Die Orte können noch »erzählen«.

Das Förderprogramm "Jugend erinnert International" der Stiftung Erinnerung Verantwortung und Zukunft
09/2021Gedenkstättenrundbrief 203, S. 17-29
Saskia Herklotz und Helge Theil

Über achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Shoah steht die historisch-politische Bildung vor immensen Herausforderungen: Das Ableben der Zeitzeugen-Generation und die Bildungsherausforderungen in einer zunehmend heterogenen und global immer stärker vernetzten Gesellschaft erfordern neue Zugänge in der Darstellung und Vermittlung der Geschichte des »Dritten Reiches«. Dieser Prozess vollzieht sich vor dem Hintergrund eines wiedererstarkenden Nationalismus, verschärfter politischer und gesellschaftlicher Diskurse und einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaften in vielen Ländern Europas und weltweit.[1]

Mit zunehmenden zeitlichen Abstand erlangt neben der Darstellung der eigentlichen historischen Ereignisse in der Zeit des Nationalsozialismus der Prozess der juristischen und wissenschaftlichen, erinnerungspolitischen und erinnerungskulturellen Aufarbeitung neue Bedeutung. Neben der Vermittlung von Faktenwissen treten also die Ausdeutung von und die Auseinandersetzung mit Geschichte, Erinnerung und Gedenken zunehmend in den Vordergrund – insbesondere, wenn sich der Blick über Deutschland hinaus weitet. Die Gesamtdimensionen nationalsozialistischer Verfolgung und Vernichtung werden umfassend erst in internationaler Perspektive sicht- und greifbar. Die Unterschiedlichkeit der historischen Erfahrungen des Nationalsozialismus in den verschiedenen Ländern West-, Mittel- und Osteuropas wie auch der jeweiligen Entwicklungen in der Nachkriegszeit schlägt sich dabei in divergierenden, zuweilen höchst disparaten Narrativen in Geschichtspolitik und Erinnerungskultur nieder; zugleich müssen diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen bei der Betrachtung und Bewertung von Phänomenen wie Zuschauer- und Mitläufertum, Widerstand und Kollaboration unbedingt berücksichtigt werden. Ähnliches gilt für die Schicksale unterschiedlicher Verfolgtengruppen im »Dritten Reich«, deren öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung.[2] So gilt es heute mehr denn je, alle Verfolgtengruppen des Nationalsozialismus gleichermaßen in den Blick nehmen. Daher sind Multiperspektivität und Transnationalität Grundvoraussetzungen für ein zeitgemäßes Lehren und Lernen über den Holocaust und für die Diskussion um europäische Erinnerungskultur(en).

Eine zweite Grundvoraussetzung für eine zeitgemäße historisch-politische Bildung ist der Gegenwartsbezug: Geschichte und Erinnerung müssen fortlaufend für neue Generationen aktualisiert und mit Bedeutung im und für das Hier und Heute versehen werden. Gerade diese beständige Aktualisierung bildet die Grundlage für Sensibilisierung, Wachsamkeit, das Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und jede Art von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und damit die Ausbildung eines kritischen Geschichtsbewusstseins: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 war eine grundlegende Antwort auf historisches Unrecht und vor allem die beispiellosen nationalsozialistischen Verbrechen und den Zweiten Weltkrieg – die Durchsetzung der Menschenrechte bleibt jedoch eine Aufgabe über die Gegenwart hinaus. Aus diesem Entstehungskontext ergeben sich die engen Verbindungen und Überschneidungen der historisch-politischen zur Demokratie- und Menschenrechtsbildung, die insofern immer auch einen Beitrag zur Entstehung einer freiheitlichen und offenen, aber auch wehrhaften Zivilgesellschaft leisten will und soll.

Aus diesem Grund benötigt eine zeitgemäße historisch-politische Bildung und Gedenkarbeit heute ein aktivierendes Element, sie darf insbesondere junge Menschen nicht nur als Adressatinnen und Rezipienten von Wissensvermittlung sehen, sondern muss sie vielmehr als Akteure und Gestalterinnen heutiger Erinnerungskultur begreifen und ansprechen. Dazu braucht es eine pädagogische Haltung, die Ansätze des dialogischen Lernens verinnerlicht, individualisierte selbstgesteuerte Lernprozesse ermöglicht und vor allem vielfältige Zugänge für die immer heterogener werdenden Zielgruppen in der postmigrantischen Gesellschaft schafft. Zeitgemäße Ansätze der historisch-politischen Bildung müssen unterschiedliche biografische, geografische und kulturelle Hintergründe ansprechen und für unterschiedliche Deutungen und Anschlussnarrative offen sein, neben kognitiven auch kreativ-emotionale Zugänge zum Themenkomplex der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung bieten und lebensweltliche Bezüge (nicht nur) für junge Menschen schaffen.

Nicht zuletzt stellt die Digitalisierung eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit dar[3]: Wissens- und Informationsvermittlung zum und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, aber auch Erinnerung und Gedenken finden heute zunehmend über digitale Formate und Kanäle statt. Zugleich lässt sich im digitalen Raum eine Zunahme von Geschichtsrevisionismus, verschwörungstheoretischen Diskursen sowie Holocaust-Leugnung und -Verfälschung beobachten; auf die Gegenwart bezogene Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gewinnen zunehmend an Einfluss. Die Covid-19-Pandemie hat die Bedeutung von digitalen Konzepten und Formaten für die historisch-politische Bildung wie auch für die internationale Jugendarbeit nochmals deutlicher gemacht. Dabei gilt es, unter den bereits genannten Prämissen der Multiperspektivität und Transnationalität sowie der inklusiven, vielfältigen Zugänge analoges und digitales Lernen auf innovative Weise zu verknüpfen und jungen Menschen zu ermöglichen, Erinnerungskultur aktiv und digital zu gestalten.

Das Programm »Jugend erinnert international« der Stiftung Erinnerung Verantwortung und Zukunft (EVZ)

Seit ihrer Gründung vor 20 Jahren setzt sich die Stiftung Erinnerung Verantwortung und Zukunft (EVZ) für Überlebende nationalsozialistischer Verfolgung und insbesondere ehemalige NS-Zwangsarbeiter ein. Sie ermöglicht den grenzüberschreitenden und generationenübergreifenden Dialog über prägende Ereignisse der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert, um die Geschichte der NS-Verfolgung und -Vernichtung in ihrer ganzen Bandbreite in der deutschen und europäischen Erinnerungskultur zur verankern. So fördert die Stiftung Projekte zur Menschenrechtsbildung in Verbindung mit historischem Lernen, engagiert sich in Deutschland und Mittel- und Osteuropa gegen Antisemitismus und Antiziganismus sowie für die Anliegen von Minderheiten, und bringt die exemplarische Aufarbeitung von Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts in den internationalen Erfahrungsaustausch ein. Sie beteiligt sich damit aktiv an der Ausgestaltung einer Erinnerungskultur auch für die deutsche Migrationsgesellschaft.

Das Förderprogramm Jugend erinnert international, das die Stiftung EVZ als Teil des Bundesprogramms Jugend erinnert mit Mitteln des Auswärtigen Amtes umsetzt, steht in vielerlei Hinsicht exemplarisch für diese Förder- und Handlungsansätze. Erodierendes Faktenwissen über die Geschichte des »Dritten Reiches« und der Shoah[4] sowie der in den letzten Jahren wieder erstarkende Antisemitismus belegen eindrücklich die Notwendigkeit, Gedenkstätten und Bildungseinrichtungen bei der Erinnerung an das NS-Unrecht zu unterstützen und mehr jungen Menschen die direkte, aktive Auseinandersetzung mit Geschichte zu ermöglichen.

Das Programm »Jugend erinnert international« verfolgt diese Zielsetzungen mit einem dreifachen Ansatz: Angesiedelt an der Schnittstelle von internationaler Jugendarbeit, historisch-politischer Bildung und Gedenkstättenarbeit werden zum einen (Modell-)Projekte internationaler Jugendbegegnungen gefördert, die sich in exemplarischer Weise mit den Rahmenbedingungen und Inhalten der Vermittlung von Geschichte sowie den Möglichkeiten und Grenzen transnationalen Lernens an historischen Orten der NS-Verfolgung und -Vernichtung befassen und in diesem Feld zukunftsweisende Konzepte und Formate erproben. Die Relevanz von Geschichte und Geschichtsbewusstsein und der Bezug zur Lebenswelt junger Menschen nimmt in diesen Projekten eine zentrale Rolle ein.

Die Bildungswirkungen internationaler Jugendbegegnungen sind vielfach untersucht worden. Sie vermitteln den Teilnehmenden interkulturelle Kompetenzen, fördern Empathie, Dialogfähigkeit sowie die Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Damit schaffen sie zum einen die wesentlichen Voraussetzungen für gelingendes transnationales Lernen, vermitteln zum anderen aber auch genau die Fähigkeiten, die für junge Menschen in der heutigen heterogenen und zunehmend global vernetzten Gesellschaft unerlässlich sind. Über die unmittelbaren individuellen Bildungswirkungen für die Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmenden hinaus stärken internationale Jugendbegegnungen soziale Teilhabe und gesellschaftliches Engagement und sind damit ein wichtiger Bildungsort.[5]

Internationale Begegnungen an historischen Orten nationalsozialistischer Verfolgung ermöglichen somit in spezifischer und nachhaltiger Weise historisches, interkulturelles und gegenwartsbezogenes Lernen. Zugleich stellen sie für die durchführenden Fachkräfte erhebliche Herausforderungen dar. Daher fördert das Programm »Jugend erinnert international« auch Projekte des internationalen Fachaustauschs, die auf die Stärkung pädagogisch-didaktischer Kompetenzen und Methoden zur Vermittlung von Faktenwissen über Ursachen, Entwicklungen und Dimensionen nationalsozialistischer Verbrechen ebenso wie zur Auseinandersetzung mit Abwertung, Ausgrenzung bis hin zur Entmenschlichung bestimmter Gruppen in Vergangenheit und Gegenwart abzielen. So sollen insbesondere Lehrkräfte unterstützt und qualifiziert werden, im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit und in Kooperation mit außerschulischen Partnern wie Gedenkstätten den »Lernort Austausch« in der historisch-politischen Bildung verstärkt zu nutzen. Die Diskussion unterschiedlicher Ansätze der Holocaust Education in den verschiedenen beteiligten Ländern sind ebenso Inhalt der geförderten Projekte wie die Weiterentwicklung der Angebote der beteiligten Gedenkstätten und damit die Erschließung historischer Orte insbesondere in Mittel- und Osteuropa für die historisch-politische Bildung und die internationale Jugendarbeit. So entstehen modellhaft innovative Methoden und Formate der politisch-historischen Bildung in internationalen Kontexten mit niedrigschwelligen, diskriminierungsarmen und lebensweltlichen Ansätzen. In diesem Zusammenhang werden auch Partizipation und Zugangsgerechtigkeit als zentrale Herausforderungen in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft adressiert.

Im Kontext der Lebensweltbezüge junger Menschen spielen digitale Räume und soziale Netzwerke heute eine große Rolle. Die Gestaltung vielfältiger Zugänge für heterogene Zielgruppen muss daher in einer zeitgemäßen historisch-politischen Bildung digitale Konzepte und Formate miteinschließen. Im Rahmen des Programms entstehen Blended Learning-Konzepte für internationalen Austausch, virtuelle Angebote für konkrete Gedenkorte, (Prototypen von) Serious Games sowie Apps und Tools, die digitale Methoden mit der Authentizität von Orten und historischen Erfahrungen verbinden. Die entstehenden Anwendungen bieten niedrigschwellige und individuelle, teils spielerische sowie kreative Zugänge zum Thema NS-Geschichte und Holocaust. Auch dabei sind Partizipation und Zielgruppenorientierung die Leitlinien des Programms. So stärkt die Stiftung EVZ Lösungsansätze zu Bildungsherausforderungen im digitalen Zeitalter und ermöglicht die Implementierung, Erprobung, Evaluation und Weiterentwicklung digitaler Formate einer Kultur der Erinnerung in einem europäischen Maßstab.

Durch das Ineinandergreifen der drei Förderlinien »Internationale Jugendbegegnungen«, »Internationaler Fachaustausch« und »Digitale Formate« entstehen ideale Voraussetzungen für die Breitenwirkung exemplarischer Modellprojekte, nachnutzbarer Konzepte und Formate sowie Meta-Tools, die idealerweise in verschiedenen Kontexten und an unterschiedlichen historischen Orten der NS-Geschichte zum Einsatz kommen können.

Die Bedeutung historischer Orte in der historisch-politischen Bildung

Auch wenn die »Authentizität« von Gedenkstätten und Museen zurecht stark diskutiert wird[6], gewinnen die historischen Orte der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung nach dem Tod der letzten Überlebenden als physische Zeugnisse des Geschehenen nochmals an Bedeutung. Der Auseinandersetzung mit dem Ort »als dritten Pädagogen« kommt eine wichtige Rolle im Bildungsprozess zu – einerseits durch die vielfach erfolgte Nach- und Umnutzung sowie Überformung, die im Rahmen der Bildungsarbeit offengelegt werden muss, aber auch im Kontext der Multiperspektivität: So beschäftigen sich die geförderten Projekte mit einer großen Vielfalt historischer Orte in Deutschland wie im Ausland, insbesondere solchen, die in der deutschen bzw. (west-)europäischen Öffentlichkeit bisher weitgehend unbekannt und oft nur ansatzweise erschlossen sind. Dazu gehören Konzentrations- und Vernichtungslager, Sammel- und Deportations-, Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeitslager, Stätten der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde, jüdische Gettos, Stätten von Massenerschießungen, etc.

Die Geschichte dieser Orte ist für das Verständnis der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik unerlässlich, ohne sie bleiben das Bild und das Verständnis von der Ausgrenzung, Entrechtung und Ermordung der europäischen Juden, Sinti und Roma, von Zwangsarbeiterinnen und Kriegsgefangenen, Partisaninnen und Widerstandskämpfern, aber auch der (slawischen) Zivilbevölkerung beispielsweise auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und ihrer heutigen Nachfolgestaaten unvollständig.[7] So leistet das Programm einen wertvollen Beitrag, um insbesondere kleinere, weniger bekannte Gedenkstätten im In- und Ausland überhaupt erst für die internationale Jugendarbeit zu erschließen, zugleich ermöglicht und befördert es die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Verfolgtengruppen des Nationalsozialismus. Denn während zu den deutschen Gedenkstätten auch zahlreiche Täterorte gehören, an denen Planung und Organisation des nationalsozialistischen Massenmordes dokumentiert sind, befinden sich die Orte, an denen ebenjene Planung und Organisation umgesetzt wurde und ihre mörderischen Konsequenzen zeigte, überwiegend außerhalb Deutschlands, zumeist in Mittel- und Osteuropa und hier überwiegend in Polen, Belarus und der Ukraine. Sie lagen somit jahrzehntelang unzugänglich hinter dem Eisernen Vorhang. Diese Orte versinnbildlichen den deutschen Vernichtungskrieg im Osten, zugleich bieten sie aber die Möglichkeit, tradierte Narrative der (widerstandslosen) Vernichtung aufzubrechen und um Narrative des Widerstands und des Überlebens zu erweitern.

Die vergessenen Orte des Holocaust

So wurden – bei einer wesentlich geringeren Anzahl von Überlebenden – in den Vernichtungslagern der Aktion Reinhardt (Sobibór, Bełżec und Treblinka) zwischen Dezember 1941 und November 1943 mehr Menschen ermordet als im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das geradezu sinnbildlich für den industriellen Massenmord steht. Zugleich sind die Aufstände von Treblinka (2. August 1943) und Sobibór (14. Oktober 1943) nahezu unbekannt. Kaum präsent in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland sind zudem die zahlreichen Orte von Massenerschießungen etwa auf dem Gebiet der Ukraine und Belarus. Vor diesem Hintergrund stellen Mittel- und Osteuropa mit den deutschen Nachbarländern Polen und Tschechien sowie insbesondere Belarus im Förderprogramm »Jugend erinnert international« einen geografischen Schwerpunkt dar. Beispielhaft dafür steht die Vernichtungsstätte Malyj Trostenez bei Minsk in Belarus, wo von 1942 bis 1944 zwischen 40 000 und 60 000 Menschen ermordet wurden, die meisten von ihnen deutsche, österreichische und tschechische Jüdinnen und Juden, sowjetische Kriegsgefangene sowie Angehörige der belarusischen Zivilbevölkerung, die als Partisanen verdächtigt wurden. In Malyj Trostenez arbeiten Studierende aus Deutschland, Österreich und Belarus gemeinsam Verfolgten- und Täterbiografien auf und stellen über die biografischen Bezüge Verbindungen zwischen ihren jeweiligen Heimatländern und Wohnorten und der Gedenkstätte her. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden in die neue Dauerausstellung der Geschichtswerkstatt Minsk des IBB Minsk »Johannes Rau« einfließen. Mit Podcasts und Public History Events wird an den Ausgangsorten und am Zielort der Deportationen der Ermordeten gedacht. So bringen junge Menschen den Vernichtungsort Malyj Trostenez in Deutschland und Österreich ins öffentliche Bewusstsein; zugleich leisten sie einen Beitrag für die Entwicklung zeitgemäßer, interaktiver und jugendgerechter Gedenkformen. In einem zweiten deutsch-österreichisch-belarusischen Kooperationsprojekt entsteht ein multimedialer virtueller Rundgang durch die heutige Gedenkanlage. So können sich vor allem Jugendliche die Gedenkstätte eigenständig erschließen, die damit langfristig für die Bildungsarbeit auch mit internationalen Gruppen sowie im digitalen Raum zugänglich gemacht wird.

In Deutschland ebenfalls kaum bekannt ist das Partisanen-Lager der Bielski-Brüder im Naliboki-Wald bei Novogrudok, eines der größten jüdischen Partisanen-Lager während des Zweiten Weltkriegs – über 1000 Männer, Frauen und Kinder überlebten hier den Krieg und entkamen dem Holocaust. Eine deutsch-belgisch-belarusische Kooperation von Gedenkstätten, Museen und zivilgesellschaftlichen Partnern erprobt das performative, interdisziplinäre Konzept eines »Living Memorial« (»Lebendigen Denkmals«) an zwei ganz unterschiedlichen historischen Orten: Während das Haus der Wannseekonferenz in Berlin als gut dokumentierter und erforschter, biografisch und institutionell aufgearbeiteter Täterort beschrieben werden kann, handelt es sich bei Überresten des Partisanen-Lagers im Naliboki-Wald bei Novogrudok um einen bisher kaum markierten und erschlossenen, teilweise nur schwer zugänglichen Verfolgtenort. Dennoch stehen die beiden Orte in einer direkten, geradezu komplementären, bisher aber kaum dargestellten Verbindung – war und ist doch das Narrativ des jüdischen Widerstands und Überlebens bisher weder in der deutschen noch in der sowjetischen bzw. heute belarusischen Erinnerungskultur verankert.

Vergessene Orte des Holocaust liegen freilich auch in Westeuropa: Ein Beispiel dafür ist das Camp de Royallieu in Compiègne, eines der größten Sammel- und Durchgangslager in Frankreich, das direkt dem SS-Sicherheitsdienst unterstellt war. Schätzungsweise 40 000 Menschen wurden von Royallieu zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich oder in die Vernichtungslager deportiert. Erst 2008 wurden am Ort des Lagers ein Denkmal eingeweiht und eine Gedenkstätte eröffnet, die nun mit zwei anderen Gedenkstätten im Themenbereich der NS-Zwangsarbeit, der KZ-Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge in Halberstadt und dem Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin, kooperiert. In drei Workshops erarbeiten Lehrkräfte von weiterführenden Schulen und Fachkräfte der außerschulischen Jugendarbeit aus Deutschland und Frankreich gemeinsam Ansätze und Materialien für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen im Alter von 13 bis 18 Jahren. Dabei kommen speziell auf die Zielgruppe ausgerichtete Formate und Methoden wie etwa Podcasts zum Einsatz. Das Programm leistet hier also einen Beitrag zur dauerhaften, nachhaltigen Weiterentwicklung des pädagogischen Angebots der beteiligten Gedenkstätten. Zudem werden langfristige institutionelle Kooperationen angestrebt, die in ein europäisches Netzwerk von NS-Gedenkstätten im Bereich Zwangsarbeit münden sollen.

Europäische Erinnerungskultur(en)

Grundsätzlich stehen bei der Qualifizierung von Fachkräften neben der Erweiterung des fachlichen und pädagogisch-didaktischen Wissens auch die Diskussion und Hinterfragung unterschiedlicher erinnerungskulturell tradierter Narrative im Mittelpunkt. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ist in Deutschland und vielen Ländern Europas fragmentiert und weiterhin umstritten.

An die länderspezifischen, oftmals überaus komplexen historischen und soziokulturellen Zusammenhänge knüpfen gegensätzliche Erinnerungsnarrative an, die unterschiedlichen Interessen folgen und immer wieder politisch instrumentalisiert werden. Vor diesem Hintergrund fühlt sich die Stiftung EVZ einer multiperspektivischen europäischen Erinnerungskultur verpflichtet, die unterschiedlichen Perspektiven Raum bietet. Gerade in heterogener werdenden Gesellschaften liegt in der Multiperspektivität eine große Chance, die gesellschaftskritische Funktion von Erinnerungskultur zu stärken. Damit Multiperspektivität nicht zu Geschichtsfälschungen führt, bedarf es Erinnerungskulturen, die sich auf gemeinsamen Werten gründen: Sie vergegenwärtigen historische Kontinuitäten, berücksichtigen kritisch alle verfügbaren historischen Quellen und setzen sich argumentativ und an der Wahrheit ausgerichtet mit verschiedenen Erinnerungsnarrativen auseinander.

Dem geht das Projekt »Cultures of Remembrance« nach, das sich ganz dezidiert mit den unterschiedlichen, oft gegensätzlichen und vielfach zeitgenössisch instrumentalisierten Narrativen zum Zweiten Weltkrieg und der Shoah in Deutschland, Belarus, Russland und der Ukraine auseinandersetzt und junge Aktivistinnen und Bildner zum Umgang mit diesen Themen bei internationalen Jugendbegegnungen schult. Hierbei wird letztendlich auch die Verfasstheit europäischer Erinnerungskultur(en) verhandelt. Indem es geschützte Diskussionsräume auch für potenziell konfliktträchtige Themen öffnet, leistet das Programm zugleich einen Beitrag zur Völkerverständigung und ermöglicht es, auch in Zeiten politischer Spannungen im Dialog zu bleiben.

Inklusive Bildungsansätze mit Gegenwarts- und Lebensweltbezug

Erstaunlich viele Jugendaustauschprojekte im Programm »Jugend erinnert international« befassen sich mit der Frage nach der Zukunft des Gedenkens, nehmen neue Medien und Rituale, Zweitzeugenschaft und Folgegenerationen in den Blick: Das beweist, dass diese Frage junge Menschen bewegt und dass sie sich mit Vergangenheit auseinandersetzen wollen, aber auch, dass sie sich unter Umständen in den etablierten Ritualen und Praktiken der zeitgenössischen Gedenkkultur nicht uneingeschränkt wiederfinden. Auch daran zeigt sich, dass das Erinnern heute im tiefgreifenden Wandel begriffen ist. Mit dem Ableben der Zeitzeugen-Generation, mit dem Übergang vom kollektiven zum kulturellen Gedächtnis müssen neue Tradierungsformen gefunden werden, muss sich auch die Praxis des Gedenkens und der Rituale verändern. Zugleich eröffnen sich in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft neue Perspektiven auf Vergangenheit und Aufarbeitung und wird das Erinnern vielstimmiger.

Angesichts dieser Entwicklungen muss die historisch-politische Bildung heute zielgruppenorientierte und zielgruppenspezifische Zugänge schaffen, um insbesondere junge Menschen unabhängig von ihrem jeweiligen familiären, kulturellen, sozioökonomischen oder Bildungshintergrund zu erreichen. Die Angebote von Museen, Gedenkstätten, Bildungseinrichtungen und Trägern der internationalen Jugendarbeit müssen also anschlussfähig für die Lebens- und Erfahrungswelten junger Menschen heute sein. Hier ist der Anspruch an die pädagogischen Fachkräfte, den jungen Menschen respektvoll und auf Augenhöhe zu begegnen und sie gleichberechtigt und partnerschaftlich in der Gestaltung individueller Lernprozesse Verantwortung übernehmen zu lassen.

Bewährt haben sich dabei partizipativ gestaltete, aktivierende Konzepte und Peer-Group-Lernsettings. Ein solches Beispiel bietet das Projekt »Pieces of Memory – Children in the Shoah and Us« des Gedenkstättenverbunds Gäu-Neckar-Alb mit dem Ghetto Fighters’ House, nördlich von Haifa gelegen. Beide Einrichtungen arbeiten mit Jugendguides, die mit einer entsprechenden Qualifizierung und Begleitung Führungen und Bildungsangebote insbesondere für Gleichaltrige durchführen. Auch das Begegnungsprojekt folgt Peer-to-Peer-Ansätzen, indem sich Jugendguides aus Deutschland und Israel über ihre Arbeit austauschen und gegenseitig weiterbilden. Der Ansatz der Jugendguides verbindet also historisch-politische Bildung vor Ort mit Engagement für das Gemeinwesen und partizipativer Mitgestaltung von Erinnerungskultur und könnte als solcher beispielhaft für andere Museen und Gedenkstätten sein.

Ausgeprägte Gegenwartsbezüge zeichnen das Projekt »Past2Present4Future«, eine multilaterale Kooperation zwischen Deutschland, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien aus. Forschendes Lernen zur und die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs sind in diesem Projekt aufs Engste verknüpft mit der Frage nach der heutigen Relevanz, Interpretation und Instrumentalisierung von Geschichte und Erinnerung. Das Projekt nimmt also bewusst auf aktuelle (geschichts-)politische Konflikte und Kontroversen in und zwischen den beteiligten Ländern Bezug. Im Rahmen des Projekts setzen die jungen Menschen sich mit der (ausgebliebenen oder einseitigen) Aufarbeitung und Leerstellen in der Erinnerungskultur, aber auch Phänomenen wie Revisionismus und Geschichtsverfälschung auseinander.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten um Bildungsgerechtigkeit in Deutschland müssen sich auch Pädagoginnen und Lehrkräfte mit gesellschaftlicher Heterogenität und adäquaten Zugängen auseinandersetzen. Eine deutsch-israelische Kooperation zwischen der Gedenkstätte Dachau und dem Center for Humanistic Education des Ghetto Fighters’ House befasst sich mit genau dieser Frage im Kontext von Geschichtsunterricht und Gedenkstättenbesuchen. Die beteiligten Lehrkräfte können ihre eigenen Erfahrungen und Fragestellungen, etwa zum Umgang mit Hate Speech, Rassismus und Antisemitismus an Schulen, direkt einbringen und diskutieren. Besonderer Wert wurde in der Projektkonzeption auf eine diverse Teilnehmendengruppe gelegt, die die Heterogenität heutiger Schülerschaften so weit als möglich widerspiegelt. Die entstehenden Methoden, Handreichungen und Leitlinien sind für internationale Gedenkstättenfahrten und Begegnungen genauso nutzbar wie im Kontext mononationaler Gedenkstättenfahrten und des Geschichts- und Politikunterrichts.

Digitale Erinnerungskultur – Digitale Jugendarbeit

Digitaler Wandel heißt gesellschaftlicher Wandel und stellt neue Ansprüche an die historisch-politische Bildung. Erinnern und Gedenken werden künftig noch stärker durch digitale Formate geprägt sein. Auch mediale Gewohnheiten in Lernzusammenhängen verändern sich. Zielgruppenorientierte, niedrigschwellige Bildungsangebote mit lebensweltlichen Bezügen insbesondere für junge Menschen müssen den digitalen Raum und soziale Netzwerke einbeziehen. Angesichts der Tatsache, dass Verschwörungstheorien, Holocaust-Leugnung und -Verfälschung zunehmend im Internet stattfinden, muss historisch-politische Bildung heutzutage immer auch Medienbildung sein.

Eine gelingende Digitalisierung der historisch-politischen Bildung stößt dabei auf unterschiedlichen Ebenen auf Herausforderungen[8]: So müssen Gedenkstätten, Museen und Bildungseinrichtungen über entsprechende virtuelle Tools, Anwendungen, Instrumente und selbstverständlich die dafür notwendige Technik und Hardware verfügen. Entwicklungsaufwand und Folgekosten derartiger Anwendungen sind aufgrund fortlaufender technischer Weiterentwicklung beachtlich. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Akteuren aus dem Bildungs- und dem Civic-Tech-Bereich ist vielerorts noch ausbaufähig.

Die Verfügbarkeit digitaler Instrumente allein sichert aber noch keine zeitgemäße historisch-politische Bildung, vielmehr müssen die Fachkräfte der schulischen und außerschulischen Bildung, der Museums- und Gedenkstättenarbeit für deren Anwendung entsprechend qualifiziert sein. Und nicht zuletzt müssen einzelne digitale Tools und Anwendungen zu sinnvollen pädagogischen Konzepten zusammengeführt werden, wenn sie etwa im Rahmen eines Gedenkstättenbesuches oder einer internationalen Begegnung zum Einsatz kommen sollen. Hierzu braucht es die Entwicklung und Erprobung im Rahmen vom Modellprojekten.

Auch im Kontext der Digitalisierung setzt das Förderprogramm »Jugend erinnert international« auf allen genannten Ebenen an. Im Verbund der drei Förderlinien werden alle drei Bereiche der Entwicklung, Qualifizierung und Erprobung gleichermaßen abgedeckt und können insbesondere durch die enge Begleitung und den fortlaufenden Austausch der geförderten Projekte umfassende Synergien entwickeln. Gerade mit Blick auf die langfristige Etablierung digitaler Angebote für die Bildungs- und Gedenkarbeit gilt es, einerseits Diskussionsräume zu schaffen für den Erfahrungsaustausch, andererseits Meta-Tools zu entwickeln und zu erproben, die an unterschiedlichen historischen Orten und in unterschiedlichen Kontexten zum Einsatz kommen können. Das wird in der Förderlinie »Digitale Formate« umgesetzt, wo mehrere derartige Meta-Tools entstehen: So wird die bereits bekannte und gut genutzte berlinHistory-App um eine Meta-Anwendung zur kollaborativen Entwicklung virtueller Rundgänge erweitert. Damit können Nutzerinnen der App an historischen Orten eigene Touren und Rundgänge erstellen, die anschließend anderen Nutzern zur Verfügung stehen. Als Erweiterung der bereits bestehenden und ausgezeichneten Ester-Bildungsplattform wiederum wird ein Tool zur Erstellung von Graphic Novels entwickelt. Dieses kann in der Bildungsarbeit mit Jugendlichen zum Einsatz kommen und erlaubt insbesondere die explorative (familien-)biographische und lokalhistorische Arbeit zur NS-Geschichte – und das prinzipiell an jedem beliebigen Ort in Europa. Das Format der Graphic Novel bietet zudem einen besonders niedrigschwelligen, da sprachreduzierten und emotional-kreativen Zugang zu historischem Wissen.

Einen weiteren interessanten Zugang wählt die Akademie Klausenhof, die modellhaft das Konzept einer rein digitalen Jugendbegegnung erprobt, die sich intensiv mit Gaming und Gaming Communities auseinandersetzt. Angesichts der Tatsache, dass über die Hälfte der Nutzerenden von Videogames Erwachsene sind[9], bietet dieses Projekt insbesondere spannende Transfermöglichkeiten zur Erwachsenenbildung.

Alle diese Beispiele zeigen deutlich, dass digitale Angebote im Kontext der historisch-politischen Bildung wie auch im Kontext der internationalen Jugendarbeit nicht als »Notlösung« für Pandemien und andere Katastrophenfälle, auch nicht als »kleineres Übel« oder »minderer Ersatz« für traditionelle Angebote gesehen werden dürfen.[10] Vielmehr gilt es, die bestehenden Ansätze und Formate von Gedenkstätten und Museen auf sinnvolle Weise zu ergänzen und zu erweitern und auch darüber neue Zielgruppen zu erreichen.

Auch wenn der (fehlende) Zugang zu digitaler Infrastruktur potenziell neue Zugangshürden schaffen kann, sind Angebote im digitalen Raum zunächst dazu prädestiniert, bestehende Zugangshürden – etwa finanzielle oder geografische – zu senken. Im Kontext der internationalen Jugendarbeit bietet das Digitale somit eine Möglichkeit, bisher im Austausch unterrepräsentierte Zielgruppen zu erreichen.[11] Auch bietet das Digitale womöglich Antworten auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit, nämlich die Herausforderung, vor dem Hintergrund des Klimawandels Konzepte für nachhaltiges, klimabewusstes Reisen und Begegnen zu entwickeln. Und schlussendlich ist das Phänomen geschlossener Grenzen keineswegs nur an eine weltweite Pandemie-Lage gebunden, die im Jahr 2020 nahezu die gesamte internationale Jugendarbeit zum Erliegen gebracht hat. In Zeiten innen- und außenpolitischer Konflikte, wie sie zuletzt etwa in der Ukraine, in Belarus, aber auch in Israel zu beobachten waren, gilt es umso mehr, zivilgesellschaftliche und persönliche Kontakte zu ermöglichen und aufrechtzuerhalten. Hier können digitale Kontakte helfen, zeitliche und räumliche Brücken zu bauen.

Große Herausforderungen, aber auch große Chancen liegen aktuell im Feld der hybriden oder Blended-Formate. Das gilt noch einmal in besonderer Weise für die Gedenkstättenarbeit, in deren pädagogischen Konzepten konkrete historische Orte eine herausragende Rolle spielen. Die sinnvolle, kreative Verbindung von »online« und »offline«, von »digital« und »stationär«, »virtuell« und »real« birgt enormes Potenzial für die an pädagogischen Zielsetzungen orientierte Weiterentwicklung erprobter und bewährter Konzepte auch in der internationalen Jugendarbeit: So können etwa Jugendbegegnungen partizipativer gestaltet werden, wenn die Teilnehmenden in den verschiedenen Ländern kontinuierlich in die Planung und Organisation einbezogen sind und auch den Themenzuschnitt mitbestimmen können. Gedenkstätten können Projekttage oder Seminare mit (internationalen) Jugendgruppen länger und intensiver vor- und nachbereiten oder im Rahmen des Geschichtsunterrichts an Schulen enger mit Lehrkräften kooperieren. Durch die zeitgleiche oder zeitlich getaktete Verbindung von Online-Aktivitäten mit Vor-Ort-Treffen lokaler, nationaler oder regionaler Gruppen können die Aspekte der persönlichen Begegnung, die einen unersetzbaren Bestandteil der Lernprozesse im internationalen Austausch darstellen, trotzdem erfahrbar und wirksam werden. Voraussetzung dafür ist einerseits die bedarfsorientierte Begleitung der Projekte durch die Förderinstitutionen, um den geförderten Trägern ergebnisoffene Experimentierräume zu öffnen, damit diese auch aus Fehlern oder Misserfolgen lernen und Erfahrungswissen aufbauen können. Zweitens braucht es eine ausreichende Personalausstattung, denn den finanziellen Einsparungen durch den Wegfall von Reise- oder Unterkunftskosten bei digitalen Begegnungen oder Seminaren stehen erheblich höhere Personalkosten gegenüber.

Die Coronakrise hat nicht zuletzt deutlich gemacht, welche Bedeutung Schule und außerschulische Jugendarbeit über die Wissens- und Kompetenzvermittlung hinaus als sozialer Räume haben. Eine wesentliche Herausforderung bei der Entwicklung digitaler und hybrider Bildungsangebote ist es somit, Konzepte für die Beziehungsarbeit im virtuellen Raum zu entwickeln. Internationale Austauschprojekte, die zu einem erheblichen Teil auf informellen und nonformalen Bildungsprozessen aufbauen, können hierfür exemplarisch sein.

Fazit: Eine zeitgemäße historisch-politische Bildung und eine gelebte europäische Erinnerungskultur brauchen internationalen Austausch

Eine zeitgemäße historisch-politische Bildung muss auf vielfältige Herausforderungen Antworten finden. Deutschland bleibt in der Verantwortung, die Erinnerung an die mannigfaltigen Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus wachzuhalten und deren Aufarbeitung fortzuführen.[12] Insbesondere mit Blick auf die Vermittlung braucht es dabei interdisziplinäre und internationale Kooperationen – zwischen Museen und Gedenkstätten, Bildungseinrichtungen und wissenschaftlichen Institutionen. Zugleich gilt es, die geschichtsbewusste Gestaltungsbereitschaft junger Menschen zu fördern, damit diese zu aktiven Trägerinnen und Träger einer europäischen Erinnerungskultur werden können. Dazu kann das Programm »Jugend erinnert international« einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leisten – insbesondere wenn es gelingt, für die durchgeführten Modellprojekte Multiplikation und Verstetigung im Feld zu erreichen.

 

Saskia Herklotz ist Zeithistorikerin, Kulturmanagerin und Übersetzerin mit langjähriger Erfahrung in der internationalen Bildungs- und Vermittlungsarbeit. Sie koordiniert das Förderprogramm Jugend erinnert international der Stiftung EVZ.

Helge Theil ist Public Historian und Kulturanthropologe mit einem besonderen Fokus auf digitaler Erinnerungskultur. Er koordiniert das Förderprogramm Jugend erinnert international der Stiftung EVZ.

 

[1]    Als jüngste Beispiele seien hier nur die Kontroverse um den Brexit oder die USA unter Trump genannt; auch die deutschen Debatten um die AfD gehören in diese Kategorie.

[2]    Dies gilt etwa für humanitäre Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter seit 2001 sowie die symbolische Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener seit 2015; vgl. Tanja Penter: Späte Entschädigung für die Opfer einer kalkulierten Vernichtungsstrategie, https://zeitgeschichte-online.de/themen/spaete-entschaedigung-fuer-die-opfer-einer-kalkulierten-vernichtungsstrategie (18. 6. 2021).

[3]    Vgl. bspw. www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrends (18. 6. 2021).

[4]    Hinweise darauf geben u.a. die seit 2017 durchgeführten MEMO-Studien, siehe https: www.stiftung-evz.de/handlungsfelder/auseinandersetzung-mit-der-geschichte/memo-studie (30. 6. 2021).

[5]    Siehe stellvertretend für das Programm ERASMUS+Jugend in Aktion: »Wie wirkt Erasmus+Jugend in Aktion«, www.jugendfuereuropa.de/ueber-jfe/publikationen/wie-wirkt-erasmus-jugend-in-aktion.3964 (30. 6. 2021); »Sektorspezifischer Evaluationsbericht für JUGEND IN AKTION im Erasmus+Programm«, www.jugendfuereuropa.de/ueber-jfe/publikationen/sektorspezifischer-evaluationsbericht-fuer-jugend-in-aktion-im-erasmus-programm.3904 (angerufen am 30. 6. 2021), vgl. zuletzt ausführlich: IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V./Forschung und Praxis im Dialog – Internationale Jugendarbeit (Hg.): Internationaler Jugendaustausch wirkt. Forschungsergebnisse und Analysen im Überblick, Bonn 2021.

[6]    Zum Begriff der »Authentizität« im Kontext Gedenkstätten an historischen Orten und damit verbundenen Zuschreibungen siehe beispielsweise Andrea Genest: Authentizität als Kapital historischer Orte, ein Tagungsbericht, in: GedenkstättenRundbrief 186, S. 34–41.

[7]    Vgl. hierzu eindrücklich die Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2021/06/210618-D-Russ-Museum.pdf?__blob=publicationFile (30. 6. 2021).

[8]    Zum aktuellen Stand und den bestehenden Bedarfen vgl. Sven Hilbrandt: Wahrnehmbarkeit, Fortbildung, Vernetzung. Die Ergebnisse der Digitalisierungsumfrage des Gedenkstättenreferats der Topographie des Terrors, in: GedenkstättenRundbrief 199, S. 22-31.

[9]    In Deutschland waren 2021 rund 13 Millionen (38 %) Nutzer von PC- und Videospielen jünger als 29 Jahre, rund 21,3 Millionen (62 %) waren 30 Jahre und älter. Der Altersdurchschnitt von Computerspielern ist seit 2013 kontinuierlich gestiegen. Vgl. Jahresreport der deutschen Games-Branche 2020, S. 9-10. www.game.de/wp-content/uploads/2020/08/game-Jahresreport-2020.pdf (23. 6. 2021). Allerdings ist der Anteil der Computerspieler in jüngeren Altersgruppen prozentual höher, so spielen in der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen 75 % Video- oder Computerspiele.

Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/315924/umfrage/anteil-der-computerspieler-in-deutschland-nach-alter (23. 6. 2021).

[10]  Vgl. dazu beispielsweise Politische Bildung in »Corona-Zeiten« und danach – Probleme und Perspektiven. Stellungnahme des Arbeitskreises Außerschulische politische Jugendbildung und politische Erwachsenenbildung (AJEB) der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE), https://transfer-politische-bildung.de/fileadmin/user_upload/Empfehlungen/GPJE_AJEB_Stellungnahme_Corona_-1-1.pdf, S. 2 (7. 6. 2021).

[11]  Zu unterrepräsentierten, wenig erreichten Zielgruppen der internationalen Jugendarbeit siehe ausführlich »Warum nicht? Studie zum internationalen Jugendaustausch: Zugänge und Barrieren«, www.zugangsstudie.de (7. 6. 2021).

[12]  Einen guten Überblick über die internationale Holocaust-Forschung, bestehende Forschungs- bzw. Rezeptionslücken und »blinde Flecken« der Erinnerung gibt das Online-Gespräch »NS-Verbrechen in Osteuropa. Wo stehen Forschung und Erinnerung heute?« der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen am 22. Juni 2021. Ein Mitschnitt der Veranstaltung ist unter www.youtube.com/watch?v=ceQGtfHPNkY abrufbar (30. 6. 2021).