Als 1995 der Band »Praxis der Gedenkstättenpädagogik. Erfahrungen und Perspektiven«[1] erschien, verfügte einer der Herausgeber, Thomas Lutz, schon über mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Koordination der Gedenkstättenarbeit. Den Begriff »Gedenkstättenpädagogik« aber konnten sich die Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler unter den Herausgebern nur nach einigem Zögern zu eigen machen. Zwar gab es, wie die in diesem Band versammelten Beiträge zeigten, an Gedenkstätten und in Zusammenarbeit mit ihnen vielfältige pädagogische Angebote, die keineswegs auf Gelände- und Ausstellungsführungen beschränkt waren und sich als historisch-politische Bildung verstanden, doch war durchaus umstritten, ob die pädagogischen Bemühungen an diesen Orten als eine eigenständige Subdisziplin der Pädagogik bezeichnet werden konnten, wie es der Begriff nahelegt. Zwanzig Jahre später war nicht nur der Begriff etabliert, sondern Gedenkstättenpädagogik war »ein breit gefächertes und professionalisiertes Feld geworden«. So formulierte es die Wissenschaftsjournalistin Gabriele Kammerer in der Einleitung zum 2015 erschienenen Handbuch »Gedenkstättenpädagogik. Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NS‑Verbrechen«, zu dessen Herausgeberinnen und Herausgebern Thomas Lutz ebenfalls gehörte.[2] Zu dieser Entwicklung hat die »Arbeitsgemeinschaft Gedenkstättenpädagogik«, die sich heute als »Arbeitskreis Gedenkstättenpädagogik« bezeichnet, wesentlich beigetragen. Ihre Entstehung, Arbeitsweise und Schwerpunkte ihrer Aktivitäten sollen im Folgenden skizziert werden.
Im Jahr 2000 fand im Haus der Wannsee-Konferenz eine Tagung statt, die den Bemühungen galt, die Geschichte der NS-Verbrechen Schülerinnen und Schülern, aber auch verschiedensten Gruppen von Erwachsenen an historischen Orten zu vermitteln. Die an der Tagung teilnehmenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gedenkstätten äußerten das Bedürfnis, einen solchen Austausch regelmäßig durchzuführen und dazu einen Arbeitskreis zu gründen. Daraufhin bot Thomas Lutz an, dieses Vorhaben mit den von ihm zweimal jährlich organisierten Gedenkstättenseminaren zu verbinden. Das wurde dankbar aufgegriffen. So entstand eine bundesweite Arbeitsgemeinschaft (AG), deren Notwendigkeit und Ziele Thomas Lutz wenig später im GedenkstättenRundbrief dargelegt und im Zusammenhang der Entwicklung der Gedenkstätten und der Erinnerungskultur insgesamt erläutert hat.[3] Zu den regelmäßigen Treffen der AG – meist in Berlin, aber auch an anderen Orten – reisten Kolleginnen und Kollegen unter anderem aus Hamburg und München, Weimar und Düsseldorf an. Sie diskutierten aktuelle Entwicklungen in der Gedenkstättenpädagogik und Möglichkeiten, sie fachlich weiterzuentwickeln, ihre Stellung innerhalb der Institutionen zu stärken und ihre vielfältigen Aktivitäten in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dabei erwies sich die gemeinsame Vorbereitung bundesweiter Gedenkstättenseminare, die sich auf Aspekte der pädagogischen Arbeit konzentrieren sollten, als nützliche Fokussierung.
Solche Gedenkstättenseminare fanden in der Folgezeit im Abstand von zwei bis drei Jahren statt und fanden großen Zuspruch bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Gedenkstätten, aber auch aus Schulen, Hochschulen und Geschichtswerkstätten. Zudem boten sie vielen an der Gedenkstättenarbeit Beteiligten und Interessierten Gelegenheiten, ihrer Erfahrungen und Überlegungen der Fachöffentlichkeit vorzustellen, sie zu diskutieren und später zu veröffentlichen.[4]
Die erste dieser Tagungen wurde 2002 in der Europäischen Jugendbildungs- und Begegnungsstätte in Weimar als 38. Gedenkstättenseminar veranstaltet. Sie widmete sich einem breiten Spektrum aktueller Themen – von der Menschenrechtsorientierung über Besonderheiten der Erwachsenenbildung und der Arbeit mit Kindern sowie die ethnische und kulturelle Heterogenität der Adressaten bis zur Genderspezifik pädagogischer Angebote. Dabei wurde der Versuch gemacht, den Austausch von Erfahrungen mit konzeptionellen Überlegungen im Hinblick auf in den nächsten zehn Jahren zu erwartende und wünschenswerte Entwicklungen in den Gedenkstätten und ihrem gesellschaftlichen Umfeld zu verbinden.[5] Robert Büchler, ein Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald, nahm an der Abschlussdiskussion teil. Er äußerte die Ansicht, dass es in Zukunft notwendig sein werde, »zusätzlich zu den spezifischen auch universale Themen und Probleme, die der jungen Generation nahe liegen, in die Bildungsarbeit zu integrieren«. Diese These, mit der – wie er anmerkte – durchaus nicht alle seine Leidensgenossen einverstanden waren, hat heute nichts an Aktualität eingebüßt und wird weiterhin kontrovers diskutiert.[6] Er hat sie dahingehend konkretisiert, »dass die Gedenkstättenarbeit sich künftig auch mit den Problemen der demokratischen Gesellschaft und mit der Verteidigung ihrer Werte befassen muss. Eben die Werte, wie zum Beispiel Menschenrechte und -würde, Humanität, Toleranz und Frieden, die in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern auf brutalste Art mit Füßen getreten wurden«.[7] Zugleich hat Robert Büchler die Wichtigkeit der Zeugnisse Überlebender betont.
Mit beiden Herausforderungen – wie kann Gedenkstättenarbeit in einer menschenrechtlichen Perspektive aussehen und wie kann man Zeitzeugenberichte pädagogisch fruchtbar machen, auch wenn die unmittelbare Begegnung immer seltener möglich ist? – hat sich die Arbeitsgemeinschaft in den folgenden Jahren intensiv auseinandergesetzt, und einige ihrer Mitglieder haben dazu publiziert.[8]
Spätere gedenkstättenpädagogische Seminare hatten eine ähnliche Struktur wie die Veranstaltung in Weimar. Zu Beginn, im Verlauf des Seminars oder nach dessen Abschluss können angereiste Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich mit der jeweiligen Tagungsstätte, in der Regel eine Gedenkstätte oder ein Dokumentationszentrum, vertraut machen. Am Nachmittag und Abend findet eine Einführung in das Thema der Tagung durch Vorträge, Filme und/oder Podiumsgespräche statt. Dazu werden Referentinnen und Referenten eingeladen, die in der Regel nicht selbst in Gedenkstätten arbeiten, sich aber in dem jeweiligen Themenfeld einen Namen gemacht haben. Am zweiten Tag diskutieren Arbeitsgruppen verschiedene Aspekte des Themas. Diese Arbeitsgruppen werden jeweils durch Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft vorbereitet und von ihnen moderiert. Zur Einführung in das Arbeitsgruppenthema werden oft Vortragende eingeladen, die über spezifische Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, sei es durch ihre Arbeit in Gedenkstätten, sei es durch ihre Tätigkeit in anderen Arbeitsfeldern wie Universitäten, Institutionen der Lehrkräfte-Fortbildung, Stiftungen oder Verlagen. Am dritten Tag werden die Erträge der Gruppenarbeit in Form von Podiumsbeiträgen zusammengetragen, bevor eine Abschlussdiskussion ein vorläufiges Resümee zieht und einen Ausblick formuliert und schließlich alle Teilnehmenden Gelegenheit haben, das Seminar zu kommentieren und Vorschläge für die weitere Arbeit zu machen.
Die Finanzierung der Seminare war nicht zuletzt durch die Unterstützung seitens der Bundeszentrale für politische Bildung möglich, die Thomas Lutz schon sechs Jahre zuvor für die Gedenkstättenseminare gewonnen hatte. So konnten in der Regel weit über hundert hauptberufliche, aber auch zahlreiche freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus ganz Deutschland an den Seminaren teilnehmen.
Nach dem Seminar in Weimar 2002 veröffentlichten die an der AG Beteiligten eine Zusammenstellung von Themen, die sie für aktuell und zukünftig relevant hielten, und luden Kolleginnen und Kollegen ein, in der AG mitzuwirken.[9] In der Folgezeit hat sie sich in ihrer personellen Zusammensetzung verändert und erweitert, sich aber bemüht, eine Beeinträchtigung ihrer Arbeitsfähigkeit durch eine zu große Zahl von Beteiligten zu vermeiden. Die Veranstaltung der Seminare mit pädagogischer Thematik schloss selbstverständlich nicht aus, dass sich auch in der Folgezeit Vorträge und Arbeitsgruppen bei bundesweiten Gedenkstättenseminaren mit anderen Schwerpunkten pädagogischen Fragen widmeten.[10] Die folgenden Ausführungen beschränken sich aber auf die unter Beteiligung der AG organisierten Veranstaltungen, an denen sich Schwerpunkte ihrer Bemühungen ablesen lassen.
Das 2004 in Worms und der Gedenkstätte KZ Osthofen stattfindende Seminar befasste sich vor allem mit der Frage, inwieweit Kompetenzmodelle, die damals in der Geschichtsdidaktik entwickelt wurden und inzwischen zu einer grundlegenden Umgestaltung der Curricula für den Geschichtsunterricht geführt haben, für die Gedenkstättenarbeit relevant sind. Dazu wurde die Leiterin des Projekts »FUER Geschichtsbewusstsein« Waltraud Schreiber eingeladen, den Eröffnungsvortrag zu halten.[11] Jens Michelsen von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der bis zu seinem frühen Tod 2007 Mitglied der AG war, hatte dieses auf die Förderung eines reflektierten und (selbst-)reflexiven Umgangs mit Geschichte gerichtete Projekt begleitet. In der Diskussion wurde deutlich, wie schwierig es ist, dieses nicht auf die Auseinandersetzung mit konkreten historischen Inhalten, sondern auf längerfristige Prozesse des Kompetenzerwerbs orientierte Konzept auf die Gedenkstättenpädagogik anzuwenden, die sich ja in der Regel auf kurze pädagogische Interventionen beschränken muss. Zugleich vermittelte das Seminar die Einsicht, dass es für Gedenkstätten, zu deren wichtigsten Besuchergruppen Schulklassen gehören, unerlässlich ist, sich mit Konzepten der Geschichtsdidaktik vertraut zu machen, die für den schulischen Unterricht maßgeblich sind.
Diese Thematik wurde bei dem 2007 in Weilburg stattfindenden Seminar wieder aufgegriffen. Dort hielt Wolfgang Meseth, Mitverfasser der an der Universität Frankfurt am Main entstandenen Studie »Schule und Nationalsozialismus. Anspruch und Grenzen des Geschichtsunterrichts«[12], einen Einführungsvortrag »Pädagogische Kommunikation über Nationalsozialismus und Holocaust in Schulen und an außerschulischen Lernorten«, in dem er die Unterschiede, aber auch die Möglichkeiten des Zusammenwirkens zwischen beiden Institutionen als Orten des Geschichtslernens erörterte. Aus demselben Forschungszusammenhang ging später die Dissertation von Verena Haug »Am ›authentischen‹ Ort. Paradoxien der Gedenkstättenpädagogik«[13] hervor, die auch auf empirischen Untersuchungen zur Pädagogik in verschiedenen Gedenkstätten basiert. Zur Einführung in das Gedenkstättenseminar trug zudem die Vorstellung einer auf Interviews mit Lehrenden und Lernenden an bayrischen Schulen basierenden sozialpsychologischen Studie durch Daphne Cisneros und Angela Kühner von der Ludwig-Maximilian-Universität München bei.[14] Außerdem stellte Alfons Kenkmann von der Universität Leipzig didaktische und methodische Überlegungen zum Umgang mit der Geschichte der NS-Verbrechen in Schulen und Gedenkstätten vor.[15] In Arbeitsgruppen wurden dann verschiedene Aspekte des Themas aus der Perspektive der Erfahrungen von Gedenkstättenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern diskutiert, unter anderem die Bedeutung von Lehrplänen und Bildungsstandards für die Gedenkstättenarbeit, Veränderungen in der Zusammensetzung der Schülerschaft und Fortbildungsangebote für Lehrkräfte. Zur Diskussion um die Bildungsstandards veröffentlichte die AG aus gedenkstättenpädagogischer Sicht eine Stellungnahme zur curricularen Neuorientierung des Geschichtsunterrichts, die die Kompetenzorientierung grundsätzlich begrüßte und die vom Verband der Geschichtslehrer Deutschlands vorgelegte Vorstellungen wegen ihrer Betonung des Faktenlernens kritisierte.[16]
Das 52. Gedenkstättenseminar 2009 in Bergen-Belsen und Celle konzentrierte sich auf die Verwendung von Überlebendenberichten in Ausstellungen und in der Bildungsarbeit von Gedenkstätten, stellte aber auch durch einen Vortrag des Medienexperten Wulf Kansteiner von der State University of New York at Binghamton einen Bezug zur Nutzung von Zeitzeugeninterviews in den Medien her, die das Vorverständnis von Gedenkstättenbesuchern prägen.[17]
Drei Jahre später thematisierte das 58. Gedenkstättenseminar in Berlin, an dem auch Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland aktiv beteiligt waren, den Gegenwartsbezug in der Bildungsarbeit an Gedenkstätten. Damit wurden Fragestellungen des Seminars in Weimar im Jahr 2002 hinsichtlich der Positionierung gegenüber verwandten pädagogischen Bemühungen wie der Menschenrechtsbildung und der antirassistischen Erziehung wieder aufgegriffen. Zugleich reagierte das Seminar auf eine aktuelle Kontroverse, die im Jahr zuvor durch einen Beitrag von Harald Welzer ausgelöst worden war, der für eine »Modernisierung der Erinnerungs- und Gedenkkultur« im Sinne ihrer Umgestaltung zu »bürgergesellschaftlichen Lernorten neuen Typs« plädierte, deren »Erlebnischarakter« mittels der durch sozialpsychologische Experiment inspirierten »Wahl spielerischer, experimenteller und aktivierender Formen der Vermittlung und Aneignung« hergestellt werden sollte.[18]
In den folgenden Jahren wandten sich die Diskussionen der AG der Konzeption des eingangs erwähnten Handbuchs zu. Ausgangspunkt war die Einschätzung, dass die Gedenkstättenpädagogik nach wie vor in der Öffentlichkeit und Politik, zum Teil auch in der Wissenschaft nicht in der Vielgestaltigkeit und Selbstreflektiertheit wahrgenommen wurde, die sich an den historischen Orten inzwischen entwickelt hatten. Die Präsentation der in diesem Handbuch vertretenen Positionen und der dort beschriebenen Aspekte der Tätigkeit von Gedenkstättenpädagoginnen und -pädagogen – vom Gedenken als pädagogischer Aufgabe bis zum Umgang mit legitimen und problematischen Vergleichen zwischen den NS-Verbrechen und anderen Menschenrechtsverletzungen –, aber auch ein (selbst-)kritischer Blick auf die Entwicklung der vorhergehenden Jahrzehnte bildeten den Schwerpunkt des 61. Gedenkstättenseminars, das 2015 unter dem Titel »70 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager – Was können die Gedenkstätten leisten?« in Dachau veranstaltet wurde.
Das letzte von der AG Gedenkstättenpädagogik veranstaltete bundesweite Seminar vor der Corona-Krise fand 2018 in Düsseldorf statt und befasste sich mit Jugendlichen als Zielgruppe gedenkstättenpädagogischer Arbeit. Dabei wurden die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ebenso reflektiert wie Erfahrungen vor Ort, zum Beispiel mit Reaktionen bei Ausstellungsführungen, mit Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Inklusion bei der Arbeit mit Jugendlichen und mit historischem Lernen bei internationalen Jugendbegegnungen.[19]
Das letzte physische Zusammentreffen der AG-Mitglieder vor der Pandemie fand 2020 in Neuengamme just in der Woche statt, in der die Gedenkstätten und Dokumentationszentren pandemiebedingt geschlossen wurden. Die zu dieser Zeit eingehend diskutierte Frage, wie man bei der Aus- und Fortbildung von festen und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Gedenkstätten zusammenarbeiten und diese womöglich institutionalisieren könnte, trat nun vorläufig in den Hintergrund. In der Folge berieten die AG-Mitglieder bei virtuellen Treffen, wie online-Formate (weiter) zu entwickeln waren und wie angesichts der Schließungen die Arbeit – auch der »Freien« – organisiert werden könnte, aber auch, welchen Beitrag Gedenkstättenpädagoginnen und -pädagogen zur Bekämpfung der sich in der Pandemie verbreitenden Verschwörungsmythen leisten könnten.
Fotos vom 66. Gedenkstättenseminar 2022 in Vogelsang und Bonn zeigen dann maskenbewehrte Mitglieder der AG, die allerdings nicht unter den Veranstaltern genannt ist, obwohl das Thema ein pädagogisches war: »Diversität–Partizipation–Inklusion, Selbstverständnis und Praxis in Gedenkstätten und Dokumentationszentren«. Dazu hat Gottfried Kößler einen kritischen, Desiderate deutlich bezeichnenden Kommentar veröffentlicht.[20] Die AG-Mitglieder befassen sich weiter mit aktuellen Themen, nicht zuletzt mit der Frage, wie sich der Krieg in der Ukraine auf die Arbeit in den Gedenkstätten auswirkt. Ein Treffen zu diesem Thema fand nicht zufällig im Museum Berlin-Karlshorst statt, das früher Deutsch-Russisches Museum hieß.
Derzeit wird ein weiteres bundesweites Gedenkstättenseminar vorbereitet, das von der AG (mit)veranstaltet wird. Es soll 2024 im Haus der Wannsee-Konferenz stattfinden. Die Kontinuität der Arbeit nach der Verabschiedung von Thomas Lutz in den Ruhestand, die sicherlich einen tiefen Einschnitt bedeutet, soll durch das inzwischen etablierte Troika-Modell sichergestellt werden, das vorsieht, dass jeweils eine Person für ein Jahr die Leitung und Koordination übernimmt und dabei von ihrer Vorgängerin/ihrem Vorgänger und der designierten Nachfolgerin/dem Nachfolger unterstützt wird.
Überblickt man die Schwerpunkte der Diskussionen in der AG, in den Publikationen der Beteiligten und bei den gedenkstättenpädagogischen Seminaren, so zeigt sich, dass sie die wechselnden Themen pädagogischer und erinnerungskultureller Diskurse aufgegriffen und sie im Hinblick auf die eigene Praxis analysiert, bewertet und produktiv genutzt haben. Zugleich kann man eine Kontinuität im Bemühen um Bildungsangebote und Arbeitsformen feststellen, die den jeweiligen Orten und den Bedürfnissen ihrer Besucherinnen und Besucher entsprechen. Gelegentlich kamen dabei auch Angebote für die an vielen Gedenkstätten sehr zahlreichen Besucherinnen und Besucher aus dem Ausland in den Blick, ein Aufgabenfeld, das in Zukunft noch größere Aufmerksamkeit verdient.
Dr. Wolf Kaiser war bis 2015 Leiter der Bildungsabteilung in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Gedenkstättenpädagogik. Publikationen zur Gedenkstättenpädagogik und NS-Geschichte, zuletzt die Anthologie Der papierene Freund. Holocaust-Tagebücher jüdischer Kinder und Jugendlicher, Berlin: Metropol, 2022.
[1] Annegret Ehmann, Wolf Kaiser, Thomas Lutz, Hanns-Fred Rathenow, Cornelia vom Stein, Norbert H. Weber (Hrsg.), Praxis der Gedenkstättenpädagogik. Erfahrungen und Perspektiven, Opladen 1995.
[2] Elke Gryglewski, Verena Haug, Gottfried Kößler, Thomas Lutz, Christa Schikorra im Auftrag der AG Gedenkstättenpädagogik (Hrsg.), Gedenkstättenpädagogik. Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen, Berlin 2015, Zitat S. 15.
[3] Thomas Lutz, Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstättenpädagogen gegründet, in: GedenkstättenRundbrief 99 (2/2001), S. 30–32. Dieser und die im Folgenden genannten Beiträge im GedenkstättenRundbrief sind auch im Internet abrufbar: www.gedenkstaettenforum.de/aktivitaeten/gedenkstaettenrundbrief. Programme von Gedenkstättenseminaren sind nur in der Printausgabe zu finden.
[4] So veröffentlichten zum Beispiel Leonie Wagner und Pia Frohwein den Aufsatz Geschlechterspezifische Aspekte Gedenkstättenpädagogik im GedenkstättenRundbrief 120 (8/2004), S. 14–21, nachdem sie bei den Gedenkstättenseminaren 2002 in Weimar und 2004 in Worms Arbeitsgruppen zu diesem Thema geleitet hatten.
[5] Daniel Gaede, Orientierung durch Geschichte und Erinnerung? Zukunftsaufgaben und Zielsetzungen der Gedenkstättenpädagogik, in: GedenkstättenRundbrief 105 (2/2002), S. 27f.
[6] Vgl. unter anderem Saul Friedländer, Norbert Frei, Sybille Steinbacher, Dan Diner, Ein Verbrechen ohne Namen. Anmerkungen zum neuen Streit über den Holocaust, München 2022.
[7] Robert Büchler, Wolf Kaiser, Peter Krahulec, Orientierung durch Geschichte und Erinnerung. Überlegungen zum bundesweiten Gedenkstättenseminar im Mai 2002 in Weimar, in:GedenkstättenRundbrief 108 (2002), S. 5–11, Zitate S. 5.
[8] Vgl. zum Beispiel Thomas Lutz/Wolf Kaiser, Menschenrechtsbildung und Gedenkstättenpädagogik – Modethema oder Zukunft der historischen Bildung über die NS-Zeit? Anmerkungen zu den aktuellen Diskursen, in: Politisches Lernen 30 (2012) 3/4. – S. 5–13, sowie Wolf Kaiser, Zeitzeugenberichte in der Geschichtspädagogik, in: GedenkstättenRundbrief 152 (2009), S. 11–15.
[9] Regina Gabriel, Daniel Gaede u.a., Informationen zur Weiterarbeit der AG Gedenkstättenpädagogik, in: GedenkstättenRundbrief 110 (2002), S. 31–33.
[10] So zum Beispiel beim 46. Seminar zur Darstellung von Täterinnen und Tätern in Gedenkstätten für NS-Opfer im Oktober 2006 (Programm im GedenkstättenRundbrief 131 (2006), S. 23f.) und beim 57. Gedenkstättenseminar im Oktober 2011 in Georgsmarienhütte mit dem Titel »Den Besucher im Blick. Bildungsarbeit mit Erwachsenen in Gedenkstätten«. Auch die ebenfalls von Thomas Lutz initiierten und organisierten Gedenkstättenkonferenzen sind hier zu nennen, insbesondere die 6. Gedenkstättenkonferenz in Halle an der Saale, die 2017 unter dem Titel »Bildungsarbeit in Gedenkstätten – Herausforderungen, Chancen und Spannungsfelder« stattfand; dort gehaltene Vorträge sind im GedenkstättenRundbrief 189 (2018) nachzulesen.
[11] Waltraud Schreiber, Geschichtsdidaktik und Gedenkstättenpädagogik, in: GedenkstättenRundbrief 122 (2004), S. 25–34.
[12] Wolfgang Meseth, Matthias. Proske, Frank-Olaf Radtke, Schule und Nationalsozialismus. Anspruch und Grenzen des Geschichtsunterrichts, Frankfurt am Main 2004.
[13] Verena Haug, Am ›authentischen‹ Ort. Paradoxien der Gedenkstättenpädagogik, Berlin 2015.
[14] Das 1. Themenheft 2008 der Zeitschrift der bayrischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Einsichten und Perspektiven stellt die Studie in zahlreichen Beiträgen vor, darunter Phil. C. Langer: Fünf Thesen zum schulischen Besuch von KZ-Gedenkstätten (S. 66–75) und Angela Kühner, Phil C. Langer, Robert Sigel: Ausgewählte Studienergebnisse im Überblick (S. 76–82).
[15] Alfons Kenkmann, Gedanken zum didaktischen und methodischen Umgang mit der Geschichte der NS-Verbrechen in Schulen und Gedenkstätten, in: GedenkstättenRundbrief 141 (2008), S. 3–11
[16] Stellungnahme der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Gedenkstättenpädagogik, Gedenkstättenpädagogik und Bildungsstandards, in: GedenkstättenRundbrief 141 (2008), S. 12.
[17] Wulf Kansteiner hat sich in zahlreichen Beiträgen mit der medialen Darstellung der NS-Geschichte befasst, jüngst in seinem Beitrag Ästhetisierung von Gewalt zum Zwecke der Aufklärung. Die NS-Gedenkstätten im medialen Erinnerungsgeflecht des 20. und 21. Jahrhunderts, in: Volkhard Knigge (Hrsg.), Jenseits der Erinnerung – Verbrechensgeschichte begreifen. Impulse für die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach dem Ende der Zeitgenossenschaft, Göttingen 2022, S. 324–339.
[18] Harald Welzer, Für eine Mordernisierung der Erinnerungs- und Gedenkkultur, in: GedenkstättenRundbrief 162 (2011), S. 3–9, Zitate S. 3 u. 8f. Dazu kritisch: Habbo Knoch, Mehr Wissen und mehr Recht: Koordinaten einer zukünftigen Erinnerungskultur. Eine Replik auf Harald Welzer, in: GedenkstättenRundbrief 163 (2011), S. 3–11, sowie Ulrike Schrader, Norbert Reichling, Modernisierung oder »Neuformatierung«? Was Gedenkstätten für ihre reflexive Weiterentwicklung (nicht) brauchen, in: GedenkstättenRundbrief 162 (2011), S. 3–8.
[19] Ich danke Christa Schikorra und Matthias Hass für Informationen über die Tätigkeit der AG nach 2018, an der ich nicht mehr teilgenommen habe.
[20] Diversität, Partizipation, Inklusion – und Homogenisierung. Kommentar zum 66. bundesweiten Gedenkstättenseminar in Vogelsang IP und Bonn, in: GedenkstättenRundbrief 207 (2022), S. 26–30; in der Printausgabe auch die erwähnten Fotos.