Erklärung der AG der KZ-Gedenkstätten in der BRD zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit

10/1998Gedenkstättenrundbrief 85, S. 29-30
Günter Morsch

Auf ihrer 6. Sitzung haben sich die Mitglieder der AG der KZ-Gedenkstätten zu der Entwicklung rechtsextremistischer Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland geäußert. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus und rechtsextreme Gewalt haben, anders als vielfach erwartet worden war, nicht nachgelassen, sondern finden im Gegenteil immer stärkere Verbreitung. Rechtsextremistische Handlungen sind kein Phänomen sozialer Ränder mehr, sondern bedrohen die gesamte demokratische Kultur. So sehr die Verbreitung rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Mentalitäten begünstigt wird durch die soziale Krise, so kurzschlüssig ist es, Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus als automatischen Erklärungszusammenhang zu akzeptieren. Vergleiche mit anderen Ländern und mit anderen historischen Phasen machen deutlich, daß soziale Krisen nicht zwingend zum Anwachsen demokratiefeindlicher Strömungen führen müssen. Die historisch entstandene politische Kultur eines Landes beeinflußt maßgeblich die Art der Bewältigung individueller und sozialer Notlagen. Darin aber liegen auch Chancen, die es zu erkennen und zu nützen gilt. Gedenkstätten sind Orte politischer Bildung, an denen gelernt werden kann, wohin die Mißachtung der Menschenrechte und der Verlust der Demokratie führen können. Insoweit hat ihre Arbeit auch präventive Funktionen und dies in mehrfacher Hinsicht:

1.

Der sehr zu begrüßende wachsende Zustrom hunderttausender von Besuchern zu den Gedenkstätten ist auch Ausdruck eines Bekenntnisses vieler Menschen zur Erinnerung im Sinne des von den überlebenden Häftlingen formulierten politisch-moralischen Testaments. Damit bringen sie auch ihre Ablehnung von rechtsextremen Handlungen und Einstellungen zum Ausdruck.

Öffentlichkeit, Politik und Staat sollten diese Demonstration an den Orten der Verbrechen, die den Lichterketten vergleichbar ist, durch ihr Eintreten vor Ort stärker unterstützen. Sie stabilisieren dadurch die politische Mitte und deren Fähigkeit, gesellschaftliche Randbereiche einzubinden. Nur ganz langsam beginnt sich im vereinten Deutschland eine öffentliche »Gedenkkultur« zu formen. Erinnerungsveranstaltungen wie der 27. Januar müssen in der Bevölkerung verankert werden. Das fällt im Land der Täter nicht leicht, zumal die Erinnerung in der ehemaligen DDR politisch mißbraucht wurde. Öffentlichkeit und Politik müssen daher ihre Anstrengungen fortsetzen, damit nicht der Eindruck von Ritual und Überdruß aufkommt. Die Gedenkstätten können und wollen ihre Erfahrungen einbringen.

Wichtig scheint uns, daß auch außerhalb der Gedenktage die Vertreter von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft die Gedenkstätten als selbstverständliche Orte der Erinnerung aufsuchen und damit dazu beitragen, sie in die Kultur des Alltages zu integrieren. Das Bekenntnis fast der gesamten bundesrepublikanischen Gesellschaft zu den Orten der NS-Verbrechen anläßlich des 50. Jahrestages der Befreiung der Lager führte in Deutschland, so auch in den ostdeutschen Gedenkstätten, zu einem deutlichen, leider aber nur vorübergehenden Rückgang rechtsextremistischer Gewalt. Es kommt daher u.a. darauf an, historische Erfahrungen nicht als Last oder Pflicht, sondern als Chance und Gewinn öffentlich zu vermitteln. In der Bundesrepublik sind als Gegner einer Kultur des Gedenkens neben den Rechtsextremisten vor allem die Vertreter der »Neuen Rechten« auszumachen. Diese versuchen die Erinnerung an die Verbrechen des »Dritten Reiches« abzuwerten, um damit Nationalismus und Deutschtum wieder hoffähig zu machen.

2.

Gedenkstätten sind insbesondere in den neuen Bundesländern als symbolische Orte den Angriffen von Rechtsextremisten ausgesetzt. Der Polizeieinsatz kann an diesen Orten, die großen Friedhöfen gleichen, nur ultima ratio sein. Die sicherheitstechnischen Aufwendungen, um die Gedenkstätten zu schützen, dürfen diese nicht in eine (mit Elektronik und Wachschutz) bewachte Tabuzone zurückverwandeln und damit auf Kosten der inhaltlichen Arbeit finanziell auszehren. Sicherheit beginnt im unmittelbaren und benachbarten Umfeld der Gedenkstätten, um deren Akzeptanz sich Lokal- und Regionalpolitiker und regionale Institutionen von Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam mit den Gedenkstätten stärker bemühen müssen.

3.

Als moderne Lehr- und Lernorte haben die Gedenkstätten unterschiedliche Formen intensiver pädagogischer Arbeit entwickelt. Die Gedenkstätten leiden nicht etwa unter einem »Nachfrage«-mangel sondern kämpfen im Gegenteil angesichts des großen Interesses der deutschen und internationalen Öffentlichkeit gegen enge Kapazitätsgrenzen gerade im Personalbereich an. Intensive Formen des Lernens an den Orten der Verbrechen in Verbindung mit den vielfältigen Mitteln der Gedenkstättenpädagogik sind erfolgreich und müssen daher stark ausgebaut werden. Für Berufsgruppen wie Lehrer, Polizisten, Bundeswehrangehörige oder Sozialarbeiter sind auf diese zugeschnittene, spezielle Projekte entwickelt worden bzw. im Entstehen. Das in den Gedenkstätten vorhandene Potential muß viel stärker in die politische Bildungsarbeit integriert und fest etatisiert werden. Ebenso könnten die Schulungen von Multiplikatoren, wie z.B. Journalisten, ausgebaut werden.

Die grassierende und sich immer stärker auch in der Mitte der Gesellschaft ausbreitende Fremdenfeindlichkeit sowie die zunehmende Gewalt von rechts haben nach Ansicht der AG der KZ-Gedenkstätten Ausmaße erreicht, die unsere Demokratie bedrohen. Die Gedenkstätten können einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung der politischen Mitte, zur Stärkung der demokratischen Kultur und damit auch zur langfristigen Prävention leisten. Dazu sollte die Gesellschaft stärker als bisher auf die Erfahrungen in den Gedenkstätten zurückgreifen und die darin liegenden Potentiale besser nutzen.

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