Zur Zukunft der KZ-Gedenkstätten. Ein Wort an die neue Regierung.

Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland
12/1998Gedenkstättenrundbrief 86, S. 27-28
Volkhard Knigge

Im Rahmen ihres 7. Arbeitstreffens, das vom 4. bis 6. 10. 1998 in der KZ Gedenkstätte Dachau stattgefunden hat, haben die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten die von der Enquete-Kommission »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit« vorgelegte »Gedenkstättenkonzeption des Bundes« diskutiert. Vor dem Hintergrund der Geschichte von Gedenkstätten mit zweifacher Vergangenheit wie Buchenwald und Sachsenhausen werden Empfehlungen gegeben, die für die KZ Gedenkstätten insgesamt von Bedeutung sind.

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft begrüßen, daß die am 17. Juni 1998 im Bundestag diskutierten Empfehlungen ebenso ein breites und intensives Engagement des Bundes und der Länder zur Sicherung und Fortentwicklung der Gedenkstättenarbeit fordern, wie sie die oftmals ehrenamtlich in den Gedenkstätten geleistete Arbeit würdigen.

Sie begrüßen, daß auf die Erinnerungsarbeit – der Situation in Deutschland Rechnung tragend – in den dezentralen Gedenkstätten am authentischen Ort besonderes Gewicht gelegt wird.

Sie begrüßen, daß die Enquete-Kommission die Bedeutung der Gedenkstätten als Orte der Aufklärung, der Erinnerung, des Lernens und des Forschens – im Gegensatz zu Orten bloß rituellen oder symbolischen Gedenkens – nachdrücklich unterstreicht, und daß sie in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit der Einrichtung weiterer internationaler Jugendbegegnungsstätten vor Ort aufmerksam macht.

Sie begrüßen, daß die Kommission die Ausstattung von Gedenkstätten am Standard anderer historischer Museen mit ähnlich komplexen Aufgaben, wie sie die Gedenkstätten haben – und wie sie dort unbestritten sind –, mißt; von daher ist aufgrund der ungenügenden Ausstattung der Gedenkstätten Handlungsbedarf gegeben. Vor dem Hintergrund der Empfehlungen für die »Gedenkstättenkonzeption des Bundes« ergeben sich konkrete Forderungen an die neue Bundesregierung.

1. Die auf zehn Jahre befristete finanzielle Mitförderung der zu Gedenkstätten von gesamtnationaler Bedeutung erklärten Gedenkstätten Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück sowie auf der gleichen Grundlage geförderten Gedenkstätten in den Bundesländern Berlin und Sachsen muß in eine unbefristete umgewandelt werden. Es würde über Deutschland hinaus auf Unverständnis stoßen, wenn sich der Bund aus seiner Verantwortung zurückzöge.

2. Die historisch-sachlich nicht begründbare Entscheidung, nur ehemalige ostdeutsche Gedenkstätten als Gedenkstätten von gesamtnationaler Bedeutung anzuerkennen und zu fördern, muß modifiziert werden. Westdeutsche Gedenkstätten von gleichem Rang, wie z.B. Bergen-Belsen, Dachau und Neuengamme müssen in die Bundesförderung einbezogen werden. Es ist darüber hinaus ein Fond, eine Stiftung oder ähnliches zu schaffen, aus dem heraus die Arbeit der Gedenkstätten mitgefördert wird. Initialförderungen und projektbezogene Förderungen sind denkbar. Allerdings soll ein solcher Fond die gegenwärtigen öffentlichen Träger der Gedenkstättenarbeit in Westdeutschland – Kommunen, Landkreise und Länder – nicht aus ihrer Verantwortung für die Gedenkstättenarbeit entlassen.

3. Wer immer für die Gedenkstättenarbeit im Bund verantwortlich sein wird – weiterhin das Innenministerium oder ein neugeschaffenes Kulturministerium –, es sollten zwei Sachverständigenräte berufen werden, die das Engagement des Bundes für Gedenken und Gedenkstättenarbeit beratend begleiten; der eine in Bezug auf die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen, der andere in Bezug auf das SED-Unrecht. Entsprechend der Geschichte der nationalsozialistischen KZ sollte der erste international besetzt sein. Nicht zuletzt die unendliche Diskussion um das Berliner Denkmal für die ermordeten europäischen Juden (Holocaust-Denkmal) und die in diesem Fall deutlich gewordene Entscheidungsunsicherheit mancher Politiker verweisen auf die Notwendigkeit solcher Beiräte.

4. Nachdem die endgültige Entscheidung in Bezug auf das Berliner Holocaust-Denkmal zu einer einsamen Kanzlerentscheidung, wie sie eher der höfischen Gesellschaft als der Demokratie angemessen gewesen wäre, zu werden drohte, sollte die Entscheidung nun schnellstens an den Bundestag übergeben und dort ohne weitere Verzögerungen getroffen werden. Andernfalls würde nicht nur die teils auf sehr hohem Niveau geführte Diskussion um das Denkmal ad absurdum geführt werden, sondern die Glaubwürdigkeit des Gedenkens in der Bundesrepublik würde insgesamt nachhaltig beschädigt. Wie immer die Entscheidung ausfällt, sie darf nicht, wie zum Teil im Ausland bereits geschehen, den Eindruck erwecken, erst mit dem Denkmal würde endlich nach über fünfzig Jahren die Stunde Null der Erinnerung in Deutschland überwunden werden. KZ-Gedenkstättenarbeit gibt es in der Bundesrepublik seit über 30 Jahren, auch wenn sie anfangs nur von wenigen unterstützt worden ist.

Die KZ Gedenkstätten in der Bundesrepublik repräsentieren einen negativen Reichtum. In der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Ursachen und Folgen von Menschheitsverbrechen, die sie herausfordern, wird der Wert einer offenen, demokratischen, den Menschen- und Bürgerrechten verpflichteten Gesellschaft kenntlich. So gesehen sind die Gedenkstätten nicht nur Orte der Aufklärung, der Erinnerung, der internationalen Begegnung und der Arbeit an Versöhnung, sondern Orte demokratischer Selbstvergewisserung und Erneuerung. Der Erhalt dieser Orte bedarf nicht der schönen Worte sondern echten Engagements, das auch Geld kostet. Nach wie vor sind Gedenkstätten von Auszehrung und Zerfall bedroht. Taten, nicht Worte sind gefordert.

Weimar/Berlin, den 9. 10. 1998

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