›Was dann losging, war ungeheuerlich …‹ Frühe Konzentrationslager in Sachsen 1933–1937

Eine Wanderausstellung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten
03/2008Gedenkstättenrundbrief 141, S. 26-30
Geralf Gemser, Norbert Haase und Bert Pampel

»Rund um den Hals waren Striemen erkennbar, die das Totenhemd verdeckt hatte. Das rückwärts offene, wie eine Schürze um den Körper gelegte Hemd, fiel auseinander. Der Rücken war vom Nacken bis an die Oberschenkel zerschlagen, verkrustet, als hätte man die Haut abgezogen. Tiefe, eingebrannte Wunden. Ganze Stücke aus dem muskulösen Körper herausgerissen.« Mit diesen Worten beschrieb Walter Janka den Anblick des Leichnams seines älteren Bruders Albert Janka, der am 13. April 1933, kurz vor seinem 26. Geburtstag, im ehemaligen sozialdemokratischen Volkshaus Reichenbach im Vogtland ermordet worden war. SA-, SS- und Stahlhelm-Leute hatten das Gebäude besetzt und zum »Durchgangslager Reichenbach« umfunktioniert. In der Folgezeit gab es immer wieder Beschwerden von Einwohnern über die Schreie der Gefolterten, die bis auf die Straße drangen.

Wie in Reichenbach, so entstanden wenige Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten überall in Deutschland solche provisorischen Haftstätten, allein etwa ein Fünftel von ihnen in Sachsen. Zur Unterbringung der Verhafteten dienten Keller, Kasernen, Turnhallen, stillgelegte Fabriken, Vereinsheime, Jugendherbergen, Burgen und Schlösser. Doch auch in Polizei- und Justizgefängnissen wurden politische Gegner, vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, ohne Richterspruch inhaftiert. »Rechtsgrundlage« für den Vollzug dieser so genannten Schutzhaft an etwa 8 000 Menschen allein in Sachsen war die »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat« vom 28. Februar 1933. Während viele dieser Prügelkeller und Folterstätten noch 1933 aufgelöst wurden, durchliefen andere einen Prozess der weiteren Institutionalisierung zu Konzentrationslagern unter staatlicher Kontrolle. Lager wie Colditz, Schloss Osterstein/Zwickau, Burg Hohnstein und Sachsenburg erlangten traurige Berühmtheit.[1]

Hannah Arendt hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Geschichte der frühen Konzentrationslager später von den Schrecken des voll entfalteten Konzentrationslagersystems überlagert worden ist. In einem TV-Interview mit Günter Gaus am 28. 10. 1964 antwortete sie auf die Frage »Gibt es in Ihrer Erinnerung ein bestimmtes Vorkommnis, von dem Sie Ihre Hinwendung zum Politischen datieren könnten?«: »Ich könnte den 27. Februar 1933, den Reichstagsbrand und die darauf in derselben Nacht erfolgten illegalen Verhaftungen, nennen. Die so genannten Schutzhaften. Sie wissen, die Leute kamen in Gestapo-Keller oder in Konzentrationslager. Was dann losging, war ungeheuerlich und ist heute oft von den späteren Dingen überblendet worden.«[2] Letzteres gilt noch heute. Hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur, der Haftbedingungen, der Verfolgtengruppen sowie der Zahl der Opfer unterschieden sich diese frühen zwar von den späteren Konzentrationslagern. Doch schon in ihnen gab es Zwangsarbeit, Folter und Mord. Bevor Namen wie Sachsenhausen, Buchenwald oder Auschwitz zu Synonymen für den NS-Terror wurden, quälten, erniedrigten und ermordeten die Nationalsozialisten Menschen in den frühen Konzentrationslagern.

Nach der Niederringung des nationalsozialistischen Regimes wurden 1948/49 auch Angehörige des Wachpersonals sächsischer Konzentrationslager, unter anderem der Lager Hainichen, Schloss Osterstein/Zwickau und Hohnstein, in Strafprozessen von der deutschen Justiz in der Sowjetischen Besatzungszone juristisch zur Verantwortung gezogen. Der stellvertretende Lagerkommandant von Hohnstein, Ernst Heinicker, wurde 1950 in den »Waldheimer Prozessen« in einem Schauprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Dabei ging es, wie in den Waldheim-Verfahren insgesamt, nicht um eine Klärung der Schuldfrage, sondern um einen propagandistischen Beleg für die Legitimität der DDR als vermeintlich besseren Teil Deutschlands, um eine Stärkung der Machtposition der SED als Hüterin des Antifaschismus und auch um einen öffentlichkeitswirksamen Schlussstrich unter die justizielle Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Diese Instrumenta-lisierung setzte sich in den später eröffneten Ausstellungen zu einzelnen Lagern und in der memorialen Gestaltung der Erinnerung an die frühen Konzentrationslager in der DDR fort. Der SED-Führung diente die Würdigung des kommunistischen Opferganges und Widerstandskampfes – andere Opfergruppen wurden vernachlässigt – vorrangig der Legitimation der kommunistischen Diktatur.

In Folge des politischen Umbruchs 1989/1990 wurden Ausstellungen, nicht nur wegen ihrer Propagandafunktion in der DDR, geschlossen. Gedenkstätten verwahrlosten. Gedenktafeln wurden entfernt oder durch nivellierende Inschriften umgewidmet. In Einzelfällen wurde die Existenz örtlicher Lager der Legendenbildung des SED-Staates zugeschrieben. Die memoriale Markierung und die museale Erschließung der Orte ehemaliger früher Konzentrationslager in Sachsen ist nach wie vor unbefriedigend.

Vor diesem Hintergrund verfolgt die Wanderausstellung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten das Ziel, die vielerorts vergessene Geschichte dieser Lager in Erinnerung zu rufen. Sie soll darüber hinaus zur weiteren Erforschung der Lager, zur lokalen Spurensuche und zur Neugestaltung der Gedenkstätten und Memoriale ermutigen. Sie soll vor Augen führen, was es bedeutet, wenn Rechtsextremisten die Macht übernehmen und wie die nationalsozialistische Diktatur, die im Holocaust endete, ihren Anfang nahm.

Die Ausstellung dokumentiert die Geschichte der frühen Konzentrationslager in Sachsen in insgesamt 22 Sektionen. Sie beleuchtet auch die politischen Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt ihrer Einrichtung und den Umgang mit diesen Orten von 1945 bis heute. Besondere Aufmerksamkeit wird den Lagern Colditz, Schloss Osterstein/Zwickau, Sachsenburg und Hohnstein gewidmet.[3] Während der Erarbeitung der Ausstellung standen wir insbesondere vor dem Problem, dass sich die Erfahrungen der Gewalt in den Lagern durch die Betrachtung der erhaltenen Fotografien allein kaum vermitteln lassen. Es sind in der Regel Bilder der Täter, selten die von Zuschauern. Einige vermitteln eine scheinbare Harmonie zwischen Gefangenen und Bewachern und enthalten Anklänge an Kompaniefotos aus der Zeit des ersten Weltkrieges. Andere zeigen Besuche von Angehörigen im Konzentrationslager. Auch dies war Teil der Lagerwirklichkeit der frühen Konzentrationslager 1933/34, weshalb in der Ausstellung nicht auf solche Bilder verzichtet wird. Doch erst durch die ausstellungsgrafisch deutlich umgesetzte Gegenüberstellung der bildlichen Darstellung und der größtenteils zeitgenössischen Berichte von Insassen[4] über die Haftbedingungen entsteht eine realistische Vorstellung vom historischen Geschehen. So wird beispielsweise ein verharmlosender Bericht über das Konzentrationslager Colditz im Colditzer Tageblatt vom 5. Juli 1933 mit einer späteren Anordnung Hitlers zur Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Misshandlung von Häftlingen in Colditz kontrastiert.

Nicht zuletzt wegen dieser Problematik kommt der Präsentation von zehn Biografien ehemaliger Gefangener, anhand derer die Funktionen der Lager und die Haftbedingungen veranschaulicht werden, besondere Bedeutung zu. Außerdem wird in ihnen der unterschiedliche politische bzw. religiöse Hintergrund der Insassen deutlich.

Zu den Porträtierten gehören unter anderem die Kommunisten Walter Janka und Heinz Gronau. Janka, in den Lagern Bautzen und Sachsenburg gefangen gehalten, forderte nach dem Tode Stalins eine ehrliche und offene Auseinandersetzung mit dem Erbe des Stalinismus in der DDR. Wegen »Boykotthetze« wurde er in einem Schauprozess 1957 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Gronau, in den Konzentrationslagern Colditz, Sachsenburg und Buchenwald in Haft, wurde später Kommandeur des Wachregiments des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

Der Sozialdemokrat Hermann Liebmann war zeitweilig Innenminister, stellvertretener Ministerpräsident und Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion in Sachsen. NSDAP-Gauleiter Martin Mutschmann zwang Liebmann bei einem späteren Besuch im KZ Hohnstein, seine eigenen Landtagsreden, in denen er vor den Nationalsozialisten gewarnt hatte, vorzutragen. Liebmann wurde Pfingsten 1934 im Lager Hohnstein so schwer misshandelt, dass er im September 1935 an den Haftfolgen starb. Der ebenfalls in der Ausstellung porträtierte Peter Blachstein, Funktionär der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), berichtete unmittelbar nach seiner Emigration in einer Exilantenzeitschrift über seine Erfahrungen im Lager Hohnstein, die er zudem in einem Theaterstück verarbeitete. Später war er Abgeordneter des Deutschen Bundestages für die SPD und Botschafter der Bundesrepublik in Jugoslawien.[5]

Die fünf präsentierten Biografien von Angehörigen des Wach- bzw. Führungsper-sonals zeigen exemplarisch die Lebenswege der Täter, von denen nicht wenige, wie zum Beispiel der Kommandant des Lagers Sachsenburg, Karl Otto Koch, später in Lagern wie Sachsenhausen, Buchenwald oder Majdanek ihre Karriere fortsetzten. Die Ausstellung basiert auf zum Teil bislang unveröffentlichten Fotografien, unter anderem auf dem Fotoalbum von Karl-Otto Koch, auf zeitgenössischen Dokumenten aus sächsischen Regionalarchiven und auf Zeitzeugenberichten.

Die bisherige Resonanz auf die Ausstellung ist unterschiedlich. Es gibt ebenso viele Beispiele für Interesse wie für Desinteresse örtlicher Stadtverwaltungen, Kultureinrichtungen und Bürger. So hatte die Stiftung das Standesamt Hohnstein zum Zwecke der Ausstellungspräsentation mehrfach um eine Kopie des Sterbeeintrags des im Lager Hohnstein getöteten Plauener Sozialdemokraten Eugen Fritsch gebeten. Die Stadtverwaltung forderte die Stiftung schließlich auf, den Nachweis zu erbringen, dass ein öffentliches Interesse vorliege. Dass die NPD im Landtagswahlkreis 50: Sächsische Schweiz 2, zu dem die Gemeinde Hohnstein zählt, im September 2004 mit 16,2 Prozent der Stimmen ihr landesweit bestes Ergebnis erzielt hatte und die Ausstellung aus dem Landesprogramm »Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz« gefördert wurde, reichte anscheinend nicht aus. Positiv zu würdigen ist dagegen das Engagement des Bürgermeisters der Kommune Frankenberg, Thomas Firmenich (CDU), der mit der Erstpräsentation der Ausstellung am 9. November 2006 einen Prozess der Neugestaltung des ehemaligen Geländes des Konzentrationslagers Sachsenburg angestoßen hat.

Bezug der Ausstellung
Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Dülferstraße 1, 01069 Dresden
info@stsg.smwk.de
Tel. (0351) 4695540 | Fax (0351) 4695541

Die Ausstellung umfasst, wenn die Tafeln aneinandergereiht aufgestellt werden, etwa 24 laufende Meter und erfordert eine Stellfläche von mindestens 50 m². Das im Messebau angewendete Ausstellungssystem ist als Textildruck besonders leicht in den mitgelieferten Koffern zu transportieren und kann von einer Person allein aufgebaut werden.
 

Geralf Gemser M. A. hat maßgeblich an der Erarbeitung der Ausstellung mitgewirkt und führt Besuchergruppen

Dr. Norbert Haase, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten

Dr. Bert Pampel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Sächsische Gedenkstätten
 

[1] Vgl. grundsätzlich zu den Lagern in Sachsen: Carina Baganz, Erziehung zur »Volksgemeinschaft«? Die frühen Konzentrationslager in Sachsen 1933–1934/37, Berlin 2005. Frau Dr. Baganz (Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin) konnte, wie auch Dr. Mike Schmeitzner (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Stiftung Sächsische Gedenkstätten) für die wissenschaftliche Beratung der Ausstellung gewonnen werden.

[2] Günter Gaus, Was bleibt, sind Fragen. Die klassischen Interviews, Berlin 2000, S. 315.

[3] Siehe zu Sachsenburg auch Kurt Kohlsche, »So war es! Das haben Sie nicht gewußt.« Konzentrationslager Sachsenburg 1935/36 und Wehrmachtgefängnis Torgau-Fort Zinna 1944/45 – ein Häftlingsschicksal, Dresden 2001. Erstveröffentlichung 1948. Bestellung: www.stsg.de.

[4] Vgl. vor allem die Schrift Konzentrationslager – Ein Appell an das Gewissen der Welt. Ein Buch der Gräuel. Die Opfer klagen an, Karlsbad 1934.

[5] Peter Blachstein, »In uns lebt die Fahne der Freiheit«. Zeugnisse zum frühen Konzentrationslager Burg Hohnstein, Dresden 2005. Bestellung: www.stsg.de.