Das Columbia-Haus war das einzige offizielle Konzentrationslager der SS auf Berliner Stadtgebiet. Nach 1945 geriet seine Existenz in Vergessenheit. Es lag mitten in der Reichshauptstadt und bestand bis November 1936. Nun wird ab Sommer 2021 am Columbiadamm, wenige Schritte vom nordwestlichen Zugang auf das Tempelhofer Feld entfernt, ein irritierender Schriftzug mit großen Lettern auf den historischen Ort aufmerksam machen. Er ist Ergebnis des Wettbewerbs "Temporäre Gestaltung am Erinnerungsort KZ Columbia". Dessen Auslober war die Stiftung Topographie des Terrors. Der folgende Beitrag gibt einen kurzen Rückblick auf die Geschichte des Columbia-Hauses, berichtet über die seit den 1980er-Jahren unternommenen Initiativen, an den Ort und seine Rolle in der NS-Zeit zu erinnern, und stellt das Ergebnis des Wettbewerbs vor.
Die bauliche Anlage wurde 1896 als Militärarrestanstalt am Nordrand des Tempelhofer Feldes erbaut, das damals als Parade- und Exerziergelände des preußischen Militärs genutzt wurde. Das Gefängnis gehörte zu einem Kasernenkomplex auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der damaligen Prinz-August-von-Württemberg-Straße. Diese wurde 1929 in Columbiastraße umbenannt, nach dem Flugzeug "Miss Columbia", das 1927 auf dem inmitten des Tempelhofer Feldes gelegenen alten Flughafen Tempelhof gelandet war. Auch dieser alte Flughafen, bei seiner Eröffnung 1923 der größte Europas, ist heute fast gänzlich vergessen; er befand sich im nordöstlichen Bereich des heutigen Parks und wurde im Krieg zerstört. In New York gestartet, hatte die "Miss Columbia" den ersten Transatlantikflug hinter sich, der mit einem Passagier unternommen wurde. Der Name dieses Eindecker-Flugzeugs wurde so zur Bezeichnung einer der schlimmsten Haftstätten des NS-Regimes. Die Kasernengebäude entlang des Columbiadamms (so der Name der Straße seit 1950) zwischen Golßener und Friesenstraße werden heute von Polizeidienststellen genutzt.
Die Arrestanstalt mit 156 Zellen hatte die Form einer Dreiflügelanlage, die einen nach Süden geöffneten Hof einfasste. Westlich grenzte ein Gerichtsgebäude an, östlich ein Beamtenwohnhaus. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde die Militärarrestanstalt aufgelöst. Bis Ende der 1920er-Jahre nutzte man die Anlage als "Gefängnis Tempelhofer Feld". Danach stand das Gebäude vermutlich leer, weil die sanitären Verhältnisse den hygienischen Anforderungen der Weimarer Republik nicht mehr entsprachen.[1] Viele frühe "Schutzhaft"-Lager wurden damals in heruntergekommenen oder leer stehenden öffentlichen Gebäuden eingerichtet. Beispiele für die Unterbringung von "Schutzhäftlingen" in Gefängnissen sind das KZ Lichtenburg in Prettin, Sachsen-Anhalt, das frühe Frauen-KZ Gotteszell bei Schwäbisch-Gmünd und das KZ Fuhlsbüttel in Hamburg, das in einem zum Abriss vorgesehenen Teil der gleichnamigen Strafanstalt eingerichtet wurde. In Berlin nahm die Gestapo vermutlich bereits im Frühjahr 1933, zur Zeit der großen Verhaftungswellen, das Columbia-Haus als Gefängnis wieder in Betrieb. Sie brachte dort vor allem politische Gegner des NS-Regimes unter, die im Hausgefängnis der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße 8 keinen Platz fanden oder Haftverschärfung erhalten sollten. Täglich verkehrten Transporte zwischen dem Columbia-Haus und der Gestapo-Zentrale, in der die Häftlinge verhört wurden. Beim Columbia-Haus handelte es sich im Grunde um ein zweites "Hausgefängnis" des Geheimen Staatspolizeiamtes. Ab September 1933 waren die 156 Zellen mit durchschnittlich 400 bis 450 Männern überfüllt. Die Gefangenen wurden von den Gestapo- und SS‑Männern eingeschüchtert, geschlagen und gequält. Eine bisher nicht eindeutig geklärte Zahl der Insassen fand durch Folter, Misshandlung oder Suizid den Tod.
Die meisten frühen "Schutzhaft"-Lager und Gefängnisse waren von SA-Mannschaften eingerichtet und schon nach wenigen Wochen oder Monaten wieder aufgelöst worden. Das Columbia-Haus hingegen wurde im Dezember 1934, nach einem dreiviertel Jahr als Gestapo-Gefängnis mit SS-Bewachung, der neu eingerichteten "Inspektion der Konzentrationslager" unterstellt. Diese zentrale Dienststelle war zuständig für das nun auf Dauer angelegte, "moderne" KZ-System nach Vorstellungen des "Reichsführer SS" Himmler, mit einem bis ins Detail normierten System der Gewalt. Die willkürlichen Schikanen und Misshandlungen der Anfangszeit wurden durch eine ausgefeilte Lagerordnung mit drakonischen Disziplinar- und Strafbedingungen ersetzt.
Das Columbia-Haus wurde nun als "Konzentrationslager Columbia" (abgekürzt "KL Columbia") geführt. Die hygienischen Verhältnisse, Verpflegung und Krankenversorgung blieben erbärmlich. Insgesamt waren hier etwa 8000 Männer eingesperrt, vor allem politische Gegner, aber auch Andersdenkende, Kommunisten, Sozialdemokraten, Intellektuelle, engagierte Ärzte, Künstler, Rechtsanwälte, Journalisten, Geistliche, so genannte "Berufsverbrecher", nach der "Röhm-Affäre" 1934 auch SA-Männer, nach der Strafverschärfung für "schwere Unzucht zwischen Männern" (Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs) im Juni 1935 auch viele Homosexuelle. Jüdische Häftlinge wurden besonders gequält.
Unter den Häftlingen waren zahlreiche Prominente der Weimarer Republik, darunter der sozialdemokratische Politiker Ernst Heilmann, die Kommunisten John Schehr und Werner Hirsch, der Rabbiner und Präsident der Reichsvertretung der deutschen Juden Leo Baeck, der spätere Generalsekretär des ZK der SED Erich Honecker, der kommunistische Sportler Werner Seelenbinder, der Rechtsanwalt Hans Litten, der Jurist - und spätere Chefankläger der USA bei den Nürnberger Prozessen - Robert Kempner, der Schlagerdichter Bruno Balz, die Schriftsteller Kurt Hiller und Armin T. Wegner, der Kabarettist Werner Finck, der jüdische Arzt und KPD-Politiker Georg Benjamin, der jüdische Journalist und Pazifist Berthold Jacob sowie Karl Ebert, ein Sohn des ehemaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert.[2]
SS-Kommandanten und Wachmänner konnten sich im Columbia-Haus für ihren Einsatz in anderen Konzentrationslagern "bewähren", so auch Karl Otto Koch, später Kommandant der KZ Sachsenhausen, Buchenwald und Lublin-Majdanek. Im November 1936 löste man das KZ Columbia auf und brachte die Gefangenen in das neu erbaute KZ Sachsenhausen bei Oranienburg, von nun an das "Musterlager" der Reichshauptstadt. Das Columbia-Haus wurde 1938 im Zuge des ab 1936 errichteten monumentalen Flughafen-Neubaus abgerissen. Ähnlich wie das frühe KZ Lichtenburg hatte das KZ Columbia gewissermaßen eine Scharnier-Funktion zwischen früher und späterer KZ‑Entwicklung inne.[3] Hier werden Entwicklungslinien der Ausweitung und Radikalisierung der NS-Verfolgung besonders deutlich.
Nach vier Jahrzehnten des Vergessens weckte das Forschungsprojekt des Bezirks Tempelhof "Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus aus dem Bezirk Tempelhof" die öffentliche Erinnerung.[4] Es führte 1987 auch zu einer Ausstellung des Heimatmuseums. Im Zusammenhang mit diesen Recherchen entstand der Wunsch nach einem Denkmal. Die Jungsozialisten und andere Gruppen forderten sogar die Einrichtung einer Gedenkstätte mit Begegnungszentrum. Nach einem Kunstwettbewerb 1989/90 wurde im Jahr 1994 der Entwurf des Preisträgers Georg Seibert realisiert. Das Denkmal steht auf der diagonal gegenüberliegenden, nicht mehr zum Bezirk Tempelhof, sondern zum Bezirk Kreuzberg gehörenden Seite des Columbiadamms, weil damals aufgrund der Präsenz der US-Army auf dem Flughafengelände der historische Standort nicht zugänglich war. Für die stadträumlich schwierige Situation entwickelte der Bildhauer das Konzept eines symbolischen Hauses aus Cortenstahl mit abstrahierten Teilen: Außenwand, Trennwand, Giebelwand, Dach. Es ist zur viel befahrenen Straße hin abgeschirmt und zum Gehweg hin geöffnet. Die Öffnung hat die Form einer simulierten Zellensituation, in der die Passanten mit Gefühlen der Enge konfrontiert werden. Den Abschluss und zugleich das Gegenüber der architektonischen Skulptur bildet eine grabsteinähnliche, gesondert gestellte Giebelwand mit einer Inschrift, vor der immer wieder Kränze und Blumen niedergelegt werden.[5]
Nach der Einstellung des Flugbetriebs wandelte man das Tempelhofer Feld in einen Stadtpark um. Es wird für vielfältige Freizeitaktivitäten genutzt und blieb bisher gemäß einem Volksentscheid im Jahr 2014 frei von einer neuen Bebauung. Die Rolle des Flughafens in der NS-Zeit war lange vom "Mythos Tempelhof" überdeckt worden: von der Bedeutung des Flughafens während der Berlin-Blockade und der Luftbrücke 1948/49 und von seinem Bild als "Tor zur freien Welt" in der Zeit des Kalten Krieges und als Garant internationalen "Flairs" im eingeschlossenen West-Berlin.[6] Mit den Debatten um die Zukunft des Flugfeldes rückten jedoch nicht nur dessen Aufenthaltsqualitäten ins Blickfeld der Öffentlichkeit, sondern auch die geschichtliche Bedeutung der gesamten Anlage in ihren verschiedenen Zeitschichten. Dank des Engagements von Bürgergruppen wurde nun besonders ihre Rolle im Nationalsozialismus wahrgenommen.[7] So war das Tempelhofer Feld Schauplatz der ersten nationalsozialistischen Massenkundgebungen mit Hitler-Reden und Speer'schen Lichtinszenierungen. Der wegen des Zweiten Weltkriegs allerdings nicht ganz fertig gestellte neue "Weltflughafen", damals das größte Einzelbauwerk der Welt, weist charakteristische Merkmale nationalsozialistischer Architektur auf. Aber vor allem zwei Themenkomplexe standen und stehen weiterhin im Zentrum des Bürgerengagements. Zum einen geht es um Erinnerung an das Columbia-Haus und seine Opfer. Zum anderen wurde nun einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, dass in den Kriegsjahren bei der Rüstungsproduktion in den Räumen und Hallen des Flughafenneubaus und im alten, bis Kriegsende betriebenen Flughafen wie auch bei den Wartungs- und Reparaturarbeiten für die Luftwaffe Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in großer Zahl eingesetzt waren. Der zu ihrer Unterbringung gebaute große Barackenkomplex befand sich südlich des Columbiadamms, etwa zwischen dem Standort des ehemaligen Columbia-Hauses und der Lilienthalstraße.[8]
2010 erarbeitete das Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e.V. im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein Konzept zur "Historischen Kommentierung" des Flugfeldes und Flughafens, das zunächst auf die Zeit des Nationalsozialismus fokussiert war. Eine vom Senat einberufene Expertenrunde empfahl, dieses Konzept auf die gesamte Geschichte des Tempelhofer Feldes auszudehnen. Im Folgejahr beschloss das Abgeordnetenhaus von Berlin:
"Der Senat wird aufgefordert, bei der Entwicklung des Tempelhofer Feldes
durch die Schaffung eines Gedenk- und Informationsortes am Columbiadamm dauerhaft zu erinnern und diese Aspekte angemessen in das Gesamtkonzept zur Darstellung der historischen Entwicklung des Tempelhofer Feldes einzubeziehen."
(Drucksache 16/4267)
Im Jahr 2012 berief die Topographie des Terrors auf Anregung der Kulturverwaltung einen Runden Tisch "Historische Markierung Tempelhofer Feld" ein. Zum Informationsaustausch eingeladen waren die verschiedenen Institutionen und Gruppen, die an Planungen und Projekten für diesen Ort beteiligt sind, Vertreterinnen und Vertreter von Museen und Erinnerungsstätten, sowie verschiedener Senatsverwaltungen und des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, die für das Gebäude zuständige Tempelhof Projekt GmbH, die für das Tempelhofer Feld zuständige Grün Berlin GmbH, das Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger. Beteiligt waren auch Vertreterinnen und Vertreter des Fördervereins "THF 33-45" (Förderverein zum Gedenken an Nazi-Verbrechen um und auf dem Tempelhofer Flugfeld e.V.), deren Mitglieder sich bereits seit den späten 1980er-Jahren der Erforschung der NS-Geschichte vor Ort widmen. Auf dessen Initiative wurde im Juni 2014 eine Gedenktafel für die Opfer des KZ Columbia und der Zwangsarbeit am ehemaligen Haupteingang des Flughafens angebracht. Eine grundsätzliche Forderung des Runden Tisches war und ist die Einrichtung eines Erinnerungs- und Informationsorts "Tempelhofer Feld/ehemaliger Flughafen Tempelhof" zur weiteren Auseinandersetzung mit der Geschichte des Flughafens während der NS-Zeit. Der Runde Tisch kam bis Ende 2020 unter dem Dach der Topographie des Terrors zusammen. In Zukunft soll er von der Tempelhof Projekt GmbH betreut werden. Die von der Topographie des Terrors erarbeitete Ausstellung "Ein weites Feld. Der Flughafen Tempelhof und seine Geschichte" wurde 2019 im ehemaligen Flugsteig-Wandelgang und 2020 im neu eröffneten Besucherzentrum "Check-In" gezeigt. Ihr Schwerpunkt liegt auf der NS-Zeit.[9]
Der "Informationspfad zur Geschichte des Tempelhofer Feldes" entstand im Auftrag der Tempelhof Projekt GmbH und der Grün Berlin GmbH und wurde 2012 bis 2015 realisiert.[10] Seine insgesamt 27 Bild-Text-Tafeln befinden sich vor allem auf dem ehemaligen Flugfeld sowie auf dem Vorplatz des Flughafengebäudes und in dessen Außenbereichen zur Straße hin. Er behandelt alle Etappen der Geschichte des Standortes: die Tempelhofer Feldmark zur Zeit der Tempelritter im 13. Jahrhundert, Übungsgelände für das preußische Militär, Experimentierfeld für Flugpioniere, den 1923 erbauten ersten Flughafen, die Zeit des Nationalsozialismus, Sport- und Freizeitanlagen, Berlin-Blockade, Luftbrücke der Alliierten und Nutzung als Militär- und Zivilflughafen bis in die 1990er-Jahre.
Zwei Geschichtstafeln am ehemaligen Standort des Columbia-Hauses auf der Südseite des Columbiadamms nahe dem nordwestlichen Zugang auf das Tempelhofer Feld und zwei Tafeln zur Zwangsarbeit am Ort des damaligen Barackenlagers wurden als erste im Jahr 2012 enthüllt. Angesichts der dringlichen Forderungen der Bürgergruppen hatte die Aufstellung dieser Tafeln gewissermaßen Signalcharakter. Sie sollten, so war die Planung, die Kristallisationspunkte einer hier geplanten Vertiefung der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit kenntlich machen und in die breitere Öffentlichkeit tragen. Im Rahmen der archäologischen Grabungen im Bereich der ehemaligen Zwangsarbeiterlager-Baracken 2012 bis 2014 suchte man auch am Columbiadamm nach baulichen Relikten der Militärarrestanstalt. Dabei legte man einige wenige Reste frei, schüttete sie jedoch anschließend zum Schutz wieder zu.
In welcher Form und in welchem Zeitraum der vom Abgeordnetenhaus 2011 beschlossene und vom Runden Tisch geforderte Gedenk- und Informationsort am Columbiadamm realisiert wird, ist weiterhin offen. Erste Überlegungen zu "archäologischen Zeitfenstern", künstlerischen Installationen und räumlichen Strukturen auf dem Gelände wurden nicht weiter vertieft; ein Gesamtkonzept für einen Erinnerungsort liegt noch nicht vor. Auch die Planungen für den Freiraum generell sind noch nicht abgeschlossen. Eine immer wieder diskutierte, wenn auch - noch? - durch den Volksentscheid verhinderte Bebauung der Randbereiche würde die Standorte von KZ und Zwangsarbeit am Columbiadamm unmittelbar tangieren. Noch viele offene Fragen gibt es zudem bei der umfangreichen Sanierung und schwierigen zukünftigen Nutzung des riesigen maroden Flughafengebäudes. Die geplante "Geschichtsgalerie" auf dem 1,2 Kilometer langen, eindrucksvollen Flughafendach, die vor allem von der Panorama-Präsentation der Flughafen- und Flugfeld-Geschichte, von dem atemberaubenden Blick über das weite Gelände ausgehen und sich dann im Treppenturm fortsetzen soll, kann die NS-Geschichte nur vorsichtig streifen; ein "Feldherrenblick" hinunter auf die historischen Standorte wäre fatal. Angedachte Augmented-Reality-Präsentationen sind für das Thema NS-Verfolgung schwer vorstellbar. Vermutlich wird man in diesem Zusammenhang eher auf andere Erinnerungsorte zu diesem Thema in der Stadt verweisen, solange noch kein eigener auf dem Gelände existiert.
Vor allem die Unwägbarkeiten der Planungen für den Außenbereich gaben den Anstoß für den im Juni 2020 ausgelobten Wettbewerb zum KZ Columbia. Auslober war, wie erwähnt, die Topographie des Terrors in Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und dem Grundstückseigentümer Land Berlin, vertreten durch die Tempelhof Projekt GmbH. Die Grundidee war, Entwürfe zunächst nicht für eine dauerhafte, sondern für eine temporäre Gestaltung am zukünftigen Erinnerungsort einzuholen, um größere Aufmerksamkeit für das Thema zu gewinnen. "Die Gestaltungsaufgabe für die Teilnehmer*innen", so der Auslobungstext, "besteht darin, mit ihrem Entwurf die Bedeutung des Ortes freizulegen, zu kennzeichnen und damit wieder zum Sprechen zu bringen. Mit der Gestaltung des Erinnerungsortes kann die Aufarbeitung am Ort nicht abgeschlossen sein. Ein zentrales Anliegen ist es daher, mit einer temporären Gestaltung für die Dauer von mindestens zwei Jahren auch eine sichtbare Grundlage für die Weiterführung des öffentlichen Diskurses zu dieser Thematik zu schaffen. Die Entscheidung über eine Verlängerung der temporären Gestaltung am Erinnerungsort und über die Neugestaltung im Rahmen eines Gesamtkonzepts werden die Beteiligten des Landes Berlin unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft treffen." Die Mittel für dieses Projekt kamen von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Für die Realisierung stellte sie insgesamt 95 000 Euro zur Verfügung. Zur Teilnahme eingeladen wurden, als Ergebnis eines offenen Bewerbungsverfahrens, acht Gestalterinnen und Gestalter beziehungsweise Gestaltungsbüros.
Nicht unumstritten war die Entscheidung, keinen Kunst-, sondern einen Gestaltungswettbewerb auszuloben. Kunstwerke, auch temporäre, können durchaus in der Lage sein, stadträumliche oder historische Situationen auf eindrucksvolle Weise zu markieren. Wenngleich sich das Selbstverständnis der Sparten bildende Kunst und Gestaltung beziehungsweise Design unterscheidet, sind die Grenzen zwischen beiden fließend. Im Gegensatz zum Architekturberuf sind die Berufsbezeichnungen für beide Sparten nicht geschützt. Für beide wird daher in Wettbewerbsauslobungen oder Bewerbungsverfahren vorab definiert, welche Qualifikationen oder Abschlüsse die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jeweils mitbringen müssen. Die Entscheidung für einen Gestaltungswettbewerb kam vermutlich zustande, weil man sich angesichts der schwierigen Gemengelage an diesem Standort eher unkomplizierte, schnell realisierbare und auch für Laien verständliche Entwürfe erhoffte. Das zur Teilnahme eingeladene Architekten-Gestalter-Team Bennis und Weidner Händle Atelier entwickelte jedoch eine Grundidee, die der oft mit Worten und Texten arbeitenden Konzeptkunst nahe steht.
Die Aufgabe stellte die Teilnehmenden vor eine große Herausforderung. Der Bearbeitungsbereich ist ein unwirtlicher, disparater, in Verkehrs-, Rest- und Freiflächen zergliederter, von Zaun- und Toranlagen durchschnittener Geländestreifen entlang eines am östlichen Teil des mächtigen Flughafengebäudes vorbeiführenden Weges, zwischen der stark befahrenen Fahrbahn des Columbiadamms und einer Böschung, die fast an die östlichen Teile des Flughafengebäudes heranreicht. An dieser Stelle überlagert die Böschung den historischen Garagentrakt des Columbia-Hauses. Der Fuß- und Radweg wird stark genutzt; an ihrem Seitenstreifen befinden sich die beiden Informationstafeln zum Columbia-Haus. Die Situation am Kopfbau Ost wird sich wesentlich ändern, denn genau hier soll später einmal ein Zugang zur geplanten Geschichtsgalerie geschaffen werden. Der Grundriss des historischen Columbia-Hauses überschneidet sich in großen Teilen mit der Böschung und ragt aufgrund der damals leicht veränderten Straßenführung ein Stück in den Columbiadamm hinein. Die beiden Tafeln des Historischen Informationspfades sollen, so der Wunsch des Auslobers, in den Entwurf integriert werden. Interessante Tafelgestaltungen oder die Nachzeichnung von Grundrissen wären eigentlich, so möchte man meinen, die nächstliegenden Formen der Annäherung an die Wettbewerbsaufgabe. Der Auslober wünschte allerdings keine zusätzlichen Informationstafeln, sondern "durch den Einsatz unterschiedlicher Materialien und Medien eine andere Art der Kennzeichnung". Eine Grundrissmarkierung wiederum wäre hier durch Höhen- und Bodenunterschiede erschwert. Welche anderen Gestaltungsmöglichkeiten könnte man sich hier vorstellen?
Das Preisgericht tagte am 4. November 2020 unter dem Vorsitz von Ursula Wilms, Architektin des Neubaus der Topographie des Terrors und des nationalen Gedenkorts für die Opfer der "Euthanasie"-Morde. Es prämiierte den Beitrag "nicht mehr zu sehen" von Martin Bennis und dem Weidner Händle Atelier mit dem ersten Preis und empfahl einstimmig, diesen Entwurf zu realisieren. Das Wettbewerbsergebnis mit einer Kurzdarstellung aller Entwürfe kann auf der Website der Topographie näher betrachtet werden.[11] Der zweite Preis ging an den Entwurf "Zeitspuren" von Holzer Kobler Architekturen. Sie schlagen vor, den Grundriss des Columbia-Hauses auf fragmentarische Weise mit einer dunklen Holzkonstruktion nachzuzeichnen, auf deren Oberkante Zitate von Häftlingen zu lesen sind. Mit einer Anerkennung wurde der Entwurf "Freie Entwicklung" des Studios Sophie Jahnke, Bérengère Chauffeté, Franz Reschke Landschaftsarchitektur bedacht. Sie schlagen ein diskursives, prozesshaftes Konzept vor, das durch räumliche Interventionen ergänzt wird, zum Beispiel durch Markierung des Grundrisses als gelbe Umrisslinie mit Schildern, die denen einer Baustelle oder einer archäologische Grabung ähneln. Kontrovers diskutiert wurde der Entwurf "Warum schweigt die Welt" (Satz aus einem Artikel des Journalisten Berthold Jacob von 1936 und Titel der Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand) von Wandel Lorch Architekten (3. Runde). Sie entwarfen eine Installation, in der sich dieser in großen Buchstaben auf der Böschung angebrachte Satz mit einem über alle Stockwerke reichenden Banner am Kopfbau Ost verbindet, das das Foto eines Zellengangs des KZ Columbia zeigt; dieses Foto stammt aus dem Fotoalbum des KZ-Kommandanten Karl Koch.
Martin Bennis und Weidner Händle Atelier montieren in ihrem zur Realisierung ausgewählten Entwurf eine Buchstabenfolge entlang der Böschung, die den historischen Garagenzug des Columbia-Hauses überspannt. Der weithin sichtbare Schriftzug "nicht mehr zu sehen" ist eine "Textbotschaft, die sich an die Passanten im Bereich des Columbiadamms adressiert", schreiben die Verfasser in ihrem Erläuterungsbericht. "Es ist ein lapidares und lakonisches Satzfragment, das die Fragen nach dem 'Was' und dem 'Warum' nahelegt. Die Textbotschaft und die Art ihrer Präsentation öffnen einen Assoziationsraum: Was ist hier nicht mehr zu sehen? Warum ist hier nicht mehr zu sehen?" Das Wort "mehr" kann hier also zeitlich gedeutet werden, einen Verlust ausdrücken - oder auch das Verlangen, dass mehr da sein müsste als das, was man sieht. Die großformatigen Lettern sollen aus Flächen mit grobem rötlichem Ziegelsteinbruch geformt und von Stahlbändern gefasst werden. Ihr Farbton ähnelt dem der backsteinernen Fassaden der gegenüberliegenden Polizeikaserne und damit auch den Backsteinmauern des Columbia-Hauses, aber auch dem rötlichen Cortenstahl des Denkmals auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
"Die Strategie für den historischen Ort des KZ Columbia", so die Verfasser, "ist nicht das 'Markieren' der Lage, sondern das eigenwillige und mehrdeutige Thematisieren der Abwesenheit von historischer (Bau-)Substanz. Sinn der Botschaft ist die Frage nach ihrem Bezug." Mit seiner absichtsvoll rätselhaften Installation hat dieser Entwurf keinen instrumentellen, sondern einen genuin künstlerischen Charakter, der eher minimalistisch als übermächtig ausgeprägt ist. Die einzige Erläuterung vor Ort, die Antworten auf die hier provozierte Frage geben könnte, ist auf den beiden bestehenden Informationstafeln zu finden. Mit ihnen und dem bereits bestehenden Denkmal entsteht so ein dreiteiliges, in drei Zeitetappen entstandenes Ensemble von Frage, Antwort und Gedenken, das mit verschiedenen Formen der Annäherung auf den historischen Ort verweist. Die Jury würdigte dieses Konzept in ihrer Beurteilung: "Der Entwurf überzeugt durch seinen klaren und schlüssigen künstlerischen Gestaltungsansatz. Das Satzfragment, das Fragen nach dem 'was' und 'warum' auszulösen vermag, überzeugt als Mittel, das Interesse von Besucher*innen auf den Ort und seine Geschichte zu lenken."
Der Berliner Architekt Martin Bennis und das Stuttgarter Gestaltungsatelier Berthold Weidner und Luisa Händle haben seit zwei Jahrzehnten das visuelle Bild vieler Erinnerungsprojekte gemeinsam entwickelt, darunter die Historische Kommentierung des Olympiageländes Berlin, dauerhafte Open-Air-Ausstellungen für die KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen, Dachau, Lieberose-Jamlitz, für das Todesmarsch-Museum Belower Wald, für den Gedenkort Fort Zinna in Torgau und den Todeszug-Gedenkort in Tröbitz. Ihre Arbeit zur Erinnerung an das KZ Columbia soll noch im Sommer 2021 realisiert werden.
Dr. Stefanie Endlich, freiberufliche Publizistin, Honorarprofessorin für Kunst im öffentlichen Raum an der UdK Berlin, war Jury-Mitglied beim Gestaltungswettbewerb für den Erinnerungsort KZ Columbia. Gemeinsam mit Monica Geyler-von Bernus und Beate Rossié hat sie 2012-2015 den "Informationspfad zur Geschichte des Tempelhofer Feldes" erarbeitet.
[1] Die historischen Abschnitte stützen sich vor allem auf: Kurt Schilde, Johannes Tuchel, Columbia-Haus. Berliner Konzentrationslager 1933-1936, Berlin 1990; Karoline Georg, Kurt Schilde, Johannes Tuchel, "Warum schweigt die Welt?!" Häftlinge im Berliner Konzentrationslager Columbia-Haus 1933 bis 1936. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Berlin 2013; Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e.V., Geschichtstafeln zum Columbia-Haus, Teil des Geschichtspfades zum Tempelhofer Feld, 2012; Auslobung der Topographie des Terrors zum Wettbewerb "Temporäre Gestaltung am Erinnerungsort KZ Columbia", Juni 2020 (S. 23-27).
[2] Einzelne Portraits in: Karoline Georg, Kurt Schilde, Johannes Tuchel, "Warum schweigt die Welt?", a.a.O. Siehe die Website: www.columbiahaus.de
[3] Kurt Schilde, Vom Tempelhofer Feld-Gefängnis zum Schutzhaftlager: Das "Columbia-Haus" in Berlin. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.), Herrschaft und Gewalt. Frühe Konzentrationslager 1933-1939. Geschichte der Konzentrationslager 1933-1945, Bd. 2, Berlin 2002, S. 65-81; Johannes Tuchel, Das Konzentrationslager Columbia, in: Günter Morsch, Von der Sachsenburg nach Sachsenhausen. Bilder aus dem Fotoalbum eines KZ-Kommandanten, Berlin 2007, S. 71-78; Stefanie Endlich, Die frühen Konzentrationslager. In: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hrsg.), Die Anfänge der braunen Barbarei, München 2004, S. 61-82
[4] Kurt Schilde, Vom Columbia-Haus zum Schulenburgring. Dokumentation mit Lebensgeschichten von Opfern des Widerstands und der Verfolgung von 1933 bis 1945 aus dem Bezirk Tempelhof, Berlin 1987; derselbe: Erinnern und nicht vergessen. Dokumentation zum Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus aus dem Bezirk Tempelhof, Berlin 1988
[5] Stefanie Endlich, Wege zur Erinnerung. Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin und Brandenburg, Berlin 2007, S. 437-439
[6] Stefanie Endlich, Monica Geyler-von Bernus, Flughafen Tempelhof - Berlins "Tor zur Welt" im Kalten Krieg. In: Deutschland Archiv, 16. 2. 2018, www.bpb.de/264109
[7] Die für das Tempelhofer Feld aus Stadtmarketing-Gründen eingeführte Bezeichnung "Tempelhofer Freiheit" konnte sich daher schließlich nicht durchsetzen.
[8] Siehe u.a.: Berliner Geschichtswerkstatt e.V. (Hrsg.), Kein Ort der Freiheit - Das Tempelhofer Feld 1933-1945. Konzentrationslager - Luftwaffenstützpunkt - Rüstungszentrum, Berlin 2012
[9] Stiftung Topographie des Terrors (Hrsg.), Ein weites Feld. Der Flughafen Tempelhof und seine Geschichte, Berlin 2019; Seiten 31-41: "Vom Gefängnis zum KZ Columbia"
[10] Das Konzept und die Realisierung des Informationspfades erarbeiteten Stefanie Endlich, Monica Geyler-von Bernus und Beate Rossié unter dem Dach des Berliner Forums für Geschichte und Gegenwart e. V. Das Design für die Tafeln entwarf Helga Lieser; siehe: https://gruen-berlin.de/tempelhofer-feld/ueber-den-park/geschichtspfad
[11]www.topographie.de/fileadmin/topographie/public/Presse/pdf/Tempelhof-Text_Website_Topo_12012021_PE.pdf