Neue Perspektiven. Die österreichische Ausstellung in Auschwitz

Am 4. Oktober 2021 wurde die neue österreichische Länderausstellung »Entfernung – Österreich und Auschwitz« in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in Polen eröffnet und damit ein langjähriges Projekt des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus vollendet.
03/2022Gedenkstättenrundbrief 205, S. 3-11
Michael Doujak und Claire Fritsch

Einleitung

Am 4. Oktober 2021 wurde die neue österreichische Länderausstellung »Entfernung – Österreich und Auschwitz« in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in Polen eröffnet und damit ein langjähriges Projekt des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus vollendet. Zur Gedenkfeier anlässlich der Eröffnung im Staatsmuseum Auschwitz-Birkenau luden Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und der Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau Piotr M. A. Cywiński. Der Feier wohnten der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen, zahlreiche österreichische und polnische Staats- und Regierungsvertreterinnen und -vertreter, Auschwitz-Überlebende sowie Angehörige und Nachkommen bei. Moderiert wurde die Feier von Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds, der mit der Koordinierung der Planung und Abwicklung des Gesamtprojekts beauftragt war. Die neue Ausstellung stellt sowohl gestalterisch als auch inhaltlich eine grundlegende Überarbeitung der Ausstellung aus dem Jahr 1978 dar, die nicht zuletzt einem Wandel der Geschichtspolitik und Erinnerungskultur Österreichs geschuldet ist. Innerhalb der Länderausstellungen auf dem Gelände der Gedenkstätte, die vor allem auf das Schicksal der jeweiligen nach Auschwitz deportierten Bevölkerung eingehen, nimmt nun Österreich einen besonderen Platz ein. Die Ausstellung stellt sowohl das Schicksal der österreichischen Opfer in Auschwitz, den Widerstand von österreichischen Häftlingen im Konzentrationslager als auch die Involvierung von Österreichern als Täterinnen und Täter sowie Helferinnen und Helfer an den dort begangenen Verbrechen dar.

Der Paradigmenwechsel

»Und auch, wenn Österreich als Staat nicht mehr existierte, sondern als Ostmark Teil des sogenannten Dritten Reiches war, so waren doch viele Menschen unseres Landes, teils an führender Stelle, unter den Tätern und Täterinnen in diesem Vernichtungsprogramm. Wir alle kennen diese Geschichte und doch war es lange Zeit Staatsdoktrin, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus sei. Unter Ausblendung der Vorgeschichte und der Täter- und Täterinnenschaft vieler Menschen unseres Landes.«[2] 
Bundespräsident Alexander Van der Bellen nannte in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung einen wesentlichen Grund, der zur Neugestaltung der österreichischen Ausstellung führte. Dies war die im Eingangsbereich der ehemaligen Ausstellung propagierte »Opferthese«. Die Grafik mit dem Schriftzug »11. März 1938: Österreich – Erstes Opfer des Nationalsozialismus« entwickelte sich zum Widerspruch zum durch die Republik Österreich ab den 1990er-Jahren eingestandenen Bekenntnis zur Mittäterschaft an den Verbrechen des Nationalsozialismus.[3] Im Rahmen des Holocaust-Gedenktags in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen am 27. Januar 2022 sagte Bundeskanzler Karl Nehammer zudem: »Ich entschuldige mich im Namen der Republik für die hier begangenen Verbrechen. Ich verspreche, dass die österreichische Regierung alles zur Bekämpfung des Antisemitismus tun wird.«[4]
Die von Bundespräsident Van der Bellen genannte Ausblendung der Beteiligung von Österreicherinnen und Österreichern an den NS-Verbrechen im nationalen Narrativ, die die Ausstellung von 1978 prägte, rief ab den 2000er-Jahren zunehmend Kritik hervor.[5] Eine Neugestaltung der Ausstellung wurde gefordert. Auf Initiative des Österreichischen Generalkonsulats in Krakau, des Nationalfonds der Republik Österreich und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wies ab 2005 ein Banner im Eingangsbereich der Ausstellung darauf hin, dass das dort dargestellte Geschichtsbild vom offiziellen Österreich nicht mehr vertreten werde. Im Regierungsprogramm von 2008 wurde die Neugestaltung der Ausstellung verankert und diese Aufgabe dem Nationalfonds übertragen.[6]

Die Ausstellung von 1978

Zur Einordnung der ersten österreichischen Ausstellung muss festgehalten werden, unter welchem Verständnis die Ausstellung entstanden ist. Die Initiative, eine Länderausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau zu schaffen, geht auf die Bemühungen zahlreicher Überlebender zurück. Zur Realisierung wurde der Verein »Österreichische Arbeitsgemeinschaft Museum-Auschwitz« unter dem Vorsitz der Auschwitz-Überlebenden Erna Musik gegründet. Die inhaltliche Ausarbeitung erfolgte unter der Leitung des damaligen Mitarbeiters und späteren Leiters des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) Wolfgang Neugebauer gemeinsam mit ehemaligen Auschwitz-Häftlingen, darunter Hermann Langbein, und zahlreichen jungen Wissenschaftlern sowie Wissenschaftlerinnen.[7] Die Ausstellungsgestaltung übernahm Architekt Robert Kanfer, der als Kind über einen Kindertransport nach England flüchten konnte, mit dem Grafiker Ernst Fuhrherr.
Die Ausstellung war somit zwar wissenschaftlich fundiert, aber auch stark von der Opferperspektive geprägt: einerseits von der in den 1970er-Jahren vorherrschenden »Opferthese«, die sich auf den ersten Absatz der Moskauer Deklaration von 1943[8] berief und bis in die 1980er-Jahre fixer Bestandteil der österreichischen Erinnerungskultur war, andererseits von den persönlichen Erfahrungen der Beteiligten als Verfolgte des NS-Regimes und Lagerhäftlinge.
Thematisch setzte die Ausstellung ihren Schwerpunkt auf die Erstarkung des Nationalsozialismus in Österreich in der Zwischenkriegszeit und die Folgen des »Anschlusses« an das Deutsche Reich im März 1938. Das Schicksal der jüdischen Bevölkerung, der Roma und Sinti, aber auch individueller und organisierter Widerstand in Auschwitz waren wichtige Themen, aber die Genannten waren die einzigen Opfergruppen, die in der Ausstellung erwähnt wurden. Dem politischen Widerstand in Österreich während des NS-Regimes, aber auch Österreicherinnen und Österreicher im Kampf gegen das faschistische Franco-Regime in Spanien – die später eine wichtige Rolle im Lagerwiderstand spielten –, wurde viel Platz eingeräumt. Mit Maximilian Grabner und Maria Mandl wurden zwar zwei österreichische Täterinnen sowie Täter angesprochen, allerdings nur in wenigen Sätzen:
»Unter der dem Lager zugeteilten SS-Mannschaft waren auch Österreicher; so wurde Maximilian Grabner Leiter der ›Politischen Abteilung‹ und, als in Birkenau ein Frauenlager eröffnet wurde, übernahm die Österreicherin Marie Mandel [sic] dessen Leitung. Beide waren unter den Häftlingen wegen ihrer besonderen Grausamkeit gefürchtet.«[9]

Neugestaltung

Gemäß Beschluss der österreichischen Bundesregierung von 2009 waren zwei Beiräte einzurichten, die das Projekt begleiten und vor allem bei der Auswahl der Ausstellungsausführenden und der Entwicklung der Ausstellungsinhalte unterstützend mitwirken sollten. Im selben Jahr konstituierte sich der Wissenschaftliche Beirat mit Expert*innen aus den Bereichen Zeitgeschichte, Ausstellungs- und Gedenkstättenwesen; 2010 wurde der Gesellschaftliche Beirat eingerichtet, der insbesondere die Anliegen und Erfahrungen der betroffenen Opfergruppen, Religionsgemeinschaften und Interessenvertretungen einbringen sollte. Letztentscheidungen lagen beim Steering Committee, in dem die Mittelgeber (Bund, Länder, Zukunftsfonds und Nationalfonds) vertreten waren.
Im Oktober 2013 wurde im Zuge der Vorbereitungen für die Sanierungsarbeiten am Block 17 die erste österreichische Ausstellung endgültig geschlossen und demontiert. 2015 gab der Nationalfonds einen Dokumentationsband[10] heraus, der neben einem umfassenden fotografischen Teil die Genese und Rezeption dieser bisherigen österreichischen Ausstellung schildert. In einem beigelegten Heft sind zudem alle Ausstellungstexte als zeithistorisches Dokument nachzulesen.
Da das gesamte Gebäude – der frühere Häftlingsblock 17 im ehemaligen Stammlager – vom Keller bis zum Dach generalsaniert werden musste und die gesamte Gedenkstätte als UNESCO-Welterbe gelistet ist, war vom Nationalfonds für die Realisierung der Ausstellung ein langer Weg an Vergabeverfahren, behördlichen Bewilligungen, Abstimmungen mit dem Staatlichen Museum, sprachlichen, denkmalpflegerischen, rechtlichen und budgetären Hürden zu überwinden.
Im Zuge der Sanierungsarbeiten zeigte sich die historische Dimension des Gebäudes. So wurden von Häftlingen verborgene Gegenstände wie beispielsweise Besteck und Werkzeuge freigelegt.[11] Im Keller wurden von Häftlingen angefertigte Wandzeichnungen entdeckt und dokumentiert.
Mitten in der Bauphase kamen ab 2020 die Einschränkungen der Corona-Pandemie hinzu. Dennoch konnten die Sanierungsarbeiten und die Ausstellungsarbeiten vorangebracht werden, so dass die letzten Handgriffe rechtzeitig vor Eröffnung durchgeführt werden konnten.

Die neue Ausstellung

Mit der zunehmenden Kritik an der ersten Ausstellung ergab sich die Notwendigkeit einer Neugestaltung mit dem Anspruch, sich von der »Opferthese« abzuwenden und die Aspekte der Mittäterschaft herauszuarbeiten. Auch sollten alle Opfergruppen aufgezeigt, Gender-Aspekte beleuchtet und zu kritischer Reflexion angeregt werden. Die neue Ausstellung sollte sowohl historisch aufklären als auch kollektives Gedenken und individuelles Erinnern ermöglichen.
In diesem Sinne suchte der Nationalfonds nach einem geeigneten Ausstellungsteam und beauftragte nach europaweiten Ausschreibungen das Team um Kurator Hannes Sulzenbacher unter der wissenschaftlichen Leitung von Albert Lichtblau (Universität Salzburg), dem weiters Siegfried Göllner, Birgit Johler, Christiane Rothländer und Barbara Staudinger angehörten, mit den kuratorisch-wissenschaftlichen Arbeiten und Architekt Martin Kohlbauer ZT GmbH mit der Gestaltung der Ausstellung.
In der neuen Ausstellung »Entfernung. Österreich und Auschwitz«[12] stehen die Schicksale der österreichischen Opfer in Auschwitz im Vordergrund, aber anders als in der früheren Ausstellung wird auch die Tatbeteiligung von Österreich in Auschwitz thematisiert.
Das Team der Kuratorinnen und Kuratoren zeigt, dass 18000 bis 20000 Personen aus Österreich vom NS-Regime als jüdisch Verfolgte, politisch Andersdenkende, Widerstand Leistende, Roma und Sinti, Zeugen Jehovas oder als Homosexuelle, vermeintlich Kriminelle oder »Asoziale« nach Auschwitz deportiert wurden. Davon wurden 8000 Menschen direkt aus dem Gebiet des an das Deutsche Reich »angeschlossenen« Österreichs (»Ostmark«) nach Auschwitz deportiert. Ein großer Transport ging am 17. Juli 1942 von Wien ab.[13] 4000 Österreicherinnen und Österreicher wurden über das Ghetto und KZ Theresienstadt nach Auschwitz deportiert, weitere 6000 aus den vom Deutschen Reich besetzten Ländern, wohin sie nach dem »Anschluss« Österreichs 1938 zunächst hatten fliehen können. Dazu zählen auch jene, die aus anderen Konzentrationslagern nach Auschwitz überstellt wurden. Nur etwa 1 500 der nach Auschwitz deportierten Menschen erlebten das Ende des NS-Regimes.
Als Staatsbürgerinnen und -bürger des Deutschen Reichs waren auch zahlreiche Österreicherinnen und Österreicher Teil des NS-Terror-Apparates, so auch in Auschwitz. Nach einer Studie unter der Leitung von Christiane Rothländer konnten von insgesamt etwa 9300 Mitgliedern der SS-Wachmannschaft und des Kommandaturstabs des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau 163 aus Österreicher identifiziert werden.[14]
Die Ausstellung gliedert sich in den Eingangsbereich, von dem man über eine räumliche Verschmälerung (»Engstelle«) in den Hauptbereich gelangt, sowie in einen Gedenkraum mit anschließendem Vertiefungsbereich. Im Eingangsbereich wird bereits das Spannungsfeld zwischen Opfern und Täterinnen sowie Tätern thematisiert, symbolisiert durch die dort ausgestellten originalen Karteien des Widerstandskämpfers und Auschwitz-Häftlings Hermann Langbein. Auf tausenden mit Schreibmaschine getippten und mit handschriftlichen Vermerken versehenen Karten sammelte Langbein akribisch über Jahre relevante Informationen und Zeugenaussagen, die zur strafrechtlichen Verfolgung von Auschwitz-Täterinnen und Tätern führten. Der angrenzende, bewusst als Engstelle gestaltete Gang zum Hauptraum konfrontiert Besuchende an beiden Seiten mit Video- und Bildmaterial anlässlich des »Anschlusses« Österreichs 1938: Euphorische Menschen in Begrüßung der deutschen Truppen stehen Szenen von Straßen waschenden jüdischen Menschen gegenüber, die zum Entfernen von Parolen auf der Straße gezwungen und während dieser »Reibeaktionen« schikaniert wurden.
Hierauf befindet man sich im Hauptbereich der Ausstellung, auf dessen Konzept der Titel der Ausstellung beruht. Vor dem Hintergrund der Mehrdeutigkeit des Begriffs »Entfernung«[15] werden die Geschehnisse in Auschwitz und Österreich durch Schaffung eines virtuellen Raums auf Screens und eines realen Raums in Vitrinen einander gegenübergestellt. Dadurch werden gleichzeitig der Bruch und der Zusammenhang zwischen diesen beiden Realitäten dargestellt. Die Virtualität erzeugt beinahe die Illusion zweier Ausstellungsteile, hinter den von Martin Kohlbauer entworfenen Bildwänden betreten die Besuchenden jedoch die »Leere«, die das Gefühl der »Entfernung« und das Abreißen jeglicher Verbindung zwischen den zwei Realitäten verstärken soll.

In dieser Gegenüberstellung setzt sich die Ausstellung anhand von rund 90 Objekten mit folgenden Themen auseinander: 
Das Kapitel Anfänge schildert unter anderem den Aufstieg der NSDAP in Österreich bis zum »Anschluss«, den Aufbau des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und die Involvierung von Österreicher*innen. So wird etwa die zentrale Rolle der österreichischen Architekten Fritz Ertl und Walter Dejaco beim Lagerbau und bei der Planung der Vernichtungsanlagen in Birkenau geschildert.
Das Kapitel Strukturen erörtert den NS-Apparat und die Verfolgungsmaßnahmen in Österreich sowie das Lagersystem und die Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz-Birkenau. Ein eindrückliches Dokument stellt dabei die Reisekostenabrechnung einer Salzburger Fürsorgerin dar, die ein Sinti-Mädchen eigens aus einem dortigen Kinderheim nach Auschwitz und somit in ihren Tod gebracht hat. Objekte zu den Strukturen in Auschwitz sind beispielsweise ein Koffer eines aus Wien deportierten Mädchens sowie eine Zeichnung des Auschwitz-Überlebenden Franz Reisz, die das Schikanieren der Häftlinge darstellt.
Das Kapitel Handlungsmöglichkeiten zeigt das breite Spektrum, wie Menschen innerhalb des NS-Systems gehandelt haben. Dies reicht vom Profitieren, Sympathisieren, »Anpassen« über Privilegien und Privilegienlosigkeit in der Häftlingsgesellschaft bis hin zu Widerstand in und außerhalb von Auschwitz. So sind etwa Objekte von Schwester Maria Stromberger zu sehen, die sich freiwillig nach Auschwitz meldete und dort Häftlingen half und mit dem Lagerwiderstand zusammenarbeitete. Besonders herausstechend ist dabei die einzige, von der SS-Leitung erlaubte Trauung in Auschwitz, jene zwischen der Spaniern Maria Ferrer y Rey und dem in Auschwitz inhaftierten ehemaligen Spanienkämpfer und Mitglied des Lagerwiderstands Rudolf Friemel.
Die Befreiung von Auschwitz und Österreich ist Thema des letzten Kapitels. Hier wird zum Beispiel auf die Todesmärsche und auf Endphaseverbrechen in Österreich wie das Massaker an hunderten ungarischen Jüdinnen und Juden in Hofamt Priel in Niederösterreich im April 1945 eingegangen.

»Nachrichten aus Auschwitz«

Dem Ausstellungsteam war es wichtig, auch eine gegenwärtige Verbindung zwischen Österreich und dem geografisch unweit gelegenen, aber im Bewusstsein fernen Gedenkort Auschwitz-Birkenau zu schaffen. Für Besuchende steht in der Ausstellung ein digitales Gästebuch bereit, in das sie ihre Gedanken und Gefühle beim Gedenkstättenbesuch auf ein Touchpad schreiben oder zeichnen können. Diese Botschaften verschwinden vom Touchpad, werden digital nach Österreich übertragen und erscheinen auf der vom Nationalfonds betriebenen Website zur Ausstellung www.auschwitz.at[16] sowie an verschiedenen Plätzen in Österreich.[17]
Seit der Eröffnung im Oktober 2021 verzeichnet das digitale Gästebuch über 400 Einträge (Stand: Februar 2022), die das Bedürfnis bezeugen, sich an diesem Ort auszudrücken. Darunter finden sich persönliche Nachrichten und Reflexionen, aber auch Zeichnungen und Kommentare zur Ausstellung. Viele Einträge spiegeln in Deutsch, Englisch, Polnisch und zahlreichen weiteren Sprachen (unter anderem Russisch, Chinesisch, Arabisch) die vielfältigen Gedanken und Gefühle wider, die der Besuch der Gedenkstätte auslöst: Betroffenheit über die Verbrechen, Trauer um die Ermordeten, Gedenken an die Opfer, Bezüge zur Gegenwart sowie Fragen um Menschlichkeit und Mahnungen für die Zukunft.

Gedenkbereich

Nach dem Kernbereich gelangen Besuchende in den Gedenkraum der Ausstellung, dessen zentrales Element fünf von Heinrich Sussmann gestaltete Glasfenster darstellen. Sussmann wurde, wie seine Frau Anni, als kommunistischer Widerstandskämpfer jüdischer Abstammung im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert. Er überlebte und schuf die Gedenkinstallation für die erste Ausstellung 1978 in der Absicht, die Menschen, die im Lager gequält und verbrannt worden waren, wieder als Ganzes darzustellen, »als ganze Menschen, die sie ursprünglich gewesen sind.«[18] Eines der Fenster ist als sehr persönliche Erinnerung seinem Sohn gewidmet, der sofort nach seiner Geburt vom SS-Lagerarzt Josef Mengele ermordet wurde.
Die Glasfenster wurden für die neue Ausstellung neu gerahmt und mit einer Hörstation kontextualisiert, auf der Ausschnitte aus Interviews mit Anni und Heinrich Sussmann aus dem Jahr 1983 abgespielt werden können.

Vertiefungsmöglichkeiten

Besuchenden steht am Ende der Ausstellung ein Medientisch zur Verfügung, auf dem Interessierte vertiefende Informationen zur Ausstellung lesen können. Diese Informationen werden auf der vom Nationalfonds betriebenen und gemeinsam mit den Kuratorinnen und Kuratoren erstellten Website www.auschwitz.at bereitgestellt und laufend ergänzt. Dazu zählen unter anderem Datenbanken zu den österreichischen Häftlingen[19] und Täterinnen sowie Tätern in Auschwitz[20], Biografien[21] sowie von der Plattform für Holocaust Education erinnern.at erstelltes pädagogisches Material für die Vor- und Nachbereitung eines Ausstellungsbesuchs mit Schülerinnen und Schülern.

Fazit

Der Nationalfonds hatte die Aufgabe der Neugestaltung der österreichischen Ausstellung mit dem Ziel übernommen, einen Beitrag zur Aufklärung und Erinnerung an den Holocaust zu leisten. So ist es für alle Projektbeteiligten erfreulich zu sehen, dass die Ausstellung seit ihrer Eröffnung im Herbst 2021 viel Aufmerksamkeit erfahren hat. Dies zeigte sich durch ein großes mediales Interesse, aber auch durch Feedback von Angehörigen und die zahlreichen Gästebucheintragungen.
Für den Nationalfonds, der für die Betreuung der Ausstellung zuständig ist, stellt die Fertigstellung der Ausstellung keinen Schlussstrich dar. Er begreift sie sowohl als Gedenkort als auch als einen lebendigen Lernort, der Denkanstöße und Dialoge anregen soll. Dafür sollen in Zukunft weitere Angebote, etwa auch mit anderen Institutionen, entwickelt werden. Der Nationalfonds trägt dabei die Verantwortung, die Erinnerung an die Opfer von Auschwitz nicht verblassen zu lassen.


Claire Fritsch ist Projektleiterin der Koordinierungsstelle zur Neugestaltung der österreichischen Länderausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus. 
Michael Doujak war Gedenkdiener in der Gedenkstätte und ist Mitarbeiter in der Koordinierungsstelle.

 

[1]   An dieser Stelle sei Dr. Peter Stadlbauer, Mag. Martin Niklas und Sarah Fink, BA, DipTrans für ihre wert-vollen Anregungen beim Verfassen dieses Artikels und für das Lektorat gedankt.

[2]   Rede des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen zur Eröffnung der österreichischen Länderausstellung am 4. Oktober 2021. www.bundespraesident.at/aktuelles/detail/es-ist-unser-wille-und-unsere-verpflichtung-die-erinnerung-an-die-opfer-zu-bewahren. Abgerufen am 31.1.2022.

[3]   Hervorzuheben sind dabei die Reden von Bundeskanzler Franz Vranitzky vor dem österreichischen Nati-onalrat 1991 und von Bundespräsident Thomas Klestil vor der israelischen Knesset 1994.

[4]   www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/nachrichten-der-bundesregierung/2022/01/bk-nehammer-ich-entschuldige-mich-im-namen-der-republik-fuer-die-hier-begangenen-verbrechen.html. Abgerufen am 31.1.2022.

[5]   Vgl. hierzu auch: Michael Doujak, Möglichkeiten der Darstellung der Geschichte der Verbrechen der Nationalsozialisten im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau am Beispiel einer Neugestaltung der Österreich-Ausstellung. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Wien 2009, 97 ff.

[6]   www.konvent.gv.at/K/DE/INST-K/INST-K_00179/imfname_164994.pdf, 236. Abgerufen am 7.2.2022.

[7]   Vgl. Wolfgang Neugebauer, Die Österreich-Ausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz aus der Sicht eines Mitbeteiligten. In: Nationalfonds – Koordinierungsstelle zur Neugestaltung der österreichischen Länderausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau (Hrsg.), Österreichische Gedenkstätte. 1978–2013. Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, Wien 2015, 46 f.

[8]   Moskauer Deklaration vom 30.10.1943 während der Konferenz der alliierten Außenminister in Moskau: »Die Regierungen Grossbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika kamen darin überein, dass Österreich, das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist, von der deutschen Herrschaft befreit werden muss […]. Österreich wird jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass es für die Beteiligung am Kriege auf seiten Hitlerdeutschlands die Verantwortung trägt, der es nicht entgehen kann, und dass bei der endgültigen Regelung unvermeidlich sein eigener Beitrag zu seiner Befreiung berücksichtigt werden wird.« (Zitiert nach der Ausstellungstafel zur Moskauer Deklaration, österreichische Ausstellung 1978.)

[9]   Nationalfonds – Koordinierungsstelle zur Neugestaltung der österreichischen Länderausstellung im Staat-lichen Museum Auschwitz-Birkenau (Hrsg.), Österreichische Gedenkstätte. 1978–2013. Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, Wien 2015, Beiheft Transkriptionen, 14.

[10] Nationalfonds – Koordinierungsstelle zur Neugestaltung der österreichischen Länderausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau (Hrsg.), Österreichische Gedenkstätte. 1978–2013. Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, Wien 2015.

[11] Vgl. Online-Artikel zu Funden auf dem Gelände von Auschwitz-Birkenau: www.nationalfonds.org/meldung/von-h %C3 %A4ftlingen-verborgene-gegenst %C3 %A4nde-in-auschwitz-gefunden. Abgerufen am 7.2.2022. http://auschwitz.org/en/museum/news/conservators-constantly-discover-new-traces-of-the-history-of-auschwitz,1422.html. Abgerufen am 7.2.2022.

[12] Titel auf Englisch: Far removed. Austria and Auschwitz. Titel auf Polnisch: Tak blisko. Tak daleko. Austria a Auschwitz.

[13] Vgl. Florian Freund, Hans Safrian, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938–1945. Vertreibung und Deportation. In: Emmerich Taloś, Wolfgang Neugebauer, Ernst Hanisch, Reinhard Sieder (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000, 781.

[14] Vgl. Christiane Rothländer, Endbericht. Österreicher und Österreicherinnen in der Konzentrationslager-SS Auschwitz-Birkenau. Eine Untersuchung zu Quantität und Sozialstruktur. Unveröffentlichte Studie, Wien 2018. Die für einen Teilbereich der Ausstellung eigens durchgeführte Studie zieht als Ausgangspunkt die Arbeiten des polnischen Historikers Aleksander Lasik und die Forschungsergebnisse der Historiker*innen des DÖW heran. Als problematisch stellte sich dabei heraus, dass nur bei 5074 der 9297 ermittelten Personen der SS- und Wachmannschaften die Herkunft festzustellen war. Vgl. Rothländer, Endbericht, 13.

[15] Der Begriff »Entfernung« verweist auf die geografische Distanz zwischen Österreich und Auschwitz, die Teil der nationalsozialistischen Verschleierungsstrategie des Massenmordes war. Zugleich meint Entfernung auch Vernichtung: die physische Entfernung der nach Auschwitz Deportierten, aus Österreich und aus dem Leben.

[16] www.auschwitz.at\gaestebuch

[17] Derzeit präsentieren das Museum Salzburg (geplant bis Ende Februar 2022) sowie das Haus der Geschichte Österreich in Wien diese »Nachrichten aus Auschwitz«.

[18] Objekttext zu den Glasfenstern in der österreichischen Ausstellung.

[19] Die in der Datenbank der nach Auschwitz deportierten Österreicherinnen und Österreicher (kurz: Datenbank zu Häftlingen in Auschwitz) derzeit aufgelisteten biografischen Informationen zu 17525 Personen basieren auf den Daten des DÖW zur namentlichen Erfassung von österreichischen NS-Opfern.

[20] Die in der Datenbank verwendeten Daten wurden im Rahmen einer Studie von Christiane Rothländer zu Österreicher*innen in der Wachmannschaft und Lager-SS des KZ Auschwitz-Birkenau erhoben (siehe Fußnote 14). Bislang konnten 163 Personen namentlich identifiziert werden.

[21] Sammlung ausgewählter Biografien von Österreicher*innen, die nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden, sowie von Personen aus Österreich, die in der Wachmannschaft oder der SS-Kommandantur tätig waren.