47. Bundesweites Gedenkstättenseminar Weilburg, Juni 2007.Verena Haug.Kurzvortrag im Rahmen der Arbeitsgruppe zum Thema „Gedenkstätten als außerschulische Lernorte“...1. Einleitung.Es gibt unter Gedenkstättenpädagogen einen scherzhaft-bösen Spruch, der lautet: „Hunde und Lehrer müssen leider draußen bleiben“. Er offenbart eine Fantasie über die Gelingensbedin-gungen von Bildung außerhalb der Schule, die sich vermutlich auch in anderen Bereichen der außerschulischen Jugendbildung findet, wo seit jeher die Schule als wichtigste Abgrenzungs-instanz gilt und die Lehrer als ihre wichtigsten Protagonisten. Diese Fantasie verweist auf das nicht ganz unkomplizierte Verhältnis von Schule und Außerschulischer Bildung, das durch die Zusammenkunft beider entsteht, und schafft einen scheinbar idealen Ausweg aus der Kri-se. Worin besteht diese Krise? Besteht sie überhaupt? Und aus wessen Sicht? Mit welchen perspektivischen Unterschieden? Sind Schule und Gedenkstätte nicht immer schon ideale, weil komplementäre Kooperationspartner? Liefert nicht die Schule die notwendigen Einsich-ten, die die Gedenkstätte durch unmittelbare Ansichten illustrieren, bestärken und vertiefen kann?.Einig sind sich Schule und Gedenkstätten darin, dass es sich bei letzteren um „außerschuli-sche Lernorte“ handelt (auch wenn dies keinesfalls eine hinreichende Beschreibung der Funktion und Bedeutung der Einrichtungen darstellt). Ich möchte zunächst den Begriff des „Außerschulischen“ kurz problematisieren und dafür plädieren, ihn in Bezug auf die Gedenk-stättenpädagogik präziser zu fassen. Ich möchte anschließend einige Widersprüche im außer-schulischen Selbstverständnis der Gedenkstätten(pädagogik) aufzeigen und dann an einem kurzen Fallbeispiel die empirisch auffindbare und in der Praxis zu lösende Spannung zwi-schen den beiden pädagogischen Bezugssystemen Schule und Gedenkstätte illustrieren. ..2. Außerschulisch?.Die Frage, ob es sich bei Gedenkstätten um lediglich außerschulische Lernorte oder auch um Einrichtungen der außerschulischen Bildung handelt, ist keine rein sprachliche Spitzfindig-keit. Während sie als außerschulische Lernorte vor allem über ihren Ort definiert sind, sind sie als außerschulische Bildungseinrichtungen über den Ort hinaus wesentlich über eigenständige und von schulischen Lernbedingungen und -zielen abgegrenzte pädagogische Konzepte und Angebote sowie eigene pädagogische Mitarbeiterinnen bestimmt. Unabhängig davon, in wel-cher Weise sie von der Schule genutzt werden, sollen in der so genannten Realbegegnung und durch Anschauung zwar Lernerfahrungen durch die Auseinandersetzung mit dem historischen Ort ermöglicht werden, die in der Schule nicht möglich sind. Durch den zweifach verwende-ten Begriff des Außerschulischen drohen jedoch die jeweiligen Erwartungen von der Schule an die Gedenkstätte und umgekehrt zu verwischen. Die Gedenkstätte als außerschulischer Lernort kann in der Nutzungslogik der Schule und damit in deren pädagogischen Verantwor-tung verbleiben. Die Gedenkstätte als Einrichtung der außerschulischen Bildung wäre hinge-gen als eigenständige pädagogische Einrichtung anzusehen, die sich von der Schule nicht nur durch ihren Ort, sondern vor allem auch durch ein anderes pädagogisches Konzept unter-scheidet. Zwischen „außerschulisch“ und „außerschulisch“ wäre deswegen zu differenzieren..Außerschulische Lernorte benötigen keine pädagogische „Infrastruktur“ und bieten nicht not-wendigerweise eigene pädagogische Arrangements. In Form von Exkursionen und Erkundun-gen können als außerschulische Lernorte prinzipiell alle Orte aufgesucht werden, die im Rahmen eines „ausgreifenden“ Unterrichts als sinnvoll erscheinen. Sie werden erst durch ihre Einbettung in den Unterricht von beliebigen Orten zu Lernorten, so dass es nicht erstaunt, dass die Vor- und Nachbereitung der Exkursionen als zwingende Voraussetzung für ihre Nut-zung gilt. Diese Einbettung macht die Exkursion aber gleichzeitig auch zu Unterricht am anderen Ort..Im Zuge der Institutionalisierung von Pädagogik in Gedenkstätten sind aus diesen neben ihren anderen Funktionen auch eigenständige Bildungseinrichtungen mit eigenem pädagogischen Personal, eigenen pädagogischen Konzepten und Veranstaltungsformaten geworden. In ihrem Selbstverständnis und ihren pädagogischen Zielen grenzt sich die Gedenkstättenpädagogik deutlich von der Schule ab. Unter außerschulischen Bedingungen (Schlagworte sind hier: mehr Zeit, mehr Flexibilität, mehr Teilnehmer-, Handlungs- und Prozessorientierung) soll eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus erreicht werden, die über die Faktenkenntnis hinaus vor allem eine empathische Hinwendung zu den Opfern ermöglicht sowie Werte- und konkrete Handlungsorientierungen bietet. Mit der Gedenkstät-tenpädagogik hat sich eine Art Disziplin entwickelt, die die Erschließung der historischen Orte und den damit verbundenen Geschichten und Themen gerade nicht der Schule überlässt. Gleichzeitig handelt es sich bei den Teilnehmergruppen gedenkstättenpädagogischer Veran-staltungen ganz überwiegend um Schulklassen in Begleitung von Lehrerinnen und Lehrern. Damit sind zum einen zentrale Prinzipien der außerschulischen Bildung (Freiwilligkeit, Mit-bestimmung) infrage gestellt. Zum anderen sind die Veranstaltungen immer von zwei unter-schiedlichen pädagogischen Logiken bestimmt...3. Sollbruchstellen der Kooperation.Gedenkstätten sind seit ihrer pädagogischen Nutzung auch und gerade von Schulklassen im Rahmen des Unterrichts aufgesucht worden und nicht wenige Gedenkstätten werden durch stundenweise abgeordnete Lehrer unterstützt und betreut, in einigen Bundesländern werden schulische Gedenkstättenfahrten finanziell bezuschusst. Die Kooperationen zwischen Ge-denkstätten und Schulen auf unterschiedlichen Ebenen stellt eine kaum reflektierte Selbstver-ständlichkeit dar. Dennoch wird insbesondere die Anwesenheit schulischer Lehrkräfte, weni-ger die Tatsache der Gruppe als Klassenverband immer wieder als Praxisproblem beschrie-ben. Die „Zusammenarbeit mit Schulen“ wird etwa von Heike Kuhls als Erschwerungsbedin-gung gedenkstättenpädagogischer Arbeit bezeichnet:..„Gerade das Verhalten der Lehrer ihren Schülern gegenüber kann hier kontraproduktive Wirkung haben. Aus der Angst heraus, die Schüler könnten sie blamieren oder eventuell nicht verstehen, worum es bei dem Gedenkstättenbesuch geht, ermahnen sie nämlich oft zu korrektem Verhalten und formulieren moralische Ansprüche. (...) Hinzu kommt, daß Lehrer oft den Gedenkstättenbesuch als ein zusätzliches Medium oder Unterrichtsmittel für ihre Thematik ansehen (...). Sie sehen in der Gedenkstätte oftmals nur den Lernort, nicht aber den Ort der Trauer und des Gedenkens.“ ..Die Kritik suggeriert, die Gedenkstättenpädagogik könnte auf Ermahnungen, moralische An-sprüche, die Betonung historischer Kenntnisse oder ein Vorwissen über ein dem Ort „ange-messenes“ Verhalten verzichten. Trotz der Lernarrangements, die sich vom Unterricht als unabhängig und didaktisch eigenständig absetzen wollen, wird seitens der Einrichtungen aber eine gründliche Einbindung des Gedenkstättenbesuchs in den Unterricht erwartet und zwar insbesondere dann, wenn es sich um Bildungsveranstaltungen handelt, die über eine Standard-führung hinaus gehen. Es gilt inzwischen als auch empirisch gesicherter common sense, dass die Nachhaltigkeit von Gedenkstättenbesuchen vor allem von deren Vor- und Nachbereitun-gen abhänge. Die Erwartungen an Vorbereitungen sind dabei vielfältig und zielen auf die Klärung der Absichten und Ziele eines Gedenkstättenbesuchs ebenso wie auf die inhaltliche Grundlegung historischer Zusammenhänge. Sie sollen von Kenntnissen des NS- und KZ-Systems bishin zur Wirkungsgeschichte des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik rei-chen. Die Gedenkstätten greifen selbstverständlich auf schulische Voraussetzungen zurück, was sich auch etwa in der empfohlenen Angabe eines Mindestalters ihrer Zielgruppen zeigt. Dies wird in der Regel in Verbindung mit der Klassenstufe 9 genannt und nimmt neben den kognitiven Voraussetzungen vor allem auf die schulisch erarbeiteten historischen Grundlagen Bezug. Die Gedenkstättenpädagogik entledigt sich damit eines Problems und schafft sich im selben Atemzug ein neues: zwar liefert die Korrelation von guter Vorbereitung und gelingen-dem Seminar eine plausible Rechtfertigung, wenn pädagogische Veranstaltungen misslingen, gleichzeitig beschneiden sich die Einrichtungen durch die daraus gezogene Konsequenz, jeder Gedenkstättenbesuch solle im Vorfeld in der Schule intensiv vorbereitet werden, gerade ihrer pädagogischen Eigenständigkeit. Der Gedenkstättenbesuch erscheint als voraussetzungsvolle, den Unterricht ergänzende und vor allem auf ihn aufbauende und vertiefende Maßnahme. Schon programmatisch verschränken sich also die Ansprüche von Gedenkstättenpädagogik mit den Erwartungen an den schulischen Unterricht, der eine Homogenisierung hinsichtlich eines Vorwissens leisten soll. Die Forderung nach unterrichtlicher Vor- und Nachbereitung zieht darüber hinaus auch das Folgeproblem nach sich, dass die Lehrer notwendigerweise selbst an der Veranstaltung teilnehmen müssen, da ihnen sonst die Grundlage einer sinnvollen Nachbereitung fehlt. Erzieherische Eingriffe sollen sie aber nicht vornehmen, sondern gewis-sermaßen unsichtbar anwesend sein. Wie geht nun die Praxis mit diesem Problem um?..4. Praxisbeobachtungen.Keinesfalls lässt sich aus den im Rahmen der Studien gemachten Beobachtungen schließen, dass die Kooperation zwischen Schule und Gedenkstätte in der Praxis scheitert. Es zeigt sich aber in allen beobachteten Fällen, dass die von uns als doppelte pädagogische Rahmung be-zeichnete Situation aushandlungsbedürftig ist. Es kommen Rückgriffe auf schulische Diszi-plinierungsleistungen, auf ein unterrichtlich geformtes Gedächtnis und Vorwissen vor, Aus-wertungsrunden werden aus Zeitgründen in die Schule verschoben oder Gedenkstättenpäd-agog/innen und Lehrer/innen leiten Bildungsveranstaltungen Hand in Hand. Im Folgenden möchte ich dennoch einen nicht ganz konfliktfreien Fall der Aushandlung vorstellen, in dem sich die Konkurrenz zwischen Schule und außerschulischer Bildung geradezu idealtypisch zeigen lässt..Zur Verdeutlichung des Problems ist ein Transkript herangezogen worden, das einen kurzen Wortwechsel zu Beginn einer knapp zweitägigen Veranstaltung in der KZ-Gedenkstätte wie-dergibt. Die Seminargruppe, eine 11. Klasse in Begleitung zweier Lehrkräfte, ist zum verab-redeten Zeitpunkt nahezu vollständig im Seminarraum zusammen gekommen. Da aber eine Schülerin noch fehlt, beschließt die pädagogische Mitarbeiterin der Einrichtung, deren Tref-fen abzuwarten. Als die Schülerin den Raum betritt, ergreift als erster der Lehrer das Wort, der sie ohne Umschweife auf ihre Verspätung aufmerksam macht und ermahnt, beim nächsten Mal pünktlich zu kommen. Die pädagogische Mitarbeiterin kommentiert diese Intervention anschließend nicht, sondern setzt einen zweiten sozialen Beginn, der die vom Lehrer ge-steckten Regeln durch einen zweiten pädagogischen Rahmen gewissermaßen umschließt. In ihm werden die Disziplinierungen des Lehrers zwar stillschweigend in Anspruch genommen, die Teilnehmer/innen aber gerade nicht in ihrer Schüler/innenrolle adressiert. Die Pädagogin tritt den Jugendlichen in ihrer Begrüßung und einer ersten Vorausschau auf das Seminar mit einem sehr weitreichenden Beziehungsangebot entgegen, indem sie den Teilnehmer/innen ihre persönliche Zuständigkeit für alle auftretenden Fragen und Sorgen und ihre kontinuierli-che Präsenz in Aussicht stellt. Dies irritiert sowohl vor dem Hintergrund der faktischen Dauer des Seminars von weniger als zwei Tagen als auch aufgrund der Anwesenheit der Lehrperso-nen, denen ganz offiziell die Aufsichtspflicht obliegt. Damit wird nicht allein die eigene, dem Lehrer tendenziell abgesprochene, Kompetenz und Erfahrung betont, sondern auch der Ort mit einem besonderen Krisenpotenzial belegt, das eine umfassende Fürsorge der pädagogi-schen Mitarbeiterin erst notwendig macht. Erklärt werden kann dies damit, dass zu Beginn des Seminars nicht nur eine formale pädagogische Zuständigkeit zwischen Lehrer und päd-agogischer Mitarbeiterin geklärt werden muss. Der Versuch der Installierung einer nicht-schulischen Ordnung wird darüber hinaus eng an den Gegenstand der Beschäftigung gebun-den. Damit werden zumindest auf semantischer Ebene die Regeln schulischer Rollenförmig-keit verlassen, was durchaus als Voraussetzung betrachtet werden könnte, das programma-tisch erhoffte persönliche Einlassen auf Ort und Geschichte zu ermöglichen...5. Ausblick.Das kurze Beispiel sollte verdeutlichen, dass in gedenkstättenpädagogischen Veranstaltungen mit Schulklassen nicht nur zwei für die Seminargruppe pädagogisch Verantwortliche aufein-andertreffen, deren Zuständigkeiten und Zusammenarbeit in aller Regel erst in der direkten Interaktion vor Ort ausgehandelt werden. Das gedenkstättenpädagogische und unterrichtliche Selbstverständnis unterscheidet sich darüber hinaus mitunter so deutlich, dass auch differie-rende Erwartungen, Einstellungen, Perspektiven, Ziele und soziale Umgangsweisen im Kommunikationsvollzug bearbeitet werden müssen. Im eingangs erwähnten Zitat scheint nicht nur dieser kommunikative Aufwand zum Ausdruck zu kommen, sondern auch die Hoff-nung, ihm durch eine rigide Regel entkommen zu können. Gedenkstätten und Schule sind aber zumindest in der gegenwärtigen Konzeption von Gedenkstättenpädagogik aufeinander angewiesen. Differenzen sind nicht insofern nicht auszuschließen, sondern auszuhalten und auszuhandeln. Dass sie kommunikativ bearbeitet werden müssen, könnte auch als Ansatz und Anlass einer Bildung zu Demokratie und somit als durchaus konstruktives Lernpotenzial be-griffen werden..