkollu, Didi Jünemann, Musiker wie Rolly & Benjamin Brings, das Markus Reinhardt Ensemble und Microphone Mafia, das Ensemble Opus 45 mit Roman Knižka, die Schriftstellerin Marina Barth und der Schriftsteller Volker Kutscher.
[5] Siehe Bernd Faulenbach: Warum wir uns erinnern wollen. Essays und Analysen (2003–2021), Berlin 2021, S. 14, 48–49; einen sehr guten Überblick über Gedenkstätten allgemein bietet Habbo Knoch: Geschichte in Gedenkstätten. Theorie – Praxis – Berufsfelder, Tübingen 2020.
[6] Dies ist auch die Ansicht der NS-Gedenkstätten. Die 7. Bundesweite Gedenkstättenkonferenz verabschiedete am 13. 12. 2018 die Resolution: Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen in Deutschland rufen auf zur Verteidigung der Demokratie.
[7] Siehe Jung: Der Teil und das Ganze (wie Anm. 2), S. 170–171.
[8] Siehe Jahresbericht 2019 (wie Anm. 1), S. 3, 71–73.
[9] Siehe Jahresbericht 2012 (wie Anm. 1), S. 6–39. Siehe auch Werner Jung: Ausgebaut – erweitert – erneuert. Erfolgreiche Entwicklung des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln in den letzten Jahren, in: GedenkstättenRundbrief, Nr. 175, 10/2014, S. 21–25.
[10] Zur Entwicklung der Besuchszahlen siehe Jahresbericht 2019 (wie Anm. 1), S. 57.
[11] Siehe NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hg.): Köln im Nationalsozialismus. Ein Kurzführer durch das EL-DE-Haus, Köln 2011, S. 12–13.
[12] Zwei bemerkenswerte Tatsachen seien noch genannt: Die Umbauzeit war mit noch nicht einmal drei Jahren vergleichsweise kurz – trotz Corona und trotz des zu Beginn nicht vorgesehenen Einbaus einer Klimaanlage. Und zudem wurde kein Defizit gemacht und kein zusätzliches Geld von der Stadt beantragt, obwohl die bewilligten Mittel von 450 000 € nur ein Bruchteil dessen ausmachten, was bei Kulturbauten ansonsten üblich ist. Die notwendigen Gelder wurden über Drittmittel und Spenden in der Gesamtsumme von über zwei Millionen Euro eingeworben. Im Übrigen hat dies Tradition: In den Jahren 2012/13 schloss der erste große Umbau nach der Einrichtung der Dauerausstellung in Rekordzeit ab und ebenfalls ohne einen Euro Defizit.