»KZ-Häftlinge in der Rüstungsproduktion«

Neue Dauerausstellung in der Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte
09/2023Gedenkstättenrundbrief 211, S. 5-13
Maike Weth

Der historische Ort

Wer auf den Stadtplan von Salzgitter schaut, erkennt eine eher ungewöhnliche Stadtstruktur mit einem Schwerpunkt im Norden und einem im Süden, vielen kleineren Dörfern und sehr viel unbebauter Fläche. Von einer gewachsenen Stadt kann hier keine Rede sein: Sie wurde 1942 gegründet, indem man rund um ein Gebiet von mehr als 200 km2 eine Stadtgrenze zog.

Bereits seit 1937 veränderte sich die landwirtschaftlich geprägte Region massiv, nachdem die Bauarbeiten des neuen Hüttenwerks für die Stahlproduktion begonnen hatten. Dieses gehörte zu der im Zuge des »Vierjahresplans«[1] neugegründeten Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten »Hermann Göring« (im Folgenden Reichswerke). In den nächsten Jahren entstanden im späteren Stadtgebiet große Industrieflächen und eine neue Infrastruktur mit Straßen, Gleisanlagen und einem Stichkanal. An verschiedenen Stellen begannen die Reichswerke mit dem Aufbau von Wohnsiedlungen, im Norden wurde sogar eine neue Stadt für 130 000 Einwohnerinnen und Einwohner geplant. Für die schnelle Unterbringung der neuen Arbeitskräfte errichteten die Reichswerke ab 1937 rund um die Einsatzorte erste Barackenlager. Bis Kriegsende entstanden mehr als 60 Lager der Reichswerke sowie weitere Lager der ansässigen Fremdfirmen. In ihnen waren die angeworbenen Arbeiterinnen und Arbeiter (die kaum eine Chance auf die Anmietung einer der wenigen fertiggestellten neuen Wohnungen hatten) einquartiert.

Bereits mit Kriegsbeginn wurden die ersten Zwangsarbeitenden und bald auch Kriegsgefangene in die Stadt transportiert und zur Arbeit im Aufbaugebiet oder in der Rüstungsproduktion gezwungen. 1940 entstand ein Sonderlager (ab 1943 Arbeitserziehungslager) der Gestapo, und zwei Jahre später erfolgte die Einrichtung des ersten von insgesamt vier KZ-Außenlagern[2] im Salzgittergebiet.

Am 18. Oktober 1942 erreichte der erste Transport mit 50 Häftlingen aus dem KZ Buchenwald das neu eingerichtete KZ Drütte, ein Außenlager des KZ Neuengamme. Für die Unterbringung der Häftlinge wurde ein bereits bestehendes Lager genutzt, das sich unter einer Hochstraße auf dem Gelände der damaligen »Hütte Braunschweig« befand. Die Räumlichkeiten waren zunächst als Waschkauen für die Hütten-Arbeiter geplant und aufgebaut, dann aber bald zum sogenannten Polenlager umfunktioniert worden. Für das KZ erfolgten weitere Baumaßnahmen: Es wurden Durchgänge zwischen einzelnen Gebäudeblöcken geschlossen und Innenwände entfernt, um neue Strukturen für das Lager zu schaffen. Schließlich entstanden an dem einen Ende des länglichen Gebäudeteils Verwaltungsräume, Werkstätten, Küchen und Schreibstuben; in der Mitte wurden vier große Unterkunftsblöcke eingerichtet, in denen jeweils zwischen 600 und 800 Männer untergebracht waren, und an dem anderen Ende der Räumlichkeiten wurde 1943 (das zweite, sehr viel größere) Krankenrevier mit zehn Räumen und zwei Fluren eingebaut. Das SS-Personal lebte in zwei Baracken neben der Hochstraße.

Die Häftlinge mussten überwiegend in der »Aktion 88«, einer Produktionsstätte für Granatenteile mit einem Kaliber von 88 mm, aber auch in Hallen, in denen sie mit Zangen Stücke von glühend heißen Stahlsträngen abtrennen oder riesige Pressen bedienen mussten, Zwangsarbeit leisten. Der Arbeitsweg führte die Häftlinge entlang einer großen Halle und durch einen unwegsamen Tunnel; dabei passierten sie auch den Galgen, der an einem Schornstein auf dem Lagergelände hing.

Die Männer arbeiteten früh, spät oder nachts zwischen acht und zwölf Stunden. Vor und nach den Schichten im Werk fielen weitere Aufgaben im Lager an. Einige Häftlinge setzte die SS im KZ zum Beispiel als Ärzte, Handwerker, Lagerschreiber oder Handlanger ein. Die Reichswerke zahlten an die SS pro Tag 4,– Reichsmark für Hilfsarbeiter und 6,– Reichsmark für Facharbeiter. Allerdings konnten nur arbeitsfähige Häftlinge abgerechnet werden.

Das Krankenrevier diente alleinig der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Die etwa 170 Betten waren nach den Erinnerungen Überlebender oft überbelegt, die Hygiene meist mangelhaft und es fehlten Medikamente, Verbandsmaterialien und Instrumente.

Für das KZ Drütte sind etwa 680 Tote verzeichnet worden, darunter auch Häftlinge aus den KZ in Braunschweig und Schandelah, die vom Stützpunktlager Drütte zum Stammlager Neuengamme gemeldet wurden.

Am 7. April 1945 räumte die SS das KZ Drütte und transportierte alle Häftlinge ab. Der Zug mit mehreren tausend Menschen geriet am Celler Güterbahnhof in eine Bombardierung. Im Anschluss trieben SS und Celler Bevölkerung die Überlebenden zusammen, viele Häftlinge wurden dabei ermordet. Die Gruppe musste anschließend zu Fuß in das KZ Bergen-Belsen marschieren. Nicht mehr marschfähige Häftlinge blieben eingesperrt in einem Gebäude in Celle zurück.

 

Nachgeschichte und Erinnerung

Die Alliierten erreichten das Salzgittergebiet am 11. April 1945. Nach der Stilllegung der Fabrikanlagen ließen sie im Mai den ehemaligen KZ-Bereich unter der Hochstraße aufräumen und nutzten ihn bis Dezember des Jahres als Gefangenenlager. Bereits im Folgejahr wurden in den Räumlichkeiten Werkstätten der Hütte eingerichtet. Der Betrieb des Hüttenwerkes konnte nach Ende der Demontage 1951 wieder aufgenommen werden.

Im Zuge der 40-Jahr-Feier der Stadt Salzgitter 1982 erfolgten erste Vortragsveranstaltungen zur NS-Geschichte der Stadt. Es entwickelte sich die Idee, eine Gedenkstätte in den noch bestehenden Räumen des ehemaligen KZ Drütte einzurichten. In den nächsten zehn Jahren kämpften engagierte Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitskreis Stadtgeschichte e.V. und der Betriebsrat des Hüttenwerkes für dieses Ziel und gingen mit ihrer Forderung bis ins Europäische Parlament. Doch erst 1992 stellte das Unternehmen schließlich einen etwa 200 m2 großen Teil eines ehemaligen Unterkunftsraumes, Block IV, für eine Dauerausstellung zur Verfügung; die Trägerschaft sollte der Arbeitskreis Stadtgeschichte übernehmen. Zwei Jahre später konnte die Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte auf dem Stahlwerksgelände eröffnet werden. Die Leitung übernahm die Historikerin Elke Zacharias, die in den Folgejahren die Arbeit vor Ort mit innovativen Projekten vorantrieb und mit neuen Konzepten erfolgreich weiterentwickelte.[3] Schließlich brachte sie mit großer Unterstützung des Betriebsrates des Hüttenwerkes auch das Neugestaltungsprojekt der Gedenkstätte auf den Weg.

 

Neugestaltung

2017 entschied die Salzgitter AG (SZAG)[4], dem Arbeitskreis Stadtgeschichte für eine neue Ausstellung weitere 1000 m2 Gebäudefläche zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich dabei um den restlichen Teil des ehemaligen Block IV, den Bereich des ehemaligen Krankenreviers sowie einen Anbau aus der Nachkriegszeit. Diese Räume waren ebenso wie der Bereich der ersten Ausstellung verhältnismäßig wenig überbaut, da sich dort Werkstätten und Lagerflächen befanden. Bereits seit 2014 war bekannt, dass sich an den Wänden und den Böden Spuren aus der KZ-Zeit befinden. Diese wurden 2016 von den Bauhistorikern des Büros Schulz+Drieschner untersucht. Beate Skasa-Lindermeir übernahm im Anschluss erste restauratorische Untersuchungen in den Räumen.

Mit dem plötzlichen Tod von Elke Zacharias im März 2018 wurde der Neugestaltungsprozess zunächst unterbrochen, bis die Konzeption weiter ausformuliert werden konnte und die Finanzierung stand.

Mit der finanziellen Unterstützung der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der BGAG-Stiftung Walter Hesselbach, der Stiftung Niedersachsen sowie durch die Braunschweigische Stiftung konnte schließlich im Sommer 2019 mit dem umfangreichen Neugestaltungsprojekt begonnen werden. Dafür wurde das Gedenkstättenpersonal von einer Projektkoordinatorin (50 %), zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen (50 %) sowie einer Verwaltungskraft (50 %) unterstützt. Außerdem gehörten zum Projektteam das Gestaltungsbüro Hinz&Kunst und das Büro Kleineberg Architekten aus Braunschweig sowie die Architekten der Glückauf Immobilien GmbH, einer Tochtergesellschaft der SZAG. Ein wissenschaftlicher Beirat mit Jörg Dreyer (Leiter der Geschäftsstelle des Konzernbetriebsrats der SZAG), Andreas Ehresmann (Leiter der Gedenkstätte Lager Sandbostel), Prof. Dr. Detlef Garbe (damaliger Direktor der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen) sowie Juliane Hummel (wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten) begleitete das Projekt.

Zunächst erfolgte die Weiterentwicklung des ersten Gestaltungsentwurfs sowie des inhaltlichen Konzeptes, in die alle oben genannten Akteure intensiv eingebunden waren.

 

Bauliche Maßnahmen und Untersuchungen

Bauseits erfolgten umfangreiche Rückbauarbeiten von Wänden und Toren, die seit 1946 in die Räume unter der Hochstraße eingebaut worden waren. Mit dieser »Freilegung« rückte die Baustruktur des ehemaligen KZ Drütte wieder in den Vordergrund. Alle baulichen Maßnahmen am Gebäude, wie beispielsweise die Sanierung des Betons, der Einbau einer neuen Elektroinstallation sowie der neuen WC-Anlage, der Rückbau alter und der Einbau neuer Tore oder die Reparatur der historischen Fenster fanden immer im engen Austausch mit den Denkmalschutzbehörden statt.

Parallel zu den Bauarbeiten erfolgten weitere bauhistorische und restauratorische Untersuchungen. Bereits vor Projektbeginn war bekannt, dass die sichtbare dekorative Wandgestaltung im Bereich der ersten Dauerausstellung eine zweite Gestaltungsphase zeigt und der KZ-Zeit zugeordnet werden kann. Untersucht wurden zunächst vereinzelte Stellen in den vier ehemaligen Unterkunftsräumen, die offenbar alle eine eigene Wandbemalung erhalten hatten. Dieses Vorgehen setzte sich im zweiten Krankenrevier, dessen Räume 1943 neu eingebaut wurden, fort. Jeder einzelne Raum erhielt dort eine eigene Gestaltung, die sich in ihrer Farbgebung und Musterung von den anderen unterschied. Über die Intention lässt sich in den vorliegenden Unterlagen nichts finden, auch haben Überlebende in späteren Interviews nicht von einer Wandgestaltung erzählt. Das kann zum einen daran liegen, dass mangels Informationen die Interviewenden nicht danach gefragt haben, zum anderen war die Gestaltung der Wände den Menschen während ihrer Haftzeit vermutlich gleichgültig. Von Besuchenden der Gedenkstätte wird diese dekorative Wandbemalung des KZ oft als weitere Demütigung der Häftlinge wahrgenommen.

Neben den dekorativen Gestaltungselementen wurden unerwartet auch Wandbeschriftungen an den innerhalb des ehemaligen KZ befindlichen Brückenpfeilern der Hochstraße freigelegt. Rechts und links neben dem ursprünglichen Haupteingang zum vierten Unterkunftsraum sind heute die Beschriftungen »Snime schapku« beziehungsweise »Mützen ab« zu lesen. Darunter finden sich Nummernfolgen, die meisten in hunderter Schritten, die die Anzahl der geplanten Betten in einem Raumabschnitt angaben.

 

Recherche

Aufgrund der erheblichen Erweiterung der Ausstellungsfläche können die einzelnen Themen nun vertiefender und zum Teil auch erstmalig in der Gedenkstätte präsentiert werden. Neu hinzugekommen sind beispielsweise umfangreichere Informationen zum SS-Personal oder ein Ausstellungsteil zum KZ-Außenlager Gebhardshagen; dieses KZ hat im Sommer 1944 etwa acht Wochen bestanden, die knapp 450 Männer mussten über und unter Tage im Erzbergbau Zwangsarbeit leisten.

Nachdem die Recherchen zu den verschiedenen Ausstellungsthemen in den ersten Monaten sehr gut vorankamen, wurden sie im Frühjahr 2020 mit dem pandemiebedingten Lockdown zumindest in den externen Archiven jäh gestoppt. So wurde der Blick zunächst auf die vorliegenden Unterlagen im eigenen Archiv gerichtet, bis nach und nach wieder Besuche in den anderen Einrichtungen möglich waren. Darüber hinaus wurde das Projektteam von den Kolleginnen und Kollegen in den nationalen und internationalen Archiven per Telefon und E-Mail intensiv unterstützt.

 

Der Weg durch die neue Ausstellung

Die Gedenkstätte KZ Drütte kann aufgrund ihrer Lage in einem arbeitenden Industriebetrieb in der Regel nur im Rahmen einer Führung besucht werden. Der Weg führt die Besuchenden vom Werkstor über die Hochstraße zunächst zu einem ehemaligen Buswartehäuschen aus den 1950er-Jahren, das seit 2008 von der Gedenkstätte genutzt wird. Hier finden sich seit der Neugestaltung zwei Karten, die zum einen die Standorte des KZ Neuengamme und seiner Außenlager und zum anderen die lokalisierbaren Lager der Reichswerke im heutigen Stadtgebiet Salzgitters zeigen. Im Raum steht ein (neues) Modell, das den Bereich des ehemaligen KZ unter der Hochstraße sowie die meisten Arbeitsorte der Häftlinge zeigt. Dieser erste Teil der Ausstellung ist für die Besuchenden der Bereich, an dem sie sich verorten können und einen Überblick über die Topografie und strukturellen Gegebenheiten des KZ Drütte erhalten.

Der Weg zur Hauptausstellung führt abwärts über eine Treppe. Eine vollständige Barrierefreiheit ist hier leider nicht möglich. Besuchende, die die Treppe nicht nutzen können, dürfen mit dem Auto zur Gedenkstätte fahren. Ein neues Element im Außenbereich ist das Informations- und Leitsystem, das bereits am Werkstor mit einer Tafel zur Geschichte des Ortes beginnt und dann auf dem Weg zur Gedenkstätte an markanten Punkten in den Blick rückt. Über den ehemaligen Appellplatz, der sich im inneren Kurvenbereich der Hochstraße befand, betreten die Besuchenden die neue Ausstellung. Der Eingangsbereich wird auf der linken Seite durch einen neuen Einbau mit Funktionsräumen (WCs, Lagerraum und einem Heizungsraum) begrenzt. Er ist, ebenso wie der Empfangstresen, der Flyerständer und die Sitzmöbel, schwarz gehalten.

Auf der rechten Seite und gegenüber der Eingangstür stehen fünf Kuben aus gerostetem Stahl. Entsprechende Elemente wurden bereits in der ersten Dauerausstellung genutzt, deren Gestaltung hier wieder aufgenommen wurde. Gerosteter Stahl ist das wesentliche Material aller Ausstellungsträger, deren Form zum Teil die Struktur und Nutzung der ehemaligen KZ-Räume aufgreift und damit die Rezeption des Ortes unterstützen soll. So symbolisieren die Kuben die »Bettentürme«, wie sie in den Unterkunftsräumen gestanden haben. In ihnen werden einleitende Informationen zu den Reichswerken »Hermann Göring«, zum KZ Neuengamme und seinen Außenlagern sowie zu den vier KZ im Salzgittergebiet gegeben.

Jedes Schwerpunktthema in der Ausstellung beginnt mit einem Einführungstext, dann setzt sich die Gestaltung individuell fort: Neben weiteren Texten, diversen Abbildungen von Dokumenten oder Fotografien sind auch Grafiken, Schiebeelemente mit Kurzbiografien sowie Exponate zu finden. An vier Medienstationen können Besuchenden kurze Ausschnitte aus Videointerviews mit Überlebenden anschauen.

In einem nächsten Ausstellungsabschnitt finden sich acht Stelen zu Themen aus dem Lageralltag, wie beispielsweise Kleidung, Ernährung, Kontakt zur Familie, dem Arbeitseinsatz der Häftlinge in der Rüstungsproduktion sowie zum SS-Personal. Hier wird über zahlreiche Zitate das individuelle Erleben der ehemaligen Häftlinge in den Fokus gerückt. Nach Verlassen des Stelenfeldes betritt man einen 30 m langen Steg, der durch den damaligen Flurbereich des Krankenreviers führt. Dieser Teil der Ausstellung gilt als »Exponat seiner selbst«, hier wird der Blick gezielt auf das Gebäude mit seinen unterschiedlichen Nutzungsspuren gelenkt. In dem letzten erhaltenen Raum des ehemaligen Krankenreviers sind auf einem Pult Informationen zur Krankenversorgung und zum Personal zu finden. An dieser wie auch an anderen Stellen wird die Zusammenarbeit zwischen den Reichswerken und der SS deutlich: Der Werksarzt Dr. Schauf war unter anderem auch für das Krankenrevier im KZ Drütte verantwortlich. Vor Ort war aber vor allem ein SS-Sanitäter, der die Aufsicht über die Häftlingsärzte und -pfleger hatte und Dr. Schauf Bericht erstatten musste. Neben baulichen Überresten aus der Nutzung als Patientenzimmer sind hier an einem Pfeiler auch freigelegte Bleistiftzeichnungen von KZ-Häftlingen zu sehen.

In einem Anbau aus der Nachkriegszeit ist der letzte Abschnitt der Ausstellung zu finden. Während der KZ-Zeit stand hier angrenzend an das Krankenrevier ein kleineres Gebäude, in dem die Leichen gelagert wurden, bevor man sie zur Bestattung auf nahegelegenen Friedhöfen abtransportierte. Drei Wände des Leichenraumes wurden nach Kriegsende abgebrochen, die Rückwand in den neuen Anbau integriert. Sein Boden liegt etwa 80 cm unter dem heutigen Niveau und kann ebenso wie ein Stück der abgebrochenen Seitenwand durch eine Öffnung im Fußboden betrachtet werden. In diesem letzten Ausstellungsbereich wird über die Todesursachen und die Registrierung der Toten sowie deren Bestattung informiert.

 

Rückblick und Ausblick

Aufgrund der Pandemie konnten geplante Führungen und Vorträge zum Projekt nicht stattfinden. Stattdessen wurden zwei Werkstattberichte veröffentlicht, die einen Blick »hinter die Kulissen« der Neugestaltung ermöglichen.[5]

Am 18. Oktober 2022 ist die neue Dauerausstellung »KZ-Häftlinge in der Rüstungsproduktion« nach mehr als drei Jahren Forschungs-, Planungs- und Bauarbeiten eröffnet worden. Seitdem konnten bereits zahlreiche Gruppen durch die Räumlichkeiten geführt werden. Die Bildungsarbeit ist den neuen Gegebenheiten direkt angepasst worden. Das Gedenkstättenpersonal entwickelte erste neue Konzepte, mittels derer auch die historischen Spuren am Gebäude »entdeckt« werden sollen. Erste Rückmeldungen aus den Führungen zeigen: Dieser Blick auf die baulichen Spuren, diese andere Perspektive auf die Geschichte des KZ, ist für Besuchenden oft herausfordernd, schafft aber auch einen Zugang zum historischen Ort. Die neue Größe der Ausstellungsfläche hinterlässt wohl ebenso einen besonderen Eindruck: Nun seien die Dimensionen des Lagers – obwohl nur ein kleiner Teil des ehemaligen Geländes – besser zu begreifen.

Das Bildungsangebot wird im Laufe der nächsten Zeit weiter ausgebaut. Unterstützt wird das Team dabei ab Mai 2023 durch eine pädagogische Mitarbeiterin, dessen Stelle durch eine regelmäßige Zuwendung der SZAG finanziert werden kann.

Bereits seit Herbst 2022 wird am Ende der Ausstellungsfläche ein neuer, 70 m2 großer Seminarraum eingebaut. Der Raum-im-Raum ist dreiseitig verglast und hat eine schwarze Rückwand. Durch diese Gestaltung nimmt sich der Einbau im Gesamtbild der Ausstellung sehr zurück, gleichzeitig wird die aktive Erinnerungsarbeit sichtbar. In diesem Raum können Gruppen mit bis zu 60 Personen betreut werden.

Die neue Dauerausstellung umfasst den Zeitraum 1937 bis zur Räumung des Lagers am 7. April 1945. Künftig soll ein Bereich mit einer Projektion aller bekannter Namen ehemaliger Häftlinge aus den vier KZ im Salzgittergebiet in der Ausstellung einen Platz finden und einen Ort zum Innehalten und Reflektieren bieten.

Die Vermittlung der Themen »Nachgeschichte« (mit Informationen u.a. zum Weiterleben nach der KZ-Haft und zum »Drütte-Case« 1946/47) sowie »Erinnerung« (mit Informationen zu den ersten Gedenkveranstaltungen in der Nachkriegszeit, dem »Kampf« um die Gedenkstätte bis hin zur aktuellen Erinnerungsarbeit) ist für den momentanen ungenutzten Bereich der ersten Dauerausstellung geplant. Dieses umfangreiche Projekt war nur mit der großen Unterstützung der vielen beteiligten Personen und Institutionen möglich. Ihnen allen sei an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt!

 

Maike Weth, Historikerin, leitet seit 2018 die Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte und war Leiterin des Neugestaltungsprojektes.

 

[1]    Treue, Wilhelm: Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan 1936, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 3 (2), 1955, S. 184f.

 

[2]    Ab 1944 wurden die Außenlager Watenstedt/Leinde (Mai 1944-April 1945), Gebhardshagen (Sommer 1944) und Salzgitter-Bad (September 1944-April 1945) eingerichtet. Weitere Informationen: Benz, W.; Distel, B. (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager Bd. 5: Hinzert, Auschwitz, Neuengamme. München 2007.

 

[3]    Weitere Informationen zur Geschichte der Gedenkstätte: Arbeitskreis Stadtgeschichte e.V. (Hg.): 10 Jahre Gedenkstätte KZ Drütte. Salzgitter 2004.

 

[4]    gemeinsam mit ihrer Tochtergesellschaft Salzgitter Flachstahl GmbH, Eigentümerin des Gebäudes

 

[5]    Download als PDF: neugestaltung.gedenkstaette-salzgitter.de/category/neuigkeiten/