Die KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg in Ulm im Jahr 2001

04/2001Gedenkstättenrundbrief 100, S. 25-34
Myrah Adams, Silvester Lechner

Angeregt von einer ersten Initiative der »Lagergemeinschaft Heuberg, Kuhberg, Welzheim«, hat sich Anfang der achtziger Jahre ein Trägerverein »Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm, KZ-Gedenkstätte gegründet«. Diesem ist es gelungen, am 19. Mai 1985 eine erste Ausstellung in die hergerichteten Räume der Festung, dem einzigen erhaltenen Gebäude eines frühen KZ in Süddeutschland einzurichten.

In der Eröffnungsrede von Walter Wuttke, dem für die historische Erarbeitung angestellten Wissenschaftler, die im GedenkstättenRundbrief Nr. 12/1985 in Auszügen abgedruckt ist, wird sehr stark der Kampf gegen Widerstände auf vielen Ebenen betont.

Kritisiert wird allgemein die Nachkriegsentwicklung Deutschlands: »Es entwickelte sich eine eindrucksvolle Verdrängungs- und Bewältigungskultur, mit beachtlichen Ergebnissen: unfähig zu trauern, aber genial in der Gestaltung des Trauerzeremoniells, immer hinter der Wahrheit her, aber mit »Fingerspitzengefühl«, pochend auf die Prinzipien von Wissenschaftlichkeit und Demokratie – wo sie nicht stören«. Ebenso wie die Destruktion lokaler Einrichtungen, etwa: »Die Unterstützung der wissenschaftlichen Arbeit durch Ulmer Archive war gering… Das ging soweit, daß Akten des Landratsamtes über in Ulm ums Leben gekommene Zwangsarbeiter nicht im Kreisarchiv, sondern durch die »Hauptkommission zur Erforschung der Hitlerverbrechen in Polen« zugänglich gemacht wurden.«

Es wurde eine erste Ausstellung eröffnet, die am Beispiel von elf Biographien das Thema KZ-System, die Gesamtgeschichte und Hinweise auf die Konzeption enthielt.

Diese Ausstellung wurde am 8. Mai 1995 durch eine neue Ausstellung ersetzt. Silvester Lechner, der seit 1991 als erste Person kontinuierlich für die KZ-Gedenkstätte arbeiten konnte, beschrieb im GedenkstättenRundbrief Nr. 54/1993 die neue Konzeption: Danach sollen die inhaltlichen Schwerpunkte sein: »…Vorgeschichte und Verlauf der NS-Herrschaft in der Region Ulm, Alltag in Ulm 1933–1945, Formen des Widerstands, Formen des Rassismus, Die ›Soldatenstadt Ulm‹, Krieg und Kriegsfolgen«.

In der Beschreibung von 1993 spiegelt sich eine ebenfalls für diese Zeit typische Entwicklung wieder: »Die Arbeit des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg ist so breit und lebendig wie nie zuvor in der Nachkriegszeit. Die Kassen scheinen so leer wie lange nicht mehr.« Eine typische Situation für eine Gedenkstätte, die bürgerschaftlich entstanden durch ausgezeichnete Arbeit immer mehr Ansehen gewinnt, dabei zugleich gewahr wird, dass für eine professionelle und dem Vergleich zu Museen standhaltende Arbeit wesentlich mehr finanzielle Unterstützung notwendig ist – die immer wieder auf schwierigen Pfaden eingeworben werden muss.

Das Dokumentationszentrum erarbeitet im Augenblick eine neue, dritte Fassung der Dauerausstellung – welche Inhalte stehen heute im Vordergrund und wie verhalten sich die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen heute?

Vorbemerkung

Der Anlass dieses Beitrags fordert von uns eine Vorbemerkung, die leicht wie ein Nachruf wirken könnte. Aber wenn schon »Ruf«, dann ist es eher ein »Zwischenruf«, hinein ins volle Leben. Denn der Gegenstand der Vorbemerkung erfreut sich guter Gesundheit und den Autoren steht es fern – auch nach Ergründung des tiefer sitzenden Aggressionspotentials – ihn ins Grab zu wünschen.

Ein Zwischenruf also zum hundertsten GedenkstättenRundbrief. In den 17 Jahren seines Bestehens ist der Rundbrief – zunächst bundesrepublikanisch, nun immer mehr »gesamtdeutsch« – zu einem gemeinsamen Vielfachen in der Heterogenität von Personen, Regionen, Konzepten, Projekten, Realisationen geworden. Ein öffentlicher Ort der gegenseitigen Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung; ein Arbeitsprotokoll derjenigen Menschen und Organisationen, die sich das Gedenken, Erinnern, Vermitteln, Gestalten an konkreten Orten und an Hand letzter Spuren nationalsozialistischer Herrschaft zu eigen gemacht haben. Er ließ viel Raum für die historische, regional- und personenspezifische Vielfältigkeit der Gedenkstätten-Landschaft. Für all das sei ihm gedankt. Verbunden damit ist der Wunsch, daß Mut und Kraft reichen, den Balanceakt dieser Arbeit noch lange durchzustehen.

Aspekte der Ulmer Gedenkstättengeschichte

Der historische Ort, das historische Geschehen

Der historische Ort der Ulmer Gedenkstätte ist das in Gebäude und Geländestruktur bis heute prinzipiell unveränderte »Fort Oberer Kuhberg« im äußersten Westen der Stadt Ulm. Es ist ein militärischer Zweckbau im Stil französischer Militärarchitektur des 18. Jahrhunderts. Als Teil der am Wiener Kongress 1815 beschlossenen »Bundesfestung Ulm« wurde das drei Hektar umfassende Fort um 1850 erbaut. Technisch und strategisch schon Ende des Jahrhunderts für den »Kriegseinsatz« überholt, wurde es im Krieg 1870/71 und in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts als Kriegsgefangenenlager genutzt.

Im November 1933 richtete in dem seit Kriegsende leerstehenden Fort die beim Innenministerium angesiedelte »Politische Polizei« das »Württembergische Schutzhaftlager Ulm/Donau« ein. Als typisches frühes Konzentrationslager in der staatlichen Regie des Landes Württemberg war ihm das Lager Heuberg bei Stetten am kalten Markt, hundert Kilometer donauaufwärts, zwischen März und Dezember 1933 vorangegangen.

 

Das Ulmer Lager wurde im Juli 1935 im Zug der Reichs-Zentralisierung der KZ unter der »Inspektion der Konzentrationslager« aufgelöst. Die letzten 30 von insgesamt ungefähr 600 Häftlingen1 wurden ins KZ Dachau »verschubt«, unter ihnen Kurt Schumacher. Im KZ Heuberg waren fast 4000, besonders im März und April massenhaft inhaftierte politische Gegner vom einfachen Parteimitglied bis zum Abgeordneten eingekerkert gewesen. Im Gegensatz dazu handelte es sich bei den Kuhberg-Häftlingen mehrheitlich um einen nun kontrollierter von den NS-Machthabern bekämpften »harten Kern« der ehemaligen württembergischen politischen Opposition aus KPD und SPD. Dazu kamen jetzt auch andere »weltanschauliche« Gegner, wie z.B. drei katholische Pfarrer, sowie Angehörige eines (nicht partei-) politischen und sozialen Protestpotentials, das als »asozial« und als nur mit dem Zwangsmittel KZ in die nationalsozialistische »Leistungsgemeinschaft« integrierbar etikettiert war.2

 

 

Von der »Lagergemeinschaft« zur

»Mahn- und Gedenkstätte« und zum »Dokumentationszentrum«

Am Anfang der Ulmer Gedenkstättengeschichte stand die im Juni 1948 von ehemaligen württembergischen Häftlingen gegründete »Lagergemeinschaft Heuberg-Kuhberg-Welzheim«, benannt nach den beiden »frühen Lagern« Heuberg und Kuhberg sowie dem von 1935 bis 1945 in Regie der Landes-Gestapo in Stuttgart stehenden kleineren Lager im Polizeigefängnis Welzheim.

 

Zur Zeit der Gründung der »Lagergemeinschaft« hatte sich gerade am Ort des ehemaligen Ulmer KZ eine Gastwirtschaft eingerichtet, die dort von 1947 bis 1956 bestand. 1960 wurde das Fort unter Denkmalschutz gestellt und in seiner Funktion als ehemaliges Landes-KZ mit einer von der »Lagergemeinschaft« geforderten und formulierten städtischen Gedenktafel wenigstens äußerlich ins öffentliche Geschichtsbewusstsein der Region zurückgeholt.

Angeregt durch die Gründung der KZ-Gedenkstätte Dachau am 9. Mai 1965 entstanden danach Idee und erste Konzeption für eine landesweit orientierte »Mahn- und Gedenkstätte« im Fort. Zeitgleich etablierte sich in den 60er Jahren im Fort eine militär- und festungsgeschichtlich interessierte Initiative, die bis heute Mieter (Eigentümerin ist die Bundesrepublik) des größeren Teils der Festung geblieben ist, ebenso wie der heutige Trägerverein der KZ-Gedenkstätte.

Um 1970 kamen zum kleiner werdenden Kreis der ehemaligen Häftlinge neue Gruppen: einerseits ehemalige Mitglieder aus dem über die Geschwister Scholl der Stadt Ulm eng verbundenen Weiße-Rose-Kreis – so z.B. Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher; und andererseits – im Kontext der Ära Willy Brandt und der Studentenbewegung – Mitglieder der politischen Öffentlichkeit und der jungen Generation. Unter dem Einfluss dieser Gruppen wandelte sich das Selbstverständnis der Initiative vom mehr moralisch-politisch Appellativen zum auch Historisch-Dokumentarischen. Dies schlug sich nieder in der Gründung eines Trägervereins 1977, der sich »Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm – KZ-Gedenkstätte« nannte. Sein vorrangiges Ziel war zunächst die Erarbeitung einer Dauerausstellung zur Geschichte des Nationalsozialismus in Baden-Württemberg und des ehemaligen Ulmer KZ. Nach der bautechnischen Sanierung des Reduitgebäudes ab 1979 und der zweijährigen Anstellung eines Historikers wurde sie im Mai 1985 eröffnet, thematisch reduziert auf die Ulmer KZ-Geschichte. Seither haben über 100000 Besucher die Gedenkstätte gesehen, darunter zu zwei Dritteln Schüler/innen, die im Klassenverband eine Führung bekamen.

Die Führungen durch Zeitzeugen, Ehrenamtliche und (seit 1994) sechs mit einer Schulstunde pro Woche entlastete Lehrer standen und stehen im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit. Immer mehr angefragte Projekt-Tage können aus personellen Gründen nur gelegentlich realisiert werden. Bis 1992 spielten 25 internationale workcamps eine wichtige Rolle.3

Die Professionalisierung der Arbeit ab 1991 (zunächst eine halbe Historiker-Stelle) bei gleichzeitigem Verschwinden der Zeitzeugen-Generation, brachte neue Impulse. Insbesondere wurde nun der alte Anspruch, über die KZ-Geschichte hinaus auch prinzipiell alle anderen Aspekte der regionalen NS-Geschichte zu dokumentieren, wieder aufgenommen. Eine Bibliothek und ein EDV-strukturiertes Archiv (über 30 Archiv-Meter, darin etwa 4 000 Fotos) entstanden, thematisch umgrenzte Geschichtswerkstätten wurden gegründet, zwölf Publikationen erarbeitet. Verschiedene Projekte, wie Forschungen zur Zwangsarbeit in der Region, der die Einladung von 160 in der Region Ulm/Neu-Ulm eingesetzten ehemaligen Zwangsarbeitern folgte, wie Forschungen zur regionalen »Euthanasie«- und Medizingeschichte, zur jüdischen Gemeinde, zur Geschichte der Weißen Rose u.a. wurden durchgeführt.

 

Parallel zu diesen Aktivitäten wurde das »Dokumentationszentrum« ein von immer mehr Bürgern genutztes Informations- und Service-Zentrum zu allen Aspekten, die die NS-Geschichte und deren Nachwirkungen betreffen. Zur Zeit kommen etwa tausend Anfragen jährlich, Tendenz steigend. Im selben Jahr wie der GedenkstättenRundbrief, 1983, erschienen erstmals die »Mitteilungen«, das meist 12-seitige, zweimal jährlich erscheinende Periodikum des Ulmer Dokumentationszentrums.4

Politisches: das eine Ulm, das andere Ulm

 

Die eben abgehandelten Stichworte zu den Aktivitäten der letzten Jahrzehnte und die Darstellung der drei Ausstellungen im nächsten Kapitel klängen ausgesprochen formalistisch, würde man nicht zumindest erwähnen, dass die um die Ulmer Gedenkstätte geleistete Erinnerungsarbeit von Anfang an bis in die Gegenwart in der Öffentlichkeit umstritten und politisch umkämpft war. Dies hängt natürlich mit vorhandenen allgemeinen Abwehrmechanismen zusammen, aber u.a. auch mit der fortwirkenden lokalen Identität Ulms als traditionelle Militär- und Soldatenstadt.

Schon die Gründung der »Lagergemeinschaft« Ende Juni 1948 war ein ausgesprochenes Politikum, da sie von der VVN propagiert worden war. Die »Vereinigung der Verfolgten des NS-Regimes« galt zu diesem Zeitpunkt als »kommunistische Hilfsorganisation«. Gegenüber ihr hatte sechs Wochen zuvor die SPD den »Unvereinbarkeitsbeschluß« in der Mitgliedschaft verabschiedet und in diesem Zusammenhang auch ihren Mitgliedern die Mitgliedschaft in der »Lagergemeinschaft«, in der nunmehr fast ausschließlich Kommunisten vertreten seien, verboten.

 

Obgleich um 1970 der lokale SPD-Landtagsabgeordnete Rolf Dick und andere »bürgerliche« Persönlichkeiten des kommunalen Lebens sich der Initiative zur Errichtung einer Gedenkstätte anschlossen und die alten Kommunisten bis auf wenige gestorben waren, galt insbesondere in Teilen der Landesverwaltung die Ulmer Initiative bis in die 90er Jahre als »kommunistisch unterwandert«. Ein überregionales Signal, diesen Ruf zu ändern, waren Besuch und Rede von Ministerpräsident Teufel in der Gedenkstätte im November 1993. Noch 1988 hatte ein regionaler Verleger kurz vor Drucklegung das Manuskript von Silvester Lechners Buch »Das KZ Oberer Kuhberg […]« mit der Begründung zurückgewiesen, in diesem Lager seien »nur Kommunisten und Verbrecher« gewesen.

Von großer Bedeutung im öffentlichen politischen Diskurs bis in die Gegenwart ist der vielfach geäußerte Zweifel, ob das Ulmer Lager ein KZ oder »nur ein relativ harmloses Schutzhaftlager« gewesen war. »Ulm solle nicht nachträglich zur KZ-Stadt« gemacht werden, monierte Mitte der 70er Jahre ein prominenter Regionalpolitiker. Und noch im Jahr 2000 meinte ein anderer Prominenter, die Gedenkstätte täte sich bei seiner Partei leichter, wenn man in Zukunft vor dem Begriff »Gedenkstätte« das »KZ« wegließe… Doch all diese Formen von Abwehr des historisch Geschehenen und seiner Bearbeitung in der Gegenwart zeitigten und zeitigen auch Reaktionen zunehmender öffentlicher Zustimmung.

 

Ein markantes Beispiel waren Aufruf und Aktion »Ulm ist auch anders«, beginnend am 9. November 1998. Drei Tage zuvor hatte der Ulmer Gemeinderat mit knapper Mehrheit einen Antrag des Dokumentationszentrums, die geplante neue Dauerausstellung ebenso wie das Land Baden-Württemberg mit 150000 DM zu unterstützen, abgelehnt. Nahezu 1000 Ulmerinnen und Ulmer und etwa 50 Ulmer Institutionen – bis hin zur evangelischen und katholischen Gesamtkirchengemeinde – schlossen sich daraufhin dem Aufruf an und brachten in etwas mehr als einem Jahr die zuvor verweigerten 150000 DM zustande. Und die Mitgliederzahl im Trägerverein stieg auf über 300: ein Fundament zum Weitermachen.

 

Drei Ausstellungen und ihre Konzepte

 

Die erste Dauerausstellung von 1985

Im wesentlichen von dem Historiker Walter Wuttke konzipiert, recherchiert und erarbeitet, entstand die erste Dauerausstellung vor etwa 15 Jahren in einem Klima von latenter und offener Gegnerschaft einerseits und bemüht tabuloser, wissenschaftlich fundierter Aufklärungshaltung – von der regionalen NS-Zeit bis zur NS-Verarbeitung der »bürgerlichen Gesellschaft« der Gegenwart – andererseits. Als Provokation wirkte da schon eine im historischen Abstand selbstverständlich anmutende Passage in der Eröffnungsrede von Walter Wuttke am 19. Mai 1985. Dort hieß es: »Ist Ulm also eine KZ-Stadt? Diese Frage mit einem Ja zu beantworten, wäre töricht. Ebenso töricht wäre aber der Glaube, dass es dann also mit dem Nationalsozialismus in Ulm nicht so schlimm gewesen sein könne. In Ulm gab es nichts, was nicht auch anderswo geschehen ist, aber was anderswo geschehen ist, geschah auch in Ulm.«

 

Formal orientierte sich die Tafelausstellung von 1985 – ausschließlich Reproduktionen von Fotos und Dokumenten, keine Originale und dreidimensionalen Objekte – an Typographie und Formensprache der Ulmer »Hochschule für Gestaltung« (hfg, 1953–1966). Realisiert wurde sie von Professor Nick Roericht und einer Studentengruppe.

Inhaltlich war es Wuttke und dem Trägerverein insbesondere darum gegangen, anhand von elf exemplarischen Biographien ehemaliger Kuhberg-Häftlinge nicht nur die Realität des Lagers, sondern vor allem auch die Kultur des (Arbeiter-) Widerstands und das politisch-soziale Umfeld der NS-Verfolgung deutlich zu machen.

 

Die Sonderausstellung vom Sommer 1994

Vom 30. Juni bis 13. November 1994 war in der Gedenkstätte eine Ausstellung mit dem Titel »›Doch die Freiheit, die kommt wieder‹ – NS-Gegner im Württembergischen Schutzhaftlager Ulm 1933–1935« zu sehen.5 Das »Haus der Geschichte Baden-Württemberg« nahm den 50. Jahrestag des gescheiterten Attentats vom 20. Juli 1944 zum Anlass, mit zwei Ausstellungen an authentischen Schauplätzen von Verfolgung und Widerstand auf Einzelpersonen und Gruppen aufmerksam zu machen, die anderen politischen und sozialen Strukturen angehörten als die Verschwörer aus dem konservativ-militärischen Milieu. Außer der in Ulm war eine zweite Ausstellung in der Grenzstadt Singen zu sehen, die sich vor allem mit dem illegalen Grenzverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz während der NS-Zeit befasste.

Die Ulmer Ausstellung, recherchiert und erarbeitet von Myrah Adams, stellte einerseits die Häftlinge, ihre oppositionelle Haltung, ihre »Widerständigkeit«, ihre Weigerung, sich dem Regime zu unterwerfen, und ihre Widerstandshandlungen, also das, was zu ihrer Verhaftung führte, in den Mittelpunkt der Konzeption. Ihr Schicksal, ihr Leiden und ihre Selbstbehauptung wurden mit einigen authentischen Überbleibseln beleuchtet. Andererseits stand die Konzeption unter dem Motto »Der Ort ist das Thema«: Das Gebäude als größtes Exponat der Ausstellung war der Ausgangspunkt der Gestaltung von Hans Dieter Schaal. Die monumentale Ausstellungsarchitektur mit wuchtigen Raumkörpern, mit Schienen, die die Gemäuer zu durchdringen schienen, sowie die theatralischen Beleuchtungseffekte stellten eine Verbindung zwischen der Architektur des Festungswerkes und den vereinzelten Relikten her.

Alle drei Stockwerke der ehemaligen Kommandantur sowie der Kasemattengang wurden in die Inszenierung miteinbezogen, die mit ihrer einheitlichen, künstlerischen Formensprache vor allem emotionale Zugänge schuf. Eine Audio-/Diaprojektion mit Häftlingsportraits, Endlos-Videos historischer Aufnahmen auf Monitoren, die in die Ausstellungsarchitektur integriert waren, sowie eine Klangcollage in den Kasematten ergänzten Zitate aus Häftlingsberichten und Reproduktionen von Fotos aus dem Album des Lagerarztes, die, auf grobe Betonplatten gedruckt, in den Kasematten ebenso wie im Gelände verteilt waren.

In der als »selbstführend« gedachten Ausstellung, die weitestgehend auf Texte verzichtete, trat die Informationsvermittlung zurück hinter der auf das Affektive gerichteten Inszenierung bzw. konzentrierte sich auf acht Biografiealben zu einzelnen Häftlingsschicksalen. Deren eigens gestaltete Lesepulte waren – mit den unbequemen Stühlen davor – markanter Bestandteil der Ausstellungsarchitektur im 2. Stock. Besonders diese Biografiealben wurden auch über die Ausstellungsdauer hinaus bis in die Gegenwart von vielen Besuchern mit großem Interesse aufgenommen und sollen auch ab Juli 2001 benutzt werden.

Die neue Dauerausstellung ab Juni 2001

Die neue Dauerausstellung, die am 30. Juni 2001 eröffnet wird, ist Bestandteil einer Neugestaltung der gesamten Gedenkstätte. Diese basiert auf einer Reflektion der gesamten Gedenkstättenarbeit. D.h. der pädagogische Auftrag steht gegenüber der konservierend-musealen Funktion der Gedenkstätte ebenso im Vordergrund wie gegenüber dem Charakter eines Mahn- und Erinnerungsmals für die Opfer. Es wird jedoch einen »Gedenkort« geben, wo die Häftlinge mit Namen und Portraits gewürdigt werden.

Die Neugestaltung bezieht sich nicht nur auf die Dauerausstellung, sondern auch auf die teilweise neu geschaffenen Räume für Gruppenarbeit mit kognitiven bzw. emotionalen Schwerpunkten. Mit Hilfe eines flexiblen Ausstellungssystems können im Obergeschoss nicht nur Wechsel- und Wanderausstellungen präsentiert werden, sondern auch Schülerarbeiten. Mit einbezogen in die Neugestaltung sind auch der Außenbereich und die Eingangszone mit der darunterliegenden Arrestzelle im Keller der ehemaligen Kommandantur, ebenso wie die Kasematten-Quartiere der Häftlinge und die Arrestzelle für prominente Gefangene im Inneren des Forts.

Innerhalb der gesamten Gedenkstätte als »offener Lernort« bildet die Dauerausstellung im engeren Sinne also nur eine Komponente. Ihre Konzeption6 basiert auf einer realistischen Einschätzung des Stellenwertes, den eine Ausstellung im Kontext des Gedenkstättenbesuches bei den verschiedenen Ziel- und Besuchergruppen haben kann. Wichtig sind deshalb nicht nur Informationsstaffelung und Vielfältigkeit der Zugänge, sondern auch die Verknüpfung des historischen Geschehens mit aktuellen Fragestellungen. So geht die Arbeit an der Ausstellungskonzeption unmittelbar in die Gestaltung von Unterrichtsmaterialien über.

Seit 1997 bestand im Trägerverein Konsens darüber, in der neuen Dauerausstellung nicht mehr die »NS-Zeit in Baden-Württemberg« oder »Die NS-Zeit in der Region Ulm« thematisieren zu wollen, sondern ausschließlich den Ort und die Geschichte des KZ Oberer Kuhberg. Die Schicksale der Häftlinge und die Biographien der Täter jedoch werden in ihren Vor- und Nachgeschichten bezüglich der Lagerzeit skizziert. Dies leitet über zur Rezeptionsgeschichte nach 1945 und zur nun über 50-jährigen Geschichte der Bemühungen um eine Gedenkstätte.

Wie schon die vorangegangenen Ausstellungen muss auch die neue Dauerausstellung der Tatsache Rechnung tragen, dass authentische Relikte des KZ Oberer Kuhberg nur spärlich, dreidimensionale Exponate so gut wie überhaupt nicht existieren. Einer ständigen Präsentation der zumeist papierenen Quellen sind durch die extremen konservatorischen Bedingungen in der Gedenkstätte enge Grenzen gesetzt. Dagegen stellen die zahlreichen verbalen Zeugnisse ehemaliger Häftlinge nicht nur eine wichtige Quelle dar. Typographisch umgesetzte Zitate daraus bilden, etwa als Leuchtschrift, auch einen dominanten gestalterischen Faktor.

Darüber hinaus orientieren sich Konzeption und Gestaltung an fünf Grundprinzipien:

1. Die Ausstellung fasst die Informationsfülle zu einigen wenigen, überschaubaren Themenblöcken oder -inseln zusammen. Ausgehend von einem Leitexponat, zumeist einem Großfoto, werden acht zentrale Themen exemplarisch angesprochen. Dabei wird sowohl die Opfer- als auch die Täterseite berücksichtigt, die Vorgeschichte ebenso mit einbezogen wie die bis in die Gegenwart reichende Nachgeschichte.

2. Diese »Themeninseln« sind in sich geschlossen. Jede Einheit ist für sich rezipierbar, da sie nicht aufeinander aufbauen. Infolgedessen gibt es auch keinen verbindlichen Rundgang.

3. Die inhaltlichen »Themeninseln« korrespondieren mit in sich geschlossenen Ausstellungssegmenten, die formal auf einem Grundmodul, einem rechtwinkligen Gerüstkubus beruhen. Dieser ist dem jeweiligen Thema entsprechend unterschiedlich ausgestaltet. Die Ausstellungsarchitektur bildet also eigene Raumkörper, die frei stehen und sich gegenüber der markanten Gewölbearchitektur durch ihre Rechtwinkligkeit behaupten.

4. Die Informationen sind weit in die Tiefe gestaffelt, was den unterschiedlichen Nutzerbedürfnissen gerecht wird: Das beginnt bei den plakativen »Leitexponaten«, die als Blickfang Aufmerksamkeit wecken und für Besuchergruppen mit Guide Gesprächsanlässe anbieten. Es reicht über Zusatzexponate und prägnante Zitate bis hin zu einem »Besucherarchiv« mit kommentierten Einzeldokumenten und Themenalben zum Blättern.

5. Im Rahmen eines vorgegebenen Leitsystems, das die verschiedenen Informationsebenen durch Querverweise verbindet, kann sich der Besucher orientieren. An die Stelle einer unilinearen Präsentation tritt eine Vernetzung durch »Links«, die dem Besucher erlaubt, sich seine Informationen selbst zusammenzustellen. Er selbst bestimmt Umfang, Spektrum und Reihenfolge der aufgenommenen Informationen. Durch diese Eigenaktivität wird die Interaktion der Besucher gefördert und »entdeckendes Lernen« ermöglicht.

In die Ausstellung integriert sind verschiedene Medienanwendungen. Hörstationen versuchen die direkte Begegnung mit den inzwischen fast ausnahmslos gestorbenen Zeitzeugen zumindest teilweise zu ersetzen. Über einen Computer-Terminal können Besucher erfahren, welche Häftlinge z.B. aus ihrem Heimatort stammen und ihre Porträts sowie weitere Dokumente aufrufen. Diese Datenbank, die auch als CD-Rom erhältlich sein wird und ab Juni 2001 über die Homepage der Gedenkstätte einsehbar ist, kann aber auch durch Besucher, etwa im Rahmen eines Schülerforschungsprojektes, ergänzt werden. Damit wird die Wirkung der pädagogischen Gedenkstättenarbeit erweitert und mit Aktivitäten außerhalb der Gedenkstätte verzahnt.

Einige Thesen aus den Ulmer Erfahrungen zu Gegenwart und Zukunft

der Gedenkstättenarbeit

Das Ulmer Dokumentationszentrum – Gedenkstätte, Archiv, Bibliothek, publizistische und wissenschaftliche Arbeit – präsentiert sich im Jahr 2001 in seiner Arbeit und seiner Programmatik als eine historisch-wissenschaftlich fundierte Einrichtung der politisch-kulturellen Jugend- und Erwachsenenbildung in der Region Ulm/Neu-Ulm. Fragen zu Grundrechten und Menschenwürde, zu sozialer Solidarität und Zivilcourage werden am Beispiel einer konkreten Vergangenheit an die Gegenwart gerichtet. Kooperationen mit regionalen »Bündnissen gegen Rechts«, mit Menschenrechts-Organisationen wie »amnesty« und anderen Werte- und Sinnvermittlern bis hin zu den Gewerkschaften und vielen Kirchengemeinden sind Teil der Arbeit.

Mit dieser Praxis ist die Institution in großen Teilen der politischen und publizistischen Öffentlichkeit akzeptiert, von über 300 Mitgliedern als Verein getragen und als Gedenkstätte und Dienstleistungseinrichtung von einigen tausend Bürgern jährlich genutzt. Der laufende Haushalt umfasst etwa 280000 DM (eineinhalb Personalstellen), worin 125000 DM kommunaler Zuschüsse enthalten sind. Die gewisse »Etablierung« und allererste notdürftige Professionalisierung der Arbeit verursacht freilich auch einen zunehmenden Rückzug vom ehrenamtlichen Engagement. Und zwar selbst bei denjenigen, die prinzipiell die Einrichtung wollen und unterstützen. Diese Beobachtung lässt befürchten: die im gegenwärtigen bundesdeutschen Alltag vorhandene Tendenz zur vordergründig und medial präsenten, politisch oft ritualisierten »NS-Thematisierung-light« könnte sehr schnell umschlagen und den erreichten Zustand von Grund auf gefährden.

Deshalb erscheint eine konsequente weitere Professionalisierung der historisch-dokumentarischen wie der gegenwartsbezogenen pädagogischen Arbeit unabdingbar. Die Finanzierung dieser kontinuierlichen Bildungsarbeit wäre/ist eindeutig eine öffentlich-staatliche Aufgabe von Bund, Ländern, Kommunen. Kurzfristige Projekte allerdings könnten auch von Privaten (motiviert von professionellen Fund-Raisern!!?) finanziert werden. »Die Jugend von heute« und damit die Träger der Gedenkstättenarbeit von morgen ist keineswegs pauschal als »Spaßgeneration« verloren. Aber im Wirbel der auf sie einströmenden Reize können Jugendliche nur durch konsequente Rahmen-Angebote motiviert werden, in ihrer Sprache und ihren Medien und mit ihren Werten das »Erbe« für sich neu zu entdecken und in die Gegenwart zu übersetzen. Und gerade dazu ist eine einigermaßen finanziell gesicherte, ihrer selbst gewisse professionelle Basisarbeit rund um die Gedenkstätten nötig.

1   Im Beitrag des GedenkstättenRundbrief Nr. 54/1993 zum ehemaligen Ulmer KZ ist die Häftlingszahl 3020 genannt, die damals in einer historischen Quelle, dem Ulmer Tagblatt vom 30. 7. 1935, neu entdeckt worden war.

Da diese Zahl durch keine weitere Quelle bestätigt wird, muss sie revidiert werden. Die hier genannte Zahl (etwa 600) ist realistischer, aber sicher auch nicht exakt, da weder ein geschlossener Aktenbestand »KZ Oberer Kuhberg« noch ein Zugangs- und Abgangsbuch erhalten sind.

2   Vgl. Markus Kienle, Das Konzentrationslager Heuberg bei Stetten am kalten Markt, Ulm 1998;

Silvester Lechner, Das KZ Oberer Kuhberg und die NS-Zeit in der Region Ulm/Neu-Ulm,

Stuttgart 1988. Diese Monographie, die als Ergänzung zur Ausstellung von 1985 konzipiert war,

ist demnächst vergriffen. Eine neue Kuhberg-Monographie erscheint etwa 2003.

3     Pädagogische Publikationen: Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg (Hrsg.) »Württembergisches Schutzhaftlager Ulm«. Ein frühes Konzentrationslager im Nationalsozialismus (1933–1935).

Materialien […] des Oberschulamtes Tübingen für den Besuch der Ulmer KZ-Gedenkstätte mit Schülern, Neuausgabe Ulm 2000 (Veränderte Neuauflage geplant nach Eröffnung der neuen Dauerausstellung Ende Juni 2001). Peter Stratmann (Hrsg.), Zugänge. Neunzehn direkt einsetzbare Unterrichtseinheiten für eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Ulmer KZ-Gedenkstätte,

2. Aufl., Ulm 1999.

4     Die Projekte aus der ersten Professionalisierungsphase, wie sie im GedenkstättenRundbrief Nr. 54/1993 genauer skizziert wurden, sind mehrheitlich verwirklicht worden.

5     Dazu der Katalog: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.) »Doch die Freiheit, die kommt wieder«. NS-Gegner im Württembergischen Schutzhaftlager Ulm 1933–1935, Stuttgart 1994.

6     Vgl. unveröffentlichtes Konzeptionspapier von Myrah Adams vom 20. Oktober 2000.

Artikel als PDF verfügbar