Bereits vor acht Jahren untersuchte Stefanie Rauch in ihrem Beitrag im GedenkstättenRundbrief »Verankerung von Gedenkstättenbesuchen im Unterricht« (Rundbrief 134/2006) die Gestaltung der Lehrpläne hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunktsetzung im Lernbereich der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen (NSG) im Fach Geschichte. Sie kam dabei zu zum Teil sehr unbefriedigenden Ergebnissen. So resümiert Rauch beispielsweise, dass bestimmte Opfergruppen innerhalb des Geschichtsunterrichts keine Erwähnung fänden. Auch die Beschäftigung mit der deutschen Tätergruppe spiele de facto keine Rolle. »Täter …«, so schrieb sie 2006, »… scheint es neben einer unspezifischen Masse an Mitläufern, Mitwissern, und Eingeschüchterten nicht gegeben zu haben.«[1] Dagegen fände der deutsche Widerstand eine Beachtung, die in keinem Verhältnis zu seiner historischen Rolle stünde.
Ähnlich ungenügend stellt Rauch die Verankerung von Gedenkstättenbesuchen im Rahmen des Geschichtsunterrichts dar. In nur wenigen Lehrplänen sei ein Besuch vorgeschrieben. Wenn sie dann als Bestandteil des Unterrichts aufgeführt bzw. empfohlen würden, fehle eine methodische Erläuterung, die den Besuch einer Gedenkstätte für den Lernprozess produktiv nutzbar machen könne.
Nach acht Jahren erscheint es als angebracht, diese Ergebnisse zu überprüfen. Mit Stand März 2014 sind alle Lehrpläne der sechzehn Bundesländer im Fach Geschichte untersucht worden. Dabei diente der im Jahr 2006 erhobene Datensatz als Vergleichsgrundlage[2]. Die Betrachtung der Lehrpläne erfolgt im Folgenden, entsprechend des Vorbildes, hinsichtlich der Zielvorgaben, der Verwendung zentraler Begriffe, der Benennung unterschiedlicher Opfergruppe und der Darstellung von Tätern und Täterinnen. Der sensible Bereich des Widerstands spielt hier genauso eine Rolle, wie die regionalgeschichtliche Verankerung des Themas im Unterricht. Die Frage nach der Verankerung von Gedenkstättenbesuchen innerhalb der Lehrpläne schließt den kurzen Vergleich ab.
Eine Untersuchung der Lehrpläne hinsichtlich dieser Zielvorgaben erweist sich heute, dies ist vorab zu sagen, als problematisch. Die Ursache hierfür liegt vor allen Dingen in zwei Entwicklungen begründet. Zum einen wird die Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen immer mehr in sogenannten Längsschnitten behandelt. Eine Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus findet in manchen Klassenstufen nicht mehr als geschlossenes Themenfeld statt, sondern reiht sich ein in eine Kette historischer Ereignisse, die sich unter einem thematischen Schwerpunkt, z.B. Entwicklung der Menschenrechte oder Krieg in der Neuzeit, subsumieren lassen. Dem Schwerpunkt fremde Aspekte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen finden dabei keine Erwähnung. So reduziert sich der inhaltliche Umfang des Themas. Wesentliche Fragen und Inhalte fallen dabei weg.
Zum anderen macht aber eine zweite, viel problematischere Entwicklung eine Untersuchung hinsichtlich der genannten Kriterien schwierig. Viele Lehrpläne wenden sich von inhaltlichen Schwerpunkten zugunsten der Beschreibung weiterführender Kompetenzen ab. Die Lehrpläne stellen dabei nicht mehr allein die Themen des Unterrichts, also die reine Sachkompetenz, in den Vordergrund, sie verlangen von den Schülern, weiter führende Fähigkeiten zu entwickeln. So sollen sie anhand des Themas (Sachkompetenz) neue Möglichkeiten der Informationsgewinnung erschließen (Methodenkompetenz), in der Lage sein, anhand der Informationen ein Urteil zu bilden (Urteilskompetenz) sowie anhand der Inhalte Handlungsgrundsätze für sich und ihre Umwelt ableiten zu können (Handlungskompetenz). Dies führt dazu, dass aufgrund dieses neuen Fokus’ auf Unterricht weniger Zeit für Inhalte bleibt.
Eine weitere Beobachtung ist, dass auch innerhalb der Lehrpläne weniger Raum für konkrete Inhalte gelassen wird, sondern vielmehr ein weiterführender Kompetenzerwerb für den Unterricht beschrieben wird. Die reine Sachebene des Unterrichts soll eher dezentral bestimmt werden. So heißt es zum Beispiel im entsprechenden Lehrplan für die gymnasiale Oberstufe in Brandenburg: »Die konkrete Unterrichtsplanung erfolgt innerhalb des schulinternen Fachplans als Teil des schulinternen Curriculums.« Bundesweit wird dies jedoch noch recht unterschiedlich gehandhabt. Einige Lehrpläne gehen kaum oder gar nicht auf die zu behandelnden Inhalte ein und geben nur noch Hinweise auf Schwerpunkte im entsprechenden Schuljahr (z.B. Nordrhein-Westfalen), andere führen recht akribisch auf, mit was sich die Schüler auseinandersetzen müssen (z.B. Bayern oder Sachsen). Die Mehrzahl der Bundesländer bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Sie beschreiben viele Kompetenzziele, wobei der Bereich der Sachkompetenz nur wenig definiert wird.
Eine systematische und wirklich umfassende Betrachtung kann daher nur schwer durch die Analyse von Lehrplänen erfolgen. Hier muss eine Untersuchung an den Festlegungen der Fachkonferenzen der Schulen, wenn nicht gar am Unterricht selbst anknüpfen. Dennoch geben die Lehrpläne zumindest Hinweise auf aktuelle Tendenzen innerhalb des Themenbereiches Nationalsozialismus und NSG.
Schüler kommen im Geschichtsunterricht in ihrer überwiegenden Anzahl zum ersten Mal in der neunten Klasse mit den Geschehnissen zwischen 1933 und 1945 in Berührung. Dies scheint sich, das ergab bereits die Untersuchung von Rauch, als bundesweiter Standard etabliert zu haben. Nur Sachsen (ab Klasse acht), Baden-Württemberg und Hessen (ab Klasse zehn) machen hier eine Ausnahme. In höheren Klassenstufen setzen sich Schüler in jedem Fall ein zweites Mal mit dem Nationalsozialismus auseinander. Hier gibt es durchaus eine Varianz zwischen der 11. und der 12. Klassenstufe.
In den Lehrplänen finden sich nur wenige Lernziele und weiterführende Kompetenzen, die sich speziell aus der Beschäftigung mit Nationalsozialismus und NSG ableiten. Vorwiegend werden hier globale Ziele beschrieben, die für den gesamten Geschichtsunterricht gültig sind »Seine vordringliche Aufgabe ist die Entwicklung von Geschichtsbewusstsein als Grundlage von historischem Urteilsvermögen, von politischer Kritikfähigkeit und sozialer Verantwortung.« (Mecklenburg-Vorpommern)
Dennoch lassen sich Intentionen entdecken, die sich direkt aus den Verbrechen der Nationalsozialisten ableiten. Sie beziehen sich fast immer auf die mehr oder weniger beschriebene Verantwortung der heutigen Generation. Dabei tauchen die unspezifisch gehaltene »Verantwortung der Deutschen aus der Schoa« oder der Slogan »historische Verantwortung« als Transferleistungen am häufigsten auf. Nur wenige spezifizieren diese in Hinblick auf den Erhalt der Demokratie (Berlin, Brandenburg, Bayern, Bremen) oder das Engagement für Menschenrechte (Sachsen, Bayern). Den Bezug zum heutigen Rechtsextremismus stellen nur Niedersachsen und Sachsen-Anhalt her.
Dies bedeutet auch, im Vergleich zur Abhandlung von Rauch, dass das Thema Nationalsozialismus nicht mehr eine solche historische Bedeutung erhält, wie noch vor einigen Jahren. Wenn man beachtet, dass der Holocaust in nur wenigen Fällen explizit als singulär beschrieben wird, scheint dies nicht verwunderlich. Die nationalsozialistische Diktatur wird sogar in vier Bundesländern (Berlin, Bayern, Hamburg, Sachsen-Anhalt) mehr oder weniger anderen Diktaturen, dem Stalinismus oder allgemeinen Extremismus anbei gestellt.
Der Begriff Holocaust ist zentral in allen sechzehn Lehrplänen aufgeführt. Er wird nur selten durch Schoa ergänzt. Oftmals wird darüber hinaus von der systematischen Vernichtung der Juden (Bayern), von Judenverfolgung (Hamburg) oder Vernichtung der jüdischen Bevölkerung (Niedersachsen) gesprochen. In nicht mal der Hälfte aller Lehrpläne spielt der rassistische Antisemitismus als bestimmendes Moment der nationalsozialistischen Ideologie eine zentrale Rolle. Wenn er jedoch als zentraler Terminus benannt wird, steht er in einem direkten Zusammenhang mit dem Holocaustbegriff.
Diese Feststellung entspricht der von Rauch von vor etwa acht Jahren. Auffällig erscheint nur, dass der 2. Weltkrieg als militärisches Ereignis eine geringere Rolle spielt, als noch in der letzten Untersuchung beschrieben wurde. Kriegsgeschehnisse, wie die Schlacht um Stalingrad, werden scheinbar nicht mehr behandelt. Symbolträchtige historische Ereignisse oder Orte (Pogromnacht, Auschwitz, Wannsee-Konferenz, Nürnberg 1935) werden in nur wenigen Fällen als Schlagworte für die Begriffe Holocaust oder Schoa aufgeführt. Besonders auffällig ist darüber hinaus, dass zentrale Verbrechenskomplexe in den Lehrplänen zumeist gar nicht auftauchen. Nur einmal ist von der »Aktion Reinhardt« oder von den Verbrechen der Einsatzgruppen zu lesen (beide Sachsen).
In allen Lehrplänen wird die Gruppe der Juden als Opfergruppe benannt. Oftmals allerdings auch als Einzige. Während noch vor einigen Jahren ein durchaus differenzierteres Bild erkennbar war, steht die Gruppe der Juden in ganzen neuen Plänen als Opfergruppe allein. Weitere drei sprechen von Juden und »anderen Opfergruppen«.
Eine Spezifizierung erhalten diese »anderen Opfergruppen« nur in wenigen Fällen. Die Gruppe der politisch Verfolgten wird in Baden-Württemberg, in Niedersachsen, in Sachsen, in Thüringen und im Saarland explizit behandelt. In Hessen, in Sachsen, in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern sind die Opfer der Aktion T4 herausgestellt. Sinti und Roma werden in den Lehrplänen von Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg als Opfer des Nationalsozialismus benannt. In nur zwei Bundesländern gibt der Rahmenlehrplan die Beschäftigung mit dem Komplex Zwangsarbeit vor (Niedersachsen und Saarland) und in nur einem werden die Zwangssterilisierten (Sachsen) erwähnt. Kriegsgefangene, als sehr große Opfergruppe nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, werden nur im Sächsischen als Opfergruppe ausgewiesen. Wichtig hierbei erscheint, darauf hinzuweisen, dass, wenn einzelne Opfergruppen genannt werden, dies oftmals erst in der gymnasialen Oberstufe geschieht.
Die Darstellung der Opfer erfolgt in den Lehrplänen abstrakter als noch vor einigen Jahren. Während sich bei der Beschreibung der Opfergruppe der Juden nichts verändert hat, zeigt sich, dass andere Opfergruppen immer weniger auftauchen. So wurde die Gruppen der Opfer der Aktion T4 2006 noch in elf Lehrplänen und der Sinti und Roma in sieben Lehrplänen angesprochen. Während die Kriegsgefangenen schon damals so gut wie keine Rolle spielten, sie wurden 2006 wie heute nur in Sachsen thematisiert, erhielt die Opfergruppe der politisch Verfolgten eine Aufwertung. Stefanie Rauch zählte nur drei Bundesländer, in denen diese direkt oder indirekt eine Rolle spielten. Opfergruppen wie die Zeugen Jehovas oder die Gruppe der von den Nazis als »asozial« Bezeichneten finden, damals wie heute, keine Beachtung.
Bereits in der früheren Untersuchung ergibt sich im Bereich des Lernens über die Täter ein sehr diffuses Bild. Rauch schreibt: »Insgesamt ergibt sich in den Lehrplänen der Eindruck eines verbrecherischen Staates ohne eigentliche Handlungsträger«.[3] Dieses Bild hat sich acht Jahre später nicht verändert. Nur in den wenigsten Fällen werden Täter oder Täterorganisationen thematisiert. Der deutschen Bevölkerung wird, und das ist auffällig, eine recht passive Rolle zugeordnet. Sie schwankt zwischen Anpassung und Akzeptanz im nationalsozialistischen Staat. Der Lehrplan des Landes Hessen spricht von Ja-Sagern. Immerhin sechs von sechzehn deutschen Bundesländern (Baden-Württemberg, Hessen, Thüringen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern) beschreiben die Deutsche in ihrer überwiegenden Mehrheit als Mitläufer. Sie waren keine Täter, sie haben die Täter allenfalls gewähren lassen.
Nur wenige widmen sich den verbrecherischen Organisationen des Nationalsozialismus. Sachsen, Baden-Württemberg und das Saarland befassen sich in ihren Lehrplänen mit der SS und der SA. Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen stellt in diesem Bereich die NSDAP heraus. Die Hitlerjugend ist Thema des Geschichtsunterrichts in Berlin. Auch die Gestapo (Sachsen und Saarland) und der Volksgerichtshof (Sachsen) sind in den Lehrplänen zu finden. Die Wehrmacht als Täter beschreibt ein einziges Bundesland (Sachsen). Interessant erscheint die Recherche zu diesem Thema in Bayern. Während in diesem Land der Lehrplan den überwiegenden Teil der Deutschen allenfalls als zustimmende Zuschauer beschreibt, findet die Kollaboration Nicht-Deutscher Einzug in den Lehrplan. Die Beteiligung gesellschaftlicher Institutionen wie der Medizin, der Wissenschaft, der Industrie oder des Sports wird nicht explizit benannt. Wenige Lehrpläne sehen die ausdrückliche Behandlung verbrecherischer Organisationen wie SS oder NSDAP vor.
Auch der Widerstandsbegriff, der in allen Lehrplänen auftaucht, ist in den meisten Fällen nur sehr vage beschrieben. In sieben Fällen soll der undefinierte Begriff des Widerstandes in einem Kontrast mit dem Begriff Akzeptanz behandelt werden, allerdings ohne auch nur einen dieser Bereiche in den Lehrplänen zu definieren.
In fünf Bundesländern (Niedersachsen, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt) sollen Motivation, Spielräume und Strategien des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus besprochen, und damit das Thema genauer nachgezeichnet werden.
Konkrete Widerstandsaktionen sind in den meisten Plänen zu finden. Der 20. Juli 1944 spielt in den Lehrplänen von Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland und Sachsen eine Rolle. Damit ist diese die Widerstandsaktion, die am meisten explizit genannt wird. Auch die Bekennende Kirche (Brandenburg, Niedersachsen, Saarland) und die Weiße Rose (Bayern, Saarland, Sachsen), die Predigten des Bischof van Galen (Niedersachsen, Saarland), die Rote Kapelle (Sachsen) und der Arbeiterwiderstand (Saarland) werden erwähnt. Interessant erscheint, dass der Protest in der Rosenstraße in Berlin im Saarland durch den Lehrplan hervorgehoben wird. Lediglich im Lehrplan des Landes Sachsen-Anhalt taucht der jüdische Widerstand gegen die Verbrechen des Nationalsozialismus auf. Der Aufstand in Warschau, hier wird nicht beschrieben, welcher gemeint ist, und der des Sonderkommandos im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau werden aufgelistet. Damit ist Sachsen-Anhalt eines der drei Länder, neben Sachsen und Bremen, das überhaupt ausländischen Widerstand benennt.
Bis auf drei Bundesländer (Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein) haben alle anderen in ihren Lehrplänen Raum für die Beschäftigung mit dem Thema Aufarbeitung gelassen. Dies geschieht allerdings mit sehr verschiedenen Inhalten. Fast jeder Lehrplan sieht einen anderen Aspekt dieses sehr umfangreichen Themenfeldes vor. Überschneidungen finden sich bei der Auseinandersetzung mit dem Historikerstreit 1987 (Rheinland-Pfalz, Saarland, Thüringen) und mit dem damit zusammenhängenden Aspekt verschiedener Geschichtsbilder (Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Thüringen).
Mit der juristischen Aufarbeitung nach 1945 beschäftigt sich interessanterweise der Lehrplan in nur einem Bundesland (Sachsen), mit dem entsprechend weiter gefassten Begriff der Entnazifizierung darüber hinaus nur der in Bayern. Dieser Lehrplan bezieht das Thema Vertreibung in den unmittelbaren Kontext des Themas Nationalsozialismus und NSG mit ein. Die Frage nach (Kollektiv-)Schuld und Verantwortung und dem Diskurs von Befreiung oder Niederlage widmen sich die Lehrpläne von Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen. Auch der Komplex der Rechtfertigung nationalsozialistischer Verbrechen im Nachkriegsdeutschland spielt in einem Bundesland (Sachsen-Anhalt) eine Rolle.
Einen klaren Bezug zu Auswirkungen auf heutige politische Strukturen als Form der Aufarbeitung ziehen Sachsen und Bayern. Der Lehrplan in Sachsen sieht vor, dass den Schülern der Zusammenhang zwischen der Nürnberger Rechtsprechung und der Etablierung internationaler Verfolgung von Menschenrechts- und Kriegsverbrechen vermittelt wird. Bayern wiederum möchte anhand seiner Landesverfassung zeigen, welche Institutionen und Rechte die Wiederkehr einer Diktatur verhindern sollen. Der Aspekt der Aufarbeitung findet in deutschen Lehrplänen einen ähnlichen Niederschlag, wie in der Untersuchung 2006 herausgearbeitet wurde. Es ist jedoch eine Themenverschiebung zu beobachten. Ethische Aspekte spielen heute eine größere Rolle.
Die Schaffung regionaler Bezüge im Thema Nationalsozialismus und NSG im Geschichtsunterricht sehen sieben Bundesländer (Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen) in ihren Lehrplänen vor. Dies geschieht in ganz unterschiedlichen Formaten. So befasst sich der bayerische Lehrplan mit den zentralen Stätten der NSDAP in München und Nürnberg. Auch Mecklenburg-Vorpommern sieht vor, dass sich die Schüler mit der regionalen NSDAP-Geschichte auseinandersetzen. Der Lehrplan von Rheinland-Pfalz regt den Einbezug von lokalen Zeitungen und privaten Fotoalben an. Das Saarland stellt in seinem Lehrplan zum Geschichtsunterricht Stolpersteine als möglichen Bezug zur regionalen Geschichte heraus. Allein Sachsen und Sachsen-Anhalt empfehlen, sich explizit mit der Geschichte regionaler Gedenkstätten auseinanderzusetzen. Insgesamt ist auch hier kaum eine Veränderung hinsichtlich der Lehrplangestaltung zu beschreiben. Dies erscheint jedoch erstaunlich. Im Zuge der Kompetenzorientierung deutscher Rahmenlehrpläne und der damit einhergehenden Methodenvielfalt überrascht es, dass die Geschichte des Nationalsozialismus durch regionale Verankerung und im Sinne einer Lebensweltorientierung für Schüler nicht eindringlicher bearbeitet wird.
Die Schulämter gewähren den Raum, in Rahmen von Exkursionen und längeren Fahrten die Bildungsangebote von Gedenkstätten in Anspruch zu nehmen. Auch ohne eine systematische Untersuchung kann gesagt werden, dass dies von vielen Klassen und Kursen in Anspruch genommen wird. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit ein solcher Besuch in den Rahmenlehrplänen verankert ist. Damit einher geht schließlich eine Form der Verbindlichkeit, die sich auf die finanzielle Förderung durch die zuständigen Behörden auswirkt.
Stefanie Rauch spricht in ihrer Untersuchung davon, dass sich in fast allen Lehrplänen der Länder zumindest Hinweise darauf finden lassen, im Rahmen des Geschichtsunterrichtes eine Gedenkstätte zu besuchen. Ein ähnliches Ergebnis ist 2014 nicht mehr zu beschreiben. Entsprechende Hinweise sind nur noch vereinzelt zu finden.
Sechs Bundesländer (Brandenburg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen) empfehlen ihren Lehrern ausdrücklich, den Besuch einer Gedenkstätte in den Unterricht mit einzubauen. In Berlin ist der Besuch eines außerschulischen Lernortes, das meint nicht unbedingt eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus, obligatorisch. Die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland beschreiben zwar nicht direkt den Besuch einer Gedenkstätte, raten jedoch andere Lernmöglichkeiten zum Thema Nationalsozialismus zu schaffen. Das meint z.B. die Beteiligung am Stolpersteinprojekt oder die Initiative zu einer Spurensuche. Wenn es dabei um den Besuch einer Gedenkstätte geht, wird in keinem Fall darüber gesprochen, welche Lernziele damit erreicht werden sollen, noch wird dargelegt, wie eine methodische Vorbereitung einer solchen Exkursion aussehen kann.
Wie bereits beschrieben, verschiebt sich die Gewichtung innerhalb der Lehrpläne zugunsten weiterführender Kompetenzen. Je nach Bundesland hat sich dieses Prinzip mehr oder minder durchgesetzt. Dabei ist jedoch zu beobachten, dass gerade konservativ geprägte Länder wie Bayern oder Sachsen in ihren Lehrplänen deutlich mehr Wert auf beschriebene Inhalte legen als den sozialdemokratisch geprägten.
Dennoch scheint der Trend eindeutig dahin zu gehen, dass die Verantwortung über die Inhalte im Geschichtsunterricht den Lehrenden vor Ort übertragen wird. Die Rahmenlehrpläne geben nur noch vor, welche Kompetenzen den Schülern durch die Inhalte vermittelt werden. Diese Entwicklung muss eine weitere Untersuchung aufgreifen. Die Lehrinhalte vor Ort müssen qualitativ und quantitativ überprüft werden, um genau sagen zu können, welche Verankerung der Nationalsozialismus und die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen im Unterricht unterliegen. Davon abgesehen lassen sich ähnliche Feststellungen treffen wie noch vor acht Jahren. Der Täterbegriff ist noch immer ein sehr verschwommener und wenig ausdifferenzierter Lerninhalt. Der Widerstand wurde schon einmal deutlich umfangreicher dargestellt. Opfergruppen werden kaum bis gar nicht definiert. Allein der Bereich der Aufarbeitung und der Bereich der regionalen Bezüge zum Thema bleiben quantitativ ähnlich.
Da allerdings einige Untersuchungskategorien in ihrer inhaltlichen Definition im Lehrplan weniger umfangreich und inhaltlich differenziert, andere Untersuchungsgruppen aber ähnliche Ergebnisse vorweisen, bedeutet, dass die insgesamt undifferenzierte Darstellung der NS-Zeit und der begangenen Verbrechen inklusive der Beschreibung der verschiedenen Gruppen, die ihnen zum Opfer gefallen sind, nicht allein auf die zunehmende Kompetenzorientierung zurückzuführen ist. Es ist als erstaunlich zu erachten, dass die Besuche von Gedenkstätten in den neuen Lehrplänen eine ähnliche oberflächliche Beachtung finden wie in denen, die Stefanie Rauch untersucht hat. Dabei hält dieses Lernangebot zusätzlich methodische und inhaltlich konkrete wie anschauliche Möglichkeiten parat, die innerhalb der Institution Schule nur schwer realisierbar sind.
Andreas Geike schloss das Studium der Sozialen Arbeit in Deutschland und Polen ab, ist ausgebildeter Sonderpädagoge und nimmt am Master Programm Holocaust Communication and Tolerance am Touro College Berlin teil. Der Artikel entstand im Rahmen eines Studienpraktikums im Gedenkstättenreferat der Stiftung Topographie des Terrors.
Lehrpläne (Stand 5. 11. 2014)
Bayern
www.isb.bayern.de/schulartspezifisches/lehrplan/realschule-r6
www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26228
Baden-Württemberg
www.schule-bw.de/unterricht/faecher/geschichte/bildungsstandards
Berlin
www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/lehrplaene/index.html
Brandenburg
bildungsserver.berlin-brandenburg.de/curricula_s1_bb
bildungsserver.berlin-brandenburg.de/curricula_gost_bb
Bremen
www.lis.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen56.c.21948.de
www.lis.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen56.c.16698.de
Hamburg
www.hamburg.de/bildungsplaene/2363316/start-stadtteilschule
www.hamburg.de/bildungsplaene/2363352/gym-seki
Hessen
verwaltung.hessen.de/irj/HKM_Internet?cid=f1e079cc428af80d07f4fe2db20fe301
verwaltung.hessen.de/irj/HKM_Internet?cid=9e0b5517dfc688683c15ce252202d4b9
verwaltung.hessen.de/irj/HKM_Internet?cid=48a34f21388de135d056cf8266b8b151
Mecklenburg-Vorpommern
Nordrhein-Westfalen
www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplannavigator-s-i/realschule/geschichte
www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplannavigator-s-i/gymnasium-g8/geschichte-g8/
Niedersachsen
nline.nibis.de/cuvo/menue/nibis.phtml?menid=116&PHPSESSID=aecf535165df6efd75ff1984d3e02d08
Rheinland-Pfalz
lehrplaene.bildung-rp.de/lehrplaene-nach-faechern.html?tx_abdownloads_pi1[category_uid]=97&tx_abdownloads_pi1[cid]=5786&cHash=8dae08db33b409f9cf39ef4e16a0c119
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
www.bildung-lsa.de/lehrplan/sekundarschule/geschichte.html
www.bildung-lsa.de/index.php?historyback=1&KAT_ID=2163
Schleswig-Holstein
www.lehrplan.lernnetz.de/index.php?wahl=131
www.lehrplan.lernnetz.de/index.php?wahl=111
Thüringen
www.schulportal-thueringen.de/web/guest/media/detail?tspi=2847
www.schulportal-thueringen.de/web/guest/media/detail?tspi=2839
[1] Stefanie Rauch, Verankerung von Gedenkstättenbesuchen im Unterricht in: Stiftung Topographie des Terrors (Hg.), Gedenkstättenrundbrief, Nr. 134/2006, S. 19
[2] vgl. Ebenda, S. 14
[3] Rauch, Verankerung, vgl. Anm. 1, S. 17