Der Ronsdorfer Stadtgarten in Wuppertal

Ein Geschichtspark zu Krieg und Frieden
06/2021Gedenkstättenrundbrief 202, S. 30-38
Ulrike Schrader

Ein Geschichtspark zu Krieg und Frieden

Der Stadtgarten »Am grünen Streifen« dient den Menschen im Wuppertaler Stadtteil Ronsdorf seit 1929 als Ort der Ruhe und der Erholung. Zugleich ist diese Grünanlage auch ein »Park der Erinnerung«. Seit dem Jahr 1930 wurden hier mehrere Denkmäler errichtet. Vom klassischen Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs bis hin zum jüngsten, einer 2019 präsentierten Installation für die in Ronsdorf erschossenen Wehrmachtsdeserteure, berühren alle Gedenkzeichen die Frage, wie der Opfer der Kriege zu gedenken sei und welche Mahnung die Katastrophe der Kriege den späteren Generationen erteilen sollte.

Wie alle Denkmäler sind auch die im Ronsdorfer Stadtgarten historische Quellen: Sie geben Auskunft darüber, wie eine Gesellschaft oder gesellschaftliche Gruppe über ein Ereignis in ihrer Zeit dachte und in welch ästhetischer Form und ritueller Traditionsbegründung sie es für die Nachwelt bewahren wollte. Mit ihrer Widmung verweisen Denkmäler auf das Interesse der Stifter, mit ihrer künstlerischen Gestaltung auf die Deutung und mit ihrer Platzierung auf den Rang. An Denkmälern lässt sich ablesen, wie sich die Antworten der Gesellschaft auf die Fragen der Vergangenheit verändert haben und wie dynamisch unsere Erinnerungskultur ist, zumal dann, wenn sie sich alle auf so kleinem Raum befinden. Der Ronsdorfer Stadtgarten ist im Laufe von vielen Jahrzehnten zu einem »Geschichtspark« gewachsen, dessen dichte und vielfältige Erinnerungslandschaft ein einzigartiges Lernfeld ist für Bürgerinnen und Bürger, in besonderem Maß aber sicherlich für die Schulen der ganzen Stadt.

Die historische und pädagogische Bedeutung der Grünanlage wurde deutlich, als eine Gruppe von Schülern der Ronsdorfer Erich-Fried-Gesamtschule im Sommer 2015 damit begann, an einem Entwurf für ein Denkmal für die Ronsdorf hingerichteten Wehrmachtssoldaten zu arbeiten und dafür einen Standort zu suchen. Gerade das dichte Beieinander der vorgefundenen und selbst bereits »historischen« Erinnerungszeichen zum Themenbereich »Krieg und Frieden« schien der Gruppe optimal geeignet, um hier ihre spezifische Antwort zu geben.

Eine unregelmäßige Rasenfläche mit umlaufendem Weg, eine kleine Eiche (gepflanzt 1990), Sitzbänke, das Gegenüber von Kriegerdenkmal (1930) und Opfergedenken (1995), die Leerstelle eines entfernten Steins für die kriegsgefangenen und vermissten Wehrmachtssoldaten (1952) und ein abseits und etwas vernachlässigt neben einer Streusandkiste postierter »Friedensstein« (1981) – alle diese Gegebenheiten und Gedenkzeichen spannungsreich durch das zu entwickelnde Zeichen miteinander in Beziehung zu setzen und die Bedeutung dieses kleinen Parks damit aufzuwerten, erschien der Arbeitsgruppe eine reizvolle Herausforderung zu sein.

Das Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, 1930

Das früheste und größte Denkmal im Ronsdorfer Stadtgarten wurde am 30. November 1930 unter großer Beteiligung der Bevölkerung feierlich eingeweiht und ist den Gefallenen des Weltkriegs gewidmet. Die »Konjunktur« derartiger Kriegerdenkmäler in dieser Zeit ist mit der begeisterten Stimmung der deutschen Bevölkerung zu erklären, nachdem alliierte Truppen am 1. Juli 1930 nach über 20 Jahren Besetzung gänzlich aus dem Rheinland abgezogen worden waren. Der Entwurf zu dem in Ronsdorf stammt von dem Architekten Clemens Julius Mangner aus Barmen (1885–1961). Auf einem Sockel von 3 mal 3 Metern ruht ein Block aus Ruhrsandstein in 3,60 Meter Höhe. Pfeiler an den vier Kanten verjüngen sich nach oben und betonen die Vertikale. Auf den vier Seitenflächen sind auf Bronzetafeln die Namen der 450 Ronsdorfer Männer verzeichnet, die als Soldaten des Weltkriegs gefallen waren. Die Spitze des Denkmals hat die Form eines dreidimensionalen griechischen Kreuzes. Auf dem Fries darunter ist der klassische Widmungssatz »Den im Weltkrieg 1914–18 gefallenen Söhnen der Stadt Ronsdorf zum ehrenden Andenken« zu lesen. An der rechten Vorderseite ist der erste Vers aus dem Gedicht »Der gute Kamerad« von Ludwig Uhland (1787–1862) aus dem Jahr 1809 eingemeißelt, »Ich hatt’ einen Kameraden«.

Mahnmal für die Kriegsgefangenen und Vermissten, 1952

Das zweite Denkmal, das im Ronsdorfer Stadtgarten enthüllt wurde, ist heute nicht mehr zu sehen, aber seine Geschichte nicht abgeschlossen. Am 25. Oktober 1952 errichtete der »Heimkehrerverband« an der Längsseite des Stadtgartens ein Mahnmal mit der in Stein gehauenen Inschrift in Versalien:

»VERGESST NICHT DIE KRIEGSGEFANGENEN UND VERMISSTEN!«

Der Ronsdorfer Heimkehrerverband war eine Ortsgruppe des »Verbandes der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen Deutschlands e.V.«, der sich 1950 gegründet hatte und die Interessen von Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs, von Kriegsheimkehrern, Spätheimkehrern und deren Angehörigen vertrat. Die Mahnung, sich an die Kriegsgefangenen und Vermissten zu erinnern, ist Ausdruck der in der frühen Nachkriegszeit vorherrschenden Stimmung in der Bevölkerung. So hieß es in einer der Reden zur Einweihung: »Wenn es auch zu allen Zeiten üblich gewesen sei, Denkmäler zu errichten, so sei es doch unsrem Volk vorbehalten geblieben, durch Mahnmäler sieben Jahre nach dem Kriege das Weltgewissen zu wecken. Das Kriegsgefangenenproblem sei das brennendste unserer Zeit. Wer gegen Menschenrecht und Menschlichkeit Gefangene als politisches Faustpfand zurückhielt, spiele mit unfriedlichen Gedanken. Die Zahl von fast 100 000 amtlich festgestellten Kriegsgefangenen, die noch nicht zurückgekehrt seien, offenbare eine menschliche Tragödie unvorstellbaren Ausmaßes.«[1]

Mit dem heutigen Wissen über Nationalsozialismus, Vernichtungskrieg und Holocaust mag es befremden, die deutschen Kriegsgefangenen als das »brennendste Problem« darzustellen und an ein »Weltgewissen« zu einer Zeit zu appellieren, in der einerseits die Opfer des Nationalsozialismus um Anerkennung und Entschädigung kämpfen mussten und andererseits viele Täter (Polizisten, Juristen, Mediziner und andere) sich vor Strafverfolgung sicher fühlen und ohne große Probleme in die Gesellschaft integrieren konnten – auch in Wuppertal.

Dieses Befremden gehört zu den großen Herausforderungen an das historische Lernen: Wie weit darf die Einfühlung in früheres Denken und Handeln gehen, und wo beginnt die Notwendigkeit, dazu politisch und moralisch eine kritische Haltung zu gewinnen? Auch als »Tätervolk« trauerten die Deutschen um ihre gefallenen, getöteten und vermissten Angehörigen. Ihnen dieses Recht heute abzusprechen, wäre überheblich. Aber ihr Leiden mit dem der Opfer des NS-Regimes gleichzusetzen, dient der Entlastung von Schuld und Verantwortung und ist eine unhaltbare Relativierung.

Doch nicht dieses durchaus interessante Problem war der Grund, dass das »Heimkehrer-Denkmal« Ende 2006 aus dem Stadtgarten entfernt wurde, sondern eine eher zufällige Entdeckung. Im November 2006 hatte die Stadt Wuppertal Büsche zurückschneiden lassen. Ans Licht kam durch diese Maßnahme die bis dahin weitgehend in Vergessenheit geratene ca. 1,70 Meter hohe Stele des »Heimkehrerdenkmals«. Ein Journalist des »Ronsdorfer Sonntagsblatts« stellte fest, dass der Buchstabe »S« auf der Inschrift wie eine Sigrune gestaltet ist und damit in den Wörtern »vergesst« und »Vermissten« das Zeichen für die als verbrecherische NS-Organisation eingestufte »SS« (Schutzstaffel) zu lesen war.

Unmittelbar nachdem dieser Fund durch die Zeitung bekannt gemacht war, schaltete sich der Staatsschutz ein und beurteilte den Fall als Straftatbestand nach Paragraf 86a, »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen«. Sie kündigte an, den Stein sofort zu beschlagnahmen, falls die Stadt ihn nicht umgehend entferne oder verhülle – seit 1999 war die Stadt Wuppertal durch Schenkung Eigentümerin des Denkmals geworden. Auch zum Zeitpunkt seiner Errichtung, 1952, sei die Verwendung der Sigrune (auch als einzelnes Zeichen) bereits als verfassungsfeindlich eingestuft und die Aufstellung des Steins damit strafbar gewesen. Unverzüglich handelte die Stadt, um einer Strafanzeige gegen den Leiter des Ressorts Grünflächen und Forsten zuvorzukommen, und entfernte Anfang Dezember 2006 das corpus delicti, das seitdem in einem städtischen Depot gelagert ist.

Nach wiederum bald 15 Jahren stellt sich allerdings die Frage, ob man es sich mit der raschen Entfernung des Gedenksteins nicht etwas leicht gemacht hat. War diese Lösung tatsächlich die einzig denkbare Möglichkeit, mit einem solch schwierigen und belasteten Erinnerungszeichen umzugehen? Wird mit diesem »Bildersturm« nicht auch eine zeitgeschichtliche Quelle gelöscht, die Auskunft geben könnte über das Selbstverständnis der Urheber und über den gesellschaftlichen Diskurs der Zeit? Die Leerstelle, die der entfernte Stein hinterlassen hat, könnte zur »Lehrstelle« werden, wenn er – verfremdet, verändert, dekonstruiert – doch wieder als aussagekräftiges Element im spannungsvollen Ensemble des Stadtgartens einen Platz erhielte.

Mahnmal »Nie wieder Krieg«, 1981

Zu Beginn der »Ronsdorfer Friedenswoche«, am Samstag, den 14. November 1981, enthüllte ein Organisationskomitee einen Stein, den die »Ronsdorfer Zeitung« gestiftet und ein Ronsdorfer Steinmetz kostenlos mit einer Inschrift versehen hatte. Unter der Parole »Nie wieder Krieg« hatte sich auf Initiative der »Jungsozialisten« ein großer Verband von Friedensaktivisten und -aktivistinnen zusammengeschlossen, darunter die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes e.V., die evangelisch-reformierte Gemeinde, die katholische Gemeinde, die Naturfreunde und Amnesty International.

Vor diesem Hintergrund eines geradezu pazifistischen Aufbruchs der Bevölkerung wurde der »Friedensstein« in Ronsdorf mit einer Ansprache des Wuppertaler Pfarrers i.R. Wilhelm Flender (1911–2000) eingeweiht, »der auf die Botschaft hinwies, die der Stein verkündet. Wie ernst es um diese Botschaft stehe, und wie besorgt sie von den Menschen aufgenommen werde, das zeigten machtvolle Kundgebungen in vielen europäischen Großstädten. Der große Präsident der USA, John F. Kennedy, habe einmal gesagt: ›Der Friede wird nicht kommen, ohne dass wir etwas dafür tun.‹ Diese Mahnung müsse Ansporn sein, die Mächtigen dieser Welt zu einem Umdenken im Wettrüsten zu zwingen und die Bevölkerung von Fatalismus zu Aktivismus aufzurütteln. Die Aufrüstung in Ost und West mache den Frieden nicht sicherer, sondern gefährde ihn immer mehr.«[2]

Wie das Denkmal aus dem Jahr 1952 handelt es sich bei dem von 1981 weniger um ein Gedenken an ein zurückliegendes Ereignis oder an eine historische Epoche wie bei dem konventionelleren Kriegerdenkmal von 1930, sondern vielmehr um einen konkreten Appell. Bei aller Unterschiedlichkeit haben die beiden Steine eines gemeinsam: Sie konservieren ihre aktuelle politische Botschaft für die eventuell vergessliche Nachwelt: »Nie wieder Krieg« »Vergesst nicht […]!«

Wiedervereinigungseiche, 1990

Im März 1990 pflanzten Mitglieder der Ronsdorfer CDU aus Anlass der deutschen Wiedervereinigung eine kleine Eiche in den Rasen, die von sechs Tafeln mit den Namen der neuen Bundesländer eingefasst war. Während diese Tafeln heute nicht mehr existieren, ist die mittlerweile zu beachtlicher Höhe gewachsene Eiche als »deutsches Symbol« heute ein wichtiger Bezugspunkt in der Gedenklandschaft des Parks und für die Arbeitsgruppe für das Deserteursdenkmal.

Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkriegs, 1995

War der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy (1917–1963) Inspirationsquelle für die Einweihungsrede 1981, so der amerikanische Bürgerrechtler und Baptistenpastor Martin Luther King (1929–1968) für den Text eines Denkmals, das anlässlich des 50. Jahrestages des Kriegsendes am 19. November 1995 errichtet wurde. Auf ihm steht: »Es genügt nicht zu sagen: ›Wir dürfen keine Kriege führen.‹ Wir müssen bereit sein, den Frieden zu lieben und für ihn Opfer zu bringen.«

Mit diesem Zitat bekannte sich der Heimat- und Bürgerverein Ronsdorf zum gewaltfreien politischen Kampf gegen Ungerechtigkeit, Rassismus und Krieg. Die Bronzetafel mit diesem Text ist in einen 1,5 Tonnen schweren Gebirgsbachfindling eingelassen, den man mit seinem Standort genau gegenüber dem Ehrenmal von 1930 durchaus wie eine Antwort, wie einen Widerspruch zum »alten« Kriegerdenkmal von 1930 deuten kann.

Das Jahr 1995, 50 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, war ein »Supergedenkjahr« mit einer extrem hohen Zahl an Veranstaltungen unterschiedlichster Art im ganzen Land und in Europa, mit TV-Dokumentationen und Spielfilmen, mit Ausstellungen, Buchpublikationen und Reportagen. Zum ersten Mal erinnerten die Deutschen der alten und der neuen Bundesrepublik gemeinsam an den Nationalsozialismus, an seine Opfer und an seine Nachwirkungen. Wie aber lässt sich die Auswahl des Zitats von Martin Luther King in diese Entwicklung einordnen? Der Satz beschränkt sich ganz und gar auf das Thema »Frieden«, und er tut das ohne ausdrückliche Bezugnahme auf ein historisches Ereignis – geschweige denn auf die Zeit des Nationalsozialismus. Dass das Gedenkjahr 1995 fast überall sonst dazu genutzt wurde, konkret den Zweiten Weltkrieg mit seinen Verbrechen und seinen Auswirkungen zu reflektieren, findet in der Entscheidung für diesen Satz keinen Widerhall.

Stimmig aber ist die Persönlichkeit des Autors: Martin Luther King ist als Bürgerrechtler bekannt geworden, der sich für den Verzicht auf Gewalt auch im Protest gegen Unterdrückung und Rassismus einsetzte, was er mit seinem Leben bezahlen musste. Spätestens seit den Montagsdemonstrationen in Leipzig, Dresden, Halle, Karl-Marx-Stadt, Magdeburg, Rostock und anderen Städten, die seit 1989 die »Friedliche Revolution« in der DDR einleiteten, war der Begriff des »Bürgerrechtlers« und der »Bürgerrechtsbewegung« auch in den alten Bundesländern in wertschätzender Weise geläufig geworden. Kings Appell muss also hier weniger als Aufruf zum Frieden im Rahmen internationaler militärischer Konflikte verstanden werden, sondern vielmehr als Ermutigung zu zivilem Ungehorsam und zu innergesellschaftlichem, konstruktivem Streit. So verstanden, scheint dieser 1995 errichtete Gedenkstein den Begriff »Frieden« ganz neu zu füllen. Aber: Die konventionelle Widmung im Text will zu dieser Deutung nicht passen: »Im Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges 1939–1945 und zur Mahnung an die Lebenden.«

So konventionell und eigentlich auch 1995 nicht mehr ganz zeitgemäß formuliert, stellen sich die üblichen kritischen Fragen: An welche »Opfer des Zweiten Weltkrieges« ist hier gedacht? An die gefallenen Wehrmachtssoldaten? An die Toten der bombardierten Städte – in Deutschland? Oder an die in den von den Deutschen besiegten und besetzten Ländern? An die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, aus dem Sudetenland? Sind mit den »Opfern« die zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Ukraine, aus Polen und aus vielen anderen der unterworfenen Länder gemeint? Oder die in der Sowjetunion nach dem Beginn des Vernichtungskriegs ermordeten Jüdinnen und Juden? Und schließlich: Wie lautet die »Mahnung an die Lebenden«, womit genau appelliert der Satz an die nächsten Generationen?

Mit diesen Fragen stellt auch der Gedenkstein von 1995 eine Herausforderung an das historisch-politische Bewusstsein der Besucherinnen und Besucher im Ronsdorfer Stadtgarten dar, eine wieder neue Facette im Nachdenken über den Frieden und wie man ihn verstehen, bestimmen und bewahren kann.

Entwicklung eines neuen Denkmals: Ein bürgerschaftliches und generationenübergreifendes Gemeinschaftsprojekt

Das Denkmal für die erschossenen Wehrmachtsdeserteure hat eine längere Vorgeschichte: Anlässlich des »Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus« im Januar 2015 präsentierten Schülerinnen und Schüler der Erich-Fried-Gesamtschule Ronsdorf unter der Überschrift »Tödlicher Ungehorsam – Die Deserteure von Wuppertal« öffentlich die Ergebnisse ihres Projekts:

Die Gruppe hatte auf Anregung der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal die Geschichte der Wehrmachtssoldaten recherchiert, die zwischen 1940 und 1945 in Ronsdorf hingerichtet wurden, weil sie desertiert waren. Unter der Leitung von Florian Hans, damals noch Studierender der Geschichte an der Universität Münster, hatten die Jugendlichen die Biografien der 23 Deserteure recherchiert. Deserteure sind seit einem Bundestagsbeschluss vom 17. Mai 2002 offiziell als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt, da erst zu diesem Zeitpunkt ihre Todesurteile für nationalsozialistisches Unrecht erklärt und aufgehoben wurden. Zudem kann Fahnenflucht als widerständige Handlung angesehen werden, weil damit ein verbrecherischer Krieg nicht weiter unterstützt wurde. Auch wenn die Motive der Deserteure sehr unterschiedlich waren, ist die Tatsache, dass sie deshalb hingerichtet wurden, einer ehrenden Erinnerung würdig – das ist mittlerweile weitgehend Konsens.

In drei Monaten regelmäßiger Projektarbeit, darunter Befragungen von Ronsdorfer Bürgerinnen und Bürgern, Ortsterminen und Archivrecherchen, erarbeiteten sie unter fachlicher Leitung ein eindrucksvolles und berührendes Ergebnis. Der tief bewegte Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal war es, der geradezu forderte, dass künftig ein Denkmal an die Deserteure erinnern und dass die Schüler und Schülerinnen an diesem Projekt weiterarbeiten müssten.

Zu diesem Zweck bildete sich eine neue Arbeitsgruppe, zu der drei der Schüler, der Fachlehrer, der Bezirksbürgermeister, der Pfarrer der reformierten Kirchengemeinde und die Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge gehörten. Die Schüler hatten mittlerweile ihr Abitur absolviert und waren deshalb nicht mehr an die Schule gebunden, haben sich aber erfreulicherweise gleichwohl darüber hinaus und über eine lange Zeitstrecke bis zu seiner Realisierung für das Projekt verantwortlich gezeigt. Die fachliche Leitung und wissenschaftliche Begleitung des Projekts verantwortete wiederum Florian Hans, der in dieser Zeit im Auftrag der Begegnungsstätte Alter Synagoge Wuppertal eine wissenschaftliche Dokumentation über die Erschießungen in Ronsdorf verfasste. Gefördert wurde das Projekt maßgeblich von der Landeszentrale für Politische Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen.[3]

Die für die Ronsdorfer Gruppe vermutlich schwierigste und breit diskutierte Frage war die nach dem Standort. Denkbar waren der »authentische Ort«, also der Schießstand auf dem Übungsplatz der Kaserne, auf dem die Hinrichtungen stattgefunden hatten, dann die Ehrengrabanlage auf dem Kommunalfriedhof in Ronsdorf, in der höchstwahrscheinlich zwanzig der Opfer bestattet sind, weiters ein nicht historischer, sondern zu bestimmender zentraler, vielfach frequentierter Ort in Ronsdorf oder eine mobile Installation, z.B. in Form einer Bus-Haltestellenansage.

Die Gruppe einigte sich schließlich, nach diversen Ortsterminen und umfassender Beschäftigung mit anderen Gedenkstätten bundesweit, nach gründlicher Abwägung aller Vor- und Nachteile auf den Ronsdorfer Stadtgarten und erarbeitete einen Entwurf, der sich mit der dort schon vorhandenen »Erinnerungslandschaft« in eine sinnträchtige Beziehung setzt. »In diese spannungsreiche Landschaft nun einen ganz neuen Aspekt einzubringen und eine ganz andere Perspektive zu eröffnen, erscheint uns plausibel, sinnvoll und lehrreich. Denn zum Thema »Krieg« ist hier noch nicht alles gesagt: Neben die Trauer um gefallene Soldaten des Ersten Weltkriegs, neben die Forderung, dass Kriege nicht seien sollen, und neben den Wunsch, dass Frieden das Ziel politischer Bemühungen sein soll, möchte das Denkmal für die Deserteure an Opfer erinnern, die sich einem verbrecherischen Krieg entzogen und dafür getötet wurden. Sie fielen nicht »auf dem Felde der Ehre«, sondern »auf dem Felde der Unehre«. Auch Deserteure sind Opfer des Nationalsozialismus, und deshalb ist es an der Zeit, ihrer würdig zu gedenken.«[4]

Der Entwurf der Gruppe blieb zwar nicht unwidersprochen; nach der öffentlichen Präsentation gab es neben einem schäbigen Leserbrief im Ronsdorfer Sonntagsblatt auch ernstzunehmende Kritik an der Standortwahl. Aber größer als diese Kritik war der Zuspruch von Bürgerinnen und Bürgern und das Engagement von Verwaltung und Politik, die den Entwurf nun, leicht abgeändert, realisieren wollten. Dass dazu der gesamte Stadtgarten vom Amt für Grünflächen und Forsten einer kritischen Beschau und pflegerischen Maßnahmen unterzogen wurde, spricht für die Annahme, dass nach sorgfältiger Vorbereitung, transparentem Vorgehen und der Einbeziehung aller verantwortlichen Stellen auch künftig mit einer weitgehend im Konsens entwickelten Planung und Umsetzung solcher Initiativen gerechnet werden kann.

Die über lange Jahre nicht nur in Wuppertal manifeste Konfrontationsstellung zwischen bürgerschaftlichem Engagement einerseits und kommunalpolitischem Establishment und Stadtverwaltung andererseits ist weitgehend aufgebrochen. So wurde vor der Installation des neuen »Deserteursdenkmals« der bisher außerhalb des Runds vernachlässigte »Friedensstein« von 1981 so transloziert, dass er nun in das Ensemble integriert ist. Dazu mussten Sitzbänke und Mülleimer versetzt und eine Fläche gepflastert werden – alles Leistungen der Stadt Wuppertal.

Denkmal für die Wehrmachtsdeserteure, 2019

Das neue Denkmal für die Wehrmachtsdeserteure besteht aus acht etwas unregelmäßig in den Rand der Rasenfläche gesetzten Stahlquadern, deren Höhe sukzessiv aufsteigt. Auf der Aufsicht jeder dieser Stelen steht eines der unten aufgeführten Wörter – auf dem niedrigsten das Wort »verflüchtigt«, auf dem höchsten das Wort «vergessen«.

 

verflüchtigt

verfolgt

verhaftet

verurteilt

vernichtet

verdammt

verloren

vergessen

 

Mit dieser Wortreihe erinnert das Denkmal, ausgeführt von der Firma Wolf Illigen Partner aus Wuppertal, in schlichter und zugleich würdiger Sprache an das Schicksal der Wehrmachtsdeserteure. Es ist weder monumental noch heroisch und setzt mit seiner modernen, schlichten Ästhetik einen eigenen sinnvollen Akzent im Diskursraum des Ronsdorfer Geschichtsparks. Auch mit Blick auf die Akteure – u.a. Schülerinnen und Schüler der Erich-Fried-Gesamtschule und Bürgerinnen und Bürger des Stadtteils – zeugt die Entstehungsgeschichte dieses Denkmals, von der ersten Thematisierung im Januar 2015 bis zur Enthüllung am 1. September 2019, von historischer Neugier, politischem Sachverstand und bürgerschaftlichem Engagement. Der Ronsdorfer Stadtgarten ist nicht zuletzt durch das jüngste Denkmal zu einem einzigartigen Geschichtspark in Wuppertal geworden, der nach wie vor der Erholung und der Ruhe dienen soll, aber nun auch als aufschlussreiches und anregendes Lernfeld begangen werden kann.[5]

 

Ulrike Schrader, Dr. phil., ist seit 1994 Leiterin und Kuratorin der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal. Sie veröffentlichte mehrere Bücher zur Geschichte der Juden im Wuppertal und im Bergischen Land, und publiziert kritisch über Trends und Praktiken der aktuellen Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit. Arbeitsschwerpunkte des Jahres 2020 war die Antisemitismusprävention, das Jahr 2021 steht unter dem Motto des bundesweiten Festjahrs »321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«.

 

[1]    General-Anzeiger der Stadt Wuppertal, 27. 10. 1952.

[2]    Ronsdorfer Wochenschau vom 19. 11. 1981.

[3]    Florian Hans: Wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Die Erschießungen von Deserteuren der Wehrmacht in Wuppertal 1940-1945, hg. im Auftrag des Trägervereins Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal e.V., Wuppertal 2017.

[4]    Papier zur öffentlichen Präsentation in der Begegnungsstätte Alte Synagoge am 30. 11. 2016. Unveröffentlichtes Typoskript, Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal.

[5]    Zur Einweihung des Denkmals gab die Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal eine kleine Broschüre heraus, die kostenlos verteilt wird und auch immer noch nachgefragt wird: Der Ronsdorfer Stadtgarten. Ein Geschichtspark zu Krieg und Frieden, hg. vom Trägerverein Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal e.V., Wuppertal 2019.