»Pieces of Memory. Children in the Shoah and Us«

Deutsch-israelische Erinnerung an die Shoah. Ein Austauschprojekt mit Gestaltung einer online-Ausstellung
03/2023Gedenkstättenrundbrief 209, S. 58-65
Leonie Freudenfeld und Jule Henninger

Vom Kontakt zur Idee

Im Dezember 2019 entstand die Idee, im Rahmen eines gemeinsamen Rechercheprojekts zu Kindern in der Shoah einen Austausch deutscher und israelischer Jugendguides zu organisieren. Bei einem ersten Besuch in Israel wurde beschlossen, ein Austauschprojekt mit den Jugendguides aus der Region Gäu-Neckar-Alb und den jungen Guides am Kindermuseum Yad LaYeled des Ghetto Fighters’ House Museum in Lohamei Hageta’ot zu verwirklichen.[1] Nach weiteren Gesprächen über Zoom und einem ersten Austausch von Videos zwischen den Jugendguides entstand das Projekt »Pieces of Memory – Children in the Shoah and Us«.

Projektpartner waren der Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V., vertreten durch Heinz Högerle und Martin Ulmer. An den Gedenkstätten des Verbundes sind die 13 am Projekt beteiligten deutschen Jugendguides tätig. Von israelischer Seite waren das Ghetto Fighters’ House Museum in Lohamei Hageta’ot und das Western Galilee College in Akko unter Leitung von Boaz Cohen beteiligt. Die fünf israelischen Projektteilnehmenden studieren im Western Galilee College und arbeiten als Guides im Yad LaYeled Museum unter Betreuung von Anat Ann-Eli. Dazu kam das Archiv in Shavei Zion unter der Leitung von Judy Temime. Sie betreut zwei israelische Freiwillige bei deren Recherchetätigkeit im lokalen Archiv. Gefördert wurde das Projekt von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) und dem Auswärtigen Amt im Rahmen des Programms JUGEND erinnert.
Ziel des Projekts war es, junge Menschen, die freiwillig in der Erinnerungskultur zur Shoah in Deutschland und Israel engagiert sind, zusammenzubringen. Es sollte ein Austausch über die Erfahrungen in ihrer Arbeit ermöglicht und ein kleines gemeinsames Projekt auf die Beine gestellt werden.

Dieses Projekt umfasste die Recherche von Biografien von Menschen, die als Kinder oder Jugendliche die Shoah erleben mussten und ihre Präsentation im Rahmen einer online-Ausstellung. Teil dieser Ausstellung sollte darüber hinaus auch der Austausch der Jugendguides selbst werden. Dafür waren Interviews mit den Jugendguides über ihre Arbeit sowie Gruppeninterviews zu verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Themen geplant.

Die Jugendguides wurden so viel wie möglich in die Gestaltung des Projekts miteinbezogen. Nach einem ersten Kennenlerntreffen teilten sie sich in Arbeitsgruppen auf: Ein Teil beschäftigte sich mit dem Konzept für die gegenseitigen Interviews, ein Teil mit der Recherche zu den Biografien; dies beinhaltete vor allem die Recherche von Bildern und Lebensdaten in Archiven sowie die Durchführung von Zeitzeugeninterviews, und ein dritter Teil übernahm das Verfassen der biografischen Bildergeschichten auf Grundlage der Rechercheergebnisse.

 

Vom Bildschirm zur persönlichen Begegnung

Um gemeinsam über die gesamte Projektdauer von 18 Monaten im Austausch zu bleiben, wurden monatliche Zoom-Meetings mit allen Teilnehmenden organisiert. Diese bestanden zunächst aus kurzen Input-Vorträgen zu dem Projekt nahen Themengebieten und anschließenden Diskussionsrunden.

Die Themen wurden gemäß den Wünschen der Jugendguides gewählt, was ihnen in ihrer schulischen oder universitären Bildung über den Nationalsozialismus an Wissen fehlte. So gab es etwa Vorträge über jüdischen Widerstand zur Zeit des Nationalsozialismus, über Antisemitismus und Rechtsextremismus in Deutschland heute, oder über das Restitutionsabkommen zwischen der BRD und Israel nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Jugendguides waren sehr interessiert an den historischen und politischen Themen. Es zeigte sich jedoch bald, dass eine Diskussion zwischen den deutschen und israelischen Teilnehmenden über die online-Plattform nur eingeschränkt stattfand. Von beiden Seiten wurden Unsicherheiten in der englischen Diskussionssprache angemerkt. Besonders bei den deutschen Teilnehmenden war jedoch auch eine große Zurückhaltung zu beobachten. Die Teilnehmenden schienen besorgt, sich unbedacht auszudrücken. Statt Fragen zur politischen Situation oder der persönlichen Motivation zur Teilnahme am Projekt an die israelischen Teilnehmer zu richten, schwiegen sie. Andersherum stellte dies keine Hemmschwelle dar. Um den Austausch zu intensivieren, wurde das Konzept angepasst und weniger inhaltliche Vorträge als der persönliche Austausch in den Vordergrund gestellt. Durch Spiele und Begegnungen in Kleingruppen wurde das gegenseitige Kennenlernen gefördert. Dieses Konzept ging trotz des zunächst nur online stattfindenden Austauschs auf und es entstanden persönliche Gespräche, durch die Vorannahmen über das jeweils andere Land reflektiert werden konnten. So tauschten sich die Jugendguides über politisch rechte Einstellungen und Gruppierungen in beiden Ländern aus sowie über Gegenbewegungen zu diesen. Den israelischen Jugendguides konnte durch diesen Austausch etwas die Angst vor einem Besuch in Deutschland genommen werden, das sie vor allem mit antisemitischer Gewalt assoziierten. Das persönliche Kennenlernen von Menschen, die sich aktiv gegen rechte und antisemitische Einstellungen einsetzen, konnte positive Eindrücke hinterlassen. Gleichzeitig konnten die deutschen Jugendguides ihre Vorstellung von einem konservativ-religiösen Bild von Israel hinterfragen und waren von den offenen Diskussionen über politische Einstellungen überrascht.

Zentral für den Austausch war der Besuch der israelischen Teilnehmenden in Deutschland, der im Oktober 2021 stattfand. Sieben Tage verbrachte die Gruppe gemeinsam in der Region Gäu-Neckar-Alb, wo die deutschen Jugendguides an verschiedenen Gedenkstätten engagiert sind. Um auch die vielfältige Erinnerungsarbeit in Deutschland darstellen zu können und die Arbeit der Jugendguides greifbarer zu machen, wurden verschiedenen Gedenkstätten der Region besucht. Darunter waren die ehemaligen Synagogen und jüdischen Friedhöfe in Horb, Rexingen und Hechingen, die KZ-Gedenkstätten in Hailfingen-Tailfingen und Bisingen, der Geschichtspfad zum Nationalsozialismus in Tübingen.

Die Vorstellung der historischen Orte und die Führungen zu deren Vergangenheit haben die Jugendguides selbst übernommen. Dadurch konnten sie ihre konkrete Arbeit in der Erinnerungskultur selbst präsentieren und in direkten Kontakt und Reflexion mit den anderen Projektteilnehmenden treten. Ein besonderer Moment war die Stadtführung durch Rottenburg-Baisingen durch Fredy Kahn, dessen Eltern Shoah-Überlebende waren und der selbst in Baisingen aufgewachsen ist; dem Ort, an dem seine Familie vor der Verfolgung durch den Nationalsozialismus seit Jahrhunderten gelebt hatte.
Neben der Besichtigung der historischen Stätten sollte auch die schwäbische Kultur und Landschaft erfahrbar gemacht werden. Dazu gab es einen Wanderausflug in den Schwarzwald, einen Besuch in Stuttgart sowie eine Stocherkahnfahrt durch das abendliche Tübingen und selbstverständlich jede Menge Kulinarisches. Die vielen persönlichen Gespräche beim gemeinsamen Essen und Wandern über das alltägliche Leben in Deutschland und Israel, die gemeinsamen Witze, die Diskussionen über politische Einstellungen und Hoffnungen für ein zukünftiges gesellschaftliches Zusammenleben und der ganz individuelle Austausch zeigten sich als besonders wertvoll für die Teilnehmenden. Thema wurden immer wieder die Aktivität gegen rechtspolitisches Gedankengut, Sexismus oder die eigene familiäre Auseinandersetzung mit der Geschichte der Shoah und des Nationalsozialismus. Besonders gerne wurde jedoch über den besten Hummus gestritten.

Durch den Besuch vor Ort konnte zwischen den Gruppen eine neue Ebene der Vertrautheit und Herzlichkeit geschaffen werden und Freundschaften wurden geschlossen. Hier entstand ein persönlicher Austausch, der auch später in die weiter geführten online-Konferenzen mitgenommen werden konnte. Die Atmosphäre zwischen den Teilnehmenden wurde lockerer, die anfänglichen Ängste vor der Begegnung konnten durch den direkten Kontakt überwunden werden.
Die israelischen Teilnehmenden konnten darüber hinaus Einblicke in Deutschland und die Orte gewinnen, aus denen manche der Zeitzeugen stammten, die sie für die Lebensgeschichten interviewt haben. Ein israelischer Teilnehmer konnte sogar den Ort kennen lernen, an dem eigene Familienangehörige aufgewachsen sind.

Besonders bedauerlich ist es, dass der Gegenbesuch der deutschen Teilnehmenden in Israel aufgrund der pandemiebedingten Reisebeschränkungen nicht stattfinden konnte. Dadurch fehlt ein wichtiger Teil des Austauschs für ein gegenseitiges Verständnis und die eigene Reflexion der jungen Teilnehmenden.

 

Persönliche Reflexionen im Interview

Für die online-Ausstellung wurden die meisten Teilnehmenden einzeln über ihre Arbeit als Jugendguides und das gemeinsame Projekt befragt. Diese Interviews fanden in der jeweiligen Muttersprache statt, um allen eine Teilnahme am Interview und bestmögliche Reflexion über ihre Arbeit zu ermöglichen – unabhängig von ihren Sprachkenntnissen. In der Auswertung der Interviews zeigte sich, dass die persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Engagement sehr unterschiedlich intensiv ist und besonders diejenigen, die noch nicht lange tätig sind, selbstverständlich noch nicht so viele Erfahrungen gemacht und reflektiert haben. Die Teilnehmenden reflektierten ihre Herangehensweise an Führungen an den historischen Orten und ihre Erfahrungen in den Interviews mit Zeitzeugen, die alle als eine besonders wertvolle Erfahrung benennen. Die Interviews werden auf der Website in einem Zusammenschnitt präsentiert, um den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung das Kennenlernen der Jugendguides zu ermöglichen, ohne von der Fülle an Material überfordert zu werden und gleichzeitig alle für die Jugendguides wichtigen Themen aufzunehmen. Es sind deutsche, englische und hebräische Untertitel verfügbar.

Schwieriger gestalteten sich die Gruppeninterviews. Das von den Jugendguides erarbeitete Konzept sah vier Gruppeninterviews à vier Personen, jeweils zwei aus Israel und Deutschland, vor. Themen sollten das Leben von Jugendlichen in Deutschland und Israel, Diskriminierung, Rechtsextremismus und die Erinnerungskultur(en) sein. Es zeigte sich, dass die Jugendguides vor der Kamera große Probleme hatten, auf Englisch zu diskutieren. Fand der Austausch während der gesamten Woche noch sehr rege zwischen allen Teilnehmenden statt, kam vor der Kamera kaum ein Gespräch zustande. Aufgrund dieser Problematik entschieden wir uns, die Gruppeninterviews nicht auf der Website zu präsentieren, da sie nicht den tatsächlichen, sehr positiven und anregenden Austausch widerspiegeln, sondern eher die Angst vor der Kamera und der Öffentlichkeit im Vordergrund stand.

Nach den Interviews blieb jedoch die Frage, wieso junge Menschen, die sogar selbst in der Erinnerungskultur aktiv sind, Probleme haben, ihr konkretes Mitwirken zu reflektieren. Es zeigten sich hier besonders starke Unterschiede zwischen der deutschen und der israelischen Gruppe. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Teile der israelischen Teilnehmenden älter als die deutschen Teilnehmenden sind und schon längere Zeit im Gedenkstättenbereich aktiv waren. Dennoch scheint es, als könnte der Grund dafür auch in der deutschen Erinnerungskultur liegen. Die israelischen Teilnehmenden – auch die jüngeren – die mit 15 Jahren die jüngsten Teilnehmenden des Austausches waren, wirkten, als hätten sie sich bereits sehr viel persönlicher mit der Thematik der Shoah befasst und einen eigenen Umgang damit sowie eine eigene Perspektive auf die Erinnerungskultur entwickelt. Demgegenüber griffen die deutschen Teilnehmenden eher auf allgemeine Aussagen zurück. Es scheint, als hätten sie vor allem gelernt, wie sie über die Shoah sprechen sollen, anstatt eine eigene Position zu entwickeln. Es schien ihnen schwer zu fallen, ihre Motivation für die Arbeit in der Erinnerungskultur sowie ihre didaktische Herangehensweise zu formulieren. Warum? Vielleicht fehlt es in der deutschen Erinnerungskultur an persönlicher Auseinandersetzung. Gedenktage sind zumeist sehr zeremoniell angelegt, es bleibt wenig Raum für eine individuelle Gestaltung durch jugendliche Ehrenamtliche. Es fehlt an persönlichem und individuellem Gedenken. Dies zeigt sich nicht nur im öffentlichen Raum bei den offiziellen Gedenktagen, sondern auch im familiären Bereich. Während in Israel schon früh bereits mit kleinen Kindern die Geschichte des Landes und der Familie, die in vielen Fällen durch die Shoah geprägt ist, besprochen wird, fehlt dies in Deutschland oft bis zur ersten Thematisierung in der weiterführenden Schule. Und selbst dann fehlt oftmals eine Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte.

 

Zum Ergebnis: Eine umfangreiche online-Ausstellung

Für die online-Ausstellung wurden Lebensgeschichten von Menschen recherchiert, die als Kinder oder Jugendliche die Shoah erleben mussten. Um die Auswahl einzugrenzen, wurde sich auf Personen beschränkt, die entweder aus der Region Gäu-Neckar-Alb stammen oder aus ganz Europa nach Westgaliläa flüchteten, den Regionen, an denen sich die Teilnehmenden engagieren.

Ziel war es, anhand von biografischen Geschichten einen persönlichen und vielfältigen Blick auf die Shoah zu geben. Durch die vielen Einzelschicksale können ganz unterschiedliche Erlebnisse präsentiert und die verschiedenen Handlungsspielräume und -grenzen dargestellt werden. Die Präsentation legt einen Schwerpunkt auf die Erzählung entlang von Bildern, um den Menschen ein Gesicht zu geben und ihre individuellen Geschichten zu bewahren.

Bei der Auswahl der Lebensgeschichten spielte daher auch die Verfügbarkeit von Fotos eine entscheidende Rolle. Den Beginn der Recherchen bildete damit die Beschaffung von Bildmaterial. Dazu wurden Archive und verschiedene Gedenkstätten kontaktiert. Auch in diesen Prozess wurden die Jugendguides miteinbezogen. Ein gemeinsamer Besuch im Archiv mit Einführung in die Recherchearbeit musste leider pandemiebedingt entfallen. Die Jugendguides wurden in der Recherche zu ihren jeweiligen Personen vom Projektteam unterstützt und bei Materialanfragen begleitet.

Neben der Archivrecherche wurde zu Überlebenden oder Familienangehörigen Kontakt aufgenommen, um die Geschichten möglichst umfassend aufarbeiten zu können. Es gab auch mehrere Zeitzeugeninterviews. Die Jugendguides in Deutschland führten drei Interviews durch, in Israel konnten mit 17 Zeitzeugen Gespräche geführt werden. Sechs von ihnen wurden im Anschluss erneut interviewt und professionell gefilmt. In der Interviewführung zeigte sich eine unterschiedliche Herangehensweise, obwohl versucht wurde durch einen gemeinsamen Leitfaden eine gewisse Homogenität herzustellen. So sind die israelischen Interviews deutlich persönlicher, wobei in Deutschland stets eine förmliche Distanz zwischen den Zeitzeugen und den Jugendguides zu spüren ist. Trotz des Leitfadens fokussierten sich die Interviews in Israel vor allem auf die Erlebnisse zur Zeit der Shoah und die Lehren für die Zukunft, während in Deutschland auch viel über das persönliche Engagement in der Erinnerungskultur gesprochen wurde.
Die Jugendguides wurden in der Vorbereitung und Durchführung der Interviews vom Projektteam unterstützt. Ziel war es, den Teilnehmenden möglichst viel Eigenverantwortung zu übertragen und ihnen den direkten Kontakt zu den Personen, deren Lebensgeschichte sie erzählen, zu ermöglichen. Alle Jugendguides, die Interviews führen konnten, betonten am Ende die besondere Bedeutung dieses direkten Kontakts als intensive und emotionale Erfahrung. Amelie Grupp berichtet etwa:

»Über die NS-Verbrechen habe ich bereits in der Schule erfahren, […] doch ein Interview mit Pavel Hoffmann, einem Zeitzeugen, der mit vier Jahren nach Theresienstadt verschleppt wurde, hat mir die Geschichte […] auf eine andere Weise nähergebracht. Tränen stiegen ihm in die Augen, als er erzählte, wie seine Mutter, sein Vater und seine gesamte Verwandtschaft bis auf seine Tante ermordet wurden. Er beschreibt seine Erinnerungen an seine Zeit in Theresienstadt so lebendig, dass ich selbst kaum weiß, wie ich darauf reagieren soll, immer wieder erschrocken darüber, dass Menschen zu solchen Verbrechen im Stande waren.«[2]

Die Zeitzeugeninterviews werden in voller Länge in der online-Ausstellung gezeigt. Deutsche, englische und hebräische Untertitel sind verfügbar. Durch die Interviews konnten Lebensgeschichten festgehalten werden, die bisher noch nicht für die Öffentlichkeit aufgezeichnet und zugänglich gemacht wurden. Damit leistet das Projekt auch einen Beitrag zur Erhaltung der Erinnerung an die Shoah für nachfolgende Generationen, für welche der direkte Austausch mit Überlebenden wegen des Endes der Zeitzeugenschaft nicht mehr möglich sein wird.

Für die Präsentation der online Ausstellung hat das Team gemeinsam mit einem Webentwickler eine Website aufgebaut. Die Präsentationsform setzt besonders auf bebilderte Erzählung. Entlang von Bildern können alle Lebensabschnitte der Menschen nachvollzogen werden. Ziel war nicht, die Geschichte der Shoah zu erklären, sondern die Menschen in ihrer Individualität und Persönlichkeit darzustellen. Die Shoah war ein prägender Einschnitt in ihr Leben und das ihrer Familien. Es soll gezeigt werden, wie ihr Leben vor dem Nationalsozialismus aussah und auch, wenn sie überlebten, wie sie sich ein neues Leben danach aufbauten und welchen Umgang sie mit ihren Erlebnissen gefunden haben. Aufgrund des starken Fokus auf Bilder konnten manche Geschichten leider nicht erzählt werden, zu denen es heute kein Material mehr gibt. Durch die Shoah sind Spuren vieler Leben fast vollständig ausgelöscht worden.

Vor allem an der verfügbaren Zeit sind leider kreative und interaktive Ideen für die online-Ausstellung gescheitert, wie etwa eine online-Rallye durch die Ausstellung. Die Unterstützung in der Erarbeitung und Korrektur der Lebensgeschichten benötigte mehr Zeit als zunächst erwartet. Die Jugendguides sollten möglichst stark eingebunden werden und die Möglichkeit bekommen, selbst die Geschichten zu schreiben und zu verfassen. Besonders aufwendig und kostenintensiv gestaltete sich die Übersetzung aller Interviews und Lebensgeschichten ins Deutsche, Englische und Hebräische. Die Mehrsprachigkeit der gesamten Website war jedoch von besonderer Bedeutung, um allen Projektpartner und vor allem den Angehörigen der präsentierten Personen einen Zugang zu den Geschichten zu ermöglichen.

 

Ein persönliches Fazit

Das Endergebnis des Projekts »Pieces of Memory – Children in the Shoah and Us« ist eine umfangreiche Website mit insgesamt 32 Lebensgeschichten von unterschiedlichen aber durchweg beeindruckenden Persönlichkeiten, die in der Shoah ausgegrenzt, verfolgt, eingesperrt, misshandelt oder ermordet wurden. Sie zeigt Menschen und ihre Leben vor, während und nach der Shoah. Sie zeigt Leid, aber sie zeigt auch Liebe und Hoffnung. Die Jugendguides können stolz sein auf alles, was sie geleistet und zu dieser Ausstellung beigetragen haben. Dieses Projekt hat wesentlich mehr von ihnen abverlangt, als klassische Austauschprojekte dies tun. Wir hoffen jedoch, dass die Kombination der historischen Geschichten und des interkulturellen Austauschs für sie langfristig bereichernd war.

Auch wir haben durch dieses Projekt neben den individuellen Lebensgeschichten viel gelernt, etwa über interkulturelle Zusammenarbeit. Die Koordination des Projektes mit Partnern aus Deutschland und Israel hat uns vor verschiedene Herausforderungen gestellt, die wir gemeinsam lösen konnten. So mussten immer wieder Erwartungen an die Recherche und Präsentation der Biografien diskutiert und angepasst werden und dennoch zeigen sich noch im Endergebnis der Ausstellung Unterschiede in den Arbeitsweisen der Projektpartner. Insgesamt muss festgestellt werden, dass der Zeitraum von 18 Monaten für ein so umfangreiches Projekt knapp bemessen war und wir leider nicht in der Intensität arbeiten konnten, wie es bei einem längeren Projektzeitraum eventuell möglich gewesen wäre. Insbesondere die Bespielung der Social-Media-Kanäle auf Facebook und Instagram war eine zusätzliche Herausforderung, die eine eigens beauftragte Person gebraucht hätte.[3] Der online-Austausch lässt sich am Ende positiv bewerten. Er ersetzt zwar nicht die tatsächliche Begegnung der Gruppe, das online-Format kann jedoch auch in anderen Projekten durchaus zur Vor- und Nachbereitung eines Besuchs sinnvoll angewandt werden. Dabei ist aus unserer Erfahrung besonders auf eine Förderung der Interaktivität und des gegenseitigen persönlichen Kennenlernens zu achten, insbesondere bei Jugendgruppen, die danach viel offener für einen thematischen Austausch sind.

Webadresse: www.piecesofmemory.com

 

Leonie Freudenfeld war im Projekt »Pieces of Memory« als Projektassistentin für die Region in Deutschland zuständig. Sie studiert derzeit im Masterstudium Public History an der Ruhr-Universität Bochum. Sie war zwischen 2016 und 2021 selbst als Jugendguide in der Jungen Geschichtswerkstatt Tübingen aktiv.

 

Jule Henniger war Projektleiterin vom Projekt »Pieces of Memory«. Sie studierte Empirische Kulturwissenschaft und Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen. Seit Oktober 2022 studiert sie im internationalen Masterstudiengang der Universität Tel Aviv Cyber Politics and Government.

 

[1]    Erster offizieller Besuch in Israel, siehe:

      www.gedenkstaettenverbund-gna.org/aktuelles/aus-den-gedenkstaetten/jugendguides/433-yad-layeled (1. 7. 2022). Unter Jugendguides verstehen wir junge Menschen bis etwa 30 Jahre, die z.B. in Gedenkstätten des Gedenkstättenverbunds seit 2010 aktiv sind, indem sie Führungen anbieten oder Aufgaben der Ausstellungsbetreuung übernehmen. Viele sind auch darüber hinaus in die Aktivitäten der Gedenkstätte, an der sie tätig sind, eingebunden. Zum ausführlichen Konzept vgl.: Ulmer, Martin: Jugendguides in Baden-Württemberg. Konzept, Qualifikation, Tätigkeiten und Anerkennung. In: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hg.): Erinnern – Erfahren – Erlernen. Pädagogische Ansätze und Konzepte für Jugend- und Vermittlungsarbeit an Gedenkstätten, S. 32–33.

      Zu den Jugendguides im Gedenkstättenverbund siehe Hannah Gröner: Jugendguides. Neue Ansätze im Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb. In: Thomas Thiemeyer/Jackie Feldman/Tanja Seider (Hg.): Erinnerungspraxis zwischen gestern und morgen. Wie wird heute an NS-Zeit und Shoah erinnern. Ein deutsch-israelisches Studienprojekt. Tübingen 2018, S. 189–203.

[2]    Lernen und weitergeben. In: Schwäbisches Tagblatt, 15. 1. 2022.

 

[3]    Die Kanäle sind zu finden unter: Facebook: @piecesofmemory; Instagram: @piecesofmemory_

 

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